OGH vom 08.09.1993, 9ObA607/93
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof.Dr.Gamerith als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Maier und Dr.Petrag sowie die fachkundigen Laienrichter Mag.Dr.Friedrich Hötzl und Leopold Smrcka als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache des Antragstellers Fachverband der Bergwerke und eisenerzeugenden Industrie, Wien 1, Goethegasse 3, wider den Antragsgegner Österreichischer Gewerkschaftsbund, Gewerkschaft der Privatangestellten, Wien 1, Deutschmeisterplatz 2, vertreten durch Dr.Wolf D. Polte, Rechtsanwalt in Linz, über den gemäß § 54 Abs 2 ASGG gestellten Feststellungsantrag in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluß
gefaßt:
Spruch
Die Anträge auf Feststellung,
1. daß die streitgegenständlichen Vertragspensionen unter die Geltung des § 7 Abs 1 ÖIAG-Finanzierungsgesetz fallen, und
2. daß gemäß § 7 Abs 1 ÖIAG-Finanzierungsgesetz, BGBl 1987/298 eine Wertanpassung bestehender Pensionszuschüsse der betroffenen Unternehmungen für den Zeitraum zwischen dem Inkrafttreten des ÖIAG-Finanzierungsgesetzes und dem mit nicht nachholend zu erfolgen habe, werden abgewiesen.
Der Gegenantrag des Antragsgegners, festzustellen, daß eine Wertanpassung bestehender Rechtsanspruchspensionen der betroffenen Unternehmungen mit dem Wortlaut der Verträge entsprechend durch Vergleich des Basismonats mit dem Vergleichsmonat nach den entsprechenden Indizes zu erfolgen habe,
wird zurückgewiesen.
Text
Begründung:
Rechtliche Beurteilung
Der Antragsteller ist eine kollektivvertragsfähige Interessenvertretung der Arbeitgeber im Sinne des § 4 Abs 1 ArbVG und der Antragsgegner eine kollektivvertragsfähige Berufsvereinigung im Sinne des § 4 Abs 2 ArbVG. Beide Teile sind daher gemäß § 54 Abs 2 ASGG als Parteien des besonderen Feststellungsverfahrens legitimiert. Der Antragsteller führt zur Begründung seiner Feststellungsanträge aus, daß zwischen ihm und dem Antragsgegner die mehr als drei pensionierte Arbeitnehmer betreffende Frage strittig geworden sei, ob § 7 Abs 1 ÖIAG-Finanzierungsgesetz 1987 eine befristete Aussetzung der Wertanpassungsklauseln in dem Sinn vorsehe, daß nach diesem Zeitraum die in der Zwischenzeit bei Anwendung der Klauseln zu erfolgende Wertanpassung nachgeholt und auf diesem neu ermittelten Wert weiter aufgebaut werden müsse, oder ob eine echte Aussetzung der Wertanpassungsklauseln zu erfolgen hat, so daß die Klausel erst ab wieder angewendet werden könne, ohne daß eine Nachholung der Wertanpassung für den Zeitraum zwischen dem Inkrafttreten des Gesetzes und dem zu erfolgen hat. Des weiteren sei strittig, ob die vom Antrag erfaßten Pensionen überhaupt als Zusatzpensionen im Sinne des § 7 Abs 1 ÖIAG-Finanzierungsgesetz angesehen werden können.
Der Antragsteller behauptete folgenden Sachverhalt:
In einigen Mitgliedsunternehmen des Antragstellers wurden mit gewissen Gruppen von Angestellten Einzelverträge über Pensionszuschüsse abgeschlossen. Der Pensionszuschuß beträgt maximal 80 % des letzten Bruttomonatsbezuges, wobei Ruhebezüge aus der gesetzlichen Sozialversicherung auf diesem Pensionszuschuß angerechnet werden.
