VfGH vom 04.12.1989, B977/86
Sammlungsnummer
12232
Leitsatz
Zulässige Beschwerde gegen die im Dienste der Strafjustiz ohne Einholung eines richterlichen Befehls vorgenommene Verhaftung und nachfolgende Anhaltung des Beschwerdeführers; Verletzung im Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter und im Recht auf persönliche Freiheit infolge der außerhalb des örtlichen Wirkungsbereiches der Bundespolizeidirektion Salzburg durch deren Organe erfolgte Verhaftung; Verletzung im Recht auf persönliche Freiheit durch Aufrechterhaltung des durch § 177 Abs 1 Z 2 StPO nicht gedeckten Freiheitsentzuges im örtlichen Wirkungsbereich der belangten Behörde
Spruch
Der Beschwerdeführer ist dadurch, daß er von Organen der Bundespolizeidirektion Salzburg am , zwischen 14.00 und 15.00 Uhr, in Hallein festgenommen worden ist, in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter und auf persönliche Freiheit sowie dadurch, daß er in der Folge, und zwar nach Überstellung nach Salzburg bis zur Einlieferung in das Gefangenenhaus des Landesgerichtes Salzburg bis , 14.30 Uhr, von Organen der Bundespolizeidirektion Salzburg angehalten worden ist, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf persönliche Freiheit verletzt worden.
Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden des Beschwerdevertreters die mit 12.100 S bestimmten Prozeßkosten binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1. In der auf Art 144 B-VG gestützten, gegen die Bundespolizeidirektion Salzburg gerichteten Beschwerde bringt der Beschwerdeführer - sinngemäß auf das Wesentliche zusammengefaßt - vor, daß er am um ungefähr 14.00 Uhr in der Wohnung seiner Lebensgefährtin in Hallein von Beamten der Bundespolizeidirektion Salzburg (im Dienst der Strafjustiz) festgenommen, in das Gefangenenhaus der Bundespolizeidirektion Salzburg überstellt, dort angehalten und am gegen
14.50 Uhr in das Gefangenenhaus des Landesgerichtes Salzburg eingeliefert worden sei. Der Beschwerdeführer begehrt die Feststellung, daß er durch diese Festnahme und Anhaltung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf persönliche Freiheit verletzt wurde.
2. Die durch die Finanzprokuratur vertretene Bundespolizeidirektion Salzburg erstattete eine Gegenschrift, in der sie hinsichtlich der Festnahme des Beschwerdeführers ihre Passivlegitimation bestreitet und im übrigen die Zurückweisung der Beschwerde begehrt. Im wesentlichen wird vorgebracht, daß die Festnahme des Beschwerdeführers in der Wohnung seiner Lebensgefährtin in Hallein von RevInsp. N des Gendarmeriepostens Hallein durchgeführt worden sei, dem Gruppeninspektor F der Bundespolizeidirektion Salzburg lediglich assistiert habe. Nach der Überstellung des Beschwerdeführers nach Salzburg habe Untersuchungsrichter Dr. S einen Haftbefehl erlassen, der Oberst W der Bundespolizeidirektion Salzburg fernmündlich bekanntgegeben worden sei.
3. Die im Vorverfahren als (weitere) belangte Behörde beigezogene Bezirkshauptmannschaft Hallein bestritt ebenfalls, passiv legitimiert zu sein; die Festnahme des Beschwerdeführers sei ausschließlich von GrInsp. F verfügt worden. Der Beschwerdeführer bestritt in einem Schriftsatz, daß gegen ihn ein Haftbefehl erlassen worden sei, und verwies diesbezüglich auf den Akt 21a Vr 2667/86-Hv 20/87 des Landesgerichtes Salzburg (betreffend eine Strafsache gegen den Beschwerdeführer und andere Beschuldigte).
II. 1. Aufgrund des übereinstimmenden Parteienvorbringens sowie des eben bezeichneten Aktes des Landesgerichtes Salzburg steht zunächst fest, daß der Festnahme des Beschwerdeführers, welche am in der Wohnung seiner Lebensgefährtin in Hallein (im Dienst der Strafjustiz) erfolgte, ein richterlicher Haftbefehl nicht zugrundelag.
