OGH vom 08.11.2011, 10ObS70/11h
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Dr. Hradil als Vorsitzenden, die Hofräte Dr. Fellinger und Dr. Hoch sowie die fachkundigen Laienrichter KR Mag. Paul Kunsky (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Dr. Andrea Eisler (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Renate R*****, vertreten durch Dr. Christian Kuhn Rechtsanwalts GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei Wiener Gebietskrankenkasse, Wienerbergstraße 15 19, 1100 Wien, vertreten durch Dr. Heinz Edelmann, Rechtsanwalt in Wien, wegen Gewährung eines Multifunktionskrankenfahrstuhls, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen vom , GZ 8 Rs 152/10x 26, womit infolge Berufung beider Parteien das Urteil des Arbeits und Sozialgerichts Wien vom , GZ 17 Cgs 15/10k 19, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die Parteien haben die Kosten der Revision bzw Revisionsbeantwortung selbst zu tragen.
Text
Entscheidungsgründe:
Mit dem bekämpften Bescheid hat die beklagte Krankenkasse den Antrag der Klägerin auf Gewährung eines Multifunktionskrankenfahrstuhls (Anm: anstelle des bereits gewährten Rollstuhls) abgewiesen.
Das Hauptbegehren der dagegen erhobene Klage ist auf Gewährung der Krankenbehandlung im gesetzlichen Ausmaß, insbesondere in Form eines geeigneten Multifunktionskrankenfahrstuhls, der die Möglichkeit bietet, den Winkel zwischen Sitzfläche und Rückenlehne zu verstellen , gerichtet.
Das Eventualbegehren der Klägerin wurde, nachdem ihm das Erstgericht „modifiziert“ stattgegeben und die beklagte Partei diese, vom Berufungsgericht bestätigte Entscheidung nicht angefochten hatte, im Revisionsverfahren nicht mehr bestritten. Demnach steht fest, dass (jedenfalls) der Anspruch der Klägerin gegenüber der beklagten Partei auf Gewährung eines Zuschusses gemäß § 154 Abs 1 ASVG im satzungsgemäßen Umfang, das ist gemäß § 40 Abs 1 der Satzung der beklagten Partei das Dreifache der Höchstbeitragsgrundlage (§ 108 Abs 3 ASVG), für einen geeigneten Multifunktionskrankenfahrstuhl, der die Möglichkeit bietet, den Winkel zwischen Sitzfläche und Rückenlehne zu verstellen, zu Recht bestehe.
Die Klägerin brachte vor, dass die notwendige Adaptierung des gewährten mechanischen Rollstuhls nicht möglich sei. Aufgrund der Verschlechterung des medizinischen Zustands der Klägerin im Rahmen der Grunderkrankung (Multiple Sklerose) sei die derzeitige Sitzversorgung nicht mehr adäquat, weil Sekundärfolgen durch die falsche Lagerung der Klägerin drohten.
Die beklagte Partei wendete soweit im Rechtsmittelverfahren noch von Bedeutung (Seite 12 vorletzter Absatz der Berufungsentscheidung) ein, der begehrte Multifunktionskrankenfahrstuhl sei ein Pflegebehelf, der ausschließlich die notwendigen Pflegeleistungen erleichtern und das Pflegepersonal entlasten solle, was nicht in den Aufgabenbereich der Krankenversorgung nach § 133 ASVG falle. Es handle sich bei diesen Leistungen nach § 154a ASVG um reine Ermessensentscheidungen, sodass nur die Ermessensausübung durch das Gericht überprüfbar sei.
Das Erstgericht wies das (Haupt-)Begehren ab und gab wie bereits ausgeführt dem Eventualbegehren statt. Zum Gesundheitszustand der Klägerin traf es folgende Feststellungen:
Bei der am geborenen Klägerin besteht aus neurologisch psychiatrischer Sicht eine primär chronisch progrediente Multiple Sklerose mit spastischer links betonter Tetraparese verbunden mit Unfähigkeit des freien Stehens und Gehens und gestörter Rumpfkontrolle, mittel- bis höhergradigem organischen Psychosyndrom, neurogener Blasenstörung (Dauerkatheter [AS 49]), Trigenimusneuralgie, Osteoporose und Hypertonie. Die Klägerin ist seit dem Jahre 2001 mit einem mechanischen Rollstuhlmodell „Reha“ ausgestattet. Eine Adaptierung des Rollstuhls ist technisch nicht möglich. Bei der Klägerin liegt ein medizinischer Endzustand, nämlich ein Residualzustand nach einer Hemiparese vor. Dieser Zustand ist nicht besserbar. Die Klägerin ist zur Fortbewegung im Heim sowie auch außerhalb des Heims auf einen Rollstuhl angewiesen; dies ständig.
