OGH vom 14.07.2011, 13Os57/11y (13Os58/11w)
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Ratz als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Kirchbacher und Dr. Lässig, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Marek und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Tomecek als Schriftführerin in den Strafsachen gegen Alexandra N***** und einen Angeklagten wegen Vergehen der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB sowie einer weiteren strafbaren Handlung, AZ 163 Hv 61/09z des Landesgerichts für Strafsachen Wien, und gegen Patrick F***** und einen anderen Angeklagten wegen Vergehen der Körperverletzung nach §§ 83 Abs 1 und 15 StGB sowie einer weiteren strafbaren Handlung, AZ 10 U 168/08g des Bezirksgerichts Donaustadt, über die von der Generalprokuratur gegen die Urteile des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom (GZ 163 Hv 61/09z 36) und des Bezirksgerichts Donaustadt vom (GZ 10 U 168/08g 48) sowie den gleichzeitig mit dieser Entscheidung ergangenen Beschluss auf Absehen vom Widerruf bedingter Strafnachsichten erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit der Vertreterin der Generalprokuratur, Generalanwältin Dr. Aicher, zu Recht erkannt:
Spruch
Es verletzen
(1) das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom , GZ 163 Hv 61/09z 36, § 31 Abs 1 dritter Satz StGB,
(2) das Urteil des Bezirksgerichts Donaustadt vom , GZ 10 U 168/08g 48, § 31 Abs 1 erster Satz StGB und
(3) der Beschluss des Bezirksgerichts Donaustadt vom , GZ 10 U 168/08g 48, § 495 Abs 2 StPO.
Die Urteile des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom , GZ 163 Hv 61/09z 36, und des Bezirksgerichts Donaustadt vom , GZ 10 U 168/08g 48, die im Übrigen unberührt bleiben, werden in den Patrick F***** betreffenden Strafaussprüchen aufgehoben und es wird die Sache jeweils an das Erstgericht zur Strafneubemessung verwiesen.
Text
Gründe:
Patrick F***** wurde mit am in Rechtskraft erwachsenem Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom , GZ 154 Hv 64/09z 42, unter Anwendung des § 28 Abs 1 StGB nach § 83 Abs 1 StGB zu einer unter Bestimmung einer dreijährigen Probezeit bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von zehn Monaten verurteilt.
Mit Urteil vom , GZ 163 Hv 61/09z 36, verhängte dasselbe Gericht unter Bedachtnahme (§ 31 Abs 1 StGB) auf die erstgenannte Entscheidung über Patrick F***** (der Sache nach auch unter Anwendung des § 28 Abs 1 StGB) nach § 83 Abs 1 StGB eine ebenfalls unter Bestimmung einer dreijährigen Probezeit bedingt nachgesehene Freiheitsstrafe von vier Monaten. Dieses Urteil erwuchs am in Rechtskraft. Die vom Schuldspruch umfassten Taten waren am und am gesetzt worden.
Schließlich wurde Patrick F***** mit Urteil des Bezirksgerichts Donaustadt vom , GZ 10 U 168/08g 48 erneut unter Bedachtnahme auf das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom , GZ 154 Hv 64/09z 42 zu einer (bedingt nachgesehenen) Freiheitsstrafe von zwei Monaten verurteilt. Tatzeit war der .
Unter einem sah das Bezirksgericht Donaustadt „gemäß § 494a Abs 1 Z 2 StPO“ vom Widerruf der zu AZ 154 Hv 64/09z und zu AZ 163 Hv 61/09z des Landesgerichts für Strafsachen Wien gewährten bedingten Strafnachsichten ab.
Rechtliche Beurteilung
Wie die Generalprokuratur in ihrer gemäß § 23 Abs 1 StPO erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes zutreffend aufzeigt, stehen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom , GZ 163 Hv 61/09z 36, sowie das Urteil und der Beschluss des Bezirksgerichts Donaustadt vom , GZ 10 U 168/08g 48, mit dem Gesetz nicht im Einklang:
Nach § 31 Abs 1 erster Satz StGB ist eine Zusatzstrafe zu verhängen, wenn jemand, der bereits zu einer Strafe verurteilt worden ist, wegen einer anderen Tat verurteilt wird, die nach der Zeit ihrer Begehung schon in dem früheren Verfahren hätte abgeurteilt werden können. Liegt die von einem Nach Urteil umfasste Tat vor den erstinstanzlichen Entscheidungszeitpunkten zweier Vor Urteile, von denen im späteren in Bezug auf das frühere § 31 Abs 1 StGB angewendet worden ist, muss demnach im Nach Urteil auf beide Vor Urteile Bedacht genommen werden ( Ratz in WK² § 31 Rz 5). Da das Urteil des Bezirksgerichts Donaustadt vom zwar auf das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom , nicht jedoch auf jenes vom Bedacht nimmt, verstößt es somit gegen § 31 Abs 1 erster Satz StGB.
