VfGH vom 24.11.2016, E1063/2016
Leitsatz
Verletzung im Gleichheitsrecht durch Versagung des Abzugs von Betriebsausgaben an Fremdleistungsfirmen infolge nicht nachvollziehbarer, willkürlicher Begründung
Spruch
Die beschwerdeführende Gesellschaft ist durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt worden.
Das Erkenntnis wird aufgehoben.
II. Der Bund (Bundesminister für Finanzen) ist schuldig, der beschwerdeführenden Gesellschaft zuhanden ihres Rechtsvertreters die mit € 2.856,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Entscheidungsgründe
I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren
1. Die beschwerdeführende Gesellschaft ist im Baumeistergewerbe tätig, welches sie teils mit eigenem Personal, teils mit Fremdfirmen betreibt.
2. Das Finanzamt Wien 3/11 Schwechat Gerasdorf schrieb der beschwerdeführenden Gesellschaft mit Bescheid vom Körperschaftsteuer für das Jahr 2009 in bestimmter Höhe vor. Dabei stützte sich das Finanzamt Wien 3/11 Schwechat Gerasdorf auf die Feststellungen einer Außenprüfung (Bericht vom ). Es versagte der beschwerdeführenden Gesellschaft – dem Bericht der Außenprüfung folgend – den Abzug von Betriebsausgaben betreffend Fremdleistungen zweier Gesellschaften mit beschränkter Haftung, weil diese Gesellschaften nicht die tatsächlichen Leistungserbringer gewesen seien.
3. Mit Erkenntnis vom wies das Bundesfinanzgericht die Beschwerde gegen den Bescheid vom als unbegründet ab und führte dazu unter dem Abschnitt "Über die Beschwerde wurde erwogen" wörtlich u.a. aus:
"Angenommener Sachverhalt
Die rechtliche Existenz der Verdachtsfirmen (anhand von Firmenbuchauszügen, Gewerberegisterauszügen, UID-Nummern, Unbedenklichkeitsbescheinigungen) ist ebenso unbestritten, wie die Ausführung der abgerechneten Leistungen.
Daneben treten aber auch Unstimmigkeiten in Hinblick auf die Übergabe hoher Barbeträge auf Baustellen, zeitnah zur Leistung nicht mögliche Auffindbarkeit der Geschäftsführer und der Gesellschaften am Betriebsort, nicht mit Musterzeichnungen idente Unterschriften auf den Kassabelegen, nicht entsprechende Gewerberechtigungen der Fremdleister oder fehlende gewerberechtliche Geschäftsführer, Hinweise auf die massenhafte, schwallartige Anmeldung von Personen bei diesen Konstrukten, sowie die zeitnah erfolgende Konkurseröffnung und deren Löschung im Firmenbuch wegen Vermögenslosigkeit und letztlich auch die Aussagen des vermuteten Drahtziehers der Malversationen und dessen 'Geschäftsführer' hinzu, wonach die genannten Konstrukte und deren Geschäftsführer keine Leistungen erbracht haben, sondern zum Sozial- und Abgabenbetrug benutzt wurden.
Der Bf. ist zuzugeben, dass die letztgenannten Aussagen einen Ermittlungsansatz bilden könnten, wem die Beträge tatsächlich zugeflossen sind und wofür welche Beträge geleistet wurden. Der Aktenlage kann jedoch nicht mit Sicherheit entnommen werden welcher Rechtsträger welche Beträge für welche Leistung vereinnahmt hat. Mit anderen Worten steht im gegenständlichen Fall nicht einmal eindeutig fest, von wem bzw für wen die angeblichen Fremdleistungsfirmen vorgeschoben wurden.
Insoweit ist in Anbetracht der von den Geschäftsführern (und den vermuteten Drahtziehern) selbst gemachten Aussagen, eine betriebliche Tätigkeit (jedenfalls keine Bauleistungen) werde nicht entfaltet eine Zurechnung der Zahlungen an diese Rechtsträger nicht vertretbar (dennoch vorgenommene Rechtsakte wie die Geltendmachung von Abgaben und Beiträgen gehen mangels wirtschaftlicher Existenz der Konstrukte ins Leere)."
Unter dem Abschnitt "Rechtslage" folgt die Wiedergabe des § 162 BAO, die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu § 162 BAO und wohl auch die rechtliche Würdigung. Das Bundesfinanzgericht führte dazu u.a. wörtlich aus:
"Rechtslage
[…]
Die rechtliche Existenz der GmbH's ist anhand der Firmenbuchauszüge unbestritten.
