OGH vom 13.06.2017, 10ObS69/17w
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Univ.Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden, den Hofrat Dr. Schramm, die Hofrätin Dr. Grohmann sowie die fachkundigen Laienrichterinnen Mag. Claudia Gründel (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Angela Taschek (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei G*****, vertreten durch seinen Sachwalter Dr. Helmut Salzbrunn, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt, 1021 Wien, Friedrich-Hillegeist-Straße 1, wegen Berufsunfähigkeitspension, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen vom , GZ 10 Rs 78/16p55, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Text
Begründung:
Der im Juli 1982 geborene Kläger stellte am einen Antrag auf Zuerkennung einer Berufsunfähigkeitspension.
Er hat im Zeitraum von Oktober 1997 bis November 2009 12 Versicherungsmonate, davon acht im Rahmen von Erwerbstätigkeit, einen Ersatzmonat und drei Monate der Teilversicherung nach dem APG erworben.
Die acht Versicherungsmonate im Rahmen von Erwerbstätigkeit gliedern sich in:
10/1997 – 11/1997: Umschulung im Rahmen des AMFG vom bis
04/1998 – 06/1998: Umschulung im Rahmen des AMFG vom bis
12/2003 – 12/2003: Beschäftigung vom bis
07/2008 – 07/2008: Beschäftigung vom bis
11/2009 – 11/2009: Beschäftigung am .
Bei den Zeiten der Umschulung handelte es sich nicht um Beschäftigungsverhältnisse am freien Arbeitsmarkt, sondern um die Teilnahme an der Integrationsmaßnahme des Arbeitsmarktservice Wien („AMS“) „Elementarvoraussetzungen für berufliche Einstiegschancen für behinderte Jugendliche“. Die Integrationsmaßnahme in den Monaten Oktober und November 1997 konnte wegen der Erkrankung des Klägers und einer daraus resultierenden stationären Aufnahme im Allgemeinen Krankenhaus der Stadt Wien, Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie, am nicht fortgesetzt werden. Der stationäre Aufenthalt dauerte bis .
Der Kläger war im Oktober 1997 am allgemeinen Arbeitsmarkt nicht arbeitsfähig. Er hatte bereits zu diesem Zeitpunkt an einer Erkrankung in Form einer rezidivierenden paranoidhalluzinatorischen Psychose gelitten, die damals wie heute die Ursache seines eine Tätigkeit am allgemeinen Arbeitsmarkt ausschließenden Leistungskalküls darstellt.
Auch für den Dezember 2003 kann eine Arbeitsfähigkeit am allgemeinen Arbeitsmarkt nicht festgestellt werden.
Die Erkrankung des Klägers verläuft in Schüben. Ein Schub kann jederzeit auftreten. Allerdings können auch ununterbrochene Zeiträume von etwa zwei bis drei Jahren ablaufen, in welchen keine Störung auftritt und auch kein Krankenstand zu prognostizieren wäre. Kommt es allerdings zu einem Schub und als dessen Konsequenz zu einem stationären Aufenthalt, ist drei Monate davor und etwa ein Jahr danach wiederum keine Arbeitsfähigkeit gegeben.
In den Intervallen, die seit Oktober 1997 bis zum Schluss der Verhandlung erster Instanz mit hoher Wahrscheinlichkeit gegeben waren, hätte der Kläger mit seinem eingeschränkten Leistungskalkül Hilfskraft-Berufstätigkeiten wie zB Büroreinigungskraft im Bereich der Unterhaltsreinigung verrichten können.
Eine zeitliche Determinierung dahin, wann Arbeitsfähigkeit im Intervall eingetreten ist und wie lange sie jeweils gedauert hat, ist nicht möglich.
Mit dem angefochtenen Urteil bestätigte das Berufungsgericht die klagsabweisende Entscheidung des Erstgerichts.
Rechtliche Beurteilung
Die außerordentliche Revision des Klägers zeigt keine Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO auf:
1. Entgegen der Ansicht des Revisionswerbers hat sich das Berufungsgericht bei der Beurteilung des Eintritts des Klägers in das Erwerbsleben von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs nicht entfernt.
