OGH vom 30.10.2019, 9ObA92/19y
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als Vorsitzenden, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Dehn und Mag. Korn sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Dr. Wolfgang Höfle (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Gerald Fida (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei ***** S*****, vertreten durch Hawel Eypeltauer Gigleitner Huber & Partner Rechtsanwälte GesbR in Linz, gegen die beklagte Partei A***** GmbH, *****, vertreten durch Dr. Helmut Trenkwalder, Rechtsanwalt in Linz, wegen 72.131,21 EUR brutto sA und Abgabe einer Erklärung (Revisionsinteresse: 72.131,21 EUR sA), über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 11 Ra 36/19x-19, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die außerordentliche Revision der klagenden Partei wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Begründung:
Rechtliche Beurteilung
Der Kläger, der von bis zu seiner Entlassung am als Verkaufsleiter der Beklagten angestellt war, gestand zu, dass er im Zuge der kündigungsbedingten Rückgabe des Firmenlaptops und der Tankkarte eine ähnliche Äußerung über deren Geschäftsführer wie von ihr vorgebracht („Ich wünsche ihm einen Schlaganfall, sodass er zehn Jahre im Wachkoma liegt ...“) getätigt habe („damit er sieht, wer ihn aller anspucken wird, und da muss man sich wahrscheinlich anstellen“). Er bestreitet in seiner außerordentlichen Revision auch nicht, dass die Äußerung – wie bereits vom Erstgericht ohne weitere Beweisaufnahme angenommen – eine erhebliche Ehrverletzung iSd § 27 Z 6 AngG und eine Vertrauensunwürdigkeit iSd § 27 Z 1 AngG begründete. Er bringt aber vor, dass entschuldbare Umstände vorgelegen seien, weil der Geschäftsführer ihm gegenüber angesichts seiner Erkrankung jede menschliche Rücksichtnahme vermissen habe lassen und die Entlassung überdies verspätet ausgesprochen worden sei. Damit zeigt er keine Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO auf:
1. Wenn eine grobe Ehrenbeleidigung nur infolge einer gerechtfertigten Entrüstung des betreffenden Arbeitnehmers über ein unmittelbar vorausgegangenes Verhalten des Beleidigten in einer den Umständen nach entschuldbaren oder wenigstens verständlichen Weise erfolgt, fehlt es an der eine Voraussetzung für eine gerechtfertigte Entlassung bildenden Unzumutbarkeit der Weiterbeschäftigung des betreffenden Arbeitnehmers für den Arbeitgeber. In diesem Fall einer verständlichen Erregung oder Entrüstung ist die Schuldintensität derart gering, dass dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des betreffenden Arbeitnehmers zumutbar ist (RS0060929). Erhebliche Ehrverletzungen verlieren nämlich den Charakter eines Entlassungsgrundes nach § 27 Z 6 AngG, wenn die Begleitumstände des Falls wie etwa die Erregung über das vorausgegangene Verhalten des Beleidigten oder die Verteidigung gegen einen vermeintlich ungerechtfertigten Standpunkt die Beleidigung im Einzelfall als noch entschuldbar und die Weiterbeschäftigung des betreffenden Arbeitnehmers als noch nicht unzumutbar erscheinen lassen (RS0060929 [T4]; RS0029653). Dies ist etwa dann der Fall, wenn die Ehrverletzung des Dienstnehmers infolge einer Provokation durch unangemessenes, unmittelbar vorhergehendes Verhalten des Dienstgebers erfolgte oder ganz allgemein die vom Dienstnehmer begangene Ehrverletzung als situationsbedingt entschuldbare Fehlreaktion zu werten ist (RS0029653 [T5, T 7]). Bloße Erregung gibt keinen tauglichen Entschuldigungsgrund ab (RS0060929 [T3]).
Weder die Frage, ob eine bestimmte Äußerung eines Arbeitnehmers im Einzelfall den Entlassungsgrund der erheblichen Ehrverletzung begründet noch die Frage, ob eine erhebliche Ehrverletzung aufgrund der besonderen Umstände im Einzelfall als noch entschuldbar anzusehen ist, stellt eine erhebliche Rechtsfrage dar (RS0060938 [T3]).
