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VfGH vom 28.02.2005, b173/03

VfGH vom 28.02.2005, b173/03

Sammlungsnummer

17435

Leitsatz

Verletzung im Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter durch Zurückweisung eines Antrags auf Nichtigerklärung einer Zuschlagsentscheidung aufgrund der verfehlten Annahme der weiteren Anwendbarkeit einer bereits vom Verfassungsgerichtshof aufgehobenen Schwellenwertregelung; Vorliegen eines offenkundigen Redaktionsfehlers bei Bezeichnung der verbindlich zu erklärenden Fassung des Bundesvergabegesetzes 1997 in der Übergangsbestimmung des Bundesvergabegesetzes 2002; verfassungskonforme Auslegung hinsichtlich der Einbeziehung der Kundmachung der Aufhebung im Bundesgesetzblatt bei Beurteilung der anzuwendenden Rechtslage geboten

Spruch

I. Die beschwerdeführende Gesellschaft ist durch die Spruchpunkte A.2. und A.3. sowie durch die Spruchpunkte B.1. und B.2. des angefochtenen Bescheides in ihrem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt worden.

Der Bescheid wird in diesem Umfang aufgehoben.

II. Im Hinblick auf Spruchpunkt A.1. des angefochtenen Bescheides wird die Beschwerde abgewiesen.

III. Der Bund (Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit) ist schuldig, der beschwerdeführenden Gesellschaft die mit € 1.749,60 bestimmten Prozesskosten zu Handen ihres Rechtsvertreters binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Der Abwasserverband "Raum Stainz" hat ein offenes Vergabeverfahren nach den Bestimmungen des Bundesvergabegesetzes 1997 (BVergG 1997) zur Lieferung der elektrotechnischen Ausrüstung für die Verbandskläranlage Stainz durchgeführt. Die beschwerdeführende Gesellschaft hat sich an dieser Ausschreibung beteiligt und ein Angebot gelegt. Schließlich wurde ihr aber mitgeteilt, dass beschlossen worden sei, die Arbeiten der elektrotechnischen Ausrüstung an eine mitbietende Gesellschaft zu vergeben.

Die beschwerdeführende Gesellschaft stellte in der Folge beim Bundesvergabeamt (BVA) mehrere Anträge, die von diesem mit Bescheid vom wie folgt erledigt wurden:

Die Anträge der beschwerdeführenden Gesellschaft,


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-
"das Bundesvergabeamt möge gemäß § 173 Abs 1 BVergG 2002 eine mündliche Verhandlung anberaumen, wird "als unzulässig zurückgewiesen" (Spruchpunkt A.1.);

- "das Bundesvergabeamt möge die Entscheidung des

Abwasserverbandes 'Raum Stainz' ... rechtswidrigerweise den Zuschlag

an ... zu erteilen, für nichtig erklären, wird wegen Unzuständigkeit

zurückgewiesen" (Spruchpunkt A.2.);

- "das Bundesvergabeamt möge die Ausschreibung des

Abwasserverbandes 'Raum Stainz' ... für nichtig erklären, wird wegen

Unzuständigkeit zurückgewiesen" (Spruchpunkt A.3.).

Weiters wurden mit den Spruchpunkten B.1. und B.2. des angefochtenen Bescheides Anträge der beschwerdeführenden Gesellschaft auf Erlassung von einstweiligen Verfügungen näher bezeichneten Inhalts "als unzulässig zurückgewiesen".

2. Gegen diesen Bescheid wendet sich die vorliegende auf Art 144 B-VG gestützte Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, in der die Verletzung der beschwerdeführenden Gesellschaft in verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten sowie in Rechten wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm gerügt und die kostenpflichtige Aufhebung des Bescheides "seinem gesamten Umfang nach" begehrt wird.

