OGH vom 27.04.1993, 10ObS68/91

OGH vom 27.04.1993, 10ObS68/91

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Kropfitsch als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag.Engelmaier und Dr.Bauer als weitere Richter und die fachkundigen Laienrichter Fritz Stejskal (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Dr.Ingrid Schwarzinger (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei David B*****, vertreten durch Dr.Werner J. Loibl, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Allgemeine Unfallversicherungsanstalt, 1200 Wien, Adalbert Stifter-Straße 65, wegen Versehrtenrente infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 32 Rs 202/90-25, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom , GZ 13 Cgs 1135/88-12, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen und zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird teilweise Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird hinsichtlich der Abweisung der für die Zeit bis begehrten Versehrtenrente als Teilurteil bestätigt. Im Umfang des Begehrens auf Zuerkennung der Versehrtenrente für die Zeit vom an werden die Urteile der Vorinstanzen, das angefochtene Urteil auch im Kostenpunkt, aufgehoben. Die Sache wird im Umfang der Aufhebung zur Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten der Berufung und der Revision sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Entscheidungsgründe:

Der am in Minsk geborene Kläger ersuchte die Bundesausführungsbehörde für Unfallversicherung in Wilhelmshafen in einer dort am eingelangten Eingabe um Übersendung der notwendigen Fragebogen zwecks Rentenzahlung. Er bezog sich dabei auf das Urteil des Landesgerichtes Trier vom , 60 (WC) 111/64, mit dem seine Klage auf Entschädigung für Schaden am Körper wegen sakroiliakaler Beschwerden und Angstneurose gegen das Land Rheinland-Pfalz als Entschädigungsbehörde rechtskräftig abgewiesen wurde, und behauptete, daß er sich diese Leiden bei einem Arbeitseinsatz als Arbeiter der Fa ***** G***** bei L***** verschlimmert habe. Damals seien 6000 Zwangsarbeiter für diese Werke eingesetzt gewesen. Konnte man nicht arbeiten, sei man der "KZ Laeger" und damit dem sicheren Tod überstellt worden.

Die Bundesausführungsbehörde für Unfallversicherung sandte dem Kläger die Eingabe mit der Empfehlung zurück, sich an die beklagte Partei zu wenden, weil sich die angegebenen Körperschäden in Verbindung mit einer Tätigkeit in Österreich ereignet hätten.

Daraufhin brachte der Kläger diese Eingabe bei der beklagten Partei ein, bei der sie am einlangte.

Diese belehrte ihn zunächst über ihre Zuständigkeit zur Erbringung von Leistungen bei Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten und teilte ihm mit, daß hinsichtlich seiner Person in Österreich bzw bei der beklagten Partei weder ein Arbeitsunfall noch eine Berufskrankheit bei der genannten Firma in G***** bei L***** gemeldet sei. Der beklagten Partei seien auch die Leiden des Klägers nicht bekannt. Sollte dieser auf seinem Antrag beharren, müßte er im Detail schildern, an welcher Gesundheitsstörung er leide und auf welche Tätigkeit und auf welche Umstände er diese zurückzuführe, und medizinische Unterlagen und solche über seine Tätigkeit bei der genannten Firma vorlegen.

Darauf teilte der Kläger mit, er sei als Volljude im Zwangsarbeitseinsatz als Arbeiter bei dieser Firma ausgenutzt und verletzt worden. Seine Krankheit sei unter keine Berufskrankheit einzustufen, sondern als schwere Verletzung im eigentlichen Werk zu bezeichnen. Er sei von der "ersten Hilfe" im genannten Werk versehen worden, habe aber sofort wieder an die Arbeit gehen müssen. Die Weiterbehandlung sei ihm unter Todesdrohung von den Werken versagt worden. Erst nach seiner Befreiung im Jahre 1945 sei er der ärztlichen Behandlung zugeteilt worden. Die Werke hätten seine Unterlagen gehabt, sie sollten von dort angefordert werden. Unter den österreichischen Gesetzen sei jeder Arbeiter verpflichtet gewesen, Personalangaben zu machen, und jeder Arbeitgeber, gesetzliche soziale Zahlungen zu leisten: Die genannte Firma habe daher auch für ihn als einen Arbeiter Unfallversicherung an die zugehörige Versicherungsgruppe zahlen müssen. Er wünsche also Betreuung. Er habe mit 6000 Zwangsarbeitern im Lager G***** bei L***** gelebt. Alle Zwangsarbeiter waren für die genannte Firma eingesetzt. Er habe an einer Drehbank gearbeitet, an der aus Roheisen Flugzeugteil-Fertigprodukte gedreht worden seien. Ein an einer anderen Drehbank arbeitender Mitarbeiter sei anscheinend nicht vorsichtig genug gewesen, denn ein an dessen Drehbank nicht genug befestigter Eisenteil sei durch die Luft geschleudert worden, habe den Kläger am Kopf und zwei weiteren Arbeiter verletzt. Der Kläger sei zu Boden geschleudert worden und habe einen starken Blutverlust erlitten, sei aber bald wieder zu sich gekommen und habe einen Kopfverband erhalten. Er leide bis zum Ende seines Lebens an unendlichen Kopfschmerzen (Migräne) und einem Nervenleiden.

