VfGH vom 04.03.2010, B982/09

VfGH vom 04.03.2010, B982/09

19016

Leitsatz

Keine Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte durch eine Erlöschenserklärung eines Weiderechtes nach Umwidmung der Liegenschaft; gesetzliche Kriterien für eine solche Erklärung verfassungsrechtlich unbedenklich; ausreichender Rechtsschutz hinsichtlich der Flächenwidmung; keine Verletzung des Eigentumsrechtes; Ermessen des Ausführungsgesetzgebers bei Fehlen grundsatzgesetzlicher Regelung

Spruch

I. Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid

weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt worden.

Die Beschwerde wird abgewiesen.

II. Kosten werden nicht zugesprochen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Die Gemeinde Gerlos stellte am an die

Agrarbehörde den Antrag, das auf GSt. 113/2 KG Gerlos im Ausmaß von 129 m2 zu Gunsten der Liegenschaft des Beschwerdeführers (EZ 90009) bestehende Weiderecht gemäß § 4 Abs 4 Tiroler Wald- und Weideservitutengesetz als erloschen zu erklären, um auf dem als Vorbehaltsfläche (Veranstaltungszentrum) gewidmeten Grundstück künftig öffentliche, insbesondere der Unterhaltung dienende Veranstaltungen durchführen bzw. dieses als zentralen Markt- oder Dorfplatz nützen zu können.

Mit Bescheid des Amtes der Tiroler Landesregierung als Agrarbehörde erster Instanz vom wurde das auf GSt. 113/2 bestehende Weiderecht zur Gänze als erloschen erklärt und die Gemeinde dazu verpflichtet, den Eigentümern der berechtigten Liegenschaft einen einmaligen Geldbetrag von € 337,30 zu bezahlen. In der Bescheidbegründung führte die Agrarbehörde erster Instanz aus, dass die betreffende Fläche von der Gemeinde für im öffentlichen Interesse liegende Maßnahmen benötigt werde und dass weder eine Gefährdung des Wirtschaftsbetriebes der berechtigten Liegenschaft eintrete, noch der Ertrag der Nutzungsrechte der übrigen Berechtigten geschmälert, noch die Servitutslast drückender werden würde. Dabei stützte sich die Agrarbehörde erster Instanz auf das Gutachten des landwirtschaftlichen Amtssachverständigen der Abteilung Agrarwirtschaft des Amtes der Tiroler Landesregierung.

2. In der dagegen fristgerecht erhobenen Berufung führten die nunmehrigen Beschwerdeführer als Eigentümer der berechtigten Liegenschaft aus, dass die Bewirtschaftung des Hofes dadurch bedeutend erschwert werde, zumal ihnen bereits einige Weideflächen durch agrarbehördliche Verfügungen genommen worden seien. Außerdem könne das öffentliche Interesse an der Abhaltung von Veranstaltungen keinesfalls höher eingestuft werden als das öffentliche Interesse an einem gesunden und überlebensfähigen Bauernstand.

Mit Erkenntnis des Landesagrarsenates vom wurde der Berufung Folge gegeben und der angefochtene Bescheid dahingehend abgeändert, dass der Antrag der Gemeinde Gerlos vom abgewiesen wurde.

3. Auf Grund der dagegen von der Gemeinde Gerlos erhobenen Beschwerde wurde mit Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom , 2007/07/0099, der Bescheid des Landesagrarsenates vom wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs 2 Z 3 litb und c VwGG aufgehoben, da die Ausführungen der Gemeinde im Antrag ausgereicht hätten, um eine Ermittlungspflicht der Behörde auszulösen, diese aber kein ausreichendes Ermittlungsverfahren durchgeführt hätte.

