OGH vom 14.09.1988, 9ObA514/88
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes HonProf. Dr. Kuderna als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Gamerith und Dr. Maier sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Elmar A. Peterlunger und Mag. Wilhelm Patzold als weitere Richter in der Rechtssache der antragstellenden Partei R*** Ö***, vertreten durch die Finanzprokuratur, Wien 1, Singerstraße 17-19, wider den Antragsgegner Ö***
G*** für Gewerkschaft öffentlicher Dienst, Wien 1, Teinfaltstraße 7, vertreten durch den Vorsitzenden, Abgeordneter zum Bundesrat Hofrat Rudolf S***, ebendort, dieser vertreten durch Prof. Dr. Alfred S***, Zentralsekretär der Gewerkschaft öffentlicher Dienst, ebendort, über den gemäß § 54 Abs. 2 ASGG gestellten Feststellungsantrag folgenden
Beschluß
gefaßt:
Spruch
Der Antrag der antragstellenden Partei, festzustellen:
"Die Antragstellerin ist als Dienstgeber von Vertragsbediensteten gemäß § 60 ASVG berechtigt, den auf eine Entgeltzahlung entfallenden ASVG-Beitragsanteil des versicherten Dienstnehmers entweder aus Anlaß der Auszahlung des beitragspflichtigen Entgelts oder bei der nächstfolgenden Entgeltzahlung einzubehalten. Macht der Dienstgeber von dem Einbehaltungsrecht in diesem Umfang verschuldeterweise keinen Gebrauch, erlischt das Recht, den auf den Versicherten entfallenden Beitragsanteil einzufordern. Macht der Dienstgeber von seinem Recht zur Vornahme seines Abzuges aus dem Titel der ASVG-Beitragsleistung unverschuldeterweise nicht oder nicht in vollem Umfang Gebrauch, darf die Einforderung der auf den Versicherten entfallenden Beitragsleistung im Wege der Einbehaltung eines entsprechenden Entgeltteiles nur dergestalt nachgeholt werden, daß bei jeder (einzelnen) Entgeltzahlung nur der Beitrag für eine rückständige Lohnzahlung abgezogen wird."
wird abgewiesen.
Text
Begründung:
Rechtliche Beurteilung
Die Antragstellerin ist gemäß § 7 ArbVG eine kollektivvertragsfähige Körperschaft der Arbeitgeber. Der Antragsgegner ist eine kollektivvertragsfähige Körperschaft der Arbeitnehmer iS des § 4 Abs. 2 ArbVG. Die Kollektivvertragsfähigkeit wurde ihm vom Obereinigungsamt im Jahr 1957 zuerkannt; diese Zuerkennung gilt gemäß § 165 ArbVG auch nach dem Inkrafttreten des Arbeitsverfassungsgesetzes weiter. Beide Parteien sind daher iS des § 54 Abs. 2 erster Satz ASGG als Parteien des gegenständlichen besonderen Feststellungsverfahrens legitimiert.
Die Antragstellerin führt zur Begründung ihres aus dem Spruch ersichtlichen Feststellungsantrages aus, daß die Frage, inwieweit sie als Dienstgeberin von Vertragsbediensteten gemäß § 60 Abs. 1 ASVG das Recht zur Vornahme von Entgeltabzügen habe, mehr als drei Arbeitnehmer betreffe. Diese Frage sei im Vorverfahren 14 Ob A 502/87 (JBl. 1987, 739 = RdW 1988, 21) nur deshalb nicht abschließend geklärt worden, weil sie in ihrem damaligen Gegenantrag nicht zum Ausdruck gebracht habe, daß ihr das Recht zur Vornahme eines Abzuges nach § 60 Abs. 1 Satz 2 ASVG nur zeitlich beschränkt zustehe. Aus dem Zusammenhang zwischen § 49 Abs. 1 und 6 und § 60 ASVG ergebe sich, daß von einer (verschuldeten oder unverschuldeten) Nachzahlung von Beiträgen iS des § 60 ASVG nur gesprochen werden könne, wenn die auf den Versicherten entfallenden Beitragsanteile nicht schon aus Anlaß jener Entgelt(nach)zahlung einbehalten wurden, auf die Beitragspflicht entfalle. Bei Dienstverhältnissen von Vertragsbediensteten komme es aber oft vor, daß Vertragsbedienstete für zurückliegende Zeiträume Entgeltnachzahlungen erhielten: Z.B. durch die Anrechnung von Vordienstzeiten; ferner bei Lehrerdienstverhältnissen durch die Verzögerung der Ausfertigung des Dienstvertrages, weil der Beschäftigungsumfang oder der Vorrückungsstichtag zum Zeitpunkt des Dienstantrittes noch nicht feststehe; durch Änderungen bei der Verrechnung von Mehrdienstleistungen (insbesondere durch Verzögerung von Meldungen); bei Anfechtung von Kündigungen und Entlassungserklärungen, die später vergleichsweise bereinigt würden. In all diesen Fällen erscheine es nicht gerechtfertigt, daß der Dienstgeber die auf das zusätzlich bezahlte Entgelt entfallenden Versicherungsbeiträge aus eigenem zu leisten habe. Adäquate Rechtsfolge sei hier nur die Zahlung von Verzugszinsen. In Anbetracht der Vielzahl der Fälle, in denen es zu einer Entgeltnachzahlung komme, habe die Antragstellerin ein dringendes Interesse, die Unklarheiten in der Auslegung des § 60 Abs. 1 ASVG zu beseitigen.
