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OGH vom 25.05.2011, 8ObS6/11g

OGH vom 25.05.2011, 8ObS6/11g

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Spenling als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Kuras und Dr. Brenn sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Rolf Gleißner und Franz Kisling als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei M***** S*****, gegen die beklagte Partei IEF Service GmbH, *****, vertreten durch die Finanzprokuratur, 1011 Wien, Singerstraße 17 19, wegen Insolvenz Entgelt (2.349 EUR netto), über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen vom , GZ 7 Rs 98/10y 13, mit dem das Urteil des Landesgerichts St. Pölten als Arbeits und Sozialgericht vom , GZ 6 Cgs 158/09f 8, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass sie lauten:

Das Klagebegehren, die beklagte Partei sei schuldig, der klagenden Partei 2.349 EUR netto zu zahlen, wird abgewiesen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger war vom bis als Bauarbeiter beim Unternehmer M***** L***** beschäftigt. Das Dienstverhältnis, auf das der Kollektivvertrag für Pflasterer (Stand ) zur Anwendung gelangte, wurde zum durch Arbeitgeberkündigung beendet. Der Lohn für September 2008 wurde dem Kläger erst am ausgezahlt; ein Dienstzeugnis wurde ihm nicht ausgestellt.

Am wurde die Eröffnung des Konkursverfahrens über das Vermögen des Arbeitgebers vom Konkursgericht gemäß § 68 KO abgelehnt. Mit Antrag vom begehrte der Kläger die Gewährung von Insolvenz-Entgelt für den Lohn vom 13. 9. bis einschließlich anteiliger Weihnachtsremuneration. Mit Bescheid vom lehnte die Beklagte diesen Antrag ab.

Der Kläger begehrte die Zahlung von 2.349 EUR netto. Da der rückständige Lohn erst am bezahlt worden sei, habe er bis zu diesem Zeitpunkt Anspruch auf Lohnfortzahlung gemäß § 9 Abs 2 des Kollektivvertrags. Schadenersatzansprüche, die aus der Verletzung einer Haupt- oder Nebenpflicht des Dienstverhältnisses abgeleitet würden, hätten ihren Entstehungsgrund im Arbeitsverhältnis. Der erforderliche Sachzusammenhang zum Arbeitsverhältnis sei gegeben, weshalb die Ansprüche nach § 1 Abs 2 Z 2 IESG gesichert seien.

Die Beklagte entgegnete, dass der Schadenersatzanspruch nach § 9 Abs 2 des Kollektivvertrags nicht gesichert sei, weil nach den Insolvenzgesetzen nur vermögensrechtliche Forderungen anmeldungsfähig seien. Dies gelte nicht für Ansprüche auf persönliche Leistungen, wie die Ausstellung eines Dienstzeugnisses oder die Ausfolgung von Arbeitspapieren. Ein Verzugsschaden aus der nicht rechtzeitigen Zahlung des Entgelts sei nur im Rahmen der im IESG geregelten Verzugszinsen gesichert.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Beim Anspruch nach § 9 Abs 2 Satz 2 des anzuwendenden Kollektivvertrags handle es sich dem Wesen nach um eine Konventionalstrafe als Druckmittel gegen den Arbeitgeber zur Einhaltung der arbeitsvertraglichen Pflichten. Aufgrund der Regelung in Satz 3 leg cit sei auch ein die Konventionalstrafe übersteigender konkreter Schaden ersatzpflichtig. Der Kläger stütze seinen Anspruch auf die Verletzung der Entgeltzahlungspflicht durch den Arbeitgeber. Dabei handle es sich um eine der Hauptforderungen aus dem Arbeitsverhältnis. Der geltend gemachte Anspruch wegen Vorenthaltung des Entgelts sei daher nach § 1 Abs 2 Z 2 IESG gesichert.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung. Der Kläger habe seinen Anspruch nicht aus der Nichtausfolgung der Arbeitspapiere, sondern aus der Nichtzahlung bzw verspäteten Auszahlung des offenen Entgelts abgeleitet. Es gehe somit weder um einen substituierten (persönlichen) Anspruch noch um einen Verzugsschaden, sondern um einen direkt aus einer kollektivvertraglichen Regelung zustehenden Schadenersatzanspruch. Anhaltspunkte für eine Umgehung seien nicht erkennbar. Die ordentliche Revision sei zulässig, weil zur Frage, ob der in § 9 Abs 2 Satz 2 des anzuwendenden Kollektivvertrags vorgesehene Schadenersatzanspruch des Arbeitnehmers nach dem IESG gesichert sei, keine höchstgerichtliche Rechtsprechung bestehe.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision der Beklagten, mit der sie die Abweisung des Klagebegehrens anstrebt.

