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OGH vom 13.11.2002, 9ObA94/02t

OGH vom 13.11.2002, 9ObA94/02t

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Maier als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Spenling und Dr. Hopf sowie die fachkundigen Laienrichter Ernst Viehberger und Gerhard Loibl als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Personalvertretung der S*****bahn, *****, vertreten durch Dr. Thomas Praxmarer, Rechtsanwalt in Innsbruck, gegen die beklagte Partei I***** GmbH, *****, vertreten durch Dr. Paul Delazer, Rechtsanwalt in Innsbruck, wegen Feststellung (Streitwert EUR 10.900 sA), infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 13 Ra 48/01h-26, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck als Arbeits- und Sozialgericht vom , GZ 44 Cga 179/00k-20, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision der beklagten Partei wird nicht Folge gegeben. Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit EUR 686,88 (darin enthalten EUR 114,48 USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Beklagte betreibt die S*****bahn. Bei der Klägerin handelt es sich um die Personalvertretung der für den Bereich der S*****bahn tätigen Mitarbeiter der Beklagten. Nikolaus P***** (geb. 1954) war von 1982 bis 1990 Dienstnehmer der S*****bahn GmbH, der Rechtsvorgängerin der Beklagten. Mit Wirkung vom wurde er von dieser wiederum eingestellt. Das Dienstverhältnis unterliegt der Dienst- und Besoldungsordnung für die Bediensteten österreichischer Privatbahnen (DBO). Mit Schreiben vom bestätigte die Rechtsvorgängerin der Beklagten gegenüber P*****, dass das Dienstverhältnis von Seiten der Dienstgeberin unkündbar geworden ist. Am erlitt P***** einen Unfall, bei dem er schwer verletzt wurde. Als Folge dieser Verletzungen war er bis fast ein Jahr lang im Krankenstand. Anschließend konsumierte er vom 10. 7. bis Urlaub. Mit Bescheid des Bundessozialamtes Tirol vom wurde gemäß § 14 Abs 2 BEinstG festgestellt, dass P***** ab dem dem Kreis der begünstigten Behinderten angehört, wobei der Grad seiner Behinderung 50 % beträgt. P***** ist auf Grund der unfallbedingten Verletzungsfolgen seit dem Unfall auf Dauer nicht mehr in der Lage, bei der Beklagten als Busfahrer zu arbeiten. Mit Schreiben vom wurde er von der Beklagten wegen (unverschuldeter) dauernder Dienstunfähigkeit entlassen. Die Klägerin begehrt, die von der Beklagten am ausgesprochene Entlassung P***** für rechtsunwirksam zu erklären. Die Entlassung sei zu Unrecht erfolgt; sie werde nicht nur als motiv- und sozialwidrig, sondern vor allem deswegen angefochten, weil damit der besondere Kündigungsschutz P***** und die ihm von der Dienstgeberin zugesagte Unkündbarkeit rechtswidrig umgangen werden sollten. Die in § 39 DBO geregelten Voraussetzungen einer Entlassung lägen nicht vor. Auf § 40 DBO könne sich die Beklagte schon deswegen nicht mit Erfolg berufen, weil die Dauer des unfallbedingten Krankenstandes das Ausmaß eines Jahres nicht erreicht habe. Es werde auch bestritten, dass P***** wegen der unfallbedingten Verletzungsfolgen auf Dauer dienstunfähig sei; er sei bei der Beklagten nämlich nicht nur als Fahrer, sondern auch als Kfz-Mechaniker beschäftigt gewesen und habe auch andere Tätigkeiten verrichtet. Die Beklagte habe überdies den von ihr herangezogenen Entlassungsgrund nicht unverzüglich geltend gemacht.