In diesen Pensionsverträgen sind regelmäßig Wertsicherungsklauseln in unterschiedlicher Ausgestaltung enthalten. In der Regel wird als Basis der Wertsicherung der Verbraucherpreisindex 1966 herangezogen, wobei Schwankungen nach oben oder unten in jeweils unterschiedlicher Höhe (3 % bzw. 5 %) unberücksichtigt bleiben. Lediglich darüber hinausgehende Veränderungen schlagen sich auf die Höhe der Pension entsprechend nieder. Andere Wertsicherungsklauseln orientieren sich an den kollektivvertraglichen Erhöhungen der Ist-Gehälter; in diesem Ausmaß wird auch die Pension erhöht. Eine weitere Variante sieht eine Anpassung an das Niveau des durschnittlichen Nortmalbezuges der Angestellten und Arbeiter des Unternehmens (ebenfalls unter Berücksichtigung eines 5 %igen Schwellenwerts) vor. Nach § 7 Abs 1 ÖIAG-Finanzierungsgesetz sind bei Gesellschaften des ÖIAG-Konzerns, die Mittelzuführungen im Sinne des § 1 Abs 1 leg cit oder sonstige Zuführungen von Darlehen oder Eigenkapital durch den Eigentümer erhalten, in betrieblichen oder einzelvertraglichen Vereinbarungen über Zusatzpensionen enthaltene Wertanpassungsklauseln bis zum nicht anzuwenden. Demgemäß ist bei allen in Frage kommenden Pensionszuschüssen die Wertsteigerung für den im Gesetz genannten Zeitraum ausgesetzt worden.
Der Antragsteller vertritt dazu die Rechtsauffassung, daß die antragsgegenständlichen Pensionsansprüche unter den Begriff der Zusatzpension des Art I § 7 Abs 1 ÖIAG-Finanzierungsgesetz zu subsumieren seien, da auch aus den Erläuternden Bemerkungen zur Regierungsvorlage eine Differenzierung nach der Art der Leistung des Unternehmens nicht hervorgehe.
Hinsichtlich der Aussetzung der Wertanpassung könne die Bestimmung des Art I § 7 Abs 1 leg cit nur so verstanden werden, daß zwischen dem Inkrafttreten des Gesetzes und dem die in den bestehenden Pensionsvereinbarungen enthaltenen Wertanpassungsklauseln außer Kraft gesetzt seien. Sei die Regelung befristet unanwendbar, müßten die in diesem Zeitraum stattgefundenen Kaufkraftverluste für alle Zukunft unberücksichtigt bleiben. Dies bedeute, daß für die Jahre 1987 bis 1990 keine Nachholung der eingetretenen Wertminderung zu erfolgen habe. Eine Wertanpassung könne im Sinne der jeweiligen, ab wieder in Kraft gesetzten Wertanpassungsklauseln erst wieder ab vorgenommen werden.
Der Antragsgegner vertrat in erster Linie den Standpunkt, daß Art I § 7 Abs 1 ÖIAG-Finanzierungsgesetz verfassungswidrig sei und daher überhaupt nicht angewendet werden dürfe. Er regte daher an, einen Gesetzesprüfungsantrag nach Art 140 Abs 1 B-VG an den Verfassungsgerichtshof zu stellen und führte dazu im Sinne eines von
o. Univ.Prof.Dr.Richard Novak, Graz, erstatteten Rechtsgutachtens aus, daß die Kürzungsmaßnahme des § 7 Abs 1 leg cit sozial unausgewogen und unsachlich sei. Die Maßnahme verstoße gegen den verfassungsrechtlichen Gleichheitsgrundsatz, da sie dem Gebot des Vertrauensschutzes zuwiderlaufe und ohne jede Übergangsfrist ganz massiv in schutzwürdige Interessen eingreife. Nach den geltenden Vertragsbedingungen der VOEST-Alpine AG werde die Höchstgrenze des Ruhebezuges von 80 % des letzten Bruttomonatsentgelts erst nach 40 anrechenbaren Dienstjahren erreicht. Die betroffenen Pensionisten hätten bereits vorgeleistet und keine Möglichkeit mehr, sich auf den drastischen Eingriff einzustellen oder darauf zu reagieren. Soweit der eingesparte Betrag von höchstens 200 Pensionisten aufgebracht werde, ergebe sich nach dem vom Antragsteller genannten Beträgen für den Zeitraum von 3 1/2 Jahren bereits ein Opfer des einzelnen Pensionisten von S 165.000, und - ohne Berücksichtigung der ausgesetzten Valorisierung - in der Folgezeit ein solches von ca. 1 Mill S. Ein Verzicht auf diesen Betrag führe sohin zu einer erheblichen Schmälerung des Lebensstandards der betroffenen Pensionisten.