Der Kläger hat keine Revisionsbeantwortung erstattet.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist aus den vom Berufungsgericht angeführten Gründen zulässig. Sie ist auch berechtigt.

1.1 Vorweg wird darauf hingewiesen, dass die zugrunde liegende kollektivvertragliche Norm des § 9 Abs 2 Satz 2 des anzuwendenden Kollektivvertrags (Stand ) in die neue Fassung des Kollektivvertrags (Stand : nunmehr § 8) nicht übernommen wurde.

1.2 Auch wenn sich die Beklagte in der Revision in erster Linie auf die Sittenwidrigkeit der angeführten Norm sowie darauf beruft, dass die Aushändigung der Arbeitspapiere einen nicht vermögensrechtlichen Anspruch auf eine persönliche Leistung betreffe, weist sie doch auch darauf hin, dass der Verzögerungsschaden durch die gesetzlichen Verzugszinsen abgedeckt sei und nur im Rahmen der Regelungen des IESG über die Verzinsung gesicherter Ansprüche begehrt werden könne. Damit zeigt die Beklagte im Ergebnis einen berechtigten Einwand auf.

2.1 Der Zweck des IESG besteht nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs in einer sozialversicherungsrechtlichen Sicherung von Entgeltansprüchen und sonstigen aus dem Arbeitsverhältnis erwachsenden Ansprüchen von Arbeitnehmern im Falle der Insolvenz ihres Arbeitgebers. Versichertes Risiko ist demnach im Kernbereich die von den Arbeitnehmern typischerweise nicht selbst abwendbare und absicherbare Gefahr des gänzlichen oder teilweisen Verlusts ihrer Entgeltansprüche, auf die sie typischerweise zur Bestreitung des eigenen Lebensunterhalts sowie des Lebensunterhalts ihrer unterhaltsberechtigten Angehörigen angewiesen sind (RIS Justiz RS0076409). Mit Rücksicht auf diese Zielsetzung hat der Gesetzgeber bestimmte Kategorien von Ansprüchen als gesicherte Ansprüche anerkannt und in § 1 Abs 2 IESG aufgenommen. Dazu ist in der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs der Grundsatz anerkannt, dass dann, wenn im IESG eine speziellere Regelung besteht, nicht auf die allgemeinere Regelung über die Sicherung von Schadenersatzansprüchen nach § 1 Abs 2 Z 2 IESG zurückgegriffen werden darf (RIS-Justiz RS0120409). Daraus folgt, dass ein geltend gemachter Anspruch einer in § 1 Abs 2 IESG normierten Anspruchsart zugeordnet werden muss; eine Umgehung ist unzulässig.

2.2 Der Kläger stützte sich zunächst auf „laufendes Entgelt“ vom bis einschließlich Weihnachtsremuneration. Bei den Forderungen handle es sich um eine Lohnfortzahlung, die aus der kollektivvertraglichen Regelung resultiere. In der Folge führte der Kläger aus, dass sich sein Schadenersatzanspruch aus der Verletzung der Entgeltzahlungspflicht des Arbeitgebers ableite, sodass der Sachzusammenhang des Anspruchs mit dem Dienstverhältnis gegeben sei. Der Kollektivvertrag lege dem Dienstgeber bei schuldhafter Verzögerung der Lohnauszahlung sowie bei schuldhaft verspäteter Ausfolgung der Arbeitspapiere eine Schadenersatzverpflichtung auf, die im Sinn einer Verlängerung der Kündigungsfrist bis zum Aushändigungstag zu deuten sei.

Die Beklagte vertritt die Ansicht, dass der Kollektivvertrag nicht die Verlängerung der Kündigungsfrist, sondern einen Schadenersatzanspruch gegen den Arbeitgeber normiere, wenn dieser den Arbeitslohn und die Arbeitspapiere nicht sofort aushändige.