Die Beklagte bestritt dieses Vorbringen, beantragte die Abweisung des Klagebegehrens und wendete ein, sie habe P***** zu Recht wegen dauernder Dienstunfähigkeit entlassen. Er sei von ihr ausschließlich als Kraftfahrer beschäftigt worden, welche Tätigkeit er seit seinem Unfall nicht mehr ausüben könne. Sollte § 40 DBO unwirksam sein, liege eine Regelungslücke vor, welche durch eine sinngemäße Anwendung der § 27 Z 2 AngG, § 82 lit b GewO 1859 zu schließen sei, die eine Entlassung wegen Dienstunfähigkeit vorsehen. Die Entlassung sei unverzüglich ausgesprochen worden, weil erst am festgestanden sei, dass P***** nicht nur als Kraftfahrer, sondern auch in anderen Bereichen der Beklagten wegen seiner unfallbedingten Verletzungsfolgen nicht mehr beschäftigt werden könne. Mit Zwischenantrag begehrte die Beklagte die Feststellung, dass das Dienstverhältnis zwischen P***** und der Beklagten zum Zeitpunkt des Ausspruches der Entlassung ungeachtet des § 40 DBO aufrecht gewesen sei (ON 18). Die Klägerin erwiderte, dass sich der Zwischenantrag erübrige, weil sie ihrerseits davon ausgehe, dass das Dienstverhältnis bis zum Entlassungstag aufrecht gewesen sei. Dieser Umstand wurde auch von den Parteien ausdrücklich außer Streit gestellt (AS 67).

Der Zwischenantrag wurde von der Beklagten trotz Außerstreitstellung nicht zurückgezogen; über diesen wurde auch nicht vom Erstgericht mit Urteil entschieden (§§ 236 Abs 1, 259 Abs 2 ZPO). Dieser Umstand blieb jedoch im Berufungsverfahren ungerügt (§ 496 Abs 1 Z 1 ZPO), sodass hierauf nicht mehr einzugehen ist.

Das Erstgericht erklärte mit seinem Urteil die von der Beklagten am ausgesprochene Entlassung P***** für rechtsunwirksam. Es unterstellte seine Entscheidung dem bereits eingangs dargelegten unstrittigen Sachverhalt und traf überdies noch folgende Feststellungen:

P***** war bei der Beklagten (bzw ihrer Rechtsvorgängerin) in den verschiedensten Bereichen, etwa als Hilfsarbeiter, Kfz-Mechaniker oder Busfahrer beschäftigt. Am , noch vor Beendigung seines Krankenstandes, suchte er um eine vorübergehende Versetzung in die Verwaltung an; dies wurde jedoch mit Schreiben vom vorläufig mangels Bedarfs abgelehnt. Nach der am erfolgten medizinischen Untersuchung am Arbeitsmedizinischen Zentrum H***** wurde P***** aufgrund seines allgemeinen Körperzustandes für den Dienst bei der Beklagten für tauglich befunden, wobei allerdings eine Tätigkeit als Kraftfahrer nicht in Frage kam. Er sollte für ca drei Monate eine sitzende Tätigkeit ausüben; danach sollte er sich nochmals untersuchen lassen, vielleicht komme er wieder als Kraftfahrer in Frage. Nach dieser neuerlichen Untersuchung teilte das Arbeitsmedizinische Zentrum der Beklagten am mit, dass P***** weiterhin nicht für eine Tätigkeit als Kraftfahrer geeignet sei. Nach zwei Besprechungen und der Erörterung verschiedener Tätigkeitsfelder P***** wie Kontrollor, Straßenbahnreiniger, Bus-Innenreiniger, Wagenbegleiter, Lagermitarbeiter oder Mitarbeiter im Verwaltungsbereich hieß es bei der Beklagten zuletzt, man habe keine Arbeit für ihn. Danach wurde er am wegen Dienstunfähigkeit entlassen.

In rechtlicher Hinsicht vertrat das Erstgericht unter Hinweis auf die Bestimmungen der §§ 39 und 40 DBO die Auffassung, dass das zwischen P***** und der Beklagten begründete Dienstverhältnis weiterhin aufrecht sei, weil die Entlassung nicht berechtigt gewesen sei. P***** sei nämlich nicht als dienstunfähig zu beurteilen. Er könne von der Beklagten zwar nicht mehr als Busfahrer, wohl aber noch in anderen Bereichen ihres Betriebes beschäftigt werden. Auch habe die Dauer seines unfallbedingten Krankenstandes das Ausmaß eines Jahres nicht überschritten.

Das Berufungsgericht gab der dagegen erhobenen Berufung der Beklagten nicht Folge und bestätigte das Ersturteil mit der Maßgabe, dass es feststellte, dass die von der Beklagten am erklärte Entlassung P***** rechtsunwirksam sei und dessen Dienstverhältnis zur Beklagten weiterhin aufrecht bestehe.