Wie aus den eigenen Angaben des GrInsp. F (welcher in der Hauptverhandlung des erwähnten Strafverfahrens gegen den Beschwerdeführer zeugenschaftlich vernommen wurde) hervorgeht, begab sich dieser Beamte in der Wohnung der Lebensgefährtin des Beschwerdeführers in das Schlafzimmer, wo der Beschwerdeführer im Bett lag; RevInsp. N blieb hingegen mit der Lebensgefährtin des Beschwerdeführers in einem anderen Zimmer.
Im Schlafzimmer forderte GrInsp. F den im Bett liegenden Beschwerdeführer mit den Worten: "Komm, zieh dich an!" zum Mitkommen auf, während RevInsp. N weiterhin im anderen Zimmer verblieb. Der Beschwerdeführer wurde sodann - wie gemäß dem übereinstimmenden Parteienvorbringen feststeht - von den Beamten zum Gendarmerieposten Hallein gebracht und von dort in das Polizeigefangenenhaus Salzburg überstellt.
Auch bezüglich der weiteren Anhaltung des Beschwerdeführers durch die Bundespolizeidirektion Salzburg, welcher am in das Gefangenenhaus des Landesgerichtes Salzburg eingeliefert wurde, wurde (entgegen dem Vorbringen in der Gegenschrift) ein richterlicher Befehl nicht erteilt.
Der zuständige Untersuchungsrichter des Landesgerichtes Salzburg Dr. S, auf den sich die belangte Bundespolizeidirektion Salzburg in dieser Hinsicht beruft, bekundete in einem Aktenvermerk vom (im schon mehrmals erwähnten Akt des Landesgerichtes Salzburg über die Strafsache gegen den Beschwerdeführer), daß er gegen den Beschwerdeführer keinen mündlichen Haftbefehl erlassen habe; dies vermerkte der Richter im Hinblick darauf, daß sich die Bundespolizeidirektion Salzburg in der gegen den Beschwerdeführer erstatteten Strafanzeige auf einen derartigen Haftbefehl berief. Diese Angabe bekräftigte Dr. S anläßlich seiner Vernehmung als Zeuge im Verfahren 30 Vr 823/88 des Landesgerichtes Salzburg. Oberst W der Bundespolizeidirektion Salzburg gab (wie aus demselben Akt hervorgeht) zwar ursprünglich an, daß am gegen den Beschwerdeführer von Untersuchungsrichter Dr. S ein mündlicher Haftbefehl erlassen worden sei, widerrief diese Behauptung jedoch später mit dem Hinweis, sich im Datum geirrt zu haben. Offenkundig auf einem weiteren Irrtum beruht aber auch die sodann aufgestellte Behauptung von Oberst W, im Zuge eines Ferngesprächs mit Dr. S am habe dieser Richter einen Haftbefehl gegen den Beschwerdeführer erteilt; Dr. S konnte sich anläßlich seiner erwähnten Zeugenvernehmung an ein derartiges Gespräch zwar nicht mehr erinnern, erklärte aber im Hinblick auf seinen Aktenvermerk vom , daß er sich anläßlich der Errichtung dieses Vermerks höchstwahrscheinlich daran erinnert hätte, wenn er acht Tage zuvor telefonisch einen Haftbefehl erlassen hätte.
2. Soweit sich die Beschwerde gegen die Festnahme richtet, ist sie, weil sämtliche Prozeßvoraussetzungen gegeben sind, zulässig. Es obliegt dem Verfassungsgerichtshof von Amts wegen festzustellen, welche Verwaltungsbehörde diesen angefochtenen Verwaltungsakt als belangte Behörde zu vertreten hat; dem in der Gegenschrift eingenommenen Standpunkt zuwider ist dies - wie aus dem Einschreiten des GrInsp. F folgt - die Bundespolizeidirektion Salzburg. Die oben einschließlich der Begleitumstände geschilderte Aufforderung an den Beschwerdeführer durch GrInsp. F ("Komm, zieh dich an!") ist nach einem objektiven Maßstab vor dem Hintergrund der damals bestandenen Situation (nämlich daß zwei Exekutivbeamte in die Wohnung gekommen waren) zu werten; sie muß (unabhängig davon wie der einschreitende Beamte sein Vorgehen später subjektiv beurteilte) dahin verstanden werden, daß dem Beschwerdeführer ab dem Zeitpunkt der Äußerung bewußt war, nicht mehr über seine persönliche Freiheit zu verfügen, mithin festgenommen zu sein.