Die Klägerin „bedarf aus medizinischen Gründen“ eines Multifunktionskrankenfahrstuhls mit verstellbarer Armlehne, Fußstützen und Rückenlehne zur Teilhabe und Verwirklichung von Bedürfnissen wie Aufrechterhaltung einer Restmobilität. Der gegenwärtige Rollstuhl der Klägerin wird diesen Anforderungen nicht gerecht und führt zur „Symptomverschlimmerung“. Ein elektrischer Multifunktionskrankenfahrstuhl ist nicht erforderlich; die Klägerin wäre aus kognitiven Gründen nicht in der Lage, ohne Gefahr für sich selbst damit umzugehen. Durch das Verstellen der Sitz und Armlehnen wird die Möglichkeit eines Dekubitus aufgrund des Wundsitzens verhindert. Eine Mindestanforderung wäre auch eine verstellbare Rückenlehne. Ein Rollstuhl ist die einzige Möglichkeit für die Klägerin, einen Teil des Tages außerhalb des Betts zu verbringen.
Infolge Angewiesenheit der Klägerin auf den Rollstuhl erhält sie ein Pflegegeld aufgrund einer diagnosebezogenen Einstufung. Die Mobilitätshilfe im engeren Sinn ist auch bei Zurverfügungstellung eines Krankenfahrstuhls weiterhin notwendig. Die Klägerin ist nicht in der Lage, sich alleine vom Bett in den Krankenfahrstuhl zu setzen. Auch ist sie nicht in der Lage, sich alleine mit dem Krankenfahrstuhl fortzubewegen.
Der Multifunktionskrankenfahrstuhl ist keine medizinische Maßnahme der Rehabilitation. Er kostet 4.030,14 EUR und wurde von der Klägerin bisher noch nicht gekauft.
Rechtlich vertrat das Erstgericht die Auffassung, es liege bei der Klägerin ein körperliches Gebrechen vor, also der seinem Wesen nach medizinisch nicht beeinflussbare gänzliche oder teilweise Ausfall von normalen Körperfunktionen, der im medizinischen Sinn nicht mehr als Krankheit zu beurteilen sei. Fehle infolge der abgeschlossenen Entwicklung des Leidens die Möglichkeit ärztlicher Einflussnahme im Sinn einer Heilung, Besserung oder Verhütung von Verschlimmerungen, sei die Regelwidrigkeit dem Gebrechen zuzuordnen. Der Krankheitsbegriff und der Gebrechensbegriff schlössen einander aus. Der begehrte Multifunktionskrankenfahrstuhl sei als Hilfsmittel iSd § 154 Abs 1 ASVG zu beurteilen. Er diene nicht mehr dem Heilungszweck, sondern komme erst nach Abschluss des Heilungsprozesses zum Einsatz. Hilfsmittel seien Gegenstände oder Vorrichtungen, die geeignet seien, die Funktion fehlender oder unzulänglicher Körperteile zu übernehmen oder die mit einer Verstümmelung, Verunstaltung oder einem Gebrechen verbundene körperliche oder physische Beeinträchtigung zu mildern oder zu beseitigen. Das Hauptbegehren bestehe daher nicht zu Recht, weil keine medizinisch beeinflussbare Krankheit mehr gegeben und der Multifunktionskrankenfahrstuhl nicht gemäß § 137 ASVG als Heilbehelf im Sinne einer Krankenbehandlung erforderlich sei. Da er jedoch grundsätzlich ein geeignetes und notwendiges Hilfsmittel iSd § 154 Abs 1 ASVG darstelle, habe die Klägerin Anspruch auf Gewährung eines Zuschusses im Ausmaß des Dreifachen der Höchstbeitragsgrundlage (§ 108 Abs 3 ASVG). Im Hinblick darauf, dass der Multifunktionskrankenfahrstuhl von der Klägerin noch nicht angeschafft und bezahlt worden sei, sei das Eventualbegehren im Sinn eines Feststellungsbegehrens zu modifizieren.