4. Nach Durchführung ergänzender Ermittlungen im fortgesetzten Berufungsverfahren erließ die belangte Behörde am einen Ersatzbescheid, mit dem sie die Berufung als unbegründet abwies, da die Voraussetzungen für die Erlöschenserklärung des Weiderechtes auf GSt. 113/2 KG Gerlos gegeben seien und die Entschädigung gesetzmäßig festgesetzt worden sei. In der Bescheidbegründung wird insbesondere Folgendes ausgeführt:

"Der Verfassungsgerichtshof stellte in seinem Beschluss vom , B882/04, mit dem die Behandlung der Beschwerde von J. und S. H. gegen ein Erkenntnis des Obersten Agrarsenates abgelehnt und die Beschwerde dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten wurde, Folgendes fest:

'Das öffentliche Interesse, das Eigentum von entbehrlichen Lasten zu befreien, ist offenkundig.'

Diese Feststellung wurde im VwGH-Erkenntnis vom , 2004/07/0175, übernommen. Dieser Feststellung ist bei einer Interessensabwägung im Fall der Beendigung eines Einforstungsrechtes, in welcher Form auch immer, Gewicht beizumessen.

[...]

Im Sinne des VwGH-Erkenntnisses vom kommt es nicht darauf an, ob die widmungsgemäße Verwendung der Vorbehaltsfläche infolge des darauf lastenden Nutzungsrechtes völlig unmöglich ist, sondern ist die rechtlich zu beurteilende Kernfrage die, ob bei Weiterbestand des Nutzungsrechtes eine sinnvolle Verwendung der Vorbehaltsfläche für den Widmungszweck ohne wesentliche Einschränkungen nicht möglich ist. Das Kriterium 'eine sinnvolle Verwendung ohne wesentliche Einschränkungen nicht möglich' bei Weiterbestand des Weiderechtes auf Gst 113/2 ist aufgrund der Stellungnahme der Amtssachverständigen zu bejahen.

Dass durch die Erlöschenserklärung des Weiderechtes eine Gefährdung des Wirtschaftsbetriebes der berechtigten Liegenschaft der Berufungswerber nicht eintritt, wird in der agrarfachlichen Stellungnahme vom , die im erstinstanzlichen Ermittlungsverfahren eingeholt wurde, überzeugend begründet. [...]

Aus dem § 4 Abs 4 im Zusammenhalt mit § 27 Abs 2 WWSG ergibt sich, dass für die Aufhebung eines Nutzungsrechtes nur eine Entschädigung in Geld gebührt. Eine Auseinandersetzung mit der Frage einer Ablösung in Grund und Boden erübrigt sich daher."

5. In der dagegen erhobenen, auf Art 144 B-VG gestützten Beschwerde wird die Verletzung in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz (Art7 B-VG, Art 2 StGG) und auf Unversehrtheit des Eigentums (Art5 StGG, Art 1 1. ZPEMRK) sowie die Verletzung in Rechten wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides begehrt.

6. Die belangte Behörde erstattete eine Gegenschrift, in der sie die Abweisung der Beschwerde beantragt. Des Weiteren wurde von der beteiligten Gemeinde Gerlos eine Äußerung erstattet, in der sie die Abweisung der Beschwerde und den Ersatz der Kosten beantragt.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

1. Zur Rechtslage:

§ 4 Abs 4 des Tiroler Wald- und Weideservitutengesetzes, LGBl. 21/1952 idF LGBl. 47/2004, (im Folgenden: Tir. WWSG) lautet:

"§4 Änderungen an Nutzungsrechten

(1) - (3) [...]

(4) Die Agrarbehörde hat auf Antrag des Eigentümers der belasteten Liegenschaft oder von Amts wegen ein Nutzungsrecht im Hinblick auf ein damit belastetes Grundstück im erforderlichen Umfang als erloschen zu erklären, wenn dieses Grundstück


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a)
für die Verwendung als Bauland benötigt wird und im Eigentum einer Gemeinde oder einer Agrargemeinschaft steht oder von einer Gemeinde, einer Agrargemeinschaft oder dem Bodenbeschaffungsfonds erworben wird oder


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b)
als Vorbehaltsfläche benötigt wird oder


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c)
Gegenstand eines Baulandumlegungsverfahrens ist oder


