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OGH vom 16.09.2010, 12Ns53/10f

OGH vom 16.09.2010, 12Ns53/10f

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Holzweber als Vorsitzenden sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Schroll und die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Prammer als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Georgi G***** wegen des Verbrechens des als Mitglied einer kriminellen Vereinigung begangenen gewerbsmäßigen schweren Diebstahls nach §§ 12 dritter Fall, 127, 128 Abs 2, 130 zweiter und dritter Fall, 15 StGB, AZ 39 Hv 55/10b des Landesgerichts Innsbruck, über den Ablehnungsantrag des Angeklagten den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Ablehnung des Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Ratz sowie der Hofräte des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Kirchbacher, Dr. Lässig und Dr. Nordmeyer ist nicht gerechtfertigt.

Text

Gründe :

Georgi G***** wurde nachdem im ersten Rechtsgang ein anklagekonformer Schuldspruch in Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht verwiesen worden war (AZ 13 Os 69/09k [ON 136]) im zweiten Rechtsgang mit Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Schöffengericht vom , GZ 28 Hv 118/09k-152, des Verbrechens des gewerbsmäßigen schweren und als Mitglied einer kriminellen Vereinigung begangenen Diebstahls nach §§ 12 dritter Fall, 127, 128 Abs 2, 130 zweiter und dritter Fall, 15 StGB schuldig erkannt. Danach hat er am in V***** als Mitglied einer kriminellen Vereinigung mit auf unrechtmäßige Bereicherung gerichtetem Vorsatz und in der Absicht, sich durch die wiederkehrende Begehung der Tat eine fortlaufende Einnahme zu verschaffen, dazu beigetragen, dass die im ersten Rechtsgang rechtskräftig verurteilten unmittelbaren Täter Gewahrsamsträgern der M ***** GmbH Packungen von Rasierklingen und Rasierapparate im Wert von 86.185,10 Euro wegzunehmen versuchten, indem er Aufpasserdienste leistete.

Vom Vorwurf am identes in diesem Fall vollendetes - Täterverhalten mit einem Beutewert von 24.499,57 Euro gesetzt zu haben, wurde er unter einem gemäß § 259 Z 3 StPO freigesprochen.

Mit Erkenntnis vom , AZ 13 Os 160/09t, hob der Oberste Gerichtshof das Urteil, das im Übrigen unberührt blieb, in Stattgebung einer darauf abzielenden Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft in seinem freisprechenden Teil aus dem Grunde der Z 5 vierter Fall des § 281 Abs 1 StPO und aus Anlass der Nichtigkeitsbeschwerden des Angeklagten und der Staatsanwaltschaft - in der Subsumtion nach § 130 zweiter Fall StGB, demzufolge auch im Strafausspruch auf, ordnete in diesem Umfang eine neue Hauptverhandlung an und verwies die Sache insoweit an das Erstgericht. Die gegen den Schuldspruch gerichtete, auf § 281 Abs 1 Z 4, 5 (zweiter und vierter Fall), 5a, 9 lit a, 10 und 11 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten wurde verworfen (ON 190).

Dem Senat gehörten damals Senatspräsident des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Ratz, die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Kirchbacher und Dr. Lässig, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Fuchs sowie der Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer an.

Mit Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Schöffengericht vom , GZ 39 Hv 55/10b-202, wurde Georgi G***** der von dem im zweiten Rechtsgang ergangenen Freispruch umfassten Tat schuldig erkannt.

Über seine dagegen aus den Gründen der Z 4 und 11 des § 281 Abs 1 StPO erhobene Nichtigkeitsbeschwerde, seine Berufung sowie die Berufung der Staatsanwaltschaft hat der Oberste Gerichtshof nunmehr zu befinden.

Rechtliche Beurteilung

Nach dessen Geschäftsverteilung kommt die Entscheidung dem Senat 13 zu, dem außer der Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Fuchs (unter anderem) die oben genannten Richter weiterhin angehören.

