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VfGH vom 09.06.2017, E1039/2016 ua

VfGH vom 09.06.2017, E1039/2016 ua

Leitsatz

Entzug des gesetzlichen Richters durch Zurückweisung der Beschwerden gegen eine Ausnahmebewilligung für ein Restaurant in einer Wohnzone unter Außerachtlassung eines aufhebenden Erkenntnisses des VfGH sowie wegen gesetzwidriger Inanspruchnahme der Zuständigkeit in unterer Instanz durch den Bauausschuss

Spruch

I.Die Beschwerdeführer sind durch die angefochtenen Entscheidungen in dem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt worden.

Die Entscheidungen werden aufgehoben.

II.Die Stadt Wien ist schuldig, dem Erstbeschwerdeführer und der Zweitbeschwerdeführerin zusammen die mit in Summe € 3.117,60, der Drittbeschwerdeführerin die mit € 2.856,– bestimmten Prozesskosten zuhanden ihrer Rechtsvertreter binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe

I.Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren

1.Die Beschwerdeführer sind als Nachbarn iSd § 134 Abs 3 Bauordnung für Wien (im Folgenden: WBO) Parteien in einem das Grundstück Sonnenfelsgasse 7, 1010 Wien, betreffenden Bauverfahren. Das Baugrundstück liegt in einer Wohnzone gemäß § 7a WBO. In solchen Zonen ist der Wohnungsbestand grundsätzlich zu erhalten. Ausnahmen davon hat gemäß § 7a Abs 5 iVm § 133 Abs 1 Z 1 WBO der Bauausschuss der örtlich zuständigen Bezirksvertretung (im Folgenden: Bauausschuss) unter bestimmten Voraussetzungen zuzulassen.

2.Am beriet der Bauausschuss über die ausnahmsweise Zulassung der Errichtung eines Restaurants im Erdgeschoß an Stelle von 4 Wohnungen im Gesamtausmaß von 116,07 m². Der Bauausschuss beschloss zunächst mehrheitlich die Ablehnung der Ausnahme. Nachdem ein Stimmführer dem Vorsitzenden des Bauausschusses mitgeteilt hatte, dass er sich bei der Abstimmung in einem Rechtsirrtum befunden hätte, zog der Vorsitzende die Bezirksvorsteherin bei, die sich für eine neuerliche Abstimmung und "vorsichtsweise" für die Sistierung des Beschlusses entschied. In der Folge beschloss der Bauausschuss die Zulassung der Ausnahme. Die Berufungen der Beschwerdeführer gegen den Ausnahmebescheid (und den darauf aufbauenden Baubescheid) wies die Bauoberbehörde für Wien (im Folgenden: Bauoberbehörde) ab, wogegen der Erstbeschwerdeführer Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof erhob. Dieser hob den Bescheid der Bauoberbehörde wegen Verstoßes gegen das Willkürverbot mit folgender Begründung auf ():

"3.2. Die Wiener Stadtverfassung legt eindeutig fest, wie vorzugehen ist, wenn ein Ausschuss einer Bezirksvertretung einen gesetzwidrigen Beschluss gefasst hat: § 65 WStV sieht die Sistierung des Beschlusses durch den Bezirksvorsteher und die Einholung der Entscheidung des Bürgermeisters innerhalb von 14 Tagen vor.

3.3. In der Sitzung des Bauausschusses am hat ein sachverständiger Beamter im Rahmen einer Rechtsbelehrung auf die Rechtswidrigkeit des Beschlusses nach dessen formeller Beschlussfassung hingewiesen. Die Bezirksvorsteherin hat – wie aus dem Protokoll dieser Sitzung unmissverständlich hervorgeht – den Beschluss im Laufe der Sitzung des Bauausschusses sistiert. Die Bezirksvorsteherin hätte nach dem klaren Wortlaut des Gesetzes innerhalb von 14 Tagen auch die Entscheidung des Bürgermeisters einholen müssen. Dies wäre die gesetzeskonforme Vorgehensweise gewesen. Die vom Bauausschuss gewählte Vorgehensweise der neuerlichen Beschlussfassung hingegen findet weder in der Wiener Stadtverfassung noch in der Geschäftsordnung der Bezirksvertretungen ihre gesetzliche Deckung. Der Bauausschuss ist gesetzlos vorgegangen.