2.3 Der Begriff „laufendes Entgelt“ iSd IESG ist im weiteren Sinn zu verstehen. Allgemein werden dazu die zeitbezogenen Ansprüche des Arbeitnehmers gezählt, die ihm für die Zurverfügungstellung seiner Arbeitskraft als Erfüllung des zweiseitigen Arbeitsvertrags zustehen. Dieser Bezug kann etwa durch periodische Fälligkeit bei für einen bestimmten Zeitraum gebührenden und fortlaufend anwachsenden Ansprüchen, aber auch durch Erfüllung einer bestimmten Wartezeit bei einmaligen Leistungen hergestellt werden (8 ObS 1/10w). Für die Sicherungsfähigkeit nach § 1 Abs 2 Z 1 IESG ist somit die tatsächliche Funktion der Entgeltleistung als Gegenleistung des Arbeitgebers für die Überlassung der Arbeitskraft des Arbeitnehmers maßgebend. „Laufendes Entgelt“ setzt demnach ein Synallagma zu den vom Arbeitnehmer tatsächlich erbrachten Arbeitsleistungen voraus (8 ObS 5/03y). In Betracht kommen Ansprüche auf den laufenden Lohn sowie auf andere Entgeltarten aus dem aufrechten Arbeitsverhältnis ( Liebeg , IESG 3 § 1 Rz 346).

2.4 Die vom Kläger geltend gemachten Ansprüche beziehen sich auf die Zeit nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Eine vom Kläger ursprünglich argumentierte Verlängerung der Kündigungsfrist kann aus der in Rede stehenden Regelung des Kollektivvertrags nicht abgeleitet werden, weil sie ausdrücklich auf eine Pflichtverletzung des Arbeitgebers bei der Lösung des Arbeitsverhältnisses anknüpft. Ein Anspruch des Klägers aus der Sicherung als „laufendes Entgelt“ scheidet somit aus. Überlegungen zu den Voraussetzungen für die Sicherungsfähigkeit von Entgeltansprüchen aus der Beendigung des Arbeitsverhältnisses hat der Kläger nicht angestellt.

3.1 In Bezug auf (sonstige) Schadenersatzansprüche (abgesehen von der Kündigungsentschädigung) hat der Oberste Gerichtshof in der Grundsatzentscheidung 8 ObS 141/01w ausgesprochen, dass die in § 1 Abs 2 Z 2 IESG vorgesehene Sicherung von Schadenersatzansprüchen „aus einem Arbeitsverhältnis“ keine Ansprüche erfasst, die vor dem vorgesehenen Arbeitsbeginn, etwa aus einem davor liegenden unberechtigten Rücktritt vom Arbeitsvertrag, entstehen. Auch die Sicherungsfähigkeit von (sonstigen) Schadenersatzansprüchen setzt demnach grundsätzlich voraus, dass sie aus dem Vollzug des Arbeitsverhältnisses resultieren (vgl Liebeg aaO Rz 276). Zudem muss der Schadenersatzanspruch aus der Verletzung einer Haupt- oder Nebenpflicht des Dienstverhältnisses ableitbar sein (RIS-Justiz RS0120403; RS0076382). Dementsprechend sind nur jene Ansprüche gesichert, die mit den ein Arbeitsverhältnis kennzeichnenden Haupt- und Nebenpflichten in einem solchen Sachzusammenhang stehen, dass davon ausgegangen werden kann, die Ansprüche hätten ihren Entstehungsgrund letztlich im Arbeitsverhältnis (8 ObS 24/05w).

3.2 In diesem Zusammenhang beruft sich der Kläger auf die Verzögerung der Entgeltzahlung. Eine nähere Qualifikation zur Art des von ihm geltend gemachten Schadenersatzanspruchs nimmt er nicht vor.

Bei der Verletzung der Entgeltzahlungspflicht liegt die Annahme eines Verzögerungsschadens nahe. In der Entscheidung 8 ObS 24/05w wurde dazu allgemein ausgesprochen, dass sich aus dem Zweck des IESG auch ergäbe, dass der durch die nicht rechtzeitige Entgeltzahlung entstehende „Verzugsschaden“ nur im Rahmen der Regelungen des IESG über die Verzinsung gesicherter Ansprüche geltend gemacht werden könne. Als Hintergrund für diese Beurteilung ist der schon beschriebene Grundsatz zu sehen, dass dann, wenn im IESG eine speziellere Regelung besteht, nicht auf die allgemeinere Regelung über die Sicherung von Schadenersatzansprüchen zurückgegriffen werden darf. Die erwähnte Aussage bezieht sich demnach auf den Verzögerungsschaden, der von den gesetzlichen Verzugszinsen erfasst ist, also auf den Zinsschaden (vgl Reischauer in Rummel 3 § 1333 ABGB Rz 7).

