VfGH vom 01.03.1983, B177/79
Sammlungsnummer
9645
Leitsatz
ASVG; keine Bedenken gegen ArtI Z 8 der 28. Nov. und ArtV Z 82 der 29. Nov.; Ermittlung der Bemessungsgrundlage in der Pensionsversicherung - Berücksichtigung der heranzuziehenden Beitragsgrundlagen mit Durchschnittswerten
Spruch
Die Beschwerde wird abgewiesen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1. a) Mit Bescheid vom hat die Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten ausgesprochen, daß gemäß § 531 ASVG idF 29. Nov. BGBl. 31/1973 die Zeit der Beschäftigung des Beschwerdeführers in öffentlichen Diensten vom bis als nachversichert gelte. Für die Zeiten vom bis und vom bis wurde die Feststellung der Nachversicherung abgelehnt, weil diese Zeiten gemäß §§228 Abs 1 Z 1 lita bzw. 229 Abs 1 Z 1 litc ASVG Ersatzzeiten darstellten.
Der Landeshauptmann von OÖ gab dem vom Beschwerdeführer gegen diesen Bescheid erhobenen Einspruch mit Bescheid vom Folge und entschied, daß die Zeit vom bis für den Beschwerdeführer gemäß § 531 ASVG als nachversichert gelte.
Die vom Beschwerdeführer dagegen eingebrachte Berufung wurde mit Bescheid des Bundesministers für soziale Verwaltung vom hinsichtlich der Zeiten vom bis und vom bis als unzulässig zurückgewiesen und hinsichtlich des Zeitraumes vom 1. April bis abgewiesen.
Der VwGH hat diesen Bescheid mit Erkenntnis vom , Z 45/77, wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
b) Nach der auf Grund dieses Erkenntnisses erfolgten Aufhebung des Bescheides des Landeshauptmannes von OÖ durch den Bundesminister für soziale Verwaltung gab der Landeshauptmann mit dem neuerlichen Bescheid vom dem Einspruch des Beschwerdeführers keine Folge und sprach aus, daß die Zeiten vom bis und vom bis nicht gemäß § 531 ASVG als nachversichert gelten.
Der vom Beschwerdeführer dagegen erhobenen Berufung gab der Bundesminister für soziale Verwaltung mit seinem Bescheid vom keine Folge.
2. Gegen diesen Bescheid des Bundesministers für soziale Verwaltung richtet sich die vorliegende Beschwerde, in welcher sich der Beschwerdeführer durch die Anwendung der seiner Auffassung nach verfassungswidrigen Bestimmungen des ArtI Z 8 der 28. ASVG-Nov., BGBl. 162/1972, und des ArtV Z 82 der 29. ASVG-Nov., BGBl. 31/1973, verletzt erachtet und die Aufhebung des angefochtenen Bescheides, in eventu die Abtretung der Beschwerde an den VwGH beantragt.
3. Die belangte Behörde und die beteiligte Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten haben keine Gegenschriften erstattet.
II. Der VfGH hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:
1. Durch ArtI Z 8 der 28. ASVG-Nov. wurde die Ersatzzeitenregelung des § 243 Abs 1 Z 4 ASVG aufgehoben.
§531 Abs 1 ASVG erhielt durch ArtV Z 82 der 29. ASVG-Nov. folgende Fassung:
"Zeiten eines pensions(renten)versicherungsfreien Dienstverhältnisses, die nicht schon als Versicherungszeiten gelten und für die nach bisher in Geltung gestandenen Vorschriften eine Nachversicherung durchzuführen gewesen wäre, gelten als nachversichert."
Beide Bestimmungen sind rückwirkend am in Kraft getreten (ArtIII Abs 1 der 28. Nov. und ArtXVI Abs 2 litb der 29. Nov.).
2. Der Beschwerdeführer bringt vor, er habe seinen Pensionsantrag am zum Stichtag gestellt. Zum Zeitpunkt der Antragstellung habe das ASVG idF der 27. Nov. gegolten. Hätte die Pensionsversicherungsanstalt auf Grund der Gesetzeslage im Zeitpunkt der Antragstellung entschieden, dann wären dem Beschwerdeführer mehrfache zusätzliche Steigerungsbeträge für Höherversicherung zugestanden, die eine beträchtliche Erhöhung der Pension des Beschwerdeführers bewirkt hätten. Im Zeitpunkt der Entscheidung durch die Pensionsversicherungsanstalt am habe das ASVG idF der 28. und 29. Nov. gegolten und es sei, da weder in der 28. noch in der 29. Nov. Übergangsbestimmungen betreffend bereits anhängige Verwaltungsverfahren enthalten seien, diese Rechtslage auch anzuwenden gewesen.