Das von beiden Parteien angerufene Berufungsgericht bestätigte das Ersturteil und sprach aus, dass die ordentliche Revision nicht zulässig sei. Es übernahm die Feststellungen des Erstgerichts und führte in rechtlicher Hinsicht aus, der Klägerin sei (zwar) grundsätzlich darin zuzustimmen, dass auch bei chronischen Leidenszuständen ein Anspruch auf Krankenbehandlung bestehe, solange deren Entwicklung noch nicht abgeschlossen und eine ärztliche Behandlung erforderlich sei. Voraussetzung einer Krankheit im sozialversicherungsrechtlichen Sinn sei jedoch, dass das Leiden eine Krankenbehandlung notwendig mache. Dabei reiche es aus, wenn sie geeignet erscheine, eine Verschlechterung des Zustandsbilds hintanzuhalten.
Nach den Feststellungen liege bei der Klägerin ein medizinischer Endzustand, nämlich ein Residualzustand nach einer Hemiparese vor, der nicht mehr besserbar sei. Disloziert in der rechtlichen Beurteilung des Erstgerichts finde sich die ergänzende Feststellung, dass bei der Klägerin keine medizinisch beeinflussbare Krankheit mehr gegeben sei. Der gegenständliche Krankenfahrstuhl sei geeignet, mit dem Leiden der Klägerin verbundene körperliche Beeinträchtigungen zu mildern, indem er ihr die Möglichkeit biete, einen Teil des Tages außerhalb des Betts zu verbringen bzw sich fortzubewegen. Entgegen der Rechtsansicht der Klägerin werde aber durch den Einsatz des Multifunktionskrankenfahrstuhls nicht einer Verschlimmerung der Multiplen Sklerose begegnet; er diene vielmehr lediglich zur Milderung der als Krankheitsfolge aufgetretenen Einschränkung der Mobilität der Klägerin. Eine ärztliche Einflussnahme im Sinn einer Heilung, Besserung oder Verhütung von Verschlimmerungen, dh Stabilisierung der Krankheit selbst, sei nach den Feststellungen nicht mehr möglich (vgl 10 ObS 258/02t mwN). Damit sei die vorliegende Regelwidrigkeit dem Gebrechen zuzuordnen und der begehrte Krankenfahrstuhl stelle ein Hilfsmittel dar.
Die ordentliche Revision sei nicht zuzulassen, weil sich die Entscheidung im Rahmen der zitierten höchstgerichtlichen Rechtsprechung bewege.
Dagegen richtet sich die außerordentliche Revision der Klägerin mit dem Antrag, das angefochtene Urteil im klagestattgebenden Sinn abzuändern.
Die beklagte Partei beantragt in der ihr freigestellten Revisionsbeantwortung, die außerordentliche Revision zurückzuweisen, in eventu, ihr nicht Folge zu geben.
Die Revision ist entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichts (§ 508a Abs 1 ZPO) zulässig, weil oberstgerichtliche Rechtsprechung zu einer vergleichbaren Fallkonstellation fehlt, sie ist aber nicht berechtigt.