Mit Bescheid vom lehnte die beklagte Partei den Anspruch des Klägers auf Entschädigung aus Anlaß des Unfalles, von dem er nach seiner Angabe im Jahre 1945 im Betriebe *****, G***** bei L*****, als Arbeiter betroffen worden sei, nach § 537 iVm § 543 RVO ab, weil feststehe, daß kein unter Versicherungsschutz stehender Arbeitsunfall vorliege.

Mit der dagegen rechtzeitig erhobenen Klage begehrt der Kläger für die seit seiner Verletzung bei der genannten Firma vergangenen Jahre eine Kapitalentschädigung und vom Tage der Klage an eine laufende Rente für seine Schwerverletzung. Er sei bei der genannten Firma beschäftigt gewesen, sei Volljude. Die beklagte Partei solle eidlich befragt werden, ob Unterlagen von anderen in dieser Fabrik beschäftigt gewesenen Personen erhalten geblieben seien und wo sie eingesehen werden könnten, oder ob Unterlagen durch Kriegseinwirkung untergegangen seien, ob die genannte Firma etwa auch "jüdische" Unterlagen besessen habe und ob die beklagte Partei in der Hitlerzeit keine solchen Betriebsunfallakten geführt habe. Da der Kläger im Werk durch erste Hilfe betreut und in die Liste der Verletzten eingetragen worden sei, in die er seine Unterschrift habe setzen müssen, möge auch diese Liste beigeschafft werden.

Die beklagte Partei beantragte die Abweisung des Klagebegehrens. Aus den Behauptungen des Klägers könne geschlossen werden, daß er sich seinerzeit als russischer Zwangsarbeiter im "Außenlager G*****" des K*****lagers M***** aufgehalten habe. Die zum Kriegsdienst verpflichteten Zwangsarbeiter seien vom Versicherungsschutz iS des § 537 RVO ausgeschlossen gewesen, weil eine Beschäftigung (Arbeits-Dienstverhältnis) nicht bestanden habe. Weil der Kläger keine medizinischen Befunde vorgelegt habe und solche wegen der seit dem Unfall vergangenen langen Zeit nicht mehr beschafft werden könnten, könne ein unter Versicherungsschutz stehender Arbeitsunfall nicht erwiesen werden.