Rechtlich ging das Berufungsgericht davon aus, dass P***** als begünstigter Behinderter iSd BEinstG zu beurteilen sei. Ob und unter welchen Voraussetzungen die Beklagte sein Dienstverhältnis lösen könne, sei daher unter Bedachtnahme auf die zwingenden Schutzbestimmungen dieses Gesetzes zu beurteilen. Dieses gewähre begünstigten Behinderten zwar einen besonderen Kündigungsschutz nach Maßgabe des § 8 BEinstG, enthalte aber keine ausdrückliche Regelung hinsichtlich einer Entlassung, sodass die einschlägigen Bestimmungen des allgemeinen Entlassungsrechtes grundsätzlich auch im Falle der Entlassung eines begünstigten Behinderten anzuwenden seien. Seit der BEinstG-Novelle BGBI I 1999/17 würden in § 8 Abs 4 BEinstG bestimmte Entlassungsgründe - darunter auch jener der dauernden Dienstunfähigkeit (lit b) - als Gründe für eine Zustimmung des Behindertenausschusses zu einer vom Dienstgeber beabsichtigten Kündigung eines begünstigten Behinderten demonstrativ angeführt. Durch diese Sonderbestimmung werde dem allgemeinen Entlassungsrecht, insoweit dieses eine dauernde Dienstunfähigkeit als Entlassungsgrund normiere, derogiert. Schon aus dem Schutzzweck des BEinstG folge, dass es nicht der freien Wahl eines Dienstgebers eines begünstigten Behinderten überlassen werden könne, ob er bei Eintritt einer dauernden Dienstunfähigkeit des begünstigten Behinderten diesen frei von jeglichen Erfordernisses einer verwaltungsbehördlichen oder gerichtlichen Zustimmung entlasse oder ihn unter Einhaltung der Schutzbestimmungen des § 8 BEinstG kündige. Eine in § 8 Abs 4 lit b BEinstG als Kündigungsgrund ausgestaltete dauernde Dienstunfähigkeit eines begünstigten Behinderten könne sohin nicht zur Begründung seiner Entlassung herangezogen werden. Die von der Beklagten auf das Vorliegen einer dauernden Dienstunfähigkeit P***** gestützte Entlassung sei daher schon auf Grund dieser Erwägungen rechtsunwirksam. Aus dem Schutzzweck des BEinstG folge, dass durch eine ungerechtfertigte Entlassung eines begünstigten Behinderten dessen Dienstverhältnis nicht gelöst werde.

Gegen das Berufungsurteil richtet sich die Revision der Beklagten wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung dahin abzuändern, dass das Klagebegehren abgewiesen werde.

Die Klägerin beantragte, der Revision nicht Folge zu geben. Die Revision ist nicht berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Für die Lösung des Falles sind insbesondere zwei Umstände maßgeblich, und zwar