3.4. Das Argument der belangten Behörde, dass bei Befolgung des § 65 WStV die Entscheidungskompetenz vom Bauausschuss auf den Bürgermeister übergegangen wäre, dies aber mit der Zuständigkeitsregelung des § 133 Abs 1 Z 1 WBO nicht vereinbar gewesen und daher mit dem Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter in Widerspruch gestanden wäre, überzeugt nicht: Der Landesgesetzgeber hat die Ausnahmezulassungskompetenz des Bauausschusses im Rahmen der WBO-Novelle LGBl 25/2009 vor dem Hintergrund des in der Wiener Stadtverfassung festgelegten Systems der internen Entscheidungsfindung, im Speziellen auch des § 65 WStV in der im Pkt. II.1. wiedergegebenen Fassung, beschlossen. Es entspricht daher dem Willen des Landesgesetzgebers, dass bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen, die im gegebenen Fall offensichtlich auch vorlagen, der Beschluss des Bauausschusses durch den Bezirksvorsteher sistiert werden muss und die Zuständigkeit zur Entscheidung auf den Bürgermeister übergeht. Ähnliche Regelungen von bedingten Zuständigkeitsübergängen finden sich mehrfach in der österreichischen Rechtsordnung, ohne dass gegen sie grundsätzlich verfassungsrechtliche Bedenken bestünden (zB Devolution gemäß § 73 Abs 2 AVG). Der Gesetzgeber hätte dem Bürgermeister die Ausnahmezulassungskompetenz auch unmittelbar einräumen können."

In der Folge behob das (an die Stelle der Bauoberbehörde getretene) Verwaltungsgericht Wien (im Folgenden: Verwaltungsgericht) sowohl den Ausnahmebescheid als auch den Baubescheid. Das Verfahren trat damit in den Stand nach Sistierung des ersten (ablehnenden) Beschlusses des Bezirksausschusses zurück.

3.Mit Schreiben vom bestätigte der Bürgermeister die Sistierung des ersten (ablehnenden) Beschlusses des Bauausschusses vom . Im zweiten Rechtsgang beschloss der Bauausschuss am die Zulässigkeit der Ausnahme, worauf der Magistrat der Stadt Wien, Magistratsabteilung 37, (im Folgenden: die MA 37) mit Bescheid vom das Bauvorhaben genehmigte. Die zwei von den Beschwerdeführern gegen diese beiden Bescheide eingebrachten Beschwerden wies das Verwaltungsgericht hinsichtlich des Baugenehmigungsbescheids der MA 37 ab und hinsichtlich des Ausnahmebescheids des Bezirksausschusses mit folgender Begründung zurück:

"Die Bestimmungen des § 7a BO für Wien dienen jedoch nicht dem Schutz der Nachbarn, weshalb die Beschwerdeführer [die Beschwerdeführerin] deren Einhaltung im Rahmen der ihnen [ihr] zukommenden subjektiv öffentlich-rechtlichen Nachbarrechte nicht erfolgreich geltend machen können [kann] ( Zl 2008/05/0205, oder vom , Zl 2006/05/0035), sodass die Beschwerden insoweit zurückzuweisen waren."

4.Gegen diese Entscheidungen des Verwaltungsgerichts richten sich die vorliegenden, auf Art 144 B-VG gestützten Beschwerden, in denen Verletzungen in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter (Art83 Abs 2 B-VG), auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz (Art2 StGG) und auf ein faires Verfahren (Art6 EMRK) behauptet werden und die kostenpflichtige Aufhebung der angefochtenen Entscheidungen, in eventu die Abtretung der Beschwerden an den Verwaltungsgerichtshof, beantragt wird.