Für den Fall, daß der Überprüfungsantrag nicht gestellt werde, beantragt der Antragsgegner die Abweisung der Feststellungsanträge. Bei den in Frage stehenden Ruhebezügen handle es sich nicht um Doppel- oder Zusatzpensionen. Die vertraglichen Ruhebezüge seien vielmehr als Gesamtpension konzipiert und als Substanz einer einzigen Pensionsleistung anzusehen.
Soweit der im Feststellungsantrag behauptete Sachverhalt nicht näher auf die einzelnen Wertsicherungsklauseln in den bestehenden Verträgen eingehe, sei er unvollständig und ungenau. Die Annahme des Antragstellers, daß es nach dem zu einem rückwirkenden Aufleben der Klauseln komme, sei falsch. Art I § 7 Abs 1 ÖIAG-Finanzierungsgesetz sehe begrifflich nur vor, daß die Klauseln bis nicht anzuwenden seien; an ihren Bestand habe sich dadurch nichts geändert. Die Absicht der Parteien sei durch einfache Vertragsauslegung aus den zugrundeliegenden Vereinbarungen schon dem Wortlaut nach klar erkennbar, so daß die Auslegung des Antragstellers den geschlossenen Vereinbarungen und sohin auch den §§ 914 ff ABGB widerspreche. Da die Wertsicherungsklauseln nach dem Ende des Jahres 1990 wieder anzuwenden seien, sei vom Gesetz her die vertragsgemäße Anwendung der Klauseln und somit der Vergleich zwischen Basismonat und Vergleichsmonat geboten. Es werde daher der Antrag gestellt, festzustellen, daß eine Wertanpassung bestehender Rechtsanspruchspensionen der betroffenen Unternehmungen mit dem Wortlaut der Verträge entsprechend durch Vergleich des Basismonats mit dem Vergleichsmonat nach den entsprechenden Indices zu erfolgen habe.
Der zur ergänzenden Äußerung aufgeforderte Antragsteller brachte keine weitere Stellungnahme ein.
Der Oberste Gerichtshof teilte die verfassungsrechtlichen Bedenken des Antragsgegners und stellte gemäß Art 89 Abs 2 B-VG (Art 140 Abs 1 B-VG) den Antrag an den Verfassungsgerichtshof, Art I § 7 Abs 1 ÖIAG-Finanzierungsgesetz 1987, BGBl 1987/298, als verfassungswidrig aufzuheben.
Bei der Entscheidung über den Feststellungsantrag sei Art I § 7 Abs 1 ÖIAG-Finanzierungsgesetz 1987 im Sinne der zu Art 89 Abs 2 B-VG ergangenen ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (VfSlg 3319, 3349, 4644, 5790, 9906, 9911 uva.; dazu auch Walter/Mayer, Bundesverfassungsrecht6, 377) "anzuwenden". Die vom Antragsteller beschriebenen Vertragspensionen bei den Gesellschaften des ÖIAG-Konzerns seien vom Geltungsbereich des Art I § 7 Abs 1 ÖIAG-Finanzierungsgesetz umfaßt, da diese Bestimmung nicht zwischen "Zusatzpensionen" und "Pensionszuschüssen" unterscheide. Die Entscheidung über den Feststellungsantrag hänge daher davon ab, ob Art I § 7 Abs 1 ÖIAG-Finanzierungsgesetz etwa nach den EBzRV im Sinne einer "Außerkraftsetzung" der Valorisierungsklauseln und eines befristeten "Ausschlusses der Steigerung" so anzuwenden sei, daß die Wertsicherung nicht nur in den vom Gesetz genannten Zeitraum, sondern auch für die Zukunft unberücksichtigt bleiben soll (144 BlgNR 17. GP 8; auch MietSlg 34.150 ua). Die angefochtee Norm sei für die Entscheidung präjudiziell (VfSlg 11.289 ua).
