OGH vom 15.07.2014, 10ObS71/14k

OGH vom 15.07.2014, 10ObS71/14k

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Dr. Hradil als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Fellinger und Dr. Hoch sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Reinhard Drössler (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Dr. Manfred Mögele (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei A*****, vertreten durch Dr. Gustav Teicht und Dr. Gerhard Jöchl, Rechtsanwälte in Wien, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt, Friedrich-Hillegeist-Straße 1, 1021 Wien, wegen Invaliditätspension, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen vom , GZ 8 Rs 11/14t 39, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Text

Begründung:

Der Kläger vollendete sein 57. Lebensjahr am . Er hat den Beruf eines Maurers erlernt. Während der letzten 15 Jahre vor dem Stichtag () erwarb er 61 Beitragsmonate der Pflichtversicherung als Fassader und 27 Beitragsmonate der Pflichtversicherung als Maurer. Nach dem festgestellten Leistungskalkül kann er beispielsweise noch die Tätigkeiten eines Aufsehers oder Portiers ausüben.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren, die beklagte Partei zur Gewährung der Invaliditätspension ab im gesetzlichen Ausmaß zu verpflichten, auch im zweiten Rechtsgang mit der Begründung ab, dass dem Kläger die Privilegierung von Berufsschutz bzw Tätigkeitsschutz (keine 90 Beitragsmonate der Pflichtversicherung im erlernten Beruf bzw weniger als 120 Beitragsmonate „einer“ Tätigkeit in den letzten 15 Jahren vor dem Pensionsstichtag) nicht zugute komme.

Das Berufungsgericht bestätigte das Ersturteil. Der Kläger gestehe die Berechnung der 88 Beitragsmonate zu, mache jedoch geltend, er habe noch weitere 5 Beitragsmonate in der Zeit von 9/2009 bis 1/2010 für „Pflichtversicherung-Urlaubsabfindung, Urlaubsentschädigung, Beitragszeit“ (Blg ./2 S 6)“ erworben, sodass insgesamt 93 Beitragsmonate der Pflichtversicherung vorlägen und ihm Berufsschutz zukomme. Entgegen diesen Ausführungen könnten erlernte (angelernte) Berufstätigkeiten aber nur dann als überwiegend im Sinn des § 255 Abs 1 ASVG gelten, wenn sie in zumindest 90 Pflichtversicherungsmonaten (früher: mehr als der Hälfte der Beitragsmonate) nach dem ASVG während der letzten 15 Jahre vor dem Stichtag ausgeübt worden seien (§ 255 Abs 2 Satz 2 ASVG).

Dass die qualifizierte Tätigkeit als Erfordernis für die Erlangung oder Erhaltung des Berufsschutzes, tatsächlich verrichtet worden sei, ergebe schon die Wortinterpretation, wobei der Oberste Gerichtshof zur gleichen Formulierung hinsichtlich des Tätigkeitsschutzes nach § 255 Abs 4 ASVG („... ausgeübt hat“) zu 10 ObS 18/13i ausgeführt habe, dass für die Frage des Vorliegens der 120 Kalendermonate nach § 255 Abs 4 ASVG Zeiten des Bezugs einer Urlaubsabfindung, -entschädigung oder -ersatzleistung nicht herangezogen werden könnten. Nichts anderes könne für die Beurteilung des Berufsschutzes gelten. Der Unterscheidung zwischen „Kalendermonaten“ in § 255 Abs 4 ASVG und „Pflichtversicherungsmonaten“ in § 255 Abs 2 ASVG komme in diesem Zusammenhang keine Bedeutung zu, weil sie sich nur auf die Art der Beurteilung der Resttage auswirke, aber nichts mit der jeweils notwendigen „Ausübung“ der qualifizierten Tätigkeit zu tun habe. Da die Zeit für „Pflichtversicherung-Urlaubsabfindung, Urlaubsentschädigung, Beitragszeit von 9/2009 bis 1/2010“ zwar eine wirksame Beitragszeit, aber keine Zeit der für den Berufsschutz erforderlichen Ausübung der qualifizierten Tätigkeit sei, blieben 88 Monate der Pflichtversicherung im erlernten Beruf. Daher erreiche der Kläger die erforderlichen 90 Monate nicht.

Die Zulassungsbeschwerde der außerordentlichen Revision des Klägers beruft sich im Wesentlichen darauf, dass Urlaube während eines aufrechten Dienstverhältnisses sehr wohl als „Ausübung einer Tätigkeit“ und damit als berufsschutzerhaltend gewertet werden müssten. Es fehle eine klärende höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage, ob die allgemeine Rechtsprechung zu nachträglich ausbezahlten Urlaubsentgelten auch auf Dienstnehmer, die in „BUAK pflichtigen“ Dienstverhältnissen stünden, anwendbar sei, oder ob für solche Dienstverhältnisse auch nachträglich ausbezahlte Urlaubsentgelte und Urlaubsabfertigungen berufsschutzerhaltend zu werten seien (weil sonst der Zweck des BUAG die Verhinderung branchenspezifischer Nachteile im Urlaubsrecht „untergraben“ würde).