Der im Rechtshilfeweg vom österreichischen Konsulat in Cleveland, Ohio vernommene Kläger sagte aus, er sei im März 1944 als polnischer Zwangsarbeiter von der Deutschen Wehrmacht in das Arbeitslager G***** bei L***** gebracht und zur Arbeit in den S*****Werken gezwungen worden. Auch die meisten anderen Zwangsarbeiter seien Polen gewesen. Er habe etwa acht Monate in diesen Werken gearbeitet. Wegen der ständigen Bombenangriffe auf diese seien die Arbeiter in verschiedene Lager in Österreich evakuiert worden. Soweit er sich besinnen könne, habe sich der Unfall im Mai 1944 ereignet. Er habe an seinem Arbeitsplatz an einer Maschine gearbeitet, die Metallteile für Flugzeugteile hergestellt habe. Dabei sei er ausgerutscht, gegen die Maschine gefallen und habe sich dabei den Rücken verletzt. Andere Zwangsarbeiter hätten ihm geholfen aufzustehen und ihn in seine Baracke gebracht, wo er etwa eine Woche krank gelegen sei. Er habe große Schmerzen gehabt, vor allem im Rücken und im linken Bein. Um keine Aufmerksamkeit zu erregen, - er sei bisher nur als Pole, aber nicht als Jude angesehen worden - und um der rassischen Verfolgung zu entgehen, sein kein Bericht über diesen Unfall erstattet worden. Die anderen polnischen Zwangsarbeiter hätten seine Maschine während dieser Woche mitbedient, damit seine Abwesenheit nicht auffalle. Hinsichtlich seines Gesundheitszustandes legte der Kläger einen Bericht des Dr. med Henry M*****, der ihn schon im Jahre 1945 in Rom behandelt und seine Leiden schon damals festgestellt habe, vom in Ablichtung und die Berichte des Dr. med David M. R***** vom (in Ablichtung) und vom (im Original) sowie Ablichtungen eines Beschlusses des Oberlandesgerichtes Koblenz vom und eines Urteils des Landesgerichtes Trier vom vor.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren, "die beklagte Partei sei schuldig, der klagenden Partei aus Anlaß eines Arbeitsunfalles im Jahre 1945 eine Versehrtenrente im gesetzlichen Ausmaß zu gewähren," ab.

Nach seinen Feststellungen wurde der Kläger im Jahre 1944 von der Deutschen Wehrmacht als polnischer Zwangsarbeiter in das Arbeitslager G***** bei L***** eingewiesen und dort ungefähr vom März 1944 an etwa 8 Monate zu Arbeiten in den *****Werken angehalten. Auch die meisten anderen dort angehaltenen Zwangsarbeiter waren Polen. Zu einem nicht näher feststellbaren Zeitpunkt im Mai 1944 rutschte der Kläger an seinem Arbeitsplatz an einer Maschine aus und verletzte sich dabei am Rücken. Er verspürte große Schmerzen im Rücken und im linken Bein.

Nach der rechtlichen Beurteilung des Erstgerichtes seien nach § 537 Z (Nr) 1 RVO alle auf Grund eines Arbeits- , Dienst- oder Lehrverhältnisses Beschäftigten gegen Arbeitsunfall versichert gewesen. Dieser Versicherungsschutz habe aber Personen, die - wie der Kläger - von der Deutschen Wehrmacht zwangsweise angehalten und zur Arbeit eingezogen worden seien, nicht erfaßt. Schon deshalb sei das Klagebegehren abzuweisen.

Dagegen erhob der Kläger Berufung wegen Verfahrensmängeln (Nichtbeischaffung aller zur rechtlichen Einordnung seiner Tätigkeit im Außenlager G***** bei L***** der genannten Werke erforderlichen Unterlagen), unrichtiger Tatsachenfeststellung (über seinen damaligen Status: Zwangsarbeiter, Zivilinternierter oder Kriegsgefangener), fehlender Tatsachenfeststellungen (über die gesundheitlichen Folgen seines Unfalls) und unrichtiger rechtlicher Beurteilung.

Das Berufungsgericht gab der Berufung nicht Folge.

Es übernahm die als ausreichend erachteten erstgerichtlichen Feststellungen als Ergebnis einer einwandfreien Beweiswürdigung und eines mängelfreien Verfahrens und führte in der rechtlichen Beurteilung aus, "daß gemäß § 537 f RVO für den Kläger kein Versicherungsverhältnis gegeben" gewesen sei. Die RVO sei auf den Kläger auch nicht analog anzuwenden. Daß grundsätzlich Schäden aus nationalsozialistischen Verfolgungshandlungen Ansprüche auszulösen in der Lage seien, lasse nicht zwingend auf eine diesbezügliche Regelungslücke der RVO schließen. Allein daraus, daß der Kläger Arbeitsleistungen erbracht habe, sei eine analoge Anwendung der RVO nicht zwingend, weil die Abgeltung von Schäden aus der Zwangsarbeit auch anderweitig erfolgen könne. Daß der Kläger - wie sich aus den von ihm vorgelegten Entscheidungen des Oberlandesgerichtes Koblenz und des Landesgerichtes Trier ergebe, erfolglos Entschädigungsansprüche aus seiner Verfolgung geltend gemacht habe, könne die analoge Anwendung der RVO auf ihn nicht rechtfertigen.

