OGH vom 26.01.2016, 14Os77/15b (14Os114/15v, 14Os136/15d)

OGH vom 26.01.2016, 14Os77/15b (14Os114/15v, 14Os136/15d)

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Philipp als Vorsitzenden, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger, die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer und Dr. Oshidari sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Mann in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Zabl als Schriftführerin in der Strafsache gegen Dr. Alfons A***** wegen des Vergehens der Verhetzung nach § 283 Abs 2 StGB, AZ 38 Hv 32/13s des Landesgerichts Krems an der Donau, über den Antrag des Verurteilten auf Erneuerung des Strafverfahrens gemäß § 363a StPO sowie über die von der Generalprokuratur gegen einen Vorgang bei Fällung des Urteils des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom , AZ 18 Bs 318/14t (ON 30 der Hv Akten), erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Mag. Holzleithner, des Verurteilten und seines Verteidigers Mag. Thomas Kaumberger zu Recht erkannt:

Spruch

In der Strafsache gegen Dr. Alfons A*****, AZ 38 Hv 32/13s des Landesgerichts Krems an der Donau, verletzt die Fällung des Urteils des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom , AZ 18 Bs 318/14t (ON 30), ohne Anhörung der Beteiligten des Verfahrens zu der in Aussicht genommenen Änderung der rechtlichen Unterstellung der angeklagten Tat (nach § 188 StGB anstelle § 283 Abs 2 StGB) § 262 erster Satz StPO iVm §§ 474 und 489 Abs 1 StPO.

Dieses Urteil wird aufgehoben und es wird dem Oberlandesgericht Wien eine neue Entscheidung aufgetragen.

Mit seinem Erneuerungsantrag wird Dr. Alfons A***** auf diese Entscheidung verwiesen.

Text

Gründe:

Im Verfahren AZ 38 Hv 32/13s des Landesgerichts Krems an der Donau legte die Staatsanwaltschaft Dr. Alfons A***** mit Strafantrag ein als Vergehen der Verhetzung nach § 283 Abs 2 StGB beurteiltes Verhalten zur Last (ON 14).

Danach habe er „im Februar 2012 in G***** im bewussten und gewollten Zusammenwirken mit unbekannten Mittätern dadurch, dass er als Obmann des Vereins 'P*****' und Obmann der Partei 'C*****' seine Zustimmung gegeben hat, dass dieser Verein und die genannte Partei auf Flugblättern, in denen der Buddhismus als eine menschenverachtende Ideologie bezeichnet wird bzw Angehörige der buddhistischen Religionsgesellschaft als Angehörige einer menschenverachtenden Ideologie hingestellt werden, die sexualmagische Praktiken zur Erleuchtung einsetzen, der Buddhismus als kriegerisch und die Weltherrschaft anstrebend dargestellt und in die Nähe von Pädophilie und des Nationalsozialismus gerückt wird, als unterstützende Organisationen angeführt und diese Flugblätter an 1620 Haushalte verteilt werden, für eine breite Öffentlichkeit wahrnehmbar gegen eine in § 283 Abs 1 StGB genannte Gruppe gehetzt und sie in einer die Menschenwürde verletzenden Weise beschimpft und dadurch verächtlich zu machen gesucht.“

Gegen das anklagekonform ergangene Urteil des Landesgerichts Krems an der Donau (ON 20) ergriff der Angeklagte Berufung wegen Nichtigkeit, Schuld und Strafe (ON 22).

Das Oberlandesgericht Wien gab der Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld Folge, hob das angefochtene Urteil auf und erkannte den Angeklagten nachdem es das Beweisverfahren durch dessen (neuerliche) Vernehmung und die Verlesung des inkriminierten Flugblattes [ON 28 S 3 f]) „ergänzt“ hatte des Vergehens der Herabwürdigung religiöser Lehren nach § 188 StGB schuldig (ON 30), weil es in den Flugblättern eine gegen den Dalai Lama und die buddhistische Glaubenslehre (und nicht gegen eine Gruppe im Sinn des § 283 Abs 1 StGB) gerichtete Maßnahme erblickte (US 8 ff). Eine Information über diesen im Verhältnis zur Einschätzung der Staatsanwaltschaft und des Erstgerichts geänderten Aspekt war dem Angeklagten jedoch nicht erteilt worden (vgl ON 28).

Rechtliche Beurteilung

Wie die Generalprokuratur in ihrer zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zutreffend geltend macht, steht dieser Vorgang bei Fällung des Urteils des Oberlandesgerichts mit dem Gesetz nicht im Einklang.

Nach der gemäß §§ 474 iVm 489 Abs 1 StPO auch im Berufungsverfahren geltenden Vorschrift des § 262 StPO (vgl 11 Os 86/07t, 11 Os 87/07i, EvBl 2008/16, 77) hat das (Berufungs )Gericht, wenn es eine andere als die in der Anklage bezeichnete strafbare Handlung für verwirklicht erachtet, den Beteiligten seinen von der Anklage abweichenden Rechtsstandpunkt mitzuteilen, um jenen solcherart Gelegenheit zu geben, sich hiezu zu äußern und gegebenenfalls entsprechende Anträge zu stellen (RIS Justiz RS0113755, RS0121419).

Daran ändert auch der Umstand nichts, dass das vorliegende Ermittlungsverfahren (auch) in Richtung § 188 StGB geführt worden war, kann doch Bezugspunkt der Verteidigung in der Hauptverhandlung ebenso wie im Gerichtstag zur öffentlichen Verhandlung über die Berufung nur der von der Staatsanwaltschaft erhobene Anklagevorwurf (jedoch unter Berücksichtigung einer allfälligen abweichenden rechtlichen Beurteilung eines über die Zulässigkeit der Anklage erkennenden Gerichts) sein (neuerlich RIS Justiz RS0121419 [T5]).

Das Oberlandesgericht Wien als Berufungsgericht hätte daher die Beteiligten des Verfahrens über den nach der Beweiswiederholung geänderten rechtlichen Gesichtspunkt einer Tatbeurteilung nach § 188 StGB in Kenntnis setzen müssen. Indem das Berufungsgericht dies unterließ und sofort den Schuldspruch fällte, verletzte es das Gesetz in § 262 erster Satz StPO.

Die anzustellende Nachteilsbetrachtung führte zur Zuerkennung der im Spruch ersichtlichen konkreten Wirkung (§ 292 letzter Satz StPO).

Der Angeklagte war mit seinem Verletzungen der Art 6 und 10 MRK sowie Art 83 Abs 2 B-VG reklamierenden und dieses Ergebnis anstrebenden Erneuerungsantrag (§ 363a StPO) darauf zu verweisen.

European Case Law Identifier

ECLI:AT:OGH0002:2016:0140OS00077.15B.0126.000