Rechtliche Beurteilung

Dem ist zu erwidern:

1. Der erkennende Senat hat erst jüngst (in der Entscheidung 10 ObS 189/13m) wieder aufgezeigt, dass für den in § 255 Abs 4 ASVG für über 57-Jährige verankerten „Tätigkeitsschutz“ maßgeblich ist, dass die Ausübung „einer“ Tätigkeit in den letzten 180 Kalendermonaten vor dem Stichtag mindestens 120 Kalendermonate hindurch erfolgte (10 ObS 18/10k, SSV-NF 24/36; 10 ObS 18/13i).

1.1. Der durch § 255 Abs 4 ASVG gewährte „Tätigkeitsschutz“ wurde derart ausgelegt, dass nur kurz dauernde Unterbrechungen einer Tätigkeit bedingt etwa durch Urlaub oder kurzfristigen Krankenstand bei der Prüfung der Frage, ob die Tätigkeit mindestens 120 Kalendermonate hindurch ausgeübt wurde, zu vernachlässigen sind (10 ObS 62/04x, SSV NF 18/70).

1.2. Hingegen wurden Zeiten einer saisonal bedingten Unterbrechung der Tätigkeit nicht als Zeiten der Ausübung der unselbständigen Erwerbstätigkeit gewertet, dies unabhängig davon, ob das Dienstverhältnis während dieser Zeit aufgelöst oder nur ausgesetzt war (RIS-Justiz RS0117787).

1.3. Auch Zeiten des Bezugs einer Urlaubs-ersatzleistung sind in die Berechnung der nach § 255 Abs 4 ASVG notwendigen Kalendermonate nicht einzubeziehen, weil es zwar durch eine Urlaubsersatzleistung zu einer entsprechenden Verlängerung der Pflichtversicherung kommt (§ 11 Abs 2 Satz 2 ASVG), von einer faktischen „ Ausübung “ einer konkreten Tätigkeit, wie sie § 255 Abs 4 ASVG im Auge hat, aber nicht gesprochen werden kann, wenn das Dienstverhältnis rechtlich schon beendet ist und keine Arbeitsverpflichtung mehr besteht, sodass keine kurzfristige Unterbrechung, die für die „Ausübung der Tätigkeit“ unschädlich wäre, mehr eintreten kann (10 ObS 62/04x, SSV NF 18/70). Diese Erwägungen gelten in gleicher Weise auch für die Zeiten des Bezugs einer Kündigungsentschädigung (10 ObS 91/07s, SSV NF 21/60).

1.4. Vor dem BudgetbegleitG 2011 (BGBl I Nr 111/2010) wurden zwar Zeiten einer Entgeltfortzahlung bei der von § 255 Abs 4 ASVG geforderten Mindestausübungszeit berücksichtigt, nicht aber Zeiten eines Krankengeldbezugs (10 ObS 264/02z, SSV-NF 18/15; 10 ObS 79/04x; 10 ObS 62/04x, SSV-NF 18/70). Als Begründung wurde angeführt, dies erschiene deshalb sachgerecht, weil Zeiten der Entgeltfortzahlung durch den Arbeitgeber Zeiten der Pflichtversicherung in der Pensionsversicherung begründen, während Zeiten des Krankengeldbezugs Ersatzzeiten in der Pensionsversicherung darstellen.

2. Mit dem BudgetbegleitG 2011 wurde an § 255 Abs 4 ASVG ein dritter Satz mit folgendem Wortlaut angefügt:

„ Fallen in den Zeitraum der letzten 180 Kalendermonate vor dem Stichtag

1.(...);

2. Monate des Bezugs von Krankengeld nach § 138, so sind diese im Höchstmaß von 24 Monaten auf die im ersten Satz genannten 120 Kalendermonate anzurechnen .“

2.1. Nach den Gesetzesmaterialien sollten zur Erleichterung der Erlangung des in § 255 Abs 4 ASVG geregelten besonderen Tätigkeitsschutzes nunmehr auf die 120 (Kalender-)Monate auch Krankengeldbezugszeiten „aus der Erwerbstätigkeit“ im Ausmaß von höchstens 24 Monaten angerechnet werden. Solche Zeiten des Krankengeldbezugs sollen in die zu berücksichtigenden 10 Jahre eingerechnet werden (ErläutRV 981 BlgNR 24. GP 206). Teschner/Widlar/ Pöltner , ASVG 115. Erg. Lfg § 255 Anm 12d, führen dazu aus, die Praxis habe gezeigt, dass die Regelung zu den 120 Kalendermonaten einer gleichen oder gleichartigen Tätigkeit besonders ausgeprägte Sachverhalte nicht geeignet berücksichtigt habe.