Dagegen richtet sich die nicht beantwortete Revision des Klägers aus den schon in der Berufung angeführten und wie dort ausgeführten Gründen mit den Anträgen, das angefochtene Urteil im klagestattgebenden Sinne abzuändern oder es allenfalls zwecks Zurückverweisung an die erste Instanz aufzuheben.

Rechtliche Beurteilung

Die nach § 46 Abs 3 ASGG auch ohne die Voraussetzungen des Abs 1 leg cit zulässige Revision ist teilweise berechtigt.

Zum bestätigenden Teil:

Nach § 522 Abs 1 ASVG gelten die Bestimmungen dieses Bundesgesetzes über die Leistungen, soweit in den folgenden Vorschriften nichts anderes bestimmt ist, nur a) für Leistungen aus der ... Unfallversicherung, wenn der Versicherungsfall nach dem eingetreten ist (Satz 1). Wann der Versicherungsfall als eingetreten anzusehen ist, ist nach den Bestimmungen des ASVG zu beurteilen (Satz 2).

Nach § 174 Z 1 ASVG gilt der Versicherungsfall bei Arbeitsunfällen mit dem Unfallereignis, im vorliegenden Fall also im Mai 1944, als eingetreten.

Nach § 522 Abs 3 ASVG gelten ua folgende Bestimmungen dieses Bundesgesetzes ab entsprechend auch für Leistungen, auf die im übrigen ua nach Abs 1 noch die bisherigen Vorschriften anzuwenden sind: 1. B) im Bereich der in Betracht kommenden Versicherung ua § 86 Abs 4.

Nach dieser Gesetzesstelle fallen Leistungen aus der Unfalllversicherung, wenn - wie hier - innerhalb von zwei Jahren nach Eintritt des Versicherungsfalles weder der Anspruch von Amts wegen festgestellt noch ein Antrag auf Feststellung des Anspruches gestellt wurde, mit dem Tag der späteren Antragstellung bzw mit dem Tag der Einleitung des Verfahrens an, das zur Feststellung des Anspruches führt, hier also mit dem Einlangen des schriftlichen Antrages bei der beklagten Partei am .

Schon deshalb war das Klagebegehren, soweit es auf Zahlung einer "Kapitalentschädigung" für die Zeit vor der Antragstellung, also bis , gerichtet ist, abzuweisen, so daß das angefochtene Urteil insoweit als Teilurteil zu bestätigen war.

Zum aufhebenden Teil:

Nach § 522 Abs 3 ASVG gelten (nur) folgende Bestimmungen dieses Bundesgesetzes ab entsprechend auch für Leistungen, auf die im übrigen ua nach Abs 1 noch die bisherigen Vorschriften anzuwenden sind: 3. im Bereich der Unfallversicherung die Bestimmungen der §§ 180, 183, 184, 189 bis 191, 193 bis 202, 207 Abs 2, 211, 215 Abs 2, 215a, 218 Abs 1 zweiter Satz, 252.

Im vorliegenden Fall richtet sich der Anspruch auf Versehrtenrente daher nach den zur Zeit des Eintrittes des Versicherungsfalles im Mai 1944 geltenden Bestimmungen. Dazu ist zu bemerken, daß die österreichischen Versicherungsträger nach § 57 Abs 1 Sozialversicherungs-Überleitungsgesetz 1953 (SV-ÜG 1953) die Entschädigungspflicht für Unfälle übernehmen, die sich in einer Beschäftigung im Gebiete der Republik Österreich ereignet haben.

Nach § 537 RVO in der im Mai 1944 geltenden Fassung waren gegen Arbeitsunfall, unbeschadet des hier nicht in Frage kommenden § 541, ua versichert

1. alle auf Grund eines Arbeits- , Dienst- oder Lehrverhältnisses Beschäftigten, 10. Personen, die wie ein nach den Nr 1 bis 9 Versicherter tätig wurden, auch wenn dies nur vorübergehend geschah.

Nach § 542 Abs 1 RVO aF waren Arbeitsunfälle Unfälle, die ein Versicherter bei einer der in den §§ 537 bis 540 (aF) genannten Tätigkeiten erlitt.

Gegenstand der Versicherung war der in den folgenden Vorschriften bestimmte Ersatz des Schadens, der ua durch Körperverletzung entstand (§ 555 RVO aF). Der Träger der Unfallversicherung hatte bei Verletzung ua eine Rente zu gewähren (§ 558 Abs 1 Nr 3 RVO aF).