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d)
für Zwecke benötigt wird, für die nach landesgesetzlichen Vorschriften die Enteignung zulässig ist,

und wenn eine Gefährdung des Wirtschaftsbetriebes der berechtigten Liegenschaft nicht eintritt. Auf den verbleibenden belasteten Grundstücken darf der Ertrag der Nutzungsrechte allfälliger übriger Berechtigter nicht geschmälert und die Servitutslast ohne Zustimmung der Eigentümer dieser Grundstücke nicht drückender werden. Für Einschränkungen in der Ausübung des betroffenen Nutzungsrechtes gebührt dem Nutzungsberechtigten eine angemessene Entschädigung. Kommt hierüber kein Übereinkommen zustande, so ist die Entschädigung nach dem Wert des Nutzungsrechtes festzusetzen; § 27 Abs 2 ist anzuwenden."

§ 27 Abs 2 Tir. WWSG, LGBl. 21/1952 idF LGBl. 53/2007, lautet:

"§27 Ermittlung des Ablösungsbetrages

(1) Wenn ein Übereinkommen der Parteien nicht zustande kommt, ist der Ablösungsbetrag nach dem Wert des Nutzungsrechtes festzusetzen.

(2) Als Wert gilt der Jahreswert der gebührenden Nutzungen unter Zugrundelegung der im Verkehr zwischen Ortsansässigen üblichen Preise und Ansätze abzüglich des zur Ausübung erforderlichen Aufwandes, kapitalisiert nach einem Zinsfuß, der den herrschenden allgemeinen wirtschaftlichen Verhältnissen entspricht. Bei der Festsetzung des Wertes des Nutzungsrechtes ist gegebenenfalls auf von der Ertragsfähigkeit abweichende wertbestimmende Kriterien angemessen Rücksicht zu nehmen."

2. In der Beschwerde wird im Wesentlichen vorgebracht, dass die Bestimmung des § 4 Abs 4 Tir. WWSG dem Gleichheitssatz sowie dem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Unversehrtheit des Eigentums widerspreche, da sie eine Enteignung durch die Agrarbehörde auf Antrag des Eigentümers einer belasteten Liegenschaft erlaube, wenn die Liegenschaft als Vorbehaltsfläche benötigt werde. Dies ermögliche es Gemeinden, sich durch die Widmung als Vorbehaltsfläche und durch die Antragstellung "unliebsamer Dienstbarkeitsbelastungen" zu entledigen. Die Enteignung stelle nur noch einen "Formalakt" dar, da die Voraussetzungen für einen Eigentumseingriff im Zuge der Widmung gar nicht geprüft werden müssten.

Die belangte Behörde habe das Tir. WWSG denkunmöglich angewendet, indem sie dem Beschwerdeführer nur eine Geldentschädigung zugesprochen habe. Sie sei denkunmöglich davon ausgegangen, dass für den Fall der Erlöschenserklärung eines Nutzungsrechtes nur eine Geldentschädigung vorgesehen sei.

Außerdem habe die belangte Behörde ungerechtfertigt in das Eigentumsrecht des Beschwerdeführers eingegriffen, indem sie - abgesehen von der Feststellung, dass das öffentliche Interesse an der Erlöschenserklärung offenkundig sei - die Enteignungsvoraussetzungen nicht geprüft habe.

Schließlich habe die belangte Behörde willkürlich gehandelt, indem sie, "obwohl die Größenordnung des Gebäudes und der damit verbundene Platzbedarf noch nicht abschätzbar" waren, davon ausgegangen sei, dass die Vorbehaltsfläche für den Vorbehaltszweck nicht ohne wesentliche Einschränkungen verwendet werden könne.

3. Zur Behauptung der Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechts auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz:

3.1. Eine Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz kann nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (zB VfSlg. 10.413/1985, 14.842/1997, 15.326/1998 und 16.488/2002) nur vorliegen, wenn der angefochtene Bescheid auf einer dem Gleichheitsgebot widersprechenden Rechtsgrundlage beruht, wenn die Behörde der angewendeten Rechtsvorschrift fälschlicherweise einen gleichheitswidrigen Inhalt unterstellt oder wenn sie bei Erlassung des Bescheides Willkür geübt hat.

