OGH vom 27.03.1997, 8ObS88/97t
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Petrag als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Langer und Dr.Adamovic sowie die fachkundigen Laienrichter Dr.Heinz Paul (Arbeitgeber) und Walter Darmstädter (Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Gertraud N*****, Angestellte, ***** vertreten durch Dr.Markus Orgler und Dr.Josef Pfurtscheller, Rechtsanwälte in Innsbruck, wider die beklagte Partei Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen Tirol, Innsbruck, Herzog-Friedrich-Straße 3, vertreten durch die Finanzprokuratur, Wien 1, Singerstraße 17-19, wegen Insolvenz-Ausfallgeld (Revisionsinteresse S 55.604,61 sA), infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 25 Rs 122/96v-13, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck als Arbeits- und Sozialgericht vom , GZ 47 Cgs 103/96t-8, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird Folge gegeben.
Das angefochtene Berufungsurteil wird dahin abgeändert, daß das Urteil erster Instanz wiederhergestellt wird.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit S 8.117,76 bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens (darin S 1.352,96 USt) und die mit S 4.871,04 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin S 811,84 USt) binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Die Klägerin war vom bis als Angestellte bei ihrem Arbeitgeber beschäftigt, über dessen Vermögen zunächst am das Ausgleichsverfahren und am der Anschlußkonkurs eröffnet wurde. Vom bis befand sich die Klägerin im Mutterschaftskarenzurlaub. Nach Abzug des Karenzurlaubes dauerte ihr Arbeitsverhältnis weniger als 3 Jahre.
Auf das Arbeitsverhältnis der Klägerin war der Kollektivvertrag für Angestellte des Baugewerbes und der Bauindustrie anzuwenden. Die hier maßgebliche Bestimmung des § 24 a lautet wie folgt:
"Der erste Karenzurlaub innerhalb eines Dienstverhältnisses im Sinne des § 15 MSchG wird für die Bemessung der Kündigungsfrist, der Abfertigung, der Dauer des Krankenentgeltanspruches und der Urlaubsdauer bis zum Höchstausmaß von 10 Monaten angerechnet. Voraussetzung für die Anrechnung ist jedoch eine dreijährige Dauer des Dienstverhältnisses. Bei der Bemessung der Höhe der Abfertigung wird nur jener Karenzurlaub berücksichtigt, der nach dem angetreten wurde".
Mit Bescheid der beklagten Partei vom wurde der Klägerin Insolvenz-Ausfallgeld von S 93.474,-- (für Kündigungsentschädigung von 6 Wochen und Urlaubsentschädigung) zuerkannt; mit Bescheid vom selben Tag wurde der Rest ihrer angemeldeten Gesamtforderung von S 163.202,72 abgewiesen (insb die Abfertigung von 2 Monatsentgelten sowie eine geringfügige Differenz von Urlaubsentschädigung).
Die Klägerin begehrte in ihrer Klage (restliches) Insolvenz-Ausfallgeld von S 67.374,45 netto samt 4 % Zinsen vom bis mit dem Vorbringen, nach der eingangs angeführten Kollektivvertragsbestimmung seien 10 Monate des ersten Karenzurlaubes für die Dauer der Dienstzeit für den Erwerb des Abfertigungsanspruches anzurechnen (weiters stehe ihr eine Kündigungsentschädigung von 2 Monatsentgelten statt von 6 Wochen und eine Differenz von Urlaubsentschädigung zu - diese Ansprüche sind im Revisionsverfahren nicht mehr strittig).
Die beklagte Partei bestritt das Klagsvorbringen, beantragte die Abweisung des Klagebegehrens und brachte vor, nach der angeführten Kollektivvertragsbestimmung habe die Anrechnung von höchstens 10 Monaten eines Karenzurlaubes nur unter der Voraussetzung einer dreijährigen Dauer des Dienstverhältnisses zu erfolgen, die Klägerin sei nur rund 30 Monate tatsächlich beschäftigt gewesen.
Das Erstgericht gab aufgrund des eingangs wiedergegebenen Sachverhaltes dem Klagebegehren - abgesehen von der Abweisung eines Teilbetrages - unter anderem hinsichtlich des auf die Abfertigung der Klägerin gerichteten Klagebegehrens statt. In rechtlicher Hinsicht führte das Erstgericht aus, nach der zitierten Kollektivvertragsbestimmung im Zusammenhalt mit § 15 Abs 1 a MSchG seien die Zeiten des karenzierten Arbeitsverhältnisses im Ausmaß von 10 Monaten in die dreijährige Dauer einzurechnen, sodaß die Klägerin die Anwartschaft für die Abfertigung erfülle.