2.2. Während also vor dem BudgetbegleitG 2011 im Fall der Erkrankung des Arbeitnehmers Zeiten der Entgeltfortzahlung durch den Arbeitgeber, nicht jedoch auch Zeiten des Krankengeldbezugs des Arbeitnehmers als Zeiten der Ausübung der relevanten Tätigkeit galten, sollten zur Erleichterung der Erlangung des in § 255 Abs 4 ASVG geregelten Tätigkeitsschutzes auch Zeiten des Krankengeldbezugs nach § 138 ASVG im Höchstmaß von 24 (Kalender-)Monaten in die nach § 255 Abs 4 ASVG notwendigen 120 Kalendermonate einbezogen werden. Es sollten nach dem Willen des Gesetzgebers also Zeiten (im Höchstausmaß von 24 Monaten) berücksichtigt werden, in denen der oftmals nur kurzfristige Anspruch auf Entgeltfortzahlung durch den Arbeitgeber bereits erschöpft war und nur noch Krankengeld vom Krankenversicherungsträger ausbezahlt wird. In der Regel kurzfristige „Unterbrechungen“ der Erwerbstätigkeit durch einen Krankenstand sollten nunmehr in einem gewissen Ausmaß berücksichtigt werden.

3. Zu berücksichtigen ist, dass die Novellierung des § 255 Abs 4 ASVG durch das BudgetbegleitG 2011 ganz offensichtlich vor dem Hintergrund der damaligen Rechtsprechung zu verstehen ist, nach der nur Zeiten der Entgeltfortzahlung, nicht aber Zeiten des Krankenstandes auf die 120 Kalendermonate „einer“ Tätigkeit angerechnet wurden. Demgegenüber sollten nunmehr nicht nur Zeiten eines Krankenstandes, in denen noch Entgeltfortzahlung vom Arbeitgeber geleistet wird, berücksichtigt werden, sondern im Höchstausmaß von 24 Monaten auch Zeiten, in denen der Entgeltfortzahlungsanspruch schon erschöpft ist und nur noch Krankengeldanspruch besteht. Eine Änderung der ständigen Rechtsprechung (vgl 10 ObS 62/04x, SSV NF 18/70; 10 ObS 91/07s, SSV-NF 21/60 ua), wonach von einer „ Ausübung “ einer Tätigkeit im Sinn des § 255 Abs 4 ASVG nicht mehr gesprochen werden kann, wenn das Dienstverhältnis schon rechtlich beendet ist, war offensichtlich nicht beabsichtigt. Vielmehr ging es dem Gesetzgeber des Budgetbegleitgesetzes offenbar darum, dass in Hinkunft in der Regel kurzfristige Unterbrechungen der „Ausübung der Tätigkeit“ durch Krankenstand in einem gewissen Ausmaß berücksichtigt werden sollten.

3.1. Der zitierten Entscheidung des erkennenden Senats folgend, ist daher um Wertungswidersprüche zu vermeiden auch nach dem BudgetbegleitG 2011 die Rechtsprechung aufrechtzuerhalten , nach der für Zeiten der Urlaubsersatzleistung, Kündigungsentschädigung und auch des Krankenstandes nach Ende des Dienstverhältnisses nicht von einer „ Ausübung “ der Tätigkeit gesprochen werden kann (10 ObS 189/13m = RIS Justiz RS0127738 [T1] und RS0117787 [T3]).

4. Diese allgemeinen Grundsätze sind auch für den vorliegenden Fall maßgebend: Wie das Berufungsgericht zutreffend aufzeigt, kommt nämlich der Unterscheidung zwischen „Kalendermonaten“ in § 255 Abs 4 ASVG und „Pflichtversicherungsmonaten“ in § 255 Abs 2 ASVG in diesem Zusammenhang keine Bedeutung zu. Sie wirkt sich zwar auf die Art der Beurteilung der Resttage aus (vgl RIS Justiz RS0118621 [T3]; RS0122455), ändert aber nichts am jeweiligen Erfordernis einer „Ausübung“ qualifizierter Tätigkeit. Die fragliche Zeit für „Pflichtversicherung-Urlaubsabfindung, Urlaubsentschädigung“ (Beitragszeit von 9/2009 bis 1/2010) ist daher auch im Fall des Klägers zwar eine wirksame Beitragszeit, aber keine Zeit der (für den Berufsschutz notwendigen) Ausübung einer qualifizierten Tätigkeit.

5. Die Beurteilung des Berufungsgerichts, dass der Kläger die 90 Pflichtversicherungsmonate im erlernten Beruf nicht erreicht, stellt daher keine korrekturbedürftige Fehlbeurteilung dar. Da die außerordentliche Revision insgesamt keine erhebliche Rechtsfrage aufzeigt, ist sie zurückzuweisen, was gemäß § 510 Abs 3 ZPO keiner weiteren Begründung bedarf.

European Case Law Identifier

ECLI:AT:OGH0002:2014:010OBS00071.14K.0715.000