Der Gleichheitsgrundsatz bindet auch den Gesetzgeber (s. etwa VfSlg. 13.327/1993, 16.407/2001). Er setzt ihm insofern inhaltliche Schranken, als er verbietet, sachlich nicht begründbare Regelungen zu treffen (vgl. zB VfSlg. 14.039/1995, 16.407/2001). Innerhalb dieser Schranken ist es dem Gesetzgeber jedoch von Verfassungs wegen durch den Gleichheitsgrundsatz nicht verwehrt, seine politischen Zielvorstellungen auf die ihm geeignet erscheinende Art zu verfolgen (s. etwa 16.176/2001, 16.504/2002). Ob eine Regelung zweckmäßig ist und das Ergebnis in allen Fällen als befriedigend empfunden wird, kann nicht mit dem Maß des Gleichheitssatzes gemessen werden (zB VfSlg. 14.301/1995, 15.980/2000 und 16.814/2003).

3.2. Der Gesetzgeber hat in § 4 Abs 4 Tir. WWSG die ihm verfassungsrechtlich vorgegebenen Schranken nicht überschritten. Das Tir. WWSG enthält zur Prüfung der Frage, ob und in welcher Form eine Erlöschenserklärung erfolgen kann, hinreichende und verfassungsrechtlich unbedenkliche Kriterien, die den Anforderungen des Gleichheitssatzes Genüge tun.

Dem Schutzzweck des Tir. WWSG, den Bestand eines überlebensfähigen Bauernstandes zu gewährleisten, wird dadurch Rechnung getragen, dass § 4 Abs 4 Tir. WWSG eine Erlöschenserklärung nur unter bestimmten Voraussetzungen zulässt, nämlich nur dann, wenn keine Gefährdung des Wirtschaftsbetriebs der berechtigten Liegenschaft eintritt, wenn auf den verbleibenden belasteten Grundstücken der Ertrag der Nutzungsrechte allfälliger übriger Berechtigter nicht geschmälert wird und wenn die Servitutslast ohne Zustimmung der Eigentümer dieser (belasteten) Grundstücke nicht drückender wird.

Der Befürchtung des Beschwerdeführers, den Gemeinden werde es ermöglicht, sich von Dienstbarkeitsbelastungen durch die Widmung als Vorbehaltsfläche und die anschließende Antragstellung nach § 4 Abs 4 Tir. WWSG zu befreien, ist entgegenzuhalten, dass die Flächenwidmung der Gemeinde einer aufsichtsbehördlichen Genehmigung bedarf (§66 Tiroler Raumordnungsgesetz) und der Flächenwidmungsplan der Normenkontrolle durch den Verfassungsgerichtshof nach Art 139 B-VG unterliegt, weil und insoweit er auch im Verfahren nach § 4 Abs 4 Tir. WWSG präjudiziell ist. Dadurch wird sichergestellt, dass die Widmung als Vorbehaltsfläche öffentlichen Zwecken entspricht und die Voraussetzungen nach § 52 TROG erfüllt.

3.3. Angesichts der verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit der angewendeten Rechtsvorschriften unter dem Gesichtspunkt des Gleichheitssatzes könnte der Beschwerdeführer im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz nur verletzt worden sein, wenn die Behörde diesen Vorschriften fälschlicherweise einen gleichheitswidrigen Inhalt unterstellt oder Willkür geübt hätte.

Es besteht kein Anhaltspunkt dafür, dass die Behörde der Bestimmung des § 4 Abs 4 Tir. WWSG einen gleichheitswidrigen Inhalt unterstellt hat. Insbesondere hat die belangte Behörde das Tir. WWSG nicht denkunmöglich angewendet, indem sie keine Abtretung von Grund verfügt, sondern dem Beschwerdeführer eine Geldentschädigung zugesprochen hat. § 4 Abs 4 letzter Satz Tir. WWSG sieht vor, dass, sofern über die Gewährung einer angemessenen Entschädigung kein Übereinkommen zustande kommt, eine Geldentschädigung unter Heranziehung des § 27 Abs 2 Tir. WWSG nach dem Wert des Nutzungsrechtes festzusetzen ist. Tatsächlich ging dem Erkenntnis der belangten Behörde der Versuch der mitbeteiligten Gemeinde voraus, eine Einigung mit dem Beschwerdeführer zu erzielen; das Angebot der Gemeinde lehnte der Beschwerdeführer jedoch ab. Da § 4 Abs 4 Tir. WWSG keine Verfügung einer Grundabtretung durch die Behörde vorsieht, hat die belangte Behörde diese Bestimmung nicht denkunmöglich angewendet.