Die Revisionswerberin stützt sich zum einen darauf, es fehle Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Frage der Qualifikation eines Zustands, bei dem die Unheilbarkeit einer Krankheit (hier: Multiple Sklerose) zwar ausdrücklich bejaht werde, eine Verhütung von Verschlimmerungen, insbesondere hinsichtlich der Symptome, jedoch möglich und geboten sei; zum anderen wird geltend gemacht, das Berufungsgericht sei von Entscheidungen abgewichen, die es zu SSV 2/150 und 3/53 als letzte Instanz in Leistungssachen getroffen habe, bzw von 10 ObS 51/96, wonach eine Krankheit auch dann anzunehmen sei, wenn die Behandlung geeignet erscheine, eine Verschlechterung des Zustands hintanzuhalten. Sie beruft sich darauf, dass der gegenwärtige Rollstuhl zu „Symptomverschlimmerungen“ führe und durch die verstellbare Arm- und Rückenlehne ein Dekubitus verhindert werde. Aus diesen Feststellungen ergebe sich klar, dass eine Verhütung von Verschlimmerungen weiterhin möglich sei und nicht von einem „Endzustand“ gesprochen werden könne. Die unrichtige Beurteilung des Leidenszustands der Klägerin als Gebrechen würde dazu führen, dass bei unheilbaren chronischen Krankheiten (wie zB Hepatitis C, HIV [Aids], Diabetes mellitus Typ I, Krebs etc), bei denen die Therapie typischerweise auf Symptombekämpfung beschränkt sei, nie eine Qualifikation als Krankheit iSd § 120 Abs 1 Z 1 ASVG möglich wäre. Die Unbehebbarkeit des Leidens sei nach dieser Legaldefinition aber gar kein Ausschlusskriterium. Entscheidende Bedeutung komme vielmehr allein der Frage zu, ob nach den Umständen eine ärztliche Behandlung (zB zur Schmerzlinderung, Eindämmung von Anfällen oder um eine Verschlechterung des Zustandsbilds hintanzuhalten) erforderlich sei.
Die Revisionsbeantwortung hält dem entgegen, die Entscheidung des Berufungsgerichts stimme mit der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs überein. Es liege auch kein mit den Entscheidungen SSV 3/53 und 2/150 vergleichbarer Sachverhalt vor, weil dort Behandlungen, die nur in einem Krankenhaus gewährt werden konnten, bzw die Gewährung ärztlicher Hilfe zu beurteilen gewesen seien. Die Klägerin sei hingegen in einem Pflegeheim untergebracht und begehre die Gewährung eines Pflegebehelfs, der durch das Heim selbst zur Verfügung gestellt und beliebig von verschiedenen Personen benützt werden könne. Der Multifunktionskrankenfahrstuhl erleichtere ausschließlich die Tätigkeit des Pflegepersonals, sei aber auf Dauer nicht zur Behandlung von Dekubitus geeignet. Der Wechsel der Position der Revisionswerberin, um ein Wundliegen durch die aus ihrer Krankheit resultierende Unbeweglichkeit zu verhindern, gehöre zu den Pflegeleistungen. Eine diesbezüglich adäquate Versorgung der Klägerin habe mit Dekubitus Heilbehelfen zu erfolgen, die dazu geeigneter seien, als der begehrte Krankenfahrstuhl, welcher ein Hilfsmittel darstelle, weil er keine Krankenbehandlung unterstütze, sodass § 137 ASVG nicht anzuwenden sei. Dem Hinweis der Klägerin auf eine Möglichkeit, die Krankheitssymptome zu therapieren, um eine „Symptomverschlimmerung“ zu verhindern, sei mit dem Berufungsgericht zu erwidern, dass sich diese Möglichkeit eindeutig nicht auf die Krankheit selbst, sondern auf die aus der Krankheit resultierende Unbeweglichkeit beziehe, die bei nicht adäquater Versorgung etwa ein Wundliegen zur Folge haben könnte. Schon aus dem Umstand, dass die Klägerin in einem Pflegeheim untergebracht sei und Pflegegeld beziehe, sei aber ersichtlich, dass es sich hier um Pflegeleistungen und nicht um solche der gesetzlichen Krankenversicherung handle. Das Pflegegeld habe den Zweck, auch die Kosten des begehrten Krankenfahrstuhls abzudecken.
Rechtliche Beurteilung
Dazu wurde erwogen:
1. Die bereits vom Berufungsgericht zutreffend wiedergegebene ständige Rechtsprechung legt § 137 Abs 1 ASVG dahin aus, dass unter „Heilbehelfen“ nur solche Behelfe zu verstehen sind, die der Heilung, Linderung oder Verhütung von Verschlimmerungen der Krankheit dienen, während „Hilfsmittel“ (§ 154 Abs 1 ASVG) erst nach Abschluss des Heilungsprozesses zum Einsatz gelangen (RIS Justiz RS0109536; RS0109537; 10 ObS 128/08h). Letztere werden zur Milderung oder Behebung wesentlicher Beeinträchtigungen bei Verstümmelungen, Verunstaltungen und körperlichen Gebrechen eingesetzt (RIS Justiz RS0084070).