Die Geschäftsabwicklung ist nach der Aktenlage anhand der Kassabestätigungen dargestellt. Dabei ist auffällig, dass hohe Bargeldbeträge übergeben worden sein sollen und die Unterschriften auf den Kassabelegen nicht mit den Musterzeichnungen laut Firmenbuch übereinstimmen und ein Kontakt zu den Firmen (auch zeitnah betreffend DIN) nicht hergestellt werden konnte.
Der Versuch der Bf., denkmögliche Gründe für eine offenbar in Zahlungsschwierigkeiten befindliche Gesellschaft darzulegen, die im Ergebnis eine Barzahlung als nicht ungewöhnlich aufzeigen sollen scheitert schon daran, dass eine solche Ausgangslage von ihr gar nicht überprüft wurde und insoweit auch nicht angenommen werden durfte und auch mangels wirtschaftlicher Existenz eine Illiquidiät der Konstrukte nicht vorlag. Im Gegenteil. Die Übergabe derart hoher Summen in bar (auf Baustellen) kann nicht als üblich angesehen werden, sondern trägt bereits den Verdacht auf einen möglichen Beitrag zu Malversationen in sich.
Damit liegt keine Empfängerbenennung im Sinne des § 162 BAO vor, weil begründete Zweifel vorliegen, dass es sich nicht um die tatsächlichen Empfänger der Beträge handelt.
[…]
Insoweit kann auch bei einer im vorliegenden Fall nicht auszuschließenden Mitwirkung an Malversationen auch keine 'unzumutbaren Aufforderung zur Empfängerbenennung vorliegen, zumal die Bf. behauptet mit den faktischen Ge[s]chäftsführern verhandelt (Blatt 23 Arbeitsbogen) und an diese gezahlt zu haben, wobei die Bf. im Zuge ihrer Vorhaltsbeantwortung auf den Umstand nicht mit Musterzeichnung identischer Unterschriften auf den Kassabelegen gar nicht eingegangen ist."
4. Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende, auf Art 144 B VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten, insbesondere im Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz, sowie in Rechten wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses beantragt wird.
Begründend wird dazu auf das Wesentlichste zusammengefasst ausgeführt:
4.1. Nach der Judikatur des Verfassungsgerichtshofes liege ein in die Verfassungssphäre reichender Verfahrensmangel auch dann vor, wenn der Bescheid mit Ausführungen begründet sei, denen kein Begründungswert zukomme (VfSlg 10.057/1984, 10.758/1986, 18.061/2007 und ). Das sei hier der Fall. Hauptursache dafür sei die "krasse Fehleinschätzung" des § 162 BAO, der erkennbar als Vehikel dafür gesehen werde, die beschwerdeführende Gesellschaft für den Steuerausfall bei den beiden beanstandeten "Fremdleistern" haftbar zu machen. Das angefochtene Erkenntnis bestehe zum weitaus überwiegenden Teil aus bloßen, dh. beweisfreien Behauptungen. Das erkläre sich am besten "aus einer beweisrechtlichen Binsenweisheit heraus: Beweislosigkeit zieht Feststellungslosigkeit nach sich."
4.2. Des Weiteren sei § 162 BAO unsachlich, weil er gegen das Leistungsfähigkeitsprinzip, den Periodengewinngrundsatz und die in der Judikatur des Verfassungsgerichtshofes entwickelten Grundsätze zur Geltendmachung von Haftungen (VfSlg 5318/1966) verstoße.
5. Das Bundesfinanzgericht legte die Verwaltungs- und Gerichtsakten vor und erstattete eine Gegenschrift, in der es die Abweisung der Beschwerde beantragte.
II. Rechtslage
§162 BAO, BGBl 194/1961, lautet:
"§162. (1) Wenn der Abgabepflichtige beantragt, daß Schulden, andere Lasten oder Aufwendungen abgesetzt werden, so kann die Abgabenbehörde verlangen, daß der Abgabepflichtige die Gläubiger oder die Empfänger der abgesetzten Beträge genau bezeichnet.
(2) Soweit der Abgabepflichtige die von der Abgabenbehörde gemäß Abs 1 verlangten Angaben verweigert, sind die beantragten Absetzungen nicht anzuerkennen."
III. Erwägungen
Die – zulässige – Beschwerde ist begründet:
1. Eine Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz kann nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (zB VfSlg 10.413/1985, 14.842/1997, 15.326/1998 und 16.488/2002) nur vorliegen, wenn die angefochtene Entscheidung auf einer dem Gleichheitsgebot widersprechenden Rechtsgrundlage beruht, wenn das Verwaltungsgericht der angewendeten Rechtsvorschrift fälschlicherweise einen gleichheitswidrigen Inhalt unterstellt oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat.