Die belangte Behörde hat sich im Übrigen unter Heranziehung eines bereits im erstinstanzlichen Verfahren erstatteten sowie eines im fortgesetzten Berufungsverfahren eingeholten, umfassenden Amtssachverständigengutachtens und unter Berücksichtigung der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes () sorgfältig und schlüssig mit der Frage auseinandergesetzt, ob die Voraussetzungen des § 4 Abs 4 Tir. WWSG im vorliegenden Fall erfüllt sind. Angesichts dessen bestehen für die Annahme eines willkürlichen Vorgehens der Behörde keine Anhaltspunkte.

4. Zur Behauptung der Verletzung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Unversehrtheit des Eigentums:

4.1. Art 5 StGG umfasst nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes im Wesentlichen vermögenswerte Privatrechte (vgl. zB VfSlg. 8201/1977, 9887/1983, 10.322/1985 und 16.636/2002). Der völkerrechtlich geprägte - und daher von der historischen Interpretation des Art 5 StGG loszulösende (Kucsko-Stadlmayer, Art 1

1. ZP, in: Ermacora/Nowak/Tretter [Hrsg.], Die Europäische Menschenrechtskonvention in der Rechtsprechung der Österreichischen Höchstgerichte, 1983, 581 [608 f.]) - Eigentumsbegriff des Art 1

1. ZPEMRK umfasst dagegen alle erworbenen Rechte mit Vermögenswert. Dabei kommt es nicht darauf an, ob die geschützte Rechtsposition privatrechtlicher oder öffentlich-rechtlicher Art ist (Korinek, Art 1

1. ZPEMRK, in: Korinek/Holoubek [Hrsg.], Österreichisches Bundesverfassungsrecht, Bd. III, Rz 5 f.).

Um eine solche Rechtsposition handelt es sich auch bei Weidenutzungsrechten. Sie erfüllen im Wesentlichen den gleichen Zweck wie die im ABGB geregelten privatrechtlichen Servituten, wenngleich sie darüber hinaus dem öffentlichen Interesse an der Erhaltung selbständiger bäuerlicher Betriebe und der Ermöglichung einer zweckmäßigen Bewirtschaftung land- und forstwirtschaftlicher Grundstücke dienen (vgl. VwSlg. 15.601 A/2001). Daher ist das Nutzungsrecht iSd § 4 Abs 4 Tir. WWSG vom Schutzbereich des Art 1

1. ZPEMRK umfasst.

4.2. Der angefochtene Bescheid greift in das Grundrecht auf Unversehrtheit des Eigentums ein. Dieser Eingriff wäre nach der ständigen Judikatur des Verfassungsgerichtshofes (zB VfSlg. 13.587/1993 mwN, 15.364/1998, 15.768/2000, 16.113/2001, 16.430/2002) dann verfassungswidrig, wenn der ihn verfügende Bescheid ohne jede Rechtsgrundlage ergangen wäre oder auf einer verfassungswidrigen Rechtsgrundlage beruhte, oder wenn die Behörde bei Erlassung des Bescheides eine verfassungsrechtlich unbedenkliche Rechtsgrundlage in denkunmöglicher Weise angewendet hätte, ein Fall, der nur dann vorläge, wenn die Behörde einen so schweren Fehler begangen hätte, dass dieser mit Gesetzlosigkeit auf eine Stufe zu stellen wäre.

Die Bestimmung des § 4 Abs 4 litb Tir. WWSG begegnet auch im Lichte des Art 1 1. ZPEMRK keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Eigentumseingriffe sind nach dieser Bestimmung zulässig, wenn sie einem öffentlichen Interesse dienen und verhältnismäßig sind (VfSlg. 13.659/1993).

