OGH vom 18.06.2009, 13Os53/09g
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Ratz als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Kirchbacher und Dr. Lässig, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Fuchs und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Schmid als Schriftführer in der Strafsache gegen Siegfried S***** wegen des Vergehens der Gefährdung der körperlichen Sicherheit nach § 89 StGB, AZ 6 U 135/07t des Bezirksgerichts Liezen, über die von der Generalprokuratur gegen das Urteil dieses Gerichts vom (ON 6) erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Mag. Bauer, zu Recht erkannt:
Spruch
In der Strafsache AZ 6 U 135/07t des Bezirksgerichts Liezen verletzen die in der am durchgeführten Hauptverhandlung (ON 5) stattgefundene Unterlassung der Anleitung des Beschuldigten zur Antragstellung zwecks Aufklärung eines indizierten Verfolgungshindernisses und das Urteil vom selben Tag (ON 6) das Gesetz in § 3 StPO aF iVm § 468 Abs 1 Z 3 (§ 281 Abs 1 Z 4) StPO.
Dieses Urteil sowie demzufolge auch der unter einem gefasste Beschluss auf Verlängerung einer Probezeit (ON 6 S 31), nicht aber das damit verfügte Absehen vom Widerruf einer bedingten Strafnachsicht, werden aufgehoben.
Dem Bezirksgericht Liezen wird insoweit die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufgetragen.
Text
Gründe:
Mit (bereits rechtskräftigem) Urteil des Bezirksgerichts Liezen vom wurde Siegfried S***** des Vergehens der Gefährdung der körperlichen Sicherheit nach § 89 StGB schuldig erkannt und hiefür zu einer Geldstrafe verurteilt (ON 6). Mit gleichzeitig gefasstem Beschluss sah das erkennende Gericht vom Widerruf einer bedingten Strafnachsicht ab und verlängerte die Probezeit auf fünf Jahre (ON 6 S 31).
Nach dem Urteilstenor (§ 260 Abs 1 Z 1 StPO; welcher im Fall einer nach § 458 Abs 3 StPO gekürzten Urteilsausfertigung die Entscheidungsgründe als Bezugspunkt für die materiellrechtliche Beurteilung ersetzt; vgl Ratz, WK-StPO § 292 Rz 6) hat der Beschuldigte am auf der Landesstraße L 713 als Pkw-Lenker den von Daniel W***** an der Kreuzung nach Bärndorf angehaltenen Pkw gestreift und dadurch, wenn auch nur fahrlässig, eine Gefahr für das Leben, die Gesundheit oder die körperliche Sicherheit des Genannten herbeigeführt, nachdem er sich vor der Tat durch den Genuss von Alkohol in einen die Zurechnungsfähigkeit nicht ausschließenden Rauschzustand (mit einem Atemalkoholgehalt von rund 0,94 mg/l) versetzt hatte, obwohl er vorhergesehen hatte oder hätte vorhersehen können, dass ihm das Lenken eines Kraftfahrzeugs, mithin eine Tätigkeit bevorstehe, deren Vornahme in diesem Zustand ein entsprechendes Gefährdungspotenzial aufweist (§ 81 Abs 1 Z 2 StGB).
Den in der Hauptverhandlung gemachten Hinweis des Beschuldigten, „für das gegenständliche Verkehrsdelikt" bereits verwaltungsbehördlich bestraft worden zu sein (ON 5 S 23), ließ der Tatrichter dahinstehen.
Rechtliche Beurteilung
Wie die Generalprokuratur in der zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zutreffend ausführt, steht die beschriebene Vorgangsweise des Gerichts mit dem Gesetz nicht im Einklang.
Durch die dargestellte Äußerung des Beschuldigten ist in der Hauptverhandlung ein iS des Art 4 des 7. ZPMRK (und solcherart unter dem Aspekt der Nichtigkeitsgründe aus § 281 Abs 1 Z 9 lit b [§ 468 Abs 1 Z 4] StPO) relevantes Tatsachensubstrat hervorgekommen, wobei sich der Beschuldigte der Sache nach wenigstens andeutungsweise auf ein Beweismittel, nämlich den Akt über das betreffende Verwaltungsstrafverfahren bezogen hat. Demnach war das Bezirksgericht bei sonstiger Nichtigkeit aus dem Grund des § 281 Abs 1 Z 4 (§ 468 Abs 1 Z 3) StPO verbunden, den nicht durch einen Verteidiger Vertretenen gemäß § 3 StPO aF - dessen Inhalt sich nunmehr in § 6 Abs 2 erster Satz (§ 49 Z 6) StPO wiederfindet (Ratz, Welche Veränderungen des Rechtsmittelverfahrens gegen Urteile erfordert das Strafprozessreformgesetz? Miklau-FS [2006] 413 FN 8) - zur zweckdienlichen Antragstellung anzuleiten (zum Ganzen Ratz, WK-StPO § 468 Rz 38).
Da die Gesetzesverletzung geeignet ist, zum Nachteil des Verurteilten zu wirken, sah sich der Oberste Gerichtshof veranlasst, deren Feststellung gemäß § 292 letzter Satz StPO mit konkreter Wirkung zu verknüpfen.
Sache des Bezirksgerichts Liezen wird es nachfolgend sein, unter Verweis auf diese Entscheidung bei der Bezirkshauptmannschaft Liezen wegen etwaiger Beseitigung des in Rechtskraft erwachsenen Strafbescheids anzufragen (zur Vorgangsweise s JBl 2004, 441 mit kritischer Anmerkung von Thienel/Hauenschild; treffend die Beschwer im Fall einer solchen Beseitigung verneinend dagegen Cede, JBl 2005, 331; zur Frage der Beschwer vgl auch den Praxishinweis der EvBl-Redaktion zu 11 Os 10/09v, EvBl 2009/70, 470).
Würde der Bescheid beseitigt (zu den vom EGMR zuletzt für entscheidend erachteten Kriterien für unzulässige Doppelverfolgung s eingehend EGMR [Große Kammer] , Sergey Zolotukhin gg Russland, Nr 14.939/03 [insb Punkt 78-84 und 97]), stünde einer erneuten Strafverfolgung unter dem Aspekt des Art 4 des 7. ZPMRK nichts entgegen (zuletzt: EGMR [Große Kammer] , Sergey Zolotukhin gg Russland, Nr 14.939/03 [Punkt 114]; vgl auch EGMR , Falkner gg Österreich Nr 6.072/02, ÖJZ-MRK 2005/18, 685).