Ein sonstiger Verzögerungsschaden oder überhaupt ein konkreter materieller Vermögensschaden wurde vom Kläger nicht dargelegt; ein solcher ist auch nicht erkennbar. Die Frage nach dem Sachzusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis stellt sich daher nicht.

3.3 Die zugrunde liegende Regelung des Kollektivvertrags bezieht sich auf die Auflösung des Arbeitsverhältnisses, wofür außergewöhnlich kurze Kündigungsfristen vorgesehen sind. Nach ihrer Intention scheint sie eine besondere finanzielle Absicherung des Arbeitnehmers für den Fall anzustreben, dass der Arbeitgeber seine Entgeltverpflichtungen nicht erfüllt und in Verletzung seiner Fürsorgepflicht, die über das Ende des Arbeitsverhältnisses hinausreicht, das berufliches Fortkommen des Arbeitnehmers durch Vorenthalten der Arbeitspapiere negativ beeinflussen kann (vgl Binder in Löschnigg AngG II 8 § 18 Rz 251). Zudem kann die Regelung als Druckmittel gesehen werden, um Verzögerungen mit der Lohnzahlung und der Aushändigung der Arbeitspapiere zu verhindern. Die in Rede stehende kollektivvertragliche Regelung ist daher am ehesten als Schadenersatzregelung im Sinn einer Konventionalstrafenvereinbarung zu qualifizieren.

Für die Beurteilung der Sicherungsfähigkeit nach dem IESG muss auch in einem solchen Fall am dahinter stehenden, mit dem pauschalierten Ersatzanspruch abgegoltenen Schaden angeknüpft werden, weil durch eine Vereinbarung keine zusätzlichen Anspruchskategorien in den gesetzlichen Katalog gesicherter Ansprüche eingeführt werden können.

4. Auf sonstige Ansprüche nach § 1 Abs 2 Z 3 IESG hat sich der Kläger nicht berufen. Mit diesem Auffangtatbestand werden nur solche Ansprüche erfasst, die nicht zu den Entgelt- oder Schadenersatzansprüchen zählen ( Liebeg aaO Rz 419).

5. Da die vom Kläger geltend gemachten Ansprüche weder als Entgeltansprüche iSd § 1 Abs 2 Z 1 IESG noch als Schadenersatzansprüche iSd § 1 Abs 2 Z 2 leg cit gesichert sind, war das Klagebegehren abzuweisen.

Auf die Frage der Sittenwidrigkeit der zugrunde liegenden Norm des § 9 Abs 2 Satz 2 des anzuwendenden Kollektivvertrags sowie auf die Überlegungen der Beklagten zur Aushändigung der Arbeitspapiere als nicht vermögensrechtlicher Anspruch auf eine persönliche Leistung muss nicht mehr eingegangen werden.

6. Zusammenfassend ergibt sich:

Ein nach den Bestimmungen des IESG geltend gemachter Anspruch muss einer im Gesetz normierten Kategorie gesicherter Ansprüche zugeordnet werden. „Laufendes Entgelt“ setzt ein Synallagma zu den vom Arbeitnehmer tatsächlich erbrachten Arbeitsleistungen voraus. Auch die Sicherungsfähigkeit von (sonstigen) Schadenersatzansprüchen setzt grundsätzlich voraus, dass sie aus dem Vollzug des Arbeitsverhältnisses resultieren. Dies gilt auch dann, wenn dem geltend gemachten Anspruch eine Konventionalstrafenvereinbarung zugrunde liegt.

Da die Entscheidungen der Vorinstanzen mit diesen Grundsätzen nicht im Einklang stehen, waren diese in Stattgebung der Revision im Sinn einer Abweisung des Klagebegehrens abzuändern.

Eine Kostenentscheidung war entbehrlich, weil dem Kläger, der sich am Revisionsverfahren nicht beteiligt hat, im gesamten Verfahren keine relevanten Verfahrenskosten entstanden sind.