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OGH vom 24.06.2004, 8ObS8/04s

OGH vom 24.06.2004, 8ObS8/04s

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Petrag als Vorsitzenden und durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Rohrer und die Hofrätin des Obersten Gerichtshofes Dr. Lovrek sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Friedrich Stefan und Mag. Thomas Kallab als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Valentina M*****, vertreten durch Freimüller/Noll/Obereder/Pilz/Senoner/Celar, Rechtsanwälte in Wien, wider die beklagte Partei IAF Service GmbH, *****vertreten durch die Finanzprokuratur, Singerstraße 17-19, 1010 Wien, wegen Insolvenz-Ausfallgeld (947,98 EUR netto sA), über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 7 Rs 215/03v-10, womit über Berufung der klagenden Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom , GZ 26 Cgs 58/03i-6, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Das Urteil des Berufungsgerichtes, das im Umfang der Abweisung des Zinsenbegehrens als unbekämpft unberührt bleibt, wird dahin abgeändert, dass das Urteil des Erstgerichtes wieder hergestellt wird.

Die klagende Partei hat die Kosten des Rechtsmittelverfahrens selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin war ab beim späteren Gemeinschuldner, dem Inhaber einer Tabak-Trafik, zu einem Bruttomonatsgehalt von 1.526,13 EUR als Verkäuferin beschäftigt.

Über das Vermögen ihres Dienstgebers wurde mit Beschluss des Handelsgerichtes Wien vom das Konkursverfahren eröffnet. Die bestellte Masseverwalterin anerkannte sämtliche Forderungen der Klägerin.

Die Berichtstagsatzung fand am statt.

Das November-Gehalt 2001 erhielt die Klägerin ebensowenig wie die Urlaubsbeihilfe für 2001.

Das Dienstverhältnis endete am durch den berechtigten vorzeitigen Austritt der Klägerin.

Nachdem die beklagte Partei mit Bescheid vom den Antrag der Klägerin auf Zahlung von Insolvenz-Ausfallgeld im Umfang der begehrten Gehaltszahlungen für bis und der aliquoten Sonderzahlungen für 1. 6. bis abgelehnt hatte, begehrt die Klägerin zuletzt 947,98 EUR netto an Insolvenz-Ausfallgeld (Gehalt November 2001). Sie sei am (richtig: ) wegen Vorenthaltens des ihr zustehenden Entgelts berechtigt vorzeitig ausgetreten. Die Jahresremuneration für 2001 (die von der beklagten Partei im Zuge des Verfahrens bezahlt wurde - S 1 in ON 5) sei ebenso wie das November-Gehalt mit Ablauf des Monates November 2001 fällig geworden. Nach wiederholter mündlicher Einmahnung habe die Klägerin am die aushaftenden Lohnbestandteile schriftlich eingemahnt und eine Nachfrist bis gesetzt. Der Austritt sei somit wegen Vorenthaltung des November-Gehaltes sowie des vereinbarungsgemäß ebenfalls mit dem November-Lohn fällig gewordenen Remunerationsbetrages erfolgt. Die im November fällig gewordenen Lohnbestandteile seien jedenfalls gesichert. Vom Erfordernis der Setzung einer Nachfrist könne nicht abgesehen werden. Die von der Klägerin gesetzte Frist sei angemessen.

Die beklagte Partei wendet ein, dass die der Klägerin gebührende Urlaubsbeihilfe spätestens mit fällig geworden sei. Die Klägerin hätte daher spätestens mit Ende August 2001 ihren vorzeitigen Austritt erklären müssen, um eine Sicherung des laufenden Entgeltes über die Berichtstagsatzung hinaus zu erreichen. Der Austritt der Klägerin sei verspätet erfolgt.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab.

Es erachtete rechtlich, dass nach dem Kollektivvertrag für Handelsangestellte die Urlaubsbeihilfe spätestens am 31. 7. des Jahres fällig werde. Die Klägerin hätte somit spätestens mit Ende August 2001 wegen Vorenthaltung der Urlaubsbeihilfe ihren vorzeitigen Austritt erklären müssen. Jedenfalls aber hätte der Austritt wegen Nichterhalt des November-Gehaltes bis Ende Dezember 2001 erfolgen müssen.

Über Berufung der Klägerin änderte das Berufungsgericht das angefochtene Urteil dahin ab, dass es die beklagte Partei zur Zahlung von 947,98 EUR netto verpflichtete. Das Mehrbegehren auf Zahlung "gesetzlicher Zinsen" wies das Berufungsgericht unbekämpft ab.