Nach § 559 Abs 1 RVO aF wurde eine Rente nicht gewährt, wenn die nach der Unfallversicherung zu entschädigende Erwerbsunfähigkeit nicht über die dreizehnte Woche hinaus andauerte.

Dem § 537 RVO in der hier anzuwendenden aF entspricht § 539 RVO idgF, dessen Abs 2 folgenden Wortlaut hat: "Gegen Arbeitsunfall sind ferner Personen versichert, die wie ein nach Abs 1 Versicherter tätig werden; dies gilt auch bei nur vorübergehender Tätigkeit."

Wegen dieser praktischen Übereinstimmung zwischen § 537 Nr 10 aF und § 539 Abs 2 gF können beide Bestimmungen gleich ausgelegt werden, so daß auch die Lehre und Rechtsprechung zur letztgenannten Fassung herangezogen werden kann. (Die folgenden diesbezüglichen Seitenangaben beziehen sich auf die mwN belegten Ausführungen bei Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung II 72. Nachtrag zum Hauptanwendungsfall des § 537 Nr 10 bzw 539 Abs 2, nämlich zu § 537 Nr 1 bzw § 539 Nr 1 [475m]).

Entscheidend ist, daß eine Person wie ein auf Grund eines Arbeits-, Dienst- oder Lehrverhältnisses Beschäftigter tätig wird. Deshalb kommt es nicht auf die Beweggründe, sondern auf die Art seines Tätigwerdens an, bei dem es sich um eine ernstliche, dem in Betracht kommenden Unternehmen dienende Tätigkeit handeln muß, die dem wirklichen oder mutmaßlichen Willen des Unternehmers entspricht und ihrer Art nach sonst von Personen verrichtet werden könnte, die in einem dem allgemeinen Arbeitsmarkt zuzurechnenden Beschäftigungsverhältnis stehen und die derjenigen auf Grund eines Beschäftigungsverhältnisses ähnlich ist, so daß durch sie ein innerer ursächlicher Zusammenhang mit dem unterstützten Unternehmen hergestellt wird (475m ff). Dabei kommt es auf die wirtschaftliche und gesellschaftliche Stellung des Tätigwerdenden nicht an (475t).

Ob der Kläger den Unfall im Mai 1944 bei einer Tätigkeit iS des § 537 Nr 1 oder 10 RVO aF erlitten hat - in welchen Fällen es sich um einen Arbeitsunfall iS des § 542 Abs 1 RVO aF handeln würde - kann jedoch auf Grund der bisherigen Feststellungen noch nicht verläßlich beurteilt werden. Nach Inhalt der Prozeßakten sind dem Revisionsgericht erheblich scheinende Tatsachen, nämlich die näheren Umstände des Tätigwerdens des Klägers für die *****Werke bisher nicht ausreichend erörtert und festgestellt worden.

Die summarischen Feststellungen des Erstgerichtes, die sich im Grunde genommen darin erschöpfen, daß der Kläger vom Arbeitslager G***** aus in den M*****-Werken arbeiten mußte, lassen keine verläßlichen Rückschlüsse darauf zu, wie und unter welchen rechtlichen und faktischen Gelegenheiten die Beschäftigung des Klägers tatsächlich erfolgte. Die Irregularität der damaligen Verhältnisse befreit das Gericht nicht, alle Umstände festzustellen, aus denen sich die Art und Weise der Beschäftigung des Klägers in einer zur Entscheidung dieser Rechtssache erforderlichen Dichte ableiten lassen.

Dabei wäre bereits zu beachten:

Zur Unfallszeit galt im Deutschen Reich noch das (deutsche) Gesetz betreffend die Unfallfürsorge für Gefangene vom (d) RGBl S 536, nach dessen § 1, wenn Gefangene einen Unfall bei einer Tätigkeit erlitten, bei deren Ausübung freie Arbeiter nach den Bestimmungen der Reichsgesetze über Unfallversicherung versichert gewesen sein würden, für die Folgen solcher Unfälle eine Entschädigung zu leisten war (Abs 1), wobei den Gefangenen die in öffentlichen Besserungsanstalten, Arbeitshäusern und ähnlichen Zwangsanstalten untergebrachten Personen gleichgestellt wurden, ebenso die zur Forst- oder Gemeindearbeit oder zu sonstigen Arbeiten auf Grund gesetzlicher oder polizeilicher Bestimmungen zwangsweise angehaltenen Personen (Abs 2). Dieses Gesetz regelte die Unfallversicherung für Gefangene ausschließlich. Obwohl danach die durch Unfall verletzten Gefangenen schlechter gestellt waren als freie Arbeiter, enthielt dieses Gesetz eine Versicherung der Gefangenen gegen Arbeitsunfälle, die mit der Regelung der Unfallversicherung in der RVO nicht nur wesensverwandt, sondern ihr auch zuzurechnen war (Brackmann aaO II 472fI, g).