Das bedeute, daß durch die Bestimmungen des ArtI Z 8 der 28. ASVG-Nov., womit die Bestimmung des § 243 Abs 1 Z 4 ASVG idF der 27. Nov. ersatzlos beseitigt worden sei und durch die Bestimmung des ArtV Z 82 der 29. ASVG-Nov., wodurch § 531 dahin gehend geändert worden sei, daß Ersatzzeiten nicht mehr nachversichert werden können, eine massive Verschlechterung der Rechtssituation des Beschwerdeführers gegenüber der zum Zeitpunkt der Antragstellung geltenden Rechtslage eingetreten sei, wobei der Beschwerdeführer gegenüber allen jenen gleichgelagerten Fällen, bei denen die Bescheiderlassung schon vor dem Zeitpunkt des Inkrafttretens der 28. und 29. ASVG-Nov. erfolgte, deswegen benachteiligt sei, weil die bezüglichen Gesetzesbestimmungen eine Durchbrechung der materiellen Rechtskraft bereits erlassener Bescheide nicht anordneten, was zur Folge habe, daß völlig gleichgelagerte Fälle einer unterschiedlichen Behandlung zu unterziehen seien.
Die Regelungen der beiden Nov. verstießen deshalb gegen den Gleichheitsgrundsatz, weil sie hinsichtlich des Wirksamkeitsbeginnes nicht auf jene Verfahren Bedacht nähmen, welche im Zeitpunkt des Wirksamkeitsbeginns der Nov. bereits längst anhängig seien und auf die, wären sie früher entschieden worden, das alte Recht anzuwenden gewesen wäre. Das führe im Ergebnis dazu, daß von zwei völlig gleichgelagerten Fällen, in denen unter Umständen auch der Antrag gleichzeitig gestellt worden war, der eine von der Verschlechterung der Rechtslage nicht betroffen werde, der andere aber schon, wobei diese Differenzierung ausschließlich an den vom Versicherten nicht überschaubaren und beeinflußbaren Verwaltungsgang anknüpfe. Damit werde aber "letztlich der Zufall zum Kriterium der Differenzierung" gemacht.
Diesen Überlegungen könne auch nicht mit der Judikatur des VfGH betreffend die "Notwendigkeit von Härtefällen bei jeder generellen Grenzziehung" entgegengetreten werden: Härtefälle, die sich lediglich daraus ergeben, daß infolge des Verwaltungsganges zwischen Antrag und Entscheidung und der zwischenzeitlich bedingten Gesetzesänderung eine Ungleichbehandlung eintritt, seien nämlich nicht "gleichsam unvermeidlich, weil auch von einem sorgfältigen Gesetzgeber nicht kalkulierbar". Denn zur Vermeidung derartiger Härtefälle hätte der Gesetzgeber ohne weiteres die Grenzziehung so vornehmen können, daß der Eintritt der Verschlechterung nicht vom zufälligen Verwaltungsgang bei der Behörde abhängt, wozu lediglich eine Übergangsregelung notwendig gewesen wäre.
3. a) Im vorliegenden Fall ist folgende Entwicklung der einschlägigen Rechtslage maßgeblich:
Die durch die 28. ASVG-Nov. ersatzlos aufgehobene Z 4 des § 243 Abs 1 enthielt die Festsetzung bestimmter Beitragsgrundlagen für verschiedene Ersatzzeiten iS der §§227 und 228 (so unter anderem für während des Zweiten Weltkrieges geleisteten Kriegsdienst). Der Entfall der genannten Z 4 bewirkte, daß diese Ersatzzeiten nicht mehr für die Ermittlung der Bemessungsgrundlage herangezogen werden und für sie daher keine Beitragsgrundlagen festzusetzen waren (vgl. die Erläuterungen zur Regierungsvorlage der genannten Nov., 183 BlgNR XIII. GP, S 9). Diese Gesetzesänderung stand im Zusammenhang mit der - ebenfalls in der 28. ASVG Nov. erfolgten - Neufassung des § 242, wonach zur Bildung der Bemessungsgrundlage für die Alterspension durchschnittliche monatliche Beitragsgrundlagen heranzuziehen sind.