3. Das BVA hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der es dem Beschwerdevorbringen entgegentritt und die Abweisung der Beschwerde begehrt. Die beschwerdeführende Gesellschaft hat auf die Gegenschrift repliziert.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

1. Das BVA hat zunächst seine Entscheidung, mit Spruchpunkt A.1. den Antrag der beschwerdeführenden Gesellschaft auf "Anberaumung einer mündlichen Verhandlung "gemäß § 173 Abs 1 BVergG 2002" als unzulässig zurückzuweisen, damit begründet, dass das Bundesvergabegesetz 2002 (BVergG 2002), BGBl. I 99/2002, auf das gegenständliche Verfahren "mit Ausnahme der Übergangsbestimmung und der Bestimmungen über die Organisation des Bundesvergabeamtes nicht zur Anwendung gelangt", weshalb auch der Antrag auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung "nach § 173 Abs 1 BVergG 2002 mangels Anwendbarkeit dieser Bestimmung und wegen des Fehlens einer vergleichbaren Bestimmung im BVergG 1997" unzulässig sei.

Die auf die Nichtigerklärung von Auftraggeberentscheidungen abzielenden Nachprüfungsanträge wären (Spruchpunkte A.2. und A.3. des angefochtenen Bescheides) wegen "Unzuständigkeit" zurückzuweisen, weil auf Grund der Übergangsbestimmung des § 188 BVergG 2002 auf das vorliegende Nachprüfungsverfahren das BVergG 1997 "idF BGBl. I Nr. 136/2001" anzuwenden sei. Diese vom Gesetzgeber explizit verbindlich erklärte Fassung des BVergG 1997 gelte gemäß dessen § 6 Abs 1 für die Vergabe von Bauaufträgen nur dann, wenn der geschätzte Auftragswert ohne USt. mindestens € 5 Mio. betrage. Dieser Schwellenwert wäre im vorliegenden Fall nicht erreicht.

Da mit der Entscheidung des BVA über die Nachprüfungsanträge das Nachprüfungsverfahren abgeschlossen sei, erachtet sich das BVA (seine Begründung auf das Wesentliche zusammengefasst) auch nicht (mehr) zur Erlassung einstweiliger Verfügungen zuständig: Auch der darauf abzielende Antrag der beschwerdeführenden Gesellschaft sei deshalb (mit den Spruchpunkten B.1. und B.2. des angefochtenen Bescheides) "als unzulässig" zurückzuweisen.

2. Die beschwerdeführende Gesellschaft verweist in ihrem Beschwerdevorbringen darauf, dass der Verfassungsgerichtshof mit Erkenntnis VfSlg. 16.445/2002 die vom BVA herangezogene Schwellenwertregelung des § 6 Abs 1 BVergG 1997 als verfassungswidrig aufgehoben habe. Die Anwendung dieser Bestimmung in der Fassung vor der Aufhebung durch den Verfassungsgerichtshof stelle eine denkunmögliche Gesetzesanwendung dar; vielmehr wäre das BVergG 1997 in der der maßgeblichen Letztfassung, BGBl. I 61/2002, anzuwenden gewesen. Das BVA habe der beschwerdeführenden Gesellschaft jeden vergabespezifischen Rechtsschutz verweigert und sie dadurch in ihrem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz sowie auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt. Sollte § 188 Abs 3 BVergG 2002 einer verfassungskonformen Interpretation in diesem Sinne nicht zugänglich sein, erachte man die Bestimmung als verfassungswidrig.

3. a) Das Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter wird durch den Bescheid einer Verwaltungsbehörde verletzt, wenn die Behörde eine ihr gesetzlich nicht zukommende Zuständigkeit in Anspruch nimmt (zB VfSlg. 15.372/1998, 15.738/2000, 16.066/2001, 16.298/2001 und 16.717/2002) oder wenn sie in gesetzwidriger Weise ihre Zuständigkeit ablehnt, etwa indem sie zu Unrecht eine Sachentscheidung verweigert (zB VfSlg. 15.482/1999, 15.858/2000, 16.079/2001 und 16.737/2002).