Nominell unter Z 4 des § 281 Abs 1 StPO stellt der Beschwerdeführer im Rahmen seines Rechtsmittels den „Antrag, der OGH wolle die Nichtigkeitsbeschwerde nicht denselben Richtern, die im zweiten Rechtsgang über die Sache entschieden haben, zur Entscheidung zuweisen“ und führt begründend aus, diese hätten „eine einer Tatsacheninstanz zumindest ähnliche Funktion im vorangegangenen Rechtsgang“ ausgeübt, weil sie „im zweiten Rechtsgang eine Beweiswürdigung für den dritten Rechtsgang vor dem Erstgericht vorgegeben“ hätten, „obwohl der OGH nach dem Gesetz keine Tatsacheninstanz ist, und auch nicht vorgesehen ist, dass er in die Beweiswürdigung nachfolgender erstinstanzlicher Gerichte eingreift“. Damit wird deutlich genug die Ablehnung der an dem in dieser Strafsache ergangenen Erkenntnis vom , AZ 13 Os 160/09t, beteiligten Mitglieder des Obersten Gerichtshofs begehrt (§ 44 Abs 3 StPO).

Die Beurteilung der Frage, ob Richter eines Höchstgerichts nach Urteilsaufhebung im nachfolgenden Rechtsgang im Sinn der hier mangels Vorliegens eines der in § 43 Abs 1 Z 1 und Z 2, Abs 2 4 StPO ausdrücklich aufgezählten Umstände einzig in Frage kommenden Bestimmung des § 43 Abs 1 Z 3 StPO ausgeschlossen sind, erfordert nicht nur mit Blick auf das Spannungsverhältnis zum verfassungsrechtlich gewährleisteten Recht auf den gesetzlichen Richter (Art 83 Abs 2 B-VG) und zum Prinzip der festen Geschäftsverteilung (Art 87 Abs 3 B-VG), sondern auch und vor allem unter dem Aspekt des Zugangs zum Recht eine ausgewogene Auslegung dieser Norm unter Berücksichtigung von Organisation und Funktion des Gerichts.

Soweit das in einem weiteren Rechtsgang entscheidende Erstgericht an eine Rechtsansicht des Obersten Gerichtshofs gebunden ist, weil diese der kassatorischen Entscheidung zugrunde liegt, für die Aufhebung also ursächlich war, stellt sich das Problem nicht, weil die Bindungswirkung auf die erneute Befassung des Höchstgerichts durchschlägt (§ 293 Abs 2 und 4 StPO; Ratz , WK-StPO § 293 Rz 11, 21 mwN), dieses also nicht neuerlich über die selbe Frage urteilt.

Ein solcher Fall liegt gegenständlich nicht vor, weil der Oberste Gerichtshof dem Antragsvorbringen zuwider hinsichtlich des Freispruchs keine bindende Entscheidung getroffen hat, womit die Prüfung der Unvoreingenommenheit und Unparteilichkeit der Mitglieder des im dritten Rechtsgang zuständigen Senats vorzunehmen ist.

Dabei ist nicht die subjektive Ansicht des betroffenen Richters oder des Ablehnenden entscheidend, sondern die Frage, ob äußere Umstände geeignet sind, bei einem verständig würdigenden objektiven Beurteiler nahe liegende Zweifel an der unvoreingenommenen und unparteilichen Dienstverrichtung zu wecken. Der Umstand, dass sich ein Richter vor der Entscheidung eine Meinung über den Fall gebildet hat, kann für sich alleine Ausgeschlossenheit nicht nach sich ziehen, sondern erst die begründet erscheinende Annahme, dass er auch angesichts gegenteiliger Verfahrensergebnisse nicht gewillt ist, von dieser abzugehen (RIS-Justiz RS0096733). Auch der EGMR verlangt neben hier nicht in Frage stehender subjektiver Unparteilichkeit -, dass das Gericht objektiv unparteilich ist, also „ausreichende Garantien“ bietet, um jeden berechtigten Zweifel in diesem Zusammenhang auszuschließen. Dabei ist einzelfallbezogen sowie unter Berücksichtigung des äußeren Anscheins (appearances) zu prüfen, ob Umstände vorliegen, die objektiv gerechtfertigte Zweifel an der Unparteilichkeit wecken könnten (vgl zum Ganzen Lässig , WK-StPO § 43 Rz 9 ff). Der Gerichtshof stellt bei der Beurteilung auch darauf ab, ob die betroffenen Richter in verschiedener Funktion mehrfach in einer Sache zu entscheiden hatten oder ob Fragen, mit denen sie in einer Beschwerde befasst wurden, jenen ähnlich (analogues) sind, über die sie in einer in der selben Sache in einem früheren Rechtsgang erhobenen Beschwerde zu urteilen hatten (EKMR , 15.975/90, G gg Österreich, ÖJZ-MRK 1991/21; EGMR , 15651/89, Saraiva de Carvalho gg Portugal ; EGMR , 53971/00, D.P. gg Frankreich ; EGMR , 65823/01 und 65273/01, Golinelli und Freymuth gg Frankreich ; EGMR , 34130/96, Morel gg Frankreich ; EGMR , 22349/06 sowie zuletzt Mancel und Branquart gg Frankreich , NLMR 2010, 191).