Die Beschwerde erweist sich aber auch insoweit als zulässig, als sie sich gegen die Anhaltung des Beschwerdeführers bis zu seiner Einlieferung in das Gefangenenhaus des Landesgerichtes Salzburg wendet, denn es wurde - entgegen dem Vorbringen in der Gegenschrift - ein richterlicher Haftbefehl nicht erteilt.
3. In der Sache geht der Verfassungsgerichtshof unter Bedachtnahme auf seine Rechtsprechung (s. VfSlg. 9013/1981) davon aus, daß der Beschwerdeführer, weil die Bundespolizeidirektion Salzburg außerhalb ihres örtlichen Wirkungsbereichs mit Befehls- und Zwangsgewalt vorging (und ein Anwendungsfall des § 27 Abs 3 VStG idF BGBl. 176/1983 (ArtV EGVG) wegen der Anwesenheit von RevInsp. N des Gendarmeriepostens Hallein zweifellos nicht vorlag), durch die Festnahme im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt wurde. War die Festnahme des Beschwerdeführers jedoch unter dem Aspekt der behördlichen Zuständigkeit unzulässig, so wurde er durch diesen Verwaltungsakt in Ansehung des § 4 des Gesetzes zum Schutz der persönlichen Freiheit auch im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf persönliche Freiheit verletzt. Die Verletzung dieses verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes liegt aber auch insofern vor, als der Freiheitsentzug im örtlichen Wirkungsbereich der Bundespolizeidirektion Salzburg aufrechterhalten wurde. Denn die Lage einer Person, der im Hinblick auf die örtliche Unzuständigkeit der einschreitenden Sicherheitsbehörde die Freiheit zu Unrecht entzogen wurde, kann ab dem Eintritt der örtlichen Zuständigkeit der Sicherheitsbehörde rechtlich nicht ungünstiger sein als die Situation desjenigen, der sich bis zum Platzgreifen der örtlichen Zuständigkeit auf freiem Fuß befindet. Dies bedeutet (unter Berücksichtigung des gegen den Beschwerdeführer nach Ansicht der Sicherheitsbehörde bestandenen Verdachts eines Verbrechens sowie des Umstandes, daß eine Betretung auf frischer Tat nicht vorliegt) im Hinblick auf § 177 Abs 1 (§10 Z 1) iVm § 175 Abs 1 Z 2 bis 4 und Abs 2 StPO, daß eine vorläufige Verwahrung des Beschwerdeführers nur nach Maßgabe der Z 2 im § 177 Abs 1 StPO zulässig gewesen wäre; es kann aber keineswegs gesagt werden, daß im gegebenen Fall die Einholung eines richterlichen Befehles wegen Gefahr im Verzug nicht tunlich gewesen wäre.
4. Somit war spruchgemäß zu entscheiden, wobei lediglich noch anzumerken ist, daß der Zeitpunkt der Festnahme am nicht genau feststellbar ist und etwa zwischen 14.00 und 15.00 Uhr liegt, sowie daß der genaue Zeitpunkt der Einlieferung des Beschwerdeführers in das Gefangenenhaus des Landesgerichtes Salzburg am - abweichend vom Beschwerdevorbringen - aufgrund des Einlieferungsberichtes mit 14.30 Uhr anzunehmen ist.
5. Die Kostenentscheidung stützt sich auf § 88 VerfGG; vom zugesprochenen Betrag entfallen 1.100 S auf die Umsatzsteuer.
III. Von einer mündlichen Verhandlung wurde gemäß § 19 Abs 4 erster Satz VerfGG abgesehen.