Das Berufungsgericht verneinte eine Entschuldbarkeit, weil sich der Kläger zur Rechtfertigung seiner Äußerung nur auf Umstände berufen habe, die nach seinem eigenen Vorbringen in keinem unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang mit dieser stünden. Der Kläger meint aber, dass es keinen wertungsmäßigen Unterschied machen könne, ob eine Unmutsäußerung eines Arbeitnehmers durch ein unmittelbar vorangegangenes Verhalten des Arbeitgebers oder durch ein andauerndes Verhalten des Arbeitgebers erfolgt sei. Aus der von ihm angesprochenen Entscheidung 8 ObA 303/95 (RS0097382) ergibt sich aber lediglich, dass bei fortgesetztem Verhalten des Dienstgebers, das gravierend berechtigte Interesse des Dienstnehmers verletzt, an das die Entrüstung auslösende Verhalten des Dienstgebers ein weniger strenger Maßstab anzulegen ist. Daraus folgt aber noch nicht, dass ein derartiges fortgesetztes Verhalten grundsätzlich als ausreichender Entschuldigungsgrund wie bei einer Entrüstung über ein unmittelbar vorausgegangenes Verhalten des Gekränkten anzusehen ist; es kommt vielmehr auf die besonderen Umstände des Einzelfalls an. Dass das von ihm behauptete schäbige Verhalten des Geschäftsführers gegenüber schwer erkrankten Mitarbeitern die massiv ehrenrührige Äußerung des Klägers hier nicht entschuldigt, hat das Berufungsgericht damit begründet, dass ihm damit schon vor seiner Diagnose klar vor Augen geführt wurde, dass er im Fall einer schweren Erkrankung auf kein Entgegenkommen durch den Geschäftsführer hoffen durfte und der Möglichkeit einer Kündigung ausgesetzt war. Berücksichtigt man die Gravität der Ehrverletzung und die damit zum Ausdruck kommende mangelnde Loyalität gegenüber dem Dienstgeber, so verlässt diese Beurteilung den Rahmen der Rechtsprechung nicht. Auch dass bloße Unmutsäußerungen im Kollegenkreis nicht so schwerwiegend zu beurteilen sind (14 Ob 155/86), zwingt hier zu keinem anderen Ergebnis, weil die Äußerung des Klägers in den Geschäftsräumlichkeiten der Beklagten gegenüber zwei Angestellten in verantwortlicher Stellung erfolgte, sodass der Kläger damit rechnen musste, dass seine Äußerung dem Geschäftsführer mitgeteilt würde.
2. Zur Rechtzeitigkeit des Entlassungsausspruchs ist es ständige Rechtsprechung, dass Gründe für die vorzeitige Lösung eines Dienstverhältnisses bei sonstiger Verwirkung des Entlassungsrechts unverzüglich, das heißt ohne schuldhaftes Zögern, geltend zu machen sind. Der Dienstgeber darf mit der Ausübung seines Entlassungsrechts nicht wider Treu und Glauben so lange warten, dass der Angestellte aus diesem Zögern auf einen Verzicht des Dienstgebers auf die Geltendmachung der Entlassungsgründe schließen muss; der Dienstnehmer, dem ein pflichtwidriges Verhalten vorgeworfen wird, soll darüber hinaus nicht ungebührlich lange über sein weiteres dienstrechtliches Schicksal im Unklaren gelassen werden (RS0031799). Diese Rechtsprechung wurde vom Berufungsgericht in nicht weiter korrekturbedürftiger Weise auf den vorliegenden Fall angewandt. Dass dem Geschäftsführer ab Kenntnis der Äußerung zuzubilligen ist, eine Stellungnahme des zweiten anwesenden Mitarbeiters, insbesondere auch zur Abklärung des genauen Wortlauts der Äußerung und der damit einhergehenden Begleitumstände, sowie eine Rechtsauskunft einzuholen, ist nicht zu beanstanden (s RS0029297; RS0104546). Dass die Entlassung gegenüber dem– krankheitsbedingt abwesenden – Kläger nicht schon am (Freitag), sondern erst am (Montag) in der Früh ausgesprochen wurde, erlaubt hier auch nach Maßgabe seines Vorbringens noch nicht den Schluss, der Dienstgeber habe auf die Geltendmachung des Entlassungsgrundes verzichtet.
3. Die außerordentliche Revision des Klägers ist daher mangels einer Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO zurückzuweisen.
Zusatzinformationen
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ECLI: | ECLI:AT:OGH0002:2019:009OBA00092.19Y.1030.000 |
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