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VfGH vom 09.10.1985, B168/85

VfGH vom 09.10.1985, B168/85

Sammlungsnummer

10616

Leitsatz

Art140 B-VG; maßgeblicher Beginn des Normenprüfungsverfahrens, zu dem ein Beschwerdeverfahren anhängig gewesen sein muß, um noch einem Anlaßfall gleichgestellt zu werden, kann (infolge der Nov. BGBl. 297/1984) nur der Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung, bei Unterbleiben einer solchen der Beginn der nichtöffentlichen Beratung sein; Aufhebung des angefochtenen Bescheides wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes

Spruch

Die bf. Gesellschaft ist durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Unversehrtheit des Eigentums verletzt worden.

Der Bescheid wird aufgehoben.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. Die bf. KG betrieb bis 1983 ein in den Jahren 1976 bis 1978 errichtetes Ferienhotel. Im November 1983 wurde die Gesellschaft aufgelöst und eine Realteilung des Betriebsvermögens in der Weise vorgenommen, daß die einzelnen Appartements des Hotels den einzelnen Kommanditisten ins Eigentum übertragen wurden. Das Finanzamt berichtigte in der Folge die ab 1976 geltend gemachten Vorsteuern in Höhe von 346524 S gemäß § 6 Z 9 lita UStG iVm. § 12 Abs 10 UStG. Die dagegen erhobene Berufung verwarf die Finanzlandesdirektion mit Bescheid vom , der dem Vertreter der bf. Gesellschaft noch am selben Tag zugestellt wurde.

Zu diesem Zeitpunkt waren beim VfGH schon Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit des § 6 Z 9 lita UStG anhängig (G138/84 ua.). Die Ausschreibung zur mündlichen Verhandlung in diesen Verfahren war bereits am 12. Feber 1985 erfolgt (ihr hatten sich noch Ausschreibungen am 25. Feber 1985 und am angeschlossen).

Die vorliegende Beschwerde wurde noch am Tage der Zustellung des angefochtenen Bescheides, dem eingebracht. Sie rügt die Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Unversehrtheit des Eigentums wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes, macht sich die Bedenken zu eigen, die den VfGH zur Einleitung der genannten Gesetzesprüfungsverfahren veranlaßt haben, und möchte als Anlaßfall dieser Verfahren gewertet werden, die in der Folge in das Erk. vom mündeten, womit § 6 Z 9 lita UStG als verfassungswidrig aufgehoben und als Tag des Inkrafttretens der Aufhebung der 28. Feber 1986 bestimmt wurde.

II. Die Beschwerde ist begründet.

Gemäß Art 140 Abs 7 B-VG ist ein aufgehobenes Gesetz auf die vor der Aufhebung verwirklichten Tatbestände mit Ausnahme des Anlaßfalles anzuwenden, sofern der VfGH nicht in seinem aufhebenden Erk. anderes ausspricht. In ständiger Rechtsprechung folgt der Gerichtshof daraus, daß die Verfassungswidrigkeit einer aufgehobenen Norm außerhalb von Anlaßfällen nicht mehr geltend gemacht werden kann, die Rechtslage also insoweit unangreifbar geworden ist (VfSlg. 8249/1978, 8277/1978, 8632/1979 und 9321/1982). Das würde nach der bisherigen Praxis auch für den vorliegenden Beschwerdefall gelten:

Im Erk. VfSlg. 10067/1984 hat der Gerichtshof in Abkehr von seiner früheren Rechtsprechung seit der B-VG-Nov. 1975 zwar ausgesprochen, daß dem in Art 140 Abs 7 B-VG genannten Anlaßfall im engeren Sinn (anläßlich dessen das Gesetzesprüfungsverfahren tatsächlich eingeleitet worden ist) all jene Fälle gleichgehalten werden müßten, die im Zeitpunkt der Ausschreibung der Verhandlung im Gesetzesprüfungsverfahren bereits anhängig geworden sind. Auch diese Voraussetzung ist aber hier nicht erfüllt.

Die Beschwerde macht indes gegen das Abstellen auf die Ausschreibung der mündlichen Verhandlung geltend, daß sich dieser Zeitpunkt nicht aus der Verfassung ergebe und daß aufgrund der Änderung des VfGH-Gesetzes im Gefolge der B-VG-Nov. 1984 seit auch im Normenprüfungsverfahren möglicherweise keine mündliche Verhandlung stattfinde (und daher auch nicht ausgeschrieben werde). Außerdem komme es häufig - wie auch in den hier bedeutsamen Gesetzesprüfungsverfahren - zu mehreren Ausschreibungen. Stichtag könne daher nur die Verhandlung im Normenprüfungsverfahren sein. Das gleiche Ergebnis sei a majori ad minus auch aus VfSlg. 5189/1965 abzuleiten, wonach bei Unterbleiben der Kundmachung der Aufhebung einer Norm ein neues Verfahren so zu behandeln sei, als ob es Anlaßfall gewesen wäre.

Aus VfSlg. 5189/1965 kann die Beschwerde zwar nichts gewinnen, weil es in diesem Erk. um die Frage ging, welche Folgen es für nach der Aufhebung verwirklichte Tatbestände hat, wenn die unverzügliche Kundmachung der (nicht befristeten) Aufhebung der Norm unterbleibt. Ein Zusammenhang mit Fällen, die vor der Aufhebung verwirklicht wurden, ist schlechterdings ausgeschlossen.

Hingegen ist die Beschwerde mit dem Hinweis auf die Änderungen in der Regelung des verfassungsgerichtlichen Verfahrens im Recht. IdF der Nov. BGBl. 297/1984 erlaubt § 19 Abs 4 VerfGG das Absehen von einer mündlichen Verhandlung grundsätzlich auch im Normenprüfungsverfahren.

Unter diesen Umständen kann an dem schon im Erk. VfSlg. 6941/1972 aus der (fiktiven) Möglichkeit der förmlichen Einbeziehung in das Verfahren abgeleiteten Stichtag der Ausschreibung der mündlichen Verhandlung im Normenprüfungsverfahren nicht mehr für alle Fälle festgehalten werden. Zwischen Fällen, in denen eine mündliche Verhandlung stattfindet, und solchen, in denen dies nicht geschieht, derart zu unterscheiden, findet der Gerichtshof aber angesichts des fiktiven Charakters der möglichen Einbeziehung eines Beschwerdefalles in das Normenprüfungsverfahren keine zureichenden Gründe. Der maßgebliche Beginn des Normenprüfungsverfahrens, zu dem ein Beschwerdeverfahren anhängig gewesen sein muß, um noch einem Anlaßfall gleichgestellt zu werden, kann jetzt nur der Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung, bei Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung der Beginn der nichtöffentlichen Beratung sein.

Die mündliche Verhandlung im Gesetzesprüfungsverfahren, das zur Aufhebung des § 6 Z 9 lita UStG geführt hat, fand am , also zu einem Zeitpunkt statt, zu dem die vorliegende Beschwerde bereits eingelangt war. Nach dem Gesagten ist der Fall daher einem Anlaßfall gleichzuhalten.

Demgemäß wirkt die Aufhebung des Gesetzes sich auch zugunsten der bf. Gesellschaft aus. Es ist offenkundig, daß sie durch Anwendung der verfassungswidrigen Bestimmung im geltend gemachten Grundrecht verletzt wurde. Der angefochtene Bescheid ist daher aufzuheben.

Da von einer mündlichen Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht zu erwarten war, hat der Gerichtshof von einer mündlichen Verhandlung abgesehen (§19 Abs 4 VerfGG idF BGBl. 297/1984).