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VfGH vom 11.03.2004, B982/02

VfGH vom 11.03.2004, B982/02

Sammlungsnummer

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Spruch

Die Beschwerdeführer sind durch den angefochtenen Bescheid wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes und einer gesetzwidrigen Verordnung in ihren Rechten verletzt worden.

Der Bescheid wird aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit) ist schuldig, den Beschwerdeführern zuhanden ihres Rechtsvertreters die mit € 2.730,60 bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu bezahlen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1.1. Mit Bescheid vom stellte die Bezirkshauptmannschaft Bregenz gemäß § 359b Abs 1 Z 2 GewO 1994 und § 359b Abs 2 leg.cit. iVm § 1 Z 1 der Verordnung des Bundesministers für wirtschaftliche Angelegenheiten, mit der Arten von Betriebsanlagen bezeichnet werden, die dem vereinfachten Genehmigungsverfahren zu unterziehen sind, fest, dass die Beschaffenheit des von der im hg. Beschwerdeverfahren beteiligten Partei zur Genehmigung beantragten "Restaurants ... samt dem neuen Gastgarten mit 16 Sitzplätzen an der Rückseite des Objektes" den Voraussetzungen der zitierten Bestimmungen entspricht. Unter einem wurden zum Schutz der gemäß § 74 Abs 2 sowie der gemäß § 77 Abs 3 und 4 GewO 1994 wahrzunehmenden Interessen verschiedene Aufträge erteilt.

1.2. Gegen diesen Bescheid haben die nunmehrigen Beschwerdeführer - sie sind Bewohner von Häusern, welche unmittelbar an jenen Innenhof angrenzen, in dem sich der von der gewerbebehördlichen Genehmigung erfasste Gastgarten befindet - gemeinsam Berufung erhoben. Dieser gab der Landeshauptmann von Vorarlberg mit dem vor dem Verfassungsgerichtshof bekämpften Bescheid vom gemäß § 66 Abs 4 AVG 1991 iVm § 359b Abs 1 Z 2 GewO 1994 und § 359b Abs 2 leg.cit. iVm § 1 Z 1 der oben genannten Verordnung "keine Folge". Zur Begründung führte der Landeshauptmann Folgendes aus:

"Das Ausmaß der der Betriebsanlage zur Verfügung stehenden Räumlichkeiten und sonstigen Betriebsflächen beträgt insgesamt nicht mehr als 1000 m² und die elektrische Anschlussleistung der zur Verwendung gelangenden Maschinen und Geräte übersteigt 100 kW nicht. Gemäß den [einen] Bestandteil des erstinstanzlichen Bescheides bildenden Plan- und Beschreibungsunterlagen beträgt das Ausmaß der im Wesentlichen erdgeschossigen Betriebsfläche rund 250 m² (Lokal rund 225 m²; Gastgarten rund 25 m²). ... Was die Anschlussleistung betrifft, so beträgt das diesbezügliche Ausmaß gemäß den erwähnten Unterlagen insbesondere auch gemäß dem beigeschlossenen Installations- und Sockelplan weniger als die Hälfte des im § 359b Abs 1 Z 2 GewO ausgewiesenen Grenzwertes.

Die Tatbestandsvoraussetzungen des § 359b Abs 1 Z 2 leg cit sind daher im Gegenstande jedenfalls erfüllt.

Ebenso sind im vorliegenden Falle die Tatbestandsvoraussetzungen des § 359b Abs 2 GewO 1994 bzw der hiezu erlassenen ... Verordnung erfüllt. Auf Grund der erwähnten Plan- und Beschreibungsunterlagen sowie der einschlägigen Ausführungen im Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Bregenz steht nämlich fest, dass im Restaurant 40 Plätze, im Schankbereich 10 Barhocker und im Gastgarten 16 Sitzplätze - insgesamt sohin deutlich weniger als 200 Sitzplätze - bereitgestellt werden und in der Betriebsanlage weder musiziert noch, abgesehen von zulässiger Hintergrundmusik, beispielsweise mit einem Tonbandgerät Musik wiedergegeben wird.

Zusammenfassend ist zur Frage der Anwendung des richtigen Verfahrenstyps (vereinfachtes Verfahren gemäß § 359b GewO 1994 bzw ordentliches Verfahren gemäß § 77 GewO 1994) sohin festzuhalten, dass im Gegenstande die Bezirkshauptmannschaft Bregenz sowohl wegen der Bestimmung des § 359b Abs 1 Z 2 als auch wegen derjenigen des § 359b Abs 2 GewO 1994 in richtiger rechtlicher Würdigung des Sachverhaltes das vereinfachte Verfahren im Sinne des § 359b GewO 1994 angewendet hat.

...

...

Der in diesem Zusammenhang erhobenen Berufung der [Nachbarn], die Bezirkshauptmannschaft Bregenz hätte im Gegenstande nicht das vereinfachte, sondern das ordentliche Verfahren durchführen müssen, konnte daher kein Erfolg beschieden sein.