1.1. Im Wesentlichen bildet diese Differenzierung zwischen Heilbehelfen und Hilfsmitteln eine Konsequenz der vom Gesetzgeber vorgenommenen und in der Rechtsprechung dargestellten Trennung zwischen Krankheit (im sozialversicherungsrechtlichen Sinn) und dem Gebrechen. Es kann daher nach diesem Verständnis ein und derselbe Gegenstand einmal Heilbehelf, ein anderes Mal Hilfsmittel sein, wobei diese Frage nur nach den besonderen konkreten Umständen des Falls zu beantworten ist (RIS Justiz RS0109536 [T2]; 10 ObS 258/02t, SSV NF 17/17; 10 ObS 224/02t, SSV NF 17/87 mit Hinweis auf 10 ObS 320/97z, SSV NF 12/20).
1.2. Solange eine (noch) behandlungsbedürftige Krankheit iSd § 120 Abs 1 Z 1 iVm § 133 Abs 2 ASVG durch ärztliche Hilfe, Heilmittel oder Heilbehelfe beeinflussbar ist und eine Verbesserung bzw Stabilisierung der Gesundheit, Arbeits oder Selbsthilfefähigkeit zu erwarten ist, muss die Krankenbehandlung also auch die Versorgung mit den notwendigen Heilbehelfen von der Krankenkasse getragen werden (10 ObS 258/02t, SSV NF 17/17: ausführlich zum Krankenfahrstuhl als „Heilbehelf“ iSd § 137 Abs 1 ASVG [iZm einer Krankenbehandlung] oder „Hilfsmittel“ iSd §§ 154 bzw 154a ASVG [nach Abschluss der Krankenbehandlung]).
1.3. Das ASVG sieht den Versicherungsfall der Krankheit mit dem Beginn eines „regelwidrigen Körper- oder Geisteszustands“ als eingetreten an, „der die Krankenbehandlung notwendig macht“ (§ 120 Abs 1 Z 1 ASVG). Für das Vorliegen einer Krankheit, die einen Anspruch auf Krankenbehandlung auslöst, muss wie auch die Revisionswerberin erkennt nach dieser Legaldefinition zur Regelwidrigkeit die Notwendigkeit einer Krankenbehandlung (Behandlungsbedürftigkeit) treten (RIS Justiz RS0084692). Die Voraussetzung der Behandlungsbedürftigkeit ist nach herrschender Ansicht dann erfüllt, wenn der regelwidrige Zustand ohne ärztliche Hilfe nicht mit Aussicht auf Erfolg behoben, zumindest aber gebessert oder vor einer Verschlimmerung bewahrt werden kann oder wenn die ärztliche Behandlung erforderlich ist, um Schmerzen oder sonstige Beschwerden zu lindern. Wenn daher ein regelwidriger Körperzustand oder Geisteszustand nach dem Stand der medizinischen Wissenschaft durch ärztliche Hilfe, Heilmittel oder Heilbehelfe gebessert oder vor einer Verschlimmerung bewahrt werden kann, so ist die Notwendigkeit der Krankenbehandlung indiziert. Eine notwendige Krankenbehandlung und damit eine Krankheit in sozialversicherungsrechtlichem Sinn ist somit auch dann anzunehmen, wenn die Behandlung geeignet erscheint, eine Verschlechterung des Zustandsbilds hintanzuhalten ( Schober in Sonntag , ASVG² § 120 Rz 10 ff mwN).
1.4. Ausschlaggebend für die Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung ist daher, ob ein Zustand durch Maßnahmen der Krankenbehandlung noch beeinflusst werden kann, wobei die Untergrenze in der Schmerzlinderung bzw in der Verhinderung einer Verschlimmerung des Leidenszustands liegt. Als abgeschlossene Zustände, bei denen die Leistungspflicht der Krankenversicherung nicht mehr besteht, werden lediglich Zustände qualifiziert, bei denen mit Maßnahmen der Krankenbehandlung nicht einmal mehr eine Verhinderung einer Verschlimmerung möglich ist ( Mazal , Der Anspruch auf Krankenbehandlung bei chronischen Krankheiten, ZAS 2002, 33 ff [36]). So können etwa im Fall eines beatmungspflichtigen querschnittgelähmten Patienten Maßnahmen der Krankenbehandlung, die eine Verschlimmerung dieses Zustands hintanhalten können, beispielsweise in der Kanülenpflege, der Dekubitusvorsorge, der Blasen- und Darmentleerung, der Verhinderung von Lungenschädigungen usw bestehen (vgl Mazal aaO 38). Eine Krankenbehandlung im sozialversicherungsrechtlichen Sinn muss daher nicht die endgültige und vollständige Heilung des Patienten zum Ziel haben; es genügt vielmehr, wenn sie die Besserung des Leidens oder die Verhütung von Verschlimmerungen bezweckt ( Binder in Tomandl , SV System 21. Erg-Lfg 205 mwN).