Das Berufungsgericht wies das Klagebegehren hinsichtlich des auf die Abfertigung entfallenden Teiles ab und erklärte die Revision für zulässig. Es legte die Kollektivvertragsbestimmung dahin aus, daß Voraussetzung der Anrechnung von 10 Monaten auf die Dienstdauer abhängigen Ansprüche der Bestand eines Arbeitsverhältnisses von (mindestens) drei Jahren ohne Berücksichtigung der Zeiten des Karenzurlaubes sei. Die Revision sei zulässig, weil eine höchstgerichtliche Rechtsprechung zu dieser Kollektivvertragsbestimmung fehle.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der Klägerin aus dem Grunde der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, es abzuändern und das Ersturteil wiederherzustellen. Ein Anspruch auf Abfertigung bestehe schon bei einer Beschäftigungsdauer von 36 Monaten einschließlich eines 10 Monateanteils des Karenzurlaubes.
Die beklagte Partei beantragte, der Revision nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist aus dem vom Berufungsgericht angeführten Grund zulässig, zumal diese Kollektivvertragsbestimmung sowie andere ähnliche für zahlreiche Arbeitnehmer in vergleichbarer Lage anwendbar sind, weshalb die Auslegung dieser Kollektivvertragsbestimmung eine Rechtsfrage im Sinne des § 46 Abs 1 ASGG bildet.
Die Revision ist auch berechtigt.
Bei der Auslegung eines Kollektivvertrages nach seinem objektiven Sinn ist anzunehmen, daß die Kollektivvertragspartner sich der allgemein üblichen Sprache und Begriffe bedienen. Damit allein wäre noch keine eindeutige Aussage möglich, ob der zweite Satz der auszulegenden Kollektivvertragsregelung dahin zu verstehen ist, daß schon eine reale, dh vom beiderseitigen Leistungsaustausch erfüllte Dauer des Dienstverhältnisses von 26 Monaten oder von 36 Monaten für die zusätzliche Anrechnung von 10 Monaten eines Karenzurlaubes vorausgesetzt wird. Eine an der Sachgerechtigkeit orientierte Auslegung eines Kollektivvertrages (RdW 1996, 489 zur Anrechnung ausländischer Studien und Berufszeiten für die Einstufung) muß auch die Absicht der Kollektivvertragspartner berücksichtigen, den Standard des Gesetzes (vgl § 15 Abs 2 letzter Satz MSchG idF von Art II Z 16 des arbeitsrechtlichen Begleitgesetzes, BGBl 833/1992) im Sinne der sozialpolitischen Ziele des "Frauenpaketes" zu verbessern. Insoweit ist anzunehmen, daß die Kollektivvertragspartner über die Bemessung der Kündigungsfrist, der Dauer der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall (Unglücksfall) und des Urlaubsausmaßes hinausgehend auch bezüglich der Abfertigung einen nach dem angetretenen Karenzurlaub berücksichtigen wollten, um die realen Benachteiligungen der Frauen mit Doppelbelastung durch Beruf und Kinderbetreuung (vgl die anderen Maßnahmen des arbeitsrechtlichen Begleitgesetzes insb die Verbesserung der Pflegefreistellung gemäß § 16 UrlG) zu vermindern. Eine vergleichbare Regelung über die Anrechnung des Karenzurlaubes enthält der Kollektivvertrag für die Handelsangestellten Österreichs in Punkt XIII mit der Abweichung, daß eine fünfjährige Dauer des Dienstverhältnisses vorausgesetzt wird. Im Zusammenhalt mit der Neufassung des § 23 Abs 1 AngG durch das Arbeiterabfertigungsgesetz (berücksichtigend die vorausgehenden Zeiten als Arbeiter oder Lehrling) ist davon auszugehen, daß die anzurechnende Zeit des Karenzurlaubes in die jeweils vorausgesetzte Gesamtdienstzeit einzurechnen ist, sodaß die Abfertigungsanwartschaft unter Heranziehung des Karenzurlaubes schon nach 26 bzw 50 Monaten eines realen Dienstverhältnisses erworben werden soll. Der sozialpolitische Zweck, der bei der Teleologie und Sachgerechtigkeit zu berücksichtigen ist, geht dahin, gerade die Arbeitnehmerinnen zu begünstigen, die bei einer Dienstzeit von weniger als 36, 60 usw Monaten andernfalls keine oder nur eine geringere Abfertigung erhielten (vgl dazu auch § 23 a Abs 3 AngG). Eine Begünstigung wäre nämlich bei Hinzurechnung von 10 Monaten eines Karenzurlaubes erst bei einer Gesamtdienstzeit zwischen 36 bis 49 Monaten nicht gegeben (ebenso zwischen 60 und 110 Monaten bis erst dann wieder die nächsthöhere Abfertigungsstufe eines zehnjährigen Dienstverhältnisses erreicht würde). Wenn schon die Abfertigung gemäß § 23 Abs 1 AngG sprunghaft nach unterschiedlichen Perioden in unterschiedlichem Ausmaß anwächst, fügt sich die jeweilige Hinzurechnung von 10 Monaten schon in der ersten Abfertigungsstufe weitaus harmonischer in die Gesamtentwicklung der Abfertigung ein, während es anderenfalls zu einem unharmonischen Verlauf der Abfertigung käme.