Der Antragsgegner beantragte, den Feststellungsantrag zurückzuweisen oder abzuweisen, weil sich das Begehren im wesentlichen in der Wiedergabe des Gesetzestextes des § 60 Abs. 1 ASVG mit eigenen Worten erschöpfe, die Antragsbegründung im Feststellungsbegehren nicht zum Ausdruck komme und überdies mit der Rechtslage nicht in Einklang stehe. In jenen Fällen, in denen der Dienstgeber Nachzahlungen leiste, ohne die Möglichkeit gehabt zu haben, die fälligen Beiträge aus Anlaß einer früheren Entgeltzahlung einzubehalten, treffe ihn offenkundig kein Verschulden. Die Antragsgegner strebten aber mit ihrem Feststellungsbegehren an, daß das Wort "verschuldet" im § 60 Abs. 1 ASVG lediglich auf die Berechnung der Höhe der Sozialversicherungsbeiträge, nicht aber auf eine Verzögerung bei der Verrechnung des gesamten Entgelts zu beziehen sei. Diese Ansicht sei verfehlt, weil die Sozialversicherungsbeiträge nicht vom tatsächlich ausgezahlten, sondern vom gebührenden Arbeitsverdienst zu berechnen seien. Der Feststellungsantrag ist nicht berechtigt.
Das Begehren der Antragstellerin weicht von der gesetzlichen Regelung des § 60 Abs. 1 ASVG im wesentlichen nur in der Formulierung ab. Vom Inhalt dieser Bestimmung weicht es allerdings insofern ab, als die Antragsgegnerin aus dieser Bestimmung offenbar das Recht ableitet, den auf den Versicherten entfallenden Beitragsteil vom Entgelt unabhängig von der Frage des Verschuldens an der Verspätung der Entgeltzahlung so lange vom Entgelt abziehen zu dürfen, als dieses nicht zur Auszahlung gebracht worden sei. Dieser Auffassung ist nicht zu folgen. Wie der erkennende Senat bereits in der Begründung der zitierten Vorentscheidung JBl. 1987, 737 = RdW 1988, 21, bei der Behandlung der Bestimmung des § 60 Abs. 1 Satz 3 ASVG (Beschränkung des nachträglichen Abzuges auf die Beiträge für jeweils zwei Lohnzahlungszeiträume) zum Ausdruck gebracht hat, gilt diese Beschränkung nicht, wenn der Dienstgeber auch das Entgelt an den Dienstnehmer, ohne daß ihn daran ein Verschulden trifft, nicht gezahlt und die darauf entfallenden Dienstnehmeranteile daher nicht einbehalten hat. Treffe hingegen den Dienstgeber an der verspäteten Beitragsentrichtung (Entgeltnachzahlung) ein Verschulden, dürfe er sein Abzugsrecht bei sonstigem Verlust nur spätestens bei der auf die Fälligkeit des Beitrages nächstfolgenden Entgeltzahlung ausüben. Damit wurde die Frage, deren Klärung die Antragstellerin nunmehr anstrebt, in dem abweisenden Vorerkenntnis bereits gelöst, ohne daß allerdings damals näher darauf einzugehen war, weil die Antragstellerin die Feststellung des ihr zustehenden Abzugsrechtes ohne jede Einschränkung begehrt hatte.