Gegenständlich hatte der Oberste Gerichtshof im zweiten Rechtsgang über Schuld- und Freispruch wegen identen Täterverhaltens des Angeklagten an zwei verschiedenen Tagen bei - wenn auch nicht identer, so doch - vergleichbarer Beweislage zu entscheiden. Während dessen Nichtigkeitsbeschwerde gegen den Schuldspruch als nicht prozessordnungskonform ausgeführt zu verwerfen war, zeigte die Staatsanwaltschaft in Betreff des Freispruchsfaktums zu Recht ein Begründungsdefizit auf, weil die Tatrichter nicht dargelegt hatten, weshalb sie das im Zusammenhang mit Freispruch und Schuldspruch gleichermaßen vorliegende Beweisergebnis, dass es jeweils im relevanten Zeitraum zwischen dem im Senderbereich des Tatorts eingeloggten Mobiltelefons des Angeklagten und jenem eines der unmittelbaren Täter zu zahlreichen Kontakten gekommen war, einerseits als Grundlage für die den Schuldspruch tragenden Feststellungen heranzogen, während sie diesem Umstand - trotz in diesem Fall doppelt so häufiger telefonischer Kontakte - im Zusammenhang mit dem Freispruch keine ausreichend belastende Bedeutung beimaßen.

Indem sich der Oberste Gerichtshof dieser Argumentation anschloss, hat er weder über die Schuld des Angeklagten abgesprochen, noch wie der Beschwerdeführer vermeint eine Wertung der vorliegenden Verfahrensergebnisse vorgenommen, sondern dem Erstgericht bloß aufgetragen, eine solche im Rahmen einer - bislang gänzlich fehlenden - nachvollziehbaren Begründung selbst anzustellen.

Deren Prüfung ist erst und mangels Geltendmachung von Begründungsmängeln (Z 5) oder erheblichen Bedenken im Sinn der Z 5a des § 281 Abs 1 StPO in der vorliegenden Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten nur insoweit Gegenstand der anstehenden Entscheidung, als § 362 StPO dem Obersten Gerichtshof die Berechtigung einräumt, bei erheblichen Bedenken gegen die Richtigkeit der dem Urteil zugrunde liegenden Tatsachenfeststellungen auf außerordentlichen Weg die Wiederaufnahme des Strafverfahrens zugunsten des Verurteilten zu verfügen. Diese Befugnis ist aber bloß Ausdruck eines aus Z 5a nicht reklamierten Ermessens und führt schon deshalb nicht zur Ausgeschlossenheit unter dem Aspekt des Art 6 Abs 1 MRK, weil der Beschwerdeführer die Nichtigkeitsgründe der Z 2 5 ( Ratz , WK-StPO § 362 Rz 4) und 5a des § 281 Abs 1 StPO nicht geltend gemacht und damit zulässig (weil öffentliche Interessen dem nicht widerstreiten) auf die Prüfung in diesem Umfang verzichtet hat.

Der Antrag erweist sich demnach als nicht berechtigt.