Wird gemäß § 31 Abs 1 erster Satz StGB in einem Urteil auf ein anderes Bedacht genommen, darf nach § 31 Abs 1 dritter Satz StGB die Summe der Strafen die Strafe nicht übersteigen, die hier interessierend nach den Regeln über die Strafbemessung beim Zusammentreffen strafbarer Handlungen zulässig wäre. Fallbezogen waren die Strafen in den in Rede stehenden Urteilen jeweils nach § 83 Abs 1 StGB zu bemessen, welche Bestimmung eine Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr vorsieht. Beim Zusammentreffen mehrerer Vergehen der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB ist diese Strafdrohung gemäß § 28 Abs 1 StGB gleichzeitig das Höchstmaß der nach dieser Norm zu verhängenden einheitlichen Freiheitsstrafe, was im Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom missachtet worden ist.
Da die bislang behandelten Gesetzesverletzungen zum Nachteil des Verurteilten wirken, sah sich der Oberste Gerichtshof veranlasst, die davon betroffenen Strafaussprüche aufzuheben (§ 292 letzter Satz StPO).
In der Folge wird zunächst das Landesgericht für Strafsachen Wien im Verfahren AZ 163 Hv 61/09z eine Zusatzstrafe zur von diesem Gericht mit Urteil vom , GZ 154 Hv 64/09z, ausgesprochenen (bedingt nachgesehenen) zehnmonatigen Freiheitsstrafe zu verhängen haben.
Sodann hat das Bezirksgericht Donaustadt im Strafverfahren AZ 10 U 168/08g eine Zusatzstrafe zu den in den Verfahren AZ 154 Hv 64/09z und AZ 163 Hv 61/09z des Landesgerichts für Strafsachen Wien gefundenen Sanktionen zu bemessen.
Dabei ist zu beachten, dass die solcherart durch die drei Urteile gebildete Gesamtstrafe (allenfalls auch mittels Absehens von der Verhängung einer Zusatzstrafe) ein Jahr nicht übersteigen darf.
Mit dem Beschluss des Bezirksgerichts Donaustadt vom , GZ 10 U 168/08g 48, wurde in Bezug auf die Urteile des Landegerichts für Strafsachen Wien vom , GZ 154 Hv 64/09z 42, und vom , GZ 163 Hv 61/09z 36, über den Widerruf bei nachträglicher Verurteilung im Sinn des § 55 StGB abgesprochen. Die Zuständigkeit zu einer solchen Entscheidung richtet sich aber nach § 495 Abs 2 StPO (RIS Justiz RS0111521; Jerabek , WK StPO § 494a Rz 7), kam also hier dem Landesgericht für Strafsachen Wien und zwar im Verfahren AZ 163 Hv 61/09z zu (§ 495 Abs 2 zweiter Satzteil StPO).
Dabei ist § 495 Abs 2 StPO deswegen auch hinsichtlich des Urteils vom , GZ 163 Hv 61/09z 36 des Landesgerichts für Strafsachen Wien, maßgebend, weil § 55 StGB, auf den diese Zuständigkeitsvorschrift Bezug nimmt, nicht auf die im nachträglichen Strafurteil erfolgte Anwendung der Strafrahmenvorschrift des § 31 StGB, sondern nur auf das (tatsächliche) Verhältnis der nachträglichen Verurteilung zu derjenigen abstellt, in der die bedingte Strafnachsicht gewährt wurde (so auch § 4 Abs 5 TilgG; vgl RIS Justiz RS0117522).
Da das Gericht in beiden Fällen (ohne Verlängerung der Probezeit) vom Widerruf der bedingten Strafnachsicht abgesehen hat, wirken diese Gesetzesverletzungen nicht zum Nachteil des Verurteilten, aus welchem Grund es mit deren Feststellung sein Bewenden hat (§ 292 letzter Satz StPO).