Einer Behörde kann auch dann, wenn sie unrichtig entschieden hat, nicht Willkür zur Last gelegt werden, sofern sie nur bemüht war, richtig zu entscheiden, indem sie Gründe und Gegengründe gegeneinander abgewogen hat. Dies bedeutet, dass es in der Regel nicht ausreichen würde, wenn die Behörde nur die für die Abweisung eines Anspruches maßgeblichen Gründe aufzählt, es jedoch unterlässt, sich mit den Gründen auseinanderzusetzen, die für die Bejahung der Anspruchsberechtigung zu sprechen scheinen, sodass sie gar nicht in die Lage kommen könnte, Gründe und Gegengründe einander gegenüberzustellen und dem größeren Gewicht der Argumente den Ausschlag geben zu lassen (zB VfSlg 12.477/1990, 15.696/1999, 15.698/1999 und 15.826/2000).
Ein willkürliches Verhalten liegt insbesondere dann vor, wenn die Behörde den Bescheid mit Ausführungen begründet, denen jeglicher Begründungswert fehlt (vgl. VfSlg 13.302/1992 mwN, 14.421/1996 und 15.743/2000).
2. Ein solcher Fehler ist dem Bundesfinanzgericht unterlaufen:
2.1. Die Entscheidungsgründe des angefochtenen Erkenntnisses sind im Wesentlichen in "Sachverhalt", "angenommener Sachverhalt" und "Rechtslage" untergliedert. Zunächst werden unter dem Punkt "Sachverhalt" der Verfahrensgang rudimentär geschildert sowie Teile des Arbeitsbogens der Außenprüfung – teils nur schwer nachvollziehbar – wiedergeben. Nicht einordenbar und in seiner Tragweite erschließbar ist die in diesem Teil enthaltene, im Fettdruck mit Ausrufezeichen versehene Feststellung, dass eine Stellungnahme der Betriebsprüfung unterblieben sei. Unter der Überschrift "Über die Beschwerde wurde erwogen" und dem Punkt "angenommener Sachverhalt" wird eingangs festgehalten, dass die rechtliche Existenz der "Verdachtsfirmen" unbestritten sei und sodann eine Reihe von "Unstimmigkeiten" aufgezählt, "wonach die genannten Konstrukte und deren Geschäftsführer keine Leistungen erbracht haben, sondern zum Sozial- und Abgabenbetrug benutzt wurden."
2.2. Die Teile des Erkenntnisses, welche unter dem Punkt "Rechtslage" zu finden sind, lassen nicht erkennen, welchen Sachverhalt das Bundesfinanzgericht seiner rechtlichen Beurteilung zugrunde gelegt hat. So wird zur "Rechtslage" auch die Mitwirkung der beschwerdeführenden Gesellschaft an "Malversationen" in den Raum gestellt, ohne dass das Bundesfinanzgericht hiezu nähere Feststellungen getroffen hat.
2.3. Diese aufgezeigte Mangelhaftigkeit des Erkenntnisses wird nicht dadurch beseitigt, dass das Bundesfinanzgericht in der Gegenschrift darlegt, aus welchen Gründen es zu dem Schluss gelangt ist, dass berechtigte Zweifel an der Empfängereigenschaft der Fremdleistungsfirmen bestehen mussten. Die Begründung des Erkenntnisses muss nämlich aus diesem selbst hervorgehen; sie ist durch die Gegenschrift im Beschwerdeverfahren nicht nachholbar (vgl. VfSlg 14.115/1995 mwN).
2.4. Die Begründung des Bundesfinanzgerichtes erweist sich daher insgesamt nicht in einer Weise nachvollziehbar, dass dem – aus dem Gleichheitssatz erfließenden – Willkürverbot entsprochen wäre (vgl. VfSlg 18.925/2009).
2.5. Im Übrigen bestehen vor dem Hintergrund des Beschwerdefalles keine Bedenken gegen § 162 BAO.
IV. Ergebnis
1. Die beschwerdeführende Gesellschaft ist somit durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt worden.
2. Das Erkenntnis ist daher schon aus diesem Grund aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.
3. Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in Höhe von € 436,– sowie Eingabengebühr gemäß § 17a VfGG in der Höhe von € 240,– enthalten.
European Case Law Identifier
ECLI:AT:VFGH:2016:E1063.2016