Den Ausführungen in der Vorentscheidung ist folgendes hinzuzufügen:
Die Sanktion des Verlustes des Rechts, den auf den Versicherten entfallenden Beitragsteil vom Entgelt in barem abzuziehen, ist an die Fälligkeit des Beitrages geknüpft (§ 60 Abs. 1 Satz 2 ASVG). Der Eintritt der Fälligkeit ist nach objektiven Maßstäben zu beurteilen. Gemäß § 44 Abs. 1 ASVG ist Grundlage für die Bemessung der
allgemeinen Beiträge .... für Pflichtversicherte .... der im Beitragszeitraum gebührende .... Arbeitsverdienst. Unter Entgelt
sind gemäß § 49 Abs. 1 ASVG die Geld- und Sachbezüge zu verstehen, auf die der pflichtversicherte Dienstnehmer (Lehrling) aus dem Dienst(Lehr)verhältnis Anspruch hat oder die er darüber hinaus auf Grund des Dienst(Lehr)verhältnisses vom Dienstgeber oder einem Dritten erhält. Das Tatbestandsmerkmal "Fälligkeit des Beitrages" in § 60 Abs. 1 Satz 2 ASVG erhält seine nähere Bestimmung aus § 58 Abs. 1 ASVG, wonach die allgemeinen Beiträge am letzten Tag des Kalendermonats fällig sind, in den das Ende des Beitragszeitraumes fällt. Beitragszeitraum ist gemäß § 44 Abs. 2 ASVG iVm §§ 8 a, 18 Abs. 1 VBG 1948 für den vorliegenden Fall der jeweilige Kalendermonat. In dem nach § 60 Abs. 1 Satz 2 ASVG allein maßgeblichen Verhältnis zwischen dem Dienstgeber und dem Versicherten (Dienstnehmer) tritt die Fälligkeit des Beitrages mit Ende des jeweiligen Kalendermonats ein, für den dem Vertragsbediensteten das Monatsentgelt gebührt. Die weitere Bestimmung des § 58 Abs. 1, wonach die Beiträge nicht zu diesem Zeitpunkt fällig werden, wenn sie vom Träger der Krankenversicherung gemäß § 58 Abs. 3 dem Beitragsschuldner vorgeschrieben werden, betrifft nur das Verhältnis zwischen Beitragsschuldner und Träger der Krankenversicherung, also die Abführung der Beiträge und nicht die Ausübung des Abzugsrechts nach § 60 ASVG.
Daraus folgt, daß sich die Fälligkeit der laufenden Versicherungsbeiträge nicht nach der tatsächlichen Auszahlung des Arbeitsentgelts, sondern danach richtet, wann dieses abzurechnen und auszuzahlen ist. Der Arbeitgeber verliert daher nach Maßgabe des § 60 Abs. 1 Satz 2 und 3 ASVG sein Recht, den auf den Versicherten entfallenden Beitragsteil vom Entgelt in barem abzuziehen, auch dann, wenn er infolge eines Verschuldens nicht nur mit dem Beitragsabzug, sondern mit der gesamten Entgeltzahlung (bzw. einer gebührenden Nachzahlung) in Verzug ist.
Auf die von der Antragstellerin erwähnten Fallbeispiele ist nicht einzugehen, weil diese nicht konkretisierten Sachverhaltstypen in dem allgemein gehaltenen Feststellungsantrag nicht zum Ausdruck kommen. Überdies hat die Antragstellerin nicht einmal behauptet, daß diese Sachverhalte jeweils auf drei Arbeitnehmer zutreffen. Bezüglich der Nachzahlungspflicht aus der Anrechnung von Vordienstzeiten verweist die Antragstellerin sogar ausdrücklich auf einen Rechtsstreit, der nur einen Kläger (= Dienstnehmer) betrifft. Wie die Antragsgegnerin zutreffend ausgeführt hat, wird es bei den erwähnten Fallgruppen in vielen Fällen ohnehin an einem Verschulden des Dienstgebers an der verspäteten Zahlung des Teiles des gebührenden Entgelts fehlen bzw. bei rechtsgestaltenden Vergleichen die Fälligkeit überhaupt erst eintreten. Eine Entscheidung darüber, ob den Dienstgeber in der einen oder anderen typischen Fallgruppe an der verspäteten Zahlung eines Teiles des Entgelts ein Verschulden trifft, ist auch deshalb nicht möglich, weil die Antragstellerin diesbezüglich einen - wenn auch von namentlich bestimmten Personen unabhängigen - Sachverhalt unter Behauptung mehrerer, völlig gleichartiger Einzelfälle so weit konkretisieren müßte, daß über die Frage des Verschuldens unter Berücksichtigung aller Umstände der Fälle abgesprochen werden könnte. Einer solchen Entscheidung käme für künftige, auch nur geringfügig anders gelagerte Fälle keine Bedeutung zu. Fragen der Verschuldensbeurteilung (insbesondere der Verschuldensteilung) sind daher nur in Ausnahmsfällen für ein Feststellungsverfahren geeignet (vgl. Gamerith, Die besonderen Feststellungsverfahren nach § 54 ASGG, DRdA 1988, Heft Nr. 5 in Druck).
Der Feststellungsantrag ist daher abzuweisen.