Nach § 236 Abs 4 Z 3 ASVG ist die Wartezeit für eine Leistung aus einem Versicherungsfall der geminderten Arbeitsfähigkeit auch dann erfüllt, wenn der Versicherungsfall vor der Vollendung des 27. Lebensjahres des Versicherten eingetreten ist und bis zu diesem Zeitpunkt mindestens sechs Versicherungsmonate, die nicht auf einer Selbstversicherung gemäß § 16a ASVG beruhen, erworben sind.
Der Versicherungsfall der geminderten Arbeitsfähigkeit setzt nach § 255 Abs 1 bis 4 ASVG nach ständiger Rechtsprechung (10 ObS 45/13k mwN; RISJustiz RS0085107) voraus, dass sich der körperliche oder geistige Zustand des Versicherten nach dem Beginn einer Erwerbstätigkeit in einem für die Arbeitsfähigkeit im wesentlichen Ausmaß verschlechtert hat. Es ist daher immer auch entscheidungswesentlich, ob der Kläger ursprünglich arbeitsfähig war und seine Arbeitsfähigkeit durch eine nachträglich eingetretene Verschlechterung beeinträchtigt wurde („herabgesunken“ ist). Ein bereits vor Beginn der Erwerbstätigkeit eingetretener und damit in das Versicherungsverhältnis mitgebrachter, im Wesentlichen unveränderter körperlicher oder geistiger Zustand kann nicht zum Eintritt des Versicherungsfalls der geminderten Arbeitsfähigkeit führen.
Maßgebend für den Zeitpunkt des Eintritts in das Berufsleben (Erwerbsleben) ist die „erstmalige Aufnahme einer die Pflichtversicherung begründenden Beschäftigung“ (vgl § 255 Abs 7 ASVG;10 ObS 45/13k; RISJustiz RS0085107 [T13]). Auf der Grundlage unter anderem der Entscheidung 10 ObS 45/13k hat das Berufungsgericht zutreffend verneint, dass der Kläger bereits mit der Teilnahme an der Integrationsmaßnahme des AMS im Oktober 1997 in das Erwerbsleben eingetreten ist, handelt es sich doch bei dieser „Betreuung durch das Arbeitsmarktservice“ (so der Revisionswerber) schon nach dem Titel der Integrationsmaßnahme um eine Veranstaltung, mit der die Arbeitssuche des Klägers nach dem Ende seiner Schulpflicht gefördert werden sollte. Der Besuch von Schulungsmaßnahmen nach dem AMFG bedeutet nach der Rechtsprechung (10 ObS 105/12g, SSVNF 26/65; 10 ObS 45/13k) keinen Eintritt in das Erwerbsleben, auch wenn damit die Begründung einer Pflichtversicherung verbunden ist.
Dass – wie der Revisionswerber behauptet – das AMS an der Arbeitsfähigkeit des Klägers keine Zweifel hatte, ist schon deshalb nicht erheblich, weil Gerichte an eine solche Einschätzung nicht gebunden sind.
2. Der Gesetzgeber verfolgt mit der Invaliditätspension nach § 255 Abs 1 bis 4 ASVG einerseits und dem Pensionsanspruch nach § 255 Abs 7 ASVG andererseits unterschiedliche Ziele. Während im ersten Fall der Schutz des Versicherten vor den Auswirkungen einer körperlich oder geistig bedingten Herabsetzung seiner Arbeitsfähigkeit bezweckt wird, also das Risiko einer körperlich oder geistig bedingten Leistungsminderung ausgeglichen werden soll, geht es im zweiten Fall darum, eine trotz originärer Arbeitsunfähigkeit für eine lange Zeit erbrachte Arbeits und Beitragsleistung durch Zuerkennung eines Pensionsanspruchs zu honorieren und dadurch auch die langfristige Integration behinderter Menschen in den Arbeitsprozess zu fördern (10 ObS 6/14a, SSVNF 28/9). Von einer uneinheitlichen Judikatur im Zusammenhang mit § 236 Abs 4 Z 3 ASVG und § 255 Abs 7 ASVG kann daher keine Rede sein.
Zusatzinformationen
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ECLI: | ECLI:AT:OGH0002:2017:010OBS00069.17W.0613.000 |
Schlagworte: | 1 Generalabonnement,12 Sozialrechtssachen |
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