Das Berufungsgericht vertrat die Auffassung, dass den Dienstnehmer, wolle er die Sicherung seiner Ansprüche auf laufendes Entgelt für Zeiträume nach der Berichtstagsatzung bis zum rechtlichen Ende des Dienstverhältnisses erreichen, eine Austrittspflicht treffe. Diese erwachse anlässlich der ersten nicht vollständigen Zahlung des ihm zukommenden Entgelts nach der Berichtstagsatzung. Zweck dieser Regelung sei es, die aus einer Fortführung des Unternehmens trotz weiterer Zahlungsschwierigkeiten resultierende Verpflichtung zur Zahlung laufenden Entgeltes nicht mehr zu Lasten des Insolvenzausfallgeldfonds gehen zu lassen. Der Dienstnehmer habe daher dafür Sorge zu tragen, dass das Dienstverhältnis im Falle der Schmälerung oder Vorenthaltung laufenden Entgelts rasch beendet werde. Das Unterlassen der Beendigungserklärung vergrößere die Kosten für das laufende Entgelt um weitere Perioden. Der dargelegte Regelungszweck rechtfertige es allerdings nicht, die "Austrittsverpflichtung" des Dienstnehmers zu überspannen. Es müsse ihm freistehen, den Austritt im Sinne der allgemeinen arbeitsrechtlichen Grundsätze auch erst nach der Setzung einer angemessen kurzen Nachfrist zu erklären. Die von der Klägerin gesetzte Nachfrist bis übersteige angesichts der zeitlichen Lagerung (Weihnachtsfeiertage und Jahreswechsel) das angemessene Ausmaß nicht. Dass die Klägerin diese Nachfrist nicht früher in Lauf gesetzt und in der Folge den vorzeitigen Austritt erst am erklärt habe, schade ihr nicht. Dafür sei ausschlaggebend, das die Klägerin nach Einschränkung des Klagebegehrens Insolvenz-Ausfallgeld ohnedies nur mehr für das Novembergehalt 2002 begehre. Dieser Gehaltsanspruch wäre im Fall einer prompten Erklärung des vorzeitigen Austrittes - etwa ohne oder mit kürzester Nachfristsetzung - noch im Dezember 2001 jedenfalls und ohne Beschränkung auf eine Ausfallshaftung gesichert gewesen. Die Klägerin begehre somit nicht mehr, als ihr im Fall eines sofortigen Austrittes gebührt hätte. Diese Überlegungen seien auch darauf zu übertragen, dass die Klägerin die nach dem Kollektivvertrag für Angestellte und Lehrlinge in Handelsbetrieben geltende Fälligkeit der Urlaubsbeihilfe spätestens zum nicht zum Anlass für einen vorzeitigen Austritt genommen habe. Die Klägerin nehme die beklagte Partei infolge ihrer Klageeinschränkung nicht mehr auf Zahlung von Insolvenz-Ausfallgeld für die Urlaubsbeihilfe in Anspruch. Das Unterlassen der Beendigungserklärung habe daher auch insoweit nicht zu einer Vergrößerung der vom Fonds abzudeckenden Entgeltsperioden geführt.

Die ordentliche Revision erklärte das Berufungsgericht für zulässig, weil eine höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Auslegung der "Austrittspflicht" des Dienstnehmers gemäß § 3a Abs 2 Z 5 IESG nicht vorliege.

Rechtliche Beurteilung

Die dagegen von der beklagten Partei erhobene Revision ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig; die Revision ist auch berechtigt.

Im Revisionsverfahren ist nur mehr zu beurteilen, ob der Anspruch der Klägerin auf Zahlung des November-Entgelts im Sinne des § 3a Abs 2 Z 5 IESG gesichert ist.

Das ist aus folgenden Überlegungen zu verneinen:

§ 3a Abs 2 Z 5 idF der Novelle BGBl I 1997/107 legt fest, dass Insolvenz-Ausfallgeld im Fall der Eröffnung des Konkurses für Ansprüche auf laufendes Entgelt einschließlich der gebührenden Sonderzahlungen bis zum rechtlichen Ende des Arbeitsverhältnisses als Ausfallshaftung zusteht, wenn nach der Berichtstagsatzung der Arbeitnehmer infolge der ersten nicht vollständigen Zahlung des ihm zukommenden Entgelts wegen der ungebührlichen Schmälerung oder Vorenthaltung des gebührenden Entgeltes seinen berechtigten vorzeitigen Austritt erklärt oder das Arbeitsverhältnis aus anderen Gründen gelöst wird. Abs 4 (Regelung der Ausfallshaftung) findet keine Anwendung für jenes laufende Entgelt, wegen dessen ungebührlicher Schmälerung oder Vorenthaltung der Austritt erklärt wurde.