1.5. Demgegenüber sind Gebrechen ihrem Wesen nach medizinisch nicht beeinflussbare, gänzliche oder teilweise Ausfälle von normalen Körperfunktionen, die im medizinischen Sinn nicht mehr als Krankheit zu beurteilen sind (RIS-Justiz RS0113892). Treten im Rahmen von Gebrechen allerdings „akute Störungen“ auf, so ist genau zu prüfen, ob die hinzutretenden Regelwidrigkeiten die Merkmale des sozialversicherungsrechtlichen Krankheitsbegriffs erfüllen. So werden als „akute Regelwidrigkeit“ im Rahmen von Gebrechen, somit als Krankheit im sozialversicherungsrechtlichen Sinn etwa Hautreizungen und Hautabschürfungen, die an einem Amputationsstumpf beim Tragen einer infolge Bruches schadhaften Prothese auftreten, einzustufen sein ( Binder in Tomandl , SV-System 21. Erg-Lfg 207 und 209 f).
2. Das Erstgericht hat zur entscheidenden Frage der Abgrenzung zwischen dem Vorliegen einer Krankheit und eines Gebrechens festgestellt, dass bei der Klägerin ein „medizinischer Endzustand“, nämlich ein Residualzustand nach einer Hemiparese, vorliege und dieser Zustand nicht besserbar sei. In der rechtlichen Beurteilung qualifizierte es den Zustand der Klägerin als Gebrechen, weil keine medizinisch beeinflussbare Krankheit mehr gegeben sei. Dieser Beurteilung des Erstgerichts hat sich im Ergebnis auch das Berufungsgericht angeschlossen.
3. Die Revisionswerberin beruft sich hingegen (inhaltlich) mit Recht darauf, dass es durch die bei ihr vorliegende Grunderkrankung (Multiple Sklerose mit spastischer und linksbetonter Tetraparese mit Unfähigkeit des freien Stehens und Gehens und gestörter Rumpfkontrolle) zu Folgeerkrankungen, nämlich zum Wundsitzen, kommen könnte: Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts würde nämlich im Sinne der bereits dargelegten Ausführungen auch dann, wenn das Grundleiden als solches wie im vorliegenden Fall nicht mehr behebbar ist, eine Behandlungsbedürftigkeit vorliegen, wenn die Behandlung eine Verschlechterung des Zustands hintanzuhalten geeignet ist (vgl Risak in der Entscheidungsbesprechung in ZAS 1999/5, 52 sowie Mazal , Der Anspruch auf Krankenbehandlung bei chronischen Krankheiten, ZAS 2002, 33 ff [38]: Dekubitusvorsorge als Maßnahme der Krankenbehandlung]).