5.1. Das Verwaltungsgericht und die MA 37 legten die Gerichts- bzw. die Verwaltungsakten vor.

Im Begleitschreiben zur Aktenvorlage merkt das Verwaltungsgericht an, "dass die den zurückweisenden Beschluss der Beschwerde gegen den Bescheid des Bauausschusses der Bezirksvertretung für den 1. Bezirk alleinig tragende Erwägung das mangelnde Mitspracherecht der beschwerdeführenden Nachbarn zu der im Bauausschussbescheid bewilligten Abweichung war [...]".

5.2. Die MA 37 erstattete im zu E1039/2016 protokollierten Verfahren eine Äußerung, in der sie die Abweisung der Beschwerde beantragt und insbesondere auch die Vorgangsweise der neuerlichen Beschlussfassung über die Ausnahme im Bauausschuss verteidigt:

"So hat der Verfassungsgerichtshof [im Erkenntnis B960/2012] ausgeführt, dass der Landesgesetzgeber die Ausnahmezulassungskompetenz des Bauausschusses im Rahmen der BO-Novelle LGBl 25/2009 vor dem Hintergrund des in der Wiener Stadtverfassung festgelegten Systems der internen Entscheidungsfindung, im Speziellen auch des § 65 WStV, beschlossen hat. Entscheidet sohin der Bürgermeister auf Grundlage des § 65 WStV über die seitens der Bezirksvorsteherin erfolgte Sistierung, so handelt es [sich] dabei um einen Akt der internen Entscheidungsfindung. Einem 'bloßen' Akt einer internen Entscheidungsfindung kommt nun weder ein Bescheidcharakter zu, noch ist hierfür die Erlassung eines Bescheides erforderlich. Mit der Einholung der Entscheidung des Bürgermeisters über die erfolgte Sistierung wird 'lediglich' den organisationsrechtlichen Vorschriften über die Willensbildung der betreffenden Behörde entsprochen. Es wird wie das Wort 'hierüber' in § 65 WStV zeigt, lediglich über die Sistierung entschieden, nicht aber (im Sinne einer Devolution) an Stelle des zuständigen Organs in der Sache selbst.

Die sich aus dem Wortlaut des § 65 WStV ergebende Sichtweise, dass die Worte 'Entscheidung' und 'hierüber' im Kontext nur bedeuten können, dass der Bürgermeister berufen ist, nur über die Sistierung und nicht in der Sache zu entscheiden, ergibt sich auch aus rechtssystematischen Überlegungen. Nach dem System, das der Landesgesetzgeber auf Basis des Art 115 Abs 2 B-VG nach den Grundsätzen der Art 116 ff. B-VG für die Gemeinde geschaffen hat, sind operative Entscheidungen in Wien nicht durch den Bürgermeister, sondern durch die amtsführenden Stadträte zu treffen, denen die Leitung einer Geschäftsgruppe des Magistrats im eigenen Wirkungsbereich zukommt (vgl. §§36 und 106 Abs 3 WStV sowie VfSlg 13.335/1993). § 133 Abs 1 Z 1 der Bauordnung für Wien, der im hier wesentlichen Zusammenhang den Bauausschuss als Behörde zur Entscheidung über Abweichungen gemäß § 7a Abs 5 dieses Gesetzes beruft, hat an dieser grundsätzlichen Systementscheidung nichts geändert.

Deshalb ist es verfehlt, wenn die BeschwerdeführerInnen in ihrem Vorbringen die Frage aufwerfen, ob der Bürgermeister überhaupt berechtigt war, kassatorisch zu entscheiden. Die Frage nach der Rechtmäßigkeit einer kassatorischen Entscheidung würde sich nur dann stellen, wenn der Bürgermeister gemäß § 65 WStV befugt wäre, über einen anderen Gegenstand als ausschließlich die Si-stierung zu entscheiden. Dies ist jedoch nach dem eindeutigen Wortlaut dieser Bestimmung und den oben angeführten rechtssystematischen Erwägungen nicht der Fall."

Im zu E2234/2016 protokollierten Verfahren verwies die MA 37 "Auf Grund des gleichgerichteten Vorbringens" auf die im Verfahren zu E1039/2016 abgegebene Äußerung.