b) Mit Art 2 des Bundesgesetzes BGBl. I 99/2002 hat der Bundesgesetzgeber ein neues Bundesvergabegesetz (BVergG 2002) erlassen, welches das bis dahin geltende BVergG 1997 ersetzen sollte. Das BVergG 2002 trat gemäß § 188 Abs 6 Z 1 BVergG 2002 mit in Kraft, gleichzeitig trat gemäß Z 3 leg. cit. das BVergG 1997 außer Kraft. Am beim BVA anhängige Verfahren sollten aber nach den Bestimmungen des "BVergG 1997, BGBl. I Nr. 56, in der Fassung BGBl. I Nr. 136/2001" fortgeführt werden (§188 Abs 3 erster Satz BVergG 2002). Der unter der Überschrift "In-Kraft-Tretens-, Außer-Kraft-Tretens- und Übergangsvorschriften" stehende und mit in Kraft getretene § 188 Abs 3 BVergG 2002 bestimmt im Einzelnen Folgendes:

"(3) Am beim Bundesvergabeamt anhängige Verfahren sind vom Bundesvergabeamt nach den Bestimmungen des BVergG 1997, BGBl. I Nr. 56, in der Fassung BGBl. I Nr. 136/2001, fortzuführen. [...]"

In seiner Entscheidung vom , B1843/02-9, hat der Verfassungsgerichtshof die Ansicht vertreten, dass es im Gesetzgebungsprozess zur Schaffung des BVergG 2002 in § 188 Abs 3 erster Satz offenkundig verabsäumt wurde, auf die zuletzt gültige Fassung des BVergG 1997 - nämlich jene, die das BVergG 1997 durch BGBl. I Nr. 61/2002 (Kundmachung der Aufhebung näher bezeichneter Schwellenwert-Bestimmungen durch den Verfassungsgerichtshof) erhalten hat - zu verweisen. Der Gesetzgeber schien davon ausgegangen zu sein, dass die Fassung BGBl. I Nr. 136/2001 die letztgültige Fassung des BVergG 1997 vor In-Kraft-Treten des (neuen) BVergG 2002 darstellen würde. Den Materialien (AB 1118 BlgNr. XXI. GP) ließe sich - so der Verfassungsgerichtshof in der zitierten Entscheidung weiter - auch kein Hinweis dafür entnehmen, dass für ab anhängige Verfahren bereits als verfassungswidrig erkannte Schwellenwerte über das vom Verfassungsgerichtshof angeordnete Außer-Kraft-Tretens-Datum (, vgl. VfSlg. 16.445/2002) hinaus (neuerlich) verbindlich erklärt werden sollten. Eine solche Anordnung durch den Gesetzgeber wäre auch verfassungswidrig.

Schon in verfassungskonformer Interpretation des § 188 Abs 3 BVergG 2002 und eingedenk des Umstands, dass eine Behörde ihre Zuständigkeit stets im Entscheidungszeitpunkt zu beurteilen hat, hätte das BVA daher auch im vorliegenden Fall eine meritorische Entscheidung über die Nachprüfungsanträge (Spruchpunkte A.2. und A.3.) nicht verweigern dürfen. Durch die Zurückweisung der Anträge hat das BVA eine ihm gesetzlich eingeräumte Zuständigkeit nicht angenommen und dadurch die beschwerdeführende Gesellschaft in ihrem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt.

Die Spruchpunkte A.2. und A.3. waren daher - wie die mit ihnen systematisch zusammenhängenden Spruchpunkte B.1. und B.2. - aufzuheben.

c) Hingegen hegt der Verfassungsgerichtshof keine Bedenken dagegen, dass der ausdrücklich auf "§173 BVergG 2002" gestützte Antrag auf Anberaumung einer mündlichen Verhandlung (mit Spruchpunkt A.1.) als "unzulässig zurückgewiesen" wurde: Das BVA kann die Übergangsbestimmung des § 188 BVergG verfassungsrechtlich unbedenklich so verstehen, dass das BVergG 2002 nur im Hinblick auf die Organisation des BVA, nicht aber in nachprüfungs-verfahrensrechtlicher Hinsicht zur Anwendung gelangt (vgl. auch ).

4. Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 erster Satz VfGG ohne vorangegangene mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung gefasst werden.

Der Kostenzuspruch gründet sich auf § 88 VfGG. Die der beschwerdeführenden Gesellschaft zugesprochenen Kosten entsprechen dem Anteil ihres Obsiegens. In ihnen ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 261,60 sowie eine Eingabengebühr gemäß § 17a VfGG in der Höhe von € 180,-- enthalten.