Tabelle in neuem Fenster öffnen
-
dass es sich bei P***** um einen begünstigten Behinderten iSd BEinstG handelt und
-
dass das Dienstverhältnis zwischen P***** und der Beklagten der Dienst- und Besoldungsordnung für die Bediensteten österreichischer Privatbahnen (DBO) unterliegt.
Begünstigte Behinderte stehen - wie das Berufungsgericht zutreffend betonte - unter dem besonderen Kündigungsschutz des § 8 BEinstG, wenn das Dienstverhältnis wie im vorliegenden Fall bereits länger als sechs Monate bestanden hat. Eine Dienstgeberkündigung des Dienstnehmers bedarf in einem solchen Fall der Zustimmung durch den beim Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen errichteten Behindertenausschuss. Eine Kündigung ohne vorherige Zustimmung dieses Ausschusses ist rechtsunwirksam (Ernst/Haller, BEinstG § 8 Erl 36; Schwarz/Löschnigg, Arbeitsrecht9 626 f mwN; RIS-Justiz RS0077688 ua). Die Entlassung eines begünstigten Behinderten ist demgegenüber an keine Zustimmung gebunden. Ein besonderer Entlassungsschutz wird jedoch dadurch realisiert, dass eine unbegründete Entlassung rechtsunwirksam ist. Da andernfalls der Kündigungsschutz nach dem BEinstG umgangen werden könnte, löst die ungerechtfertigte Entlassung eines begünstigten Behinderten das Dienstverhältnis nicht auf (Ernst/Haller aaO § 8 Erl 102 f; Schwarz/Löschnigg aaO 685 f mwN; RIS-Justiz RS0052630 ua).
Eine Kündigung wurde im vorliegenden Fall von der Beklagten nicht ausgesprochen, insbesondere auch keine Zustimmung des Behindertenausschusses zu einer Kündigung eingeholt. Es bleibt sohin nur die Frage zu lösen, ob eine gerechtfertigte Entlassung vorliegt. Aus welchen Gründen ein Dienstnehmer der Beklagten entlassen werden darf, ergibt sich aus § 39 DBO. Danach ist die Entlassung zunächst nur dann zulässig, wenn im Rahmen eines gegen den betroffenen Bediensteten geführten Disziplinarverfahrens die verhängte Disziplinarstrafe auf "Entlassung" lautet (§ 39 Abs 1). Dies ist hier nicht der Fall. Ohne Disziplinarverfahren, nach bloßer Feststellung des Sachverhaltes, kann aus wichtigem Grund die fristlose Entlassung eines Bediensteten nur in bestimmten, in § 39 Abs 2 DBO näher genannten Fällen ausgesprochen werden, und zwar dann,
a) wenn sich nachträglich herausstellt, dass sich der Bedienstete die Aufnahme in das Dienstverhältnis erschlichen hat,
b) wenn der Bedienstete sich einer besonders schweren Verletzung der Dienstpflicht schuldig macht, durch die er das Vertrauen für den Dienst einbüßt,
c) wenn der Bedienstete seinen Dienst in wesentlichen Belangen erheblich vernachlässigt oder ohne wichtigen Hinderungsgrund dem Dienst fernbleibt,
d) wenn der Bedienstete sich beharrlich weigert, seine Dienstverrichtungen ordnungsgemäß zu versehen oder wiederholt sich den dienstlichen Anordnungen seiner Vorgesetzten widersetzt,
e) wenn der Bedienstete von einem Strafgericht wegen eines Verbrechens oder eines aus Gewinnsucht begangenen oder die Sittlichkeit verletzenden Vergehens verurteilt wurde oder wegen einer anderen Gesetzesübertretung zu einer 6-monatigen oder längeren Freiheitsstrafe verurteilt wurde.
Der von der Beklagten geltend gemachte Entlassungsgrund der Dienstunfähigkeit eines Dienstnehmers findet im Entlassungsregime der DBO keine Deckung. Die Entlassung P***** war daher nicht gerechtfertigt und verletzt damit den besonderen Entlassungsschutz, den er als begünstigter Behinderter genießt. Die Entlassung ist deshalb rechtsunwirksam und löst das Dienstverhältnis nicht auf, da andernfalls der Kündigungsschutz nach § 8 BEinstG umgangen würde. Von einer Lücke in der DBO, die durch einen Rückgriff auf das allgemeine Entlassungsrecht geschlossen werden müsste, kann hier keine Rede sein. Im Falle der Dienstunfähigkeit eines Dienstnehmers wäre (auch) nach der DBO prinzipiell die Kündigung - trotz Unkündbarstellung (Gewährung eines besonderen Kündigungsschutzes iSd § 38 Abs 4 DBO) - zulässig, soweit er nicht anderweitig im Unternehmen verwendet werden kann (§ 38 Abs 5 DBO). Diese Beendigungsart bedarf jedoch im Falle eines begünstigten Behinderten der Zustimmung des Behindertenausschusses, die im vorliegenden Fall von der Beklagten nicht eingeholt wurde.
Bei dieser Rechtslage kommt es auf die Überlegungen des Berufungsgerichtes zum Verhältnis von § 8 Abs 4 lit b BEinstG idF der Novelle BGBI I 1999/17 zum allgemeinen Entlassungsrecht nicht an. P***** unterliegt nämlich nicht dem allgemeinen Entlassungsrecht, sondern der Regelung der Entlassung in der DBO.
Zur Regelung des § 40 DBO ("Auflösung des Dienstverhältnisses aus besonderen Gründen"), die ua vorsieht, dass das Dienstverhältnis des Bediensteten ohne Kündigung endet, wenn die Dienstverhinderung infolge Krankheit oder Unfall ein Jahr gedauert hat (lit b), ist - abgesehen davon, dass sogar die Revisionswerberin von deren Rechtsunwirksamkeit ausgeht (vgl RIS-Justiz RS0028917, zuletzt 8 ObA 178/00k) - anzumerken, dass es dem übereinstimmenden Vorbringen beider Parteien entspricht, dass das Dienstverhältnisses nicht durch diese Regelung aufgelöst wurde, sondern vielmehr zum Zeitpunkt des Ausspruches der Entlassung noch aufrecht war. Hierauf ist daher nicht weiter einzugehen.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 50, 41 ZPO.