5.3. Auch die beteiligte Partei erachtet in den in beiden Verfahren jeweils eingebrachten Äußerungen die neuerliche Beschlussfassung durch den Bauausschuss als gesetzeskonform und beantragt die Zurück- bzw. Abweisung der Beschwerden.

II.Rechtslage

1.§65 Wiener Stadtverfassung (WStV) idF LGBl 37/2009 lautet:

"Sistierung von Beschlüssen

§65. Wenn eine Bezirksvertretung oder ein Ausschuß der Bezirksvertretung Beschlüsse faßt, welche gegen ein Gesetz oder gegen Beschlüsse des Gemeinderates verstoßen oder den Wirkungsbereich der Bezirksvertretung oder des Ausschusses der Bezirksvertretung überschreiten, ist der Bezirksvorsteher verpflichtet, ihre Ausführung aufzuschieben und hierüber innerhalb von 14 Tagen die Entscheidung des Bürgermeisters einzuholen, welchem auch seinerseits das Recht zusteht, in solchen Fällen mit der Sistierung vorzugehen und innerhalb der gleichen Frist die Angelegenheit dem Gemeinderat zur Entscheidung vorzulegen."

2.§7a WBO idF LGBl 25/2009 lautet:

"Wohnzonen

§7a. (1) In den Bebauungsplänen können aus Gründen der Stadtstruktur, Stadtentwicklung und Vielfalt der städtischen Nutzung des Baulandes sowie Ordnung des städtischen Lebensraumes zur Erhaltung des Wohnungsbestandes sowohl im Wohngebiet als auch im gemischten Baugebiet Wohnzonen ausgewiesen werden.

(2) Die Wohnzonen sind von den übrigen Gebieten eindeutig abzugrenzen. Die Grenzen der Wohnzonen können mit Fluchtlinien zusammenfallen.

(3) Aufenthaltsräume in Wohnzonen, die als Wohnung in einem Hauptgeschoß oder Teile einer solchen Wohnung im Zeitpunkt der Festsetzung der Wohnzone gewidmet waren oder rechtmäßig verwendet wurden oder später neu errichtet werden, sind auch weiterhin nur als Wohnung oder Teile einer Wohnung zu verwenden. Ein Aufenthaltsraum wird auch dann als Wohnung oder Teil einer Wohnung verwendet, wenn in ihm auch Tätigkeiten ausgeübt werden, die zwar nicht unmittelbar Wohnzwecken dienen, jedoch üblicherweise in Wohnungen ausgeübt werden.

(4) In Gebäuden, in denen das Flächenausmaß für Wohnungen das für Büro- oder Geschäftsräume überwiegt, ist der Ausbau von Dachgeschossen nur für Wohnungen, Hauswaschküchen und die dazugehörigen Nebenräume sowie für Triebwerksräume zulässig; für die Verwendung der Wohnungen in Dachgeschossen gilt Abs 3 sinngemäß.

(5) Ausnahmen von Abs 3 sind auf Antrag durch die Behörde (§133) zuzulassen, wenn dadurch in Wohngebieten die im Gebäude für Wohnungen verwendeten Flächen nicht weniger als 80 vH der Summe der Nutzflächen der Hauptgeschosse, jedoch unter Ausschluss des Erdgeschosses betragen; in Wohngebieten und in gemischten Baugebieten sind weiters Ausnahmen von Abs 3 sowie Ausnahmen von Abs 4 zuzulassen, wenn die Wohnqualität in den betroffenen Aufenthaltsräumen durch äußere Umstände wie Immissionen, Belichtung, Belüftung, fehlende sonstige Wohnnutzungen im selben Haus oder die besonders schlechte Lage im Erdgeschoss und ähnliches gemindert ist oder wenn Einrichtungen, die der lokalen Versorgung der Bevölkerung dienen, geschaffen oder erweitert werden sollen oder wenn zugleich anderer Wohnraum in räumlicher Nähe in zumindest gleichem Ausmaß geschaffen wird.

(6) [...]"