Was die ... Parteistellung von Nachbarn im vereinfachten

Verfahren selbst betrifft, so steht fest, dass unter Berücksichtigung

... des § 359b Abs 1 GewO 1994 sowie der hiezu ergangenen

höchstgerichtlichen Judikatur Nachbarn im vereinfachten Verfahren

nach § 359b GewO 1994 nur ein Anhörungsrecht (vgl § 359b GewO 1994:

'... die Nachbarn innerhalb dieses Zeitraumes von ihrem

Anhörungsrecht Gebrauch machen können ...'), nicht aber ein Recht auf Erhebung von Einwendungen oder auf Parteistellung zusteht (vgl hiezu § 359b Abs 1 vorletzter Satz GewO 1994 sowie ; , 95/04/0224; , 96/04/0166). An dieser Rechtslage ändert auch das ... Erkenntnis des [= VfSlg. 16.103/2001] nichts.

Aus dem Gesagten ergibt sich für die Berufungsbehörde somit, dass die von den Berufungswerbern im erstinstanzlichen Verfahren sowie in der Berufung erhobenen und sich nicht auf die Anwendung des richtigen Verfahrenstyps beziehenden Einwendungen in Folge diesbezüglich ausdrücklich fehlender Parteistellung als unzulässig anzusehen sind.

Der auch in diesem Zusammenhang erhobenen Berufung gegen den Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Bregenz konnte daher infolge fehlender Parteistellung der Nachbarn und der damit einhergehenden fehlenden Berufungslegitimation (vgl § 359 Abs 4 GewO 1994) gleichfalls kein Erfolg beschieden sein."

2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die auf Art 144 Abs 1 B-VG gestützte Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, in der - neben der Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf Gleichheit vor dem Gesetz und auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter - auch die Anwendung rechtswidriger Normen, nämlich des § 1 Z 1 der Verordnung des Bundesministers für wirtschaftliche Angelegenheiten, mit der Arten von Betriebsanlagen bezeichnet werden, die dem vereinfachten Genehmigungsverfahren zu unterziehen sind, des § 359b Abs 1 Z 2 GewO 1994 idF BGBl. I 63/1997 sowie des § 148 Abs 1 GewO 1994 idF BGBl. I 116/1998 und der Verordnung des Landeshauptmannes (erg.: von Vorarlberg) über die Gewerbeausübung in Gastgärten, Vbg. LGBl. 19/2001, gerügt und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides, in eventu die Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof beantragt wird.

3. Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie ihre differenzierte Sicht der Parteistellung von Nachbarn im Verfahren nach § 359b verteidigt und die Abweisung (oder Ablehnung) der Beschwerde(behandlung) begehrt.

4. Die dem hg. Verfahren als Mitbeteiligte beigezogene Inhaberin der Betriebsanlagengenehmigung erstattete eine Äußerung, in der sie den Beschwerdevorwürfen entgegentritt und die Abweisung der Beschwerde beantragt.

II. Die - zulässige (vgl. ua.) - Beschwerde ist begründet:

1. Der Verfassungsgerichtshof leitete aus Anlass dieser Beschwerde mit Beschluss vom gemäß Art 139 Abs 1 und 140 Abs 1 B-VG von Amts wegen ein Verfahren zur Prüfung der Gesetzmäßigkeit des § 1 Z 1 der Verordnung des Bundesministers für wirtschaftliche Angelegenheiten, mit der Arten von Betriebsanlagen bezeichnet werden, die dem vereinfachten Genehmigungsverfahren zu unterziehen sind, BGBl. 850/1994, idF BGBl. 772/1995 sowie ein Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit des § 359b Abs 1 Z 2 und Abs 2 und des letzten Wortes ("oder") in § 359b Abs 1 Z 1 GewO 1994 (erstgenannte Bestimmung idF BGBl. I 63/1997) ein.

2. Mit Erkenntnis vom heutigen Tag, G124/03, V86/03, hob der Verfassungsgerichtshof die genannten Bestimmungen der GewO 1994 als verfassungswidrig auf und sprach aus, dass die Verordnung BGBl. 850/1994 idF BGBl. II 19/1999 vom bis zum Wieder-in-Kraft-Treten der früheren Gesetzlage gesetzwidrig war. Gemäß Art 139 Abs 6 und Art 140 Abs 7 B-VG sind eine vom Verfassungsgesetzgeber als gesetzwidrig erkannte Verordnung und ein vom Verfassungsgerichtshof aufgehobenes Gesetz im Anlassfall nicht mehr anzuwenden.

Die belangte Behörde hat bei Erlassung des bekämpften Bescheides sowohl § 359b Abs 1 Z 2 als auch dessen Abs 2 GewO 1994 iVm § 1 Z 1 der Verordnung BGBl. 850/1994 angewendet. Es ist nach Lage des Falles nicht von vornherein ausgeschlossen, dass die Anwendung der genannten Bestimmungen für die Rechtsstellung der Beschwerdeführer nachteilig war. Die Beschwerdeführer wurden also durch den angefochtenen Bescheid wegen Anwendung rechtswidriger genereller Normen in ihren Rechten verletzt (zB VfSlg. 10.404/1985). Der Bescheid war daher aufzuheben.

III. Dies konnte gemäß § 19 Abs 4 Z 3 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten sind ein Streitgenossenzuschlag von 30 % in der Höhe von € 490,50, Umsatzsteuer in der Höhe von € 425,10 sowie eine Eingabengebühr gemäß § 17a VfGG in Höhe von € 180,-- enthalten.