Weiters wäre es in sich widersprüchlich, den Begriff der Dienstzeit im Kollektivvertrag mit zwei verschiedenen Inhalten zu gebrauchen, nämlich in einem engeren, nur den realen Leistungsaustausch berücksichtigenden Sinn und in einem weiteren, unter Einschluß des Karenzurlaubes, während dessen dieser Leistungsaustausch nicht stattfindet.
Durch das arbeitsrechtliche Begleitgesetz wurde an § 15 Abs 2 MSchG folgender Satz angefügt:
"Der erste Karenzurlaub im Dienstverhältnis wird für die Bemessung der Kündigungsfrist, die Dauer der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall (Unglücksfall) und das Urlaubsausmaß jedoch bis zum Höchstausmaß von 10 Monaten angerechnet".
Dazu führte die Regierungsvorlage (735 BlgNR XVIII. GP, 24) aus:
"Die Zeiten des Präsenzdienstes werden für Ansprüche, die sich nach der Dauer der Dienstzeit richten, angerechnet. Diese Anrechnung betrifft den ordentlichen Präsenz- und Zivildienst und einige außerordentliche Präsenzdienste, wobei die Anrechnung beim Zeitsoldaten auf 12 Monate beschränkt wurde. Die Ungleichbehandlung zwischen Präsenzdienern und Eltern im Karenzurlaub ist sozialpolitisch nicht gerechtfertigt. Im übrigen gilt auch die Zeit des Karenzurlaubes gemäß § 227 Abs 1 Z 4 ASVG als Ersatzzeit für die Pensionsversicherung. Die Frauenorganisationen haben daher seit vielen Jahren die Forderung nach Anrechnung des Karenzurlaubes erhoben. Der Entwurf hat daher eine Regelung, wie sie schon in einer Reihe von Kollektivverträgen enthalten ist, übernommen und eine Anrechnung von 10 Monaten des ersten Karenzurlaubes für das Urlaubsausmaß, die Dauer der Kündigungsfrist und die Entgeltfortzahlung im Krankheits- und Unglücksfall vorgesehen".
Es ist nicht zweifelhaft, daß auch die Abfertigung zu den Ansprüchen gehört, die sich nach der Dauer der Dienstzeit richten (vgl § 8 APSG). Mag zwar die Kollektivvertragsbestimmung aus der Zeit vor der Novellierung des Mutterschutzgesetzes () stammen, muß ihr dennoch dieser Sinn eingeräumt werden, weil anderenfalls der Kollektivvertrag gegenüber dem günstigeren gesetzlichen Standard zurückbliebe. Ebenso wie es zu den Auslegungsgrundsätzen gehört, einfache Gesetze verfassungskonform auszulegen (vgl etwa JBl 1995, 319, SZ 61/189 ua), sind auch Normen des kollektiven Arbeitsrechtes unter Berücksichtigung des Günstigkeitsprinzipes so auszulegen, daß ein gesetzwidriges Ergebnis vermieden wird (vgl Arb 10.815 = SZ 62/135; Arb 11.108 ua). Dabei soll die postulierte soziale Rechtsanwendung nicht zu einer Berichtigung des Gesetzes oder Kollektivvertrages durch Richter führen (vgl F.Bydlinski Methodenlehre2, 597; Fink, Sukzessive Zuständigkeit, 90 f; Strasser, Juristische Methodologie und soziale Rechtsanwendung im Arbeitsrecht, DRdA 1979, 85 ff [94 f]), vielmehr ist bei der Auslegung die Teleologie zu beachten, wonach der Nachteil des Karenzurlaubes für den Erwerb von Dienstzeitdauer abhängiger Ansprüche möglichst vermieden werden soll. Daher führt die Hinzurechnung von 10 Monaten eines Karenzurlaubes schon ab einer Dauer des Beschäftigungsverhältnisses (außerhalb des Karenzurlaubes) von mindestens 26 Monaten zu einem Erwerb eines Abfertigungsanspruches. Die drohende Belastung der Arbeitgeber wird durch die Beschränkung der anzurechnenden Dauer des Karenzurlaubes auf 10 Monate nur im Falle des ersten Karenzurlaubes begrenzt.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 77 Abs 1 Z 2 lit a ASGG.