Der Verfassungsgerichtshof hob mit Erkenntnis vom , GZ G 87/91-21 und G 88/91-18, Art I § 7 Abs 1 des ÖIAG-Finanzierungsgesetzes 1987, BGBl 298, als verfassungswidrig auf und sprach aus, daß diese Gesetzesbestimmung gemäß Art 140 Abs 7 zweiter Satz B-VG (insgesamt) nicht mehr anzuwenden sei; frühere gesetzliche Bestimmungen treten nicht wieder in Kraft. Der Oberste Gerichtshof bringe - unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s. insb VfSlg 11.665/1988) - vor, daß die auf Art I § 7 Abs 1 ÖIAG-Finanzierungsgesetz beruhende Maßnahme einen Eingriff in wohl erworbene Rechte bilde, dessen Zulässigkeit am Gleichheitsgebot zu messen sei. In diesem Zusammenhang halte es der Oberste Gerichtshof (worin ihm ebenfalls beizupflichten ist - s etwa das eben angeführte Erkentnnis) für erforderlich, die Intensität des Eingriffes zu berücksichtigen. Es sei nun evident, daß gerade für die Beurteilung und Wertung der Eingriffsintensität der Umstand, ob die Valorisierungssistierung bloß einen Zeitraum von (maximal) rund 3 1/2 Jahren oder - wenn man das Weiterwirken über den hinaus unterstelle - die gesamte Dauer des Pensionsbezuges (und zwar einschließlich des allfälligen Bezuges einer Witwenpension oder einer Waisenpension) betreffe, von besonderer - verfassungsrechtlicher - Bedeutung sei. Könne aber die Gesetzesvorschrift wegen ihrer weitgehenden inhaltlichen Unbestimmtheit gar nicht auf ihre Gleichheitskonformität berurteilt werden, so verstoße sie schon aus diesem Grund (jedenfalls auch) gegen das Gleichheitsgebot: Das Gleichheitsgebot als Auftrag zu gleicher rechtlicher Beurteilung im wesentlichen gleicher Sachverhalte in der behördlichen Tätigkeit lasse sich überhaupt nur dann verwirklichen, wenn die verschiedenen einschreitenden behördlichen Organe im allgemeinen und regelmäßig in der Lage seien, in gleichgelagerten Fällen zur gleichen rechtlichen Beurteilung zu gelangen; dies treffe gewiß dann zu, wenn von vornherein zumutbare Überlegungen nur eine einzige, bestimmte Lösung als das Resultat verfassungskonformer Gesetzeshandhabung erbrächten, nicht aber dann, wenn zur Auswahl unter zwei oder mehreren Lösungen subtile Erwägungen über die Zulässigkeit verschieden gewichteter Eingriffe durch den Gesetzgeber unter Bedachtnahme auf eine sehr differenzierte Judikatur des Verfassungsgerichtshofes anzustellen seien.
Auf Grund dieses Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofes ist davon auszugehen, daß Art I § 7 Abs 1 ÖIAG-Finanzierungsgesetz 1987, BGBl 298 nicht mehr dem Rechtsbestand angehört. Damit ist aber den Anträgen des Antragstellers der Boden entzogen. Soweit eine Gesetzesvorschrift nicht mehr existent ist, kann eine Feststellung, daß die streitgegenständlichen Vertragspensionen unter diese Bestimmung fallen, ebensowenig getroffen werden, wie eine Auslegung der aufgehobenen Norm in Betracht kommt.
Der Gegenantrag des Antragsgegners ist als unzulässig zurückzuweisen. Dem Antragsgegner ist es in einem Verfahren nach § 54 Abs 2 ASGG verwehrt, dem Antrag des Antragstellers nicht nur durch das Begehren auf Abweisung des Feststellungsantrages entgegenzutreten, sondern überdies einen auf Feststellung des gegenteiligen Rechtsverhältnisses gerichteten Antrag zu stellen (vgl infas 1991 A 72 = ecolex 1991,269).
Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.
Fundstelle(n):
WAAAE-12395