OGH vom 23.10.2000, 8ObS89/00x
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Petrag als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Langer und Dr. Rohrer sowie die fachkundigen Laienrichter Gerhard Taucher und Dr. Barbara Hopf als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Josef R*****, vertreten durch Dr. Johann Grandl, Rechtsanwalt in Mistelbach, wider die beklagte Partei Bundessozialamt Wien, Niederösterreich, Burgenland, vertreten durch die Finanzprokuratur, 1010 Wien, Singerstraße 17-19, wegen Insolvenz-Ausfallgeld (S 45.803,-- netto s.A.), infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 8 Rs 305/99b-11, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Korneuburg als Arbeits- und Sozialgericht vom , GZ 34 Cgs 151/98b-7, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die klagende Partei hat die Kosten ihrer Revision selbst zu tragen.
Text
Entscheidungsgründe:
Rechtliche Beurteilung
Die rechtliche Begründung der Berufungsentscheidung, dem Kläger gebühre kein Insolvenz-Ausfallgeld für Entgelt, das mehr als sechs Monate vor der Eröffnung des Konkursverfahrens über seinen Arbeitgeber fällig geworden sei, weil er es unterlassen habe, dieses gerichtlich geltend zu machen (§ 3a Abs 1 IESG), ist zutreffend (§ 510 Abs 3 ZPO).
Den Revisionsausführungen ist unter Hinweis auf die zu im Wesentlichen gleichgelagerten Sachverhalten ergangenen Entscheidungen des erkennenden Senats 8 ObS 23/00s, 8 ObS 35/00f, 8 ObS 86/00f und 8 ObS 88/00z zu entgegnen:
Eine analoge Anwendung des § 6 Abs 1 IESG auf die Übergangsbestimmung zu § 3a IESG, nämlich § 17a Abs 11 IESG, kommt nicht in Frage. Der Kläger konnte vom Inkrafttreten dieser Bestimmung nicht "überrascht" werden, weil § 3a Abs 1 idF des am kundgemachten Bundesgesetzes BGBl I 107/1997 (IESG-Novelle 1997) gemäß § 17a Abs 11 IESG ohnedies erst am und damit sechs Monate nach dem Inkrafttreten der übrigen Bestimmungen der Novelle (§ 17a Abs 10 IESG) in Kraft getreten ist. Dadurch wurde vorgesorgt, dass durch eine ausreichende Legisvakanz dieser Bestimmung die 6-Monats-Frist für die gerichtliche Geltendmachung von Arbeitnehmeransprüchen nicht "überraschend" in Kraft trat. Eine Gesetzesänderung, die allenfalls gegen den Vertrauensschutz verstoßen hätte, liegt somit nicht vor.
Ein Verstoß der Bestimmung des § 3a Abs 1 IESG gegen die "Insolvenz-Richtlinie" 80/987/EWG - im vorliegenden Fall lag zwischen dem Antrag auf Konkurseröffnung am und dem Beschluss auf Eröffnung des Konkursverfahrens über das Vermögen des ehemaligen Arbeitgebers des Klägers am ein atypisch langer Zeitraum - liegt nicht vor:
Eine Divergenz zwischen dem in Art 4 Abs 2 1. Gedankenstrich der Richtlinie und dem in § 3a Abs 1 IESG bestimmten Zeitraum von jeweils sechs Monaten ergibt sich aus den unterschiedlichen Stichtagen für die Berechnung dieses Zeitraumes. Während nach Art 3 Abs 2 1. Gedankenstrich der Richtlinie der Eintritt der Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers - dieser ist nach der Entscheidung des , C-95/95, Bonifaci ua und Berto ua, Rn 42 mit dem Zeitpunkt der Einreichung des Antrages auf Eröffnung des Verfahrens zur gemeinschaftlichen Gläubigerbefriedigung gleichzusetzen - maßgeblich ist, stellt § 3a Abs 1 IESG auf die Konkurseröffnung oder einen nach § 1 Abs 1 IESG gleichgestellten Tatbestand ab. Dies führt dazu, dass - wie im vorliegenden Fall - ein erheblicher Teil des nach Art 4 Abs 2 1. Gedankenstrich der Richtlinie festgelegten, für die Sicherung maßgeblichen Zeitraumes außerhalb der zeitlichen Begrenzung nach § 3a Abs 1 IESG liegen kann. Dennoch führt diese Bestimmung nicht zu einem richtlinienwidrigen Ausschluss der Sicherung der in diesem Zeitraum erworbenen Entgeltansprüche, sondern nur dazu, dass diese Ansprüche von einer Klagsführung durch den Arbeitnehmer abhängig gemacht werden. Geist (in seiner Glosse zu 8 ObS 192/98p in DRdA 1999/51) ist darin beizupflichten, dass es sich bei der in § 3a Abs 1 IESG normierten Voraussetzung für die Sicherung von Entgeltrückständen aus länger zurückliegenden Zeiträumen um eine gemäß Art 10 lit a der Richtlinie zulässige - notwendige - Maßnahme zur Vermeidung von Missbräuchen handelt, da die Sicherung von einem zumutbaren Verhalten des Arbeitnehmers - die Klagsführung ist bis zur Konkurseröffnung möglich und die dem Arbeitnehmer dadurch erwachsenden Kosten sind gesichert - abhängig gemacht wird (siehe Rn 40 der zitierten EuGH-Entscheidung, wonach die Richtlinienwidrigkeit der nationalen Regelung daraus abgeleitet wird, dass die Begrenzung der Sicherung unter das in Art 4 der Richtlinie geforderte Ausmaß aus Gründen erfolgt, die in keinem Zusammenhang mit dem Verhalten der Arbeitnehmer stehen).
Auch verfassungsrechtliche Bedenken sind nicht gegeben, weil es dem Gesetzgeber nicht verwehrt ist, "einfache und leicht handhabbare Regelungen zu treffen" (VfSlg. 9654; 11.469; 11.775). Er darf von einer Durchschnittsbetrachtung ausgehen und auf den Regelfall abstellen (VfSlg. 8871; 11.193); dass dabei Härtefälle entstehen können, macht eine Regelung dann nicht gleichheitswidrig, wenn es sich um einen atypischen, nur ausnahmsweise auftretenden Fall handelt (Mayer B-VG**2, 467 zu Art. 2 StGG).
Die Rechtsansicht des Berufungsgerichtes, dem Kläger wäre wegen der unvollständigen Zahlung seines Arbeitsentgeltes ein früherer Austritt möglich gewesen, ist schon nach dem Gesetzeswortlaut zutreffend, wie sich aus der Formulierung "ungebührlich schmälert" (§ 26 Z 2 AngG) bzw "ungebührlich vorenthält" (§ 82a lit d GewO 1859) ergibt, zumal der vorenthaltene Betrag von jeweils 25 % des zustehenden Lohnes nicht so geringfügig ist wie im Falle der Entscheidung 4 Ob 60/85 (= JBl 1987, 63: nicht sogleich durchgeführte rückwirkende Erhöhung des kollektivvertraglichen Entgeltes um 3,5 %).
Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG, weil Billigkeitsgründe für einen Kostenzuspruch trotz des gänzlichen Unterliegens nicht erkennbar sind und der Kläger den überwiegenden Teil des von ihm angemeldeten Betrages ohnedies zuerkannt erhalten hat.