III.Erwägungen

Der Verfassungsgerichtshof hat über die in sinngemäßer Anwendung der §§187 und 404 ZPO iVm § 35 Abs 1 VfGG zur gemeinsamen Beratung und Entscheidung verbundenen Beschwerden erwogen:

Die – zulässigen – Beschwerden sind begründet:

1.Das Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter wird durch die Entscheidung eines Verwaltungsgerichts ua. dann verletzt, wenn das Verwaltungsgericht in gesetzwidriger Weise seine Zuständigkeit ablehnt, etwa indem es zu Unrecht eine Sachentscheidung verweigert (zB VfSlg 15.482/1999, 15.858/2000, 16.079/2001, 16.737/2002).

Mit den bekämpften Entscheidungen hat das (an die Stelle der Bauoberbehörde getretene) Verwaltungsgericht nunmehr die Beschwerden der Beschwerdeführer zurückgewiesen, obwohl die Bauoberbehörde über deren Berufungen zuvor – wenngleich, wie sich aus dem Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom , B960/2012, ergibt, in verfassungswidriger Weise – abweisend entschieden hatte. Damit hat das belangte Verwaltungsgericht den Beschwerdeführern insbesondere unter Außerachtlassung des § 87 Abs 2 VfGG, also zu Unrecht, eine Sachentscheidung verweigert.

Die Beschwerdeführer sind somit durch die angefochtenen Entscheidungen im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt worden (VfSlg 17.893/2006).

2.Darüber hinaus wird das Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter durch die angefochtenen Entscheidungen auch aus folgendem Grund verletzt:

Nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes ist der administrative Instanzenzug als Einheit aufzufassen; wird die sachliche Zuständigkeit auch nur in unterer Instanz gesetzwidrig in Anspruch genommen, so ist das Recht auf den gesetzlichen Richter verletzt, und zwar auch dann, wenn in oberer Instanz die zuständige Behörde (nunmehr ein Verwaltungsgericht) eingeschritten ist (zB VfSlg 5700/1968, 9599/1983, 11.061/1986, 14.008/1995). Maßgeblich für diese Rechtsprechung war der Gedanke, dass durch die Übergehung der zuständigen Behörde erster Instanz der gesetzlich vorgesehene Instanzenzug unvollständig geblieben ist und durch eine solche Verkürzung des Instanzenzuges die Rechtsverfolgungsmöglichkeit behindert wird (VfSlg 19.594/2011 uHa VfSlg 8188/1977).

Ein solcher Fehler liegt hier vor:

§65 WStV ist so zu verstehen, dass in ihm zwei Fälle der Sistierung parallel geregelt werden, wobei in beiden Fällen die Zuständigkeit zur Entscheidung in der Sache auf das übergeordnete Organ übergeht (vgl. Cech/Moritz/Ponzer, Die Verfassung der Bundeshauptstadt Wien², 2004, 121). Der Bauausschuss hat nach der Sistierung des ersten Beschlusses durch die Bezirksvorsteherin (nun neuerlich) über die beantragten Ausnahmen entschieden, obwohl der Verfassungsgerichtshof bereits in seinem aufhebenden Erkenntnis zu B960/2012 ausgesprochen hat, dass im Fall einer Sistierung eines Beschlusses (eines Ausschusses) der Bezirksvertretung durch den Bezirksvorsteher gemäß § 65 WStV die Zuständigkeit zur Entscheidung auf den Bürgermeister übergeht. Der Bauausschuss hat damit eine sachliche Zuständigkeit in unterer Instanz gesetzwidrig in Anspruch genommen.

IV.Ergebnis

1.Die Beschwerdeführer sind durch die angefochtenen Entscheidungen in dem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt worden.

2.Die angefochtenen Entscheidungen sind daher aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.

3.Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

4.Die Kostenentscheidung beruht auf § 88 iVm § 88a VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in Höhe von € 479,60 bzw. € 436,– sowie jeweils der Ersatz der Eingabengebühr in Höhe von € 240,– enthalten.

Zusatzinformationen


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ECLI:
ECLI:AT:VFGH:2017:E1039.2016
Schlagworte:
Baurecht, Baubewilligung, Ausnahmebewilligung, Bundeshauptstadt Wien, Bezirksvertretungen, Behördenzuständigkeit, Bindung (der Verwaltungsbehörden an VfGH)

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