§531 ASVG idF vor der 29. Nov. sah die Möglichkeit der Nachversicherung für pensionsversicherungsfreie Dienstverhältnisse bei reichsdeutschen Dienststellen vor. Die - bereits oben unter Punkt II.1. wiedergegebene - Neufassung des § 531 Abs 1 ASVG erfolgte aus Gründen der Vereinfachung; die Nachversicherung soll nicht mehr im Detail durchgeführt werden, die betroffenen versicherungsfreien Zeiten gelten als nachversichert, das heißt sie sind wie Beitragszeiten zu behandeln (s. die Erläuterungen zur Regierungsvorlage der 29. ASVG-Nov., 404 BlgNR XIII. GP, S 124).
b) Es ist nicht auszuschließen, daß diese Änderung der Rechtslage für Versicherte, die - was zB der Beschwerdeführer in seinem Fall behauptet - seinerzeit ein hohes Einkommen hatten, deswegen einen Nachteil mit sich bringen könnte, weil durch den Entfall der Möglichkeit einer Nachversicherung unter Berücksichtigung der Umstände im Einzelnen sowie durch den Wegfall eigener Beitragsgrundlagen für Ersatzzeiten die Zuerkennung besonderer Steigerungsbeträge für vor dem gelegene Versicherungsmonate (§248 Abs 2 ASVG) nicht mehr möglich ist.
c) Der mit der Änderung der Rechtslage im hier betrachteten Bereich verbundene Zweck, entsprechend ArtII. Abs 20 der 23. ASVG-Nov. ab bei der Ermittlung der Bemessungsgrundlage in der Pensionsversicherung die heranzuziehenden Beitragsgrundlagen mit Durchschnittswerten zu berücksichtigen (vgl. auch den Bericht des Ausschusses für Soziale Verwaltung zur 28. ASVG-Nov., 269 BlgNR,
XIII. GP), kann nicht als unsachlich bezeichnet werden. Die mit der Verwendung von Durchschnittswerten verbundene Einschränkung der Möglichkeit, jeweils eine den Gegebenheiten des Einzelfalles tunlichst entsprechende Entscheidung zu erzielen, muß an sich bei jeder auf Vereinfachung und Verwaltungsökonomie bedachten Regelung in Kauf genommen werden. Das die Vereinfachung in einem Ausmaß erfolgt ist, welches letztlich zu einer Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes führt, kann im vorliegenden Fall aber nicht gesagt werden.
Der Beschwerdeführer bringt gegen die Sachlichkeit der neuen Regelung als solche auch nichts vor. Er meint aber, das Fehlen von Übergangsbestimmungen führe zu einem gleichheitswidrigen Ergebnis, da von zwei völlig gleichgelagerten Fällen der eine von der Verschlechterung der Rechtslage nicht betroffen werde, der andere aber schon.
Der Umstand, daß eine - an sich sachliche - Regelung in einzelnen Fällen zu unbefriedigenden Ergebnissen und Härten führt, berührt nicht die Sachlichkeit der Regelung (vgl. VfSlg. 7891/1976 und die dort angeführte Vorjudikatur). Nicht jede Unbilligkeit, die eine einheitliche Regelung mit sich bringt, kann als unsachlich gewertet werden. Es muß dem Gesetzgeber gestattet sein, eine einfache und leicht handhabbare Regelung zu treffen (vgl. VfSlg. 3682/1960, 5958/1969, 7873/1976). Das gilt auch dann, wenn der Gesetzgeber ein Regelung rückwirkend in Kraft setzt und durch das Nichterlassen von Übergangsbestimmungen betreffend anhängige Fälle in Einzelfällen Unbilligkeiten in Kauf nimmt, die mit der Setzung jedes Stichzeitpunktes zwangsläufig verbunden sind. Auch die Schaffung von Übergangsbestimmungen würde nur dazu führen, daß dann durch das Entstehen anderer Stichzeitpunkte wieder andere Grenzfälle möglich wären. Der Gesetzgeber muß nicht davon ausgehen, daß die Behörde in Erwartung einer Änderung der Rechtslage durch Gestaltung (etwa Verzögerung) des Verfahrensablaufes eine Verschlechterung der Lage einer Partei herbeiführt.
Der VfGH teilt auf Grund dieser Erwägungen die verfassungsrechtlichen Bedenken des Beschwerdeführers nicht.
4. Zusammenfassend ist festzustellen, daß die (ausschließliche) Behauptung des Beschwerdeführers, wegen Anwendung einer generellen Norm in seinen Rechten verletzt zu sein (vgl. dazu VfSlg. 8792/1980 und 8918/1980), nicht zutrifft.
Die Beschwerde ist daher abzuweisen.