Die durch § 3a Abs 2 Z 5 IESG geschaffene "Austrittspflicht" des Arbeitnehmers verfolgt den Zweck, dass die Fortführung des Unternehmens trotz weiterer Zahlungsschwierigkeiten und die daraus resultierende Pflicht zur Begleichung der laufenden Arbeitnehmeransprüche nicht mehr zu Lasten des Fonds gehen soll (Gahleitner, § 3a IESG: Sicherung des laufenden Entgelts - "Austrittspflicht" und Ausfallhaftung, ZIK 1997, 201 ff [203]). Das wesentliche Risiko liegt darin, dass der Arbeitnehmer von einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses absieht, obwohl das laufende Entgelt nicht mehr aus der Masse getragen werden kann. Durch das Unterlassen einer Beendigungserklärung vergrößerten sich die Kosten für das laufende Entgelt um weitere Perioden (8 ObS 316/01f).

Unstrittig ist, dass auf das Dienstverhältnis der Klägerin der Kollektivvertrag für Angestellte und Lehrlinge in Handelsbetrieben zur Anwendung gelangte und dass die Klägerin die Urlaubsbeihilfe für das Jahr 2001 bis zur Erklärung ihres vorzeitigen Austritts nicht erhielt.

Die im Anhang zum Kollektivvertrag für die Angestellten und Lehrlinge in Handelsbetrieben bestehende Gehaltsordnung regelt unter C Urlaubsbeihilfe in lit a die Fälligkeit der Urlaubsbeihilfe wie folgt:

"Mit Ausnahme der Platzvertreter mit Provision und der Reisenden mit Provision erhalten alle Angestellten und Lehrlinge im Kalenderjahr beim Antritt des gesetzlichen Urlaubes, falls dieser in Teilen gewährt wird, bei Antritt des längeren, bei gleich großen Urlaubsteilen bei Antritt des ersten Urlaubsteiles, spätestens aber am 31. Juli eine Urlaubsbeihilfe. Diese beträgt 100 % des im Zeitpunkt des Urlaubsantritts bzw am 31. Juli zustehenden Bruttomonatsgehaltes bzw der monatlichen Lehrlingsentschädigung...".

Die der Klägerin gebührende Urlaubsbeihilfe war somit spätestens am 31. Juli des Jahres 2001 fällig .

Die Vorenthaltung der Urlaubsbeihilfe, die unter dem Begriff "Entgelt" zu subsumieren ist (RIS-Justiz RS0030847), hätte die Klägerin zum vorzeitigen Austritt nach § 26 Z 2 AngG berechtigt. Für die Tatbestandsmäßigkeit dieses Austrittsgrundes ist es unerheblich, aus welchem Grund der Arbeitgeber nicht in der Lage ist, das Entgelt rechtzeitig auszuzahlen (RIS-Justiz RS0028879).

Auch wenn man mit dem Berufungsgericht den beachtlichen Argumenten Gahleitners (aaO 204 f) folgt und dem Arbeitnehmer zugesteht, den vorzeitigen Austritt erst nach Setzung einer angemessenen Nachrist zu erklären, ist für die Klägerin nichts gewonnen: Erachtet man die "Austrittspflicht" der Klägerin erst nach Verstreichen einer angemessenen Nachfrist als verwirklicht, wäre diese Nachfrist unter Berücksichtigung der Fälligkeit der Urlaubsbeihilfe zum jedenfalls vor November 2001 abgelaufen. Selbst bei großzügigster Betrachtungsweise hätte die Klägerin vor diesem Zeitpunkt ihren berechtigten vorzeitigen Austritt wegen Vorenthaltung der Urlaubsbeihilfe erklären müssen. Damit wäre aber das Arbeitsverhältnis vor November 2001 beendet worden.

Gerade eine am Zweck der Regelung orientierte Auslegung führt daher hier zum Ergebnis, dass der Entgeltanspruch der Klägerin für November 2001 bei rechtzeitigem vorzeitigen Austritt wegen der vorenthaltenen Urlaubsbeihilfe nie entstanden wäre und daher nicht gesichert ist. Die Argumentation des Berufungsgerichtes, die Klägerin begehre ohnedies nur das November-Gehalt, dieses wäre auch bei einem rechtzeitigen vorzeitigen Austritt gesichert gewesen, ist daher unzutreffend.

Ein näheres Eingehen darauf, ob, in welchen Fällen und gegebenenfalls in welchem Ausmaß eine Nachfristgewährung der Sicherung des laufenden Entgeltanspruches nicht schadet, ist daher ebenso entbehrlich wie die Beantwortung der Frage, ob bei verspätet erklärtem vorzeitigen Austritt dennoch der Anspruch für jene Entgeltperiode gesichert ist, deretwegen ein früherer vorzeitiger Austritt möglich gewesen wäre. Aus diesem Grund kann auch eine Auseinandersetzung damit unterbleiben, auf welchen Entgeltrückstand die Klägerin ihren vorzeitigen Austritt überhaupt gründete.

Der Revision war Folge zu geben und das Urteil des Erstgerichtes wiederherzustellen.

Die Entscheidung über die Kosten des Berufungs- und des Revisionsverfahrens gründet sich auf § 77 ASGG. Gründe für einen Kostenzuspruch nach Billigkeit sind nicht hervorgekommen.