§ 4 Abs 4 Tir. WWSG, der das Erlöschen eines Rechts vom Erfordernis abhängig macht, dass die in Rede stehende Fläche als Vorbehaltsfläche benötigt wird (litb), dient dem öffentlichen Interesse. Die Bestimmung ist auch verhältnismäßig, weil sie das Erlöschen eines Weidenutzungsrechts auf den "erforderlichen Umfang" beschränkt und an die weitere Bedingung knüpft, dass eine Gefährdung des Wirtschaftsbetriebes der berechtigten Liegenschaft nicht eintritt. Überdies darf auf den verbleibenden belasteten Grundstücken der Ertrag der Nutzungsrechte allfälliger übriger Berechtigter nicht geschmälert und die Servitutslast ohne Zustimmung der Eigentümer dieser Grundstücke nicht drückender werden. Schließlich gebührt dem Nutzungsberechtigten für Einschränkungen in der Ausübung des betroffenen Nutzungsrechtes eine angemessene Entschädigung.

Im Lichte der Ausführungen unter 3.3. ist der belangten Behörde auch kein schwerer Fehler vorzuwerfen, der mit Gesetzlosigkeit auf eine Stufe zu stellen wäre. Die Behörde hat daher § 4 Abs 4 Tir. WWSG nicht in denkunmöglicher Weise angewendet.

5. Aus Anlass der vorliegenden Beschwerde sind beim Verfassungsgerichtshof auch keine Bedenken dahingehend entstanden, dass die landesgesetzliche Ausführungsbestimmung des § 4 Abs 4 Tir. WWSG dem Grundsatzgesetz 1951 über die Behandlung der Wald- und Weidenutzungsrechte sowie besonderer Felddienstbarkeiten, BGBl. 103/1951 (WV) idF BGBl. I 14/2006, widerspricht. Zwar ist im Grundsatzgesetz, das außer der Ablösung gemäß §§13 ff. leg.cit. keine durch Bescheid der Agrarbehörde zu verfügende Beendigungsform kennt, eine der Erlöschenserklärung nach § 4 Abs 4 Tir. WWSG vergleichbare Regelung nicht vorgesehen.

Vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes zum Verhältnis von Grundsatz- und Ausführungsgesetz ergeben sich jedoch auch insoweit keine verfassungsrechtlichen Bedenken: Die Grundsatzgesetzgebung zielt nicht auf eine Einschränkung der Landesgesetzgebung ab, sondern auf eine gewisse Einheitlichkeit der Regelungen in allen Bundesländern. Bei Schweigen des Grundsatzgesetzgebers zu einer bestimmten Frage ist die Ausführungsgesetzgebung daher frei, die nicht behandelten Fragen nach eigenem Ermessen zu regeln (VfSlg. 2087/1951, 3649/1959, 15.279/1998 ua.).

III. 1. Die behauptete Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte hat sohin nicht stattgefunden.

Das Beschwerdeverfahren hat auch nicht ergeben, dass der Beschwerdeführer in einem von ihm nicht geltend gemachten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht verletzt worden wäre. Angesichts der Unbedenklichkeit der angewendeten Rechtsgrundlagen ist es auch ausgeschlossen, dass er in seinen Rechten wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm verletzt wurde.

Die Beschwerde ist daher als unbegründet abzuweisen.

2. Dem Antrag der beteiligten Gemeinde auf Kostenersatz ist nicht stattzugeben, da es sich bei dem von ihr eingebrachten Schriftsatz, mit dem sie von der ihr eingeräumten Möglichkeit der Erstattung einer Äußerung Gebrauch gemacht hat, nicht um einen abverlangten Schriftsatz handelt (VfSlg. 13.847/1994, 15.300/1998, 15.818/2000, 16.037/2000, 16.463/2002) und da die von ihr erstattete Äußerung nichts zur Rechtsfindung beigetragen hat (zB VfSlg. 14.214/1995, 15.916/2000).

3. Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.