Dieses lange vor dem Inkrafttreten des Gesetzes über die Wiedervereinigung Österreichs mit dem Deutschen Reich vom dRGBl I S 237 verkündete deutsche Reichsgesetz wurde in Österreich jedoch nicht eingeführt. Nach Art II des Gesetzes über die Wiedervereinigung Österreichs mit dem Deutschen Reich vom dRGBl I S 237 blieb das damals in Österreich geltende Recht bis auf weiteres in Kraft. Nach § 1 Abs 2 des Ersten Erlasses über die Einführung deutscher Reichsgesetze in Österreich vom dRGBl I 247 galten Reichsgesetze, die nach dem Inkrafttreten des Gesetzes über die Wiedervereinigung Österreichs mit dem Deutschen Reich vom verkündet wurden, für das Land Österreich, sofern ihre Inkraftsetzung für das Land Österreich nicht ausdrücklich vorbehalten war. Dafür, daß das erwähnte Gesetz vom in Österreich nicht eingeführt wurde, spricht auch, daß die Verordnung des Reichsministers des Innern über die Unfallfürsorge für Gefangene vom dRGBl I S 2325 zum Vollzug dieses Gesetzes den ausdrücklichen Vorbehalt enthielt, ua nicht die Ostmark zu betreffen.

Aber selbst dann, wenn das Gesetz betreffend die Unfallfürsorge für Gefangene zur Zeit des Unfalls des Klägers in der damaligen Ostmark gegolten hätte, ließe sich daraus das Klagebegehren nicht begründen, weil es sich beim Kläger um einen Ausländer handelt und nach § 6 leg cit Ausländern die im § 3 an sich vorgesehene Rente nicht geleistet wurde.

Nach der damals in Österreich geltenden Rechtslage, nämlich dem Erlaß des Bundesministeriums für Justiz betreffend die Unfallversicherung der Gefangenen vom JABl 22 (sa RV zum StVG 511 BlgNR 11. GP, 65), waren Gefangene, die in sogenannten Pachtbetrieben für fremde Personen Arbeiten ausführten, unter den im Erlaß genannten Voraussetzungen vom sogenannten Arbeitspächter gegen die Folgen von Betriebsunfällen zu versichern, Gefangene, die in Eigenbetrieben der Haftanstalten beschäftigt wurden, jedoch nicht.

Auch deshalb sind die näheren Umstände des Tätigwerdens des Klägers für die *****Werke festzustellen. Sollte sich dabei herausstellen, daß der Kläger damals als Gefangener iS des zit Erlasses Arbeiten in einem Pachtbetrieb ausführte, und wäre er vom Arbeitspächter gegen die Folgen von Betriebsunfällen versichert worden, wäre sein Unfall trotz seiner Gefangeneneigenschaft als Arbeitsunfall anzusehen.

Wegen der aufgezeigten Feststellungsmängel waren die Urteile der Vorinstanzen für die Zeit vom an, das angefochtene Urteil auch im Kostenpunkt, aufzuheben und die Sozialrechtssache im Umfang der Aufhebung an die erste Instanz zurückzuverweisen (§§ 496, 499, 510, 511 und 513 ZPO).

Sollte der Unfall des Klägers als Arbeitsunfall iS des § 542 Abs 1 RVO aF zu beurteilen sein, dann wären auch die gesundheitlichen Folgen dieses Arbeitsunfalles und ihre Auswirkungen auf die Erwerbsfähigkeit des Klägers seit dem ausreichend zu erörtern und festzustellen. Der Vorbehalt der Entscheidung über den Ersatz der Kosten der Berufung und der Revision beruht auf dem nach § 2 Abs 1 ASGG auch in Sozialrechtssachen anzuwendenden § 52 ZPO.