4. Der Oberste Gerichtshof hat in der erwähnten Entscheidung 10 ObS 320/97z, SSV-NF 12/20 (= ZAS 1999/5, 50 [ Risak ] = DRdA 1999/12, 112 [ Binder ]) im Falle einer an Inkontinenz leidenden Versicherten die Auffassung vertreten, dass die Inkontinenzeinlagen im konkreten Fall nicht der Verhütung einer Verschlimmerung des Leidens (durch das Auftreten von Folgeerkrankungen wie Blasenentzündungen oder Hautveränderungen) dienten, weil es sich dabei um prophylaktische Wirkungen handle, die grundsätzlich mit jeder notwendigen Körperpflege einhergehen. Wie Risak in seiner Entscheidungsbesprechung in ZAS 1999/5, 52 ff zutreffend aufzeigt, wird das Erfordernis der Behandlungsbedürftigkeit in Lehre und Rechtsprechung eher extensiv ausgelegt. Nach § 120 ASVG gilt der Versicherungsfall der Krankheit nämlich (zwar erst) mit dem Beginn der Krankheit, dh mit dem Zeitpunkt, zu dem Regelwidrigkeit und Behandlungsbedürftigkeit vorliegen, als eingetreten. Die Rechtsprechung verlegt diesen Zeitpunkt jedoch nach vorne, wenn eine medizinische Maßnahme im Einzelfall erforderlich ist, um einen schweren gesundheitlichen Nachteil abzuwenden, es somit dem Versicherten unzumutbar ist, bis zum tatsächlichen Eintritt der Krankheit zuzuwarten. Im Falle einer konkreten Gefährdung besteht daher nach Ansicht des Obersten Gerichtshofs bereits vor Eintritt des Versicherungsfalls der Krankheit eine Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung (vgl 10 ObS 41/10t mwN).
5. Im Zusammenhang mit der Gewährung von Rollstühlen hat der Senat bereits in der Entscheidung 10 ObS 258/02t, SSV-NF 17/17 (= DRdA 2004/22, 263 [ Naderhirn ]) dargelegt, dass ein Krankenfahrstuhl, der nach herkömmlichem Verständnis als Hilfsmittel angesehen wird (vgl § 154 Abs 1 ASVG), dann als Heilbehelf eingestuft werden kann, wenn er etwa während einer Krankenbehandlung zur Entlastung der Beine benötigt wird.
5.1. Zur Beurteilung der Frage, ob auch im konkreten Fall ein „Heilbehelf“ iSd § 137 ASVG begehrt wird, kommt es somit allein darauf an, ob die angestrebte Zurverfügungstellung des Multifunktionskrankenfahrstuhls im Zusammenhang mit einer Krankenbehandlung steht; (nur) solange eine im Sinn der dargelegten Ausführungen (noch) behandlungsbedürftige Krankheit iSd § 120 Abs 1 Z 1 iVm § 133 Abs 2 ASVG durch ärztliche Hilfe, Heilmittel oder Heilbehelfe beeinflussbar und eine Verbesserung bzw Stabilisierung der Gesundheit, Arbeits- oder Selbsthilfefähigkeit (noch) zu erwarten ist, muss die „Krankenbehandlung“ (also auch die Versorgung mit den notwendigen Heilbehelfen) von der Krankenkasse getragen werden, soweit dadurch das Maß des Notwendigen iSd § 133 Abs 2 ASVG nicht überschritten wird (10 ObS 258/02t, SSV NF 17/17 = DRdA 2004/22, 263 [ Naderhirn ] mwN).
5.2. Träfe auch diese letztgenannte Voraussetzung zu, wäre der Multifunktionskrankenfahrstuhl als Heilbehelf zu beurteilen, wenn der Klägerin ohne seine Verwendung (aufgrund ärztlicher Einschätzung) konkret und unmittelbar die Gefahr drohte, an einem Dekubitus aufgrund des Wundsitzens zu erkranken und dies als Folge oder Begleitwirkung ihrer Grunderkrankung seinen Einsatz erforderte (vgl dazu 10 ObS 41/10t mwN [wonach im Fall einer konkreten Krankheitsgefahr uU bereits vor Eintritt des Versicherungsfalls der Krankheit eine Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung besteht]).
5.3. Eine solche, der Klägerin unmittelbar drohende konkrete Gefahr ist aber im vorliegenden Fall nicht hervorgekommen, sodass auf die (von der beklagten Partei zu Recht aufgeworfene) weitere Frage der Zweckmäßigkeit der begehrten Leistung nicht mehr weiter einzugehen ist.
Die Revision der Klägerin muss daher erfolglos bleiben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 1 und 2 lit b ASGG. Die beklagte Partei hat ihre Kosten des Revisionsverfahrens unabhängig vom Verfahrensausgang selbst zu tragen. Berücksichtigungswürdige Einkommens und Vermögensverhältnisse der Klägerin iSd § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG, welche einen ausnahmsweisen Kostenzuspruch nach Billigkeit rechtfertigen könnten, wurden nicht geltend gemacht und sind auch nicht ersichtlich.