VfGH vom 12.06.1990, B162/90
Sammlungsnummer
12366
Leitsatz
Verletzung des Beschwerdeführers im Recht auf persönliche Freiheit durch Festnahme nach eingetretener Vollstreckungsverjährung; Anhängigkeit eines Verfahrens iS der Übergangsbestimmung zur VStG-Novelle 1987 nur bis zur Bescheiderlassung bzw. Verfahrenseinstellung gegeben; Neuregelung der Verjährung im vorliegenden Fall daher nicht mehr anwendbar
Spruch
Der Beschwerdeführer ist dadurch, daß ihn Organe der Bundespolizeidirektion Linz von , 8.15 Uhr bis , 8.45 Uhr im polizeilichen Gefangenenhaus Linz zur Strafvollstreckung in Haft hielten, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf persönliche Freiheit verletzt worden.
Das Land Oberösterreich ist schuldig, dem Beschwerdeführer zu Handen des Beschwerdevertreters die mit S 15.000,-- bestimmten Prozeßkosten binnen 14 Tagen bei Exekution zu bezahlen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1.a) Die Bundespolizeidirektion Linz erkannte mit Straferkenntnis vom den Beschwerdeführer schuldig, am Verwaltungsübertretungen nach § 5 Abs 1 StVO, § 102 Abs 1 KFG iVm § 4 Abs 4 KDV und § 15 KFG sowie nach ArtIII Abs 5 der dritten KFG-Nov. begangen zu haben und verhängte über ihn Geldstrafen im Gesamtbetrag von S 12.600,-- (im Fall der Unbeinbringlichkeit 16 Tage Arrest).
Das Straferkenntnis wurde dem Beschwerdeführer am zu eigenen Handen zugestellt und erwuchs nach ungenütztem Verstreichen der Rechtsmittelfrist am in Rechtskraft. Eine Mahnung der Bundespolizeidirektion Linz vom , die Geldstrafe unverzüglich zu bezahlen, wurde vom Beschwerdeführer beim Postamt nicht behoben.
b) Da die Bezirkshauptmannschaft Linz-Land einem Ersuchen der Bundespolizeidirektion Linz um Strafvollzug mangels aufrechten Wohnsitzes des Beschwerdeführers nicht nachkommen konnte, führte die Bundespolizeidirektion Linz Erhebungen durch, ermittelte den Aufenthalt des Beschwerdeführers jedoch erst am , nachdem das Meldeamt bekannt gegeben hatte, daß der Beschwerdeführer seit diesem Tage als Strafgefangener im landesgerichtlichen Gefangenenhaus Linz polizeilich gemeldet sei.
Am richtete die Bundespolizeidirektion Linz an den Leiter des Gefangenenhauses beim Landesgericht Linz ein Ersuchen um Strafvollzug im Anschluß an die durch den Beschwerdeführer verbüßte Strafhaft, dem jedoch wegen Platzmangels nicht nachgekommen wurde. Aus diesem Grund wurde der Beschwerdeführer am um ca. 8.15 Uhr anläßlich seiner Entlassung aus dem Gefangenenhaus des Landesgerichtes Linz von zwei Sicherheitswachebeamten der Bundespolizeidirektion Linz abgeholt und um 8.45 Uhr in das Polizeigefangenenhaus zur Verbüßung der über ihn verhängten Ersatzarreststrafe eingeliefert. Die Entlassung aus dem Polizeigefangenenhaus erfolgte am um 8.45 Uhr.
2. Gegen die Inhaftnahme und anschließende Anhaltung wendet sich die vorliegende, auf Art 144 (Abs1 zweiter Satz) B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf persönliche Freiheit behauptet und begehrt wird, diese Rechtsverletzung kostenpflichtig festzustellen, hilfsweise die Beschwerde dem Verwaltungsgerichtshof abzutreten.
Der Beschwerdeführer meint, zum Zeitpunkt seiner Inhaftnahme sei bereits Vollstreckungsverjährung eingetreten gewesen.
3. Die Bundespolizeidirektion Linz als belangte Behörde erstattete eine Gegenschrift, in der sie die Rechtmäßigkeit der bekämpften Maßnahmen verteidigt. Die Strafvollstreckung sei nicht wegen eingetretener Verjährung unzulässig gewesen.
II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:
1.a) § 31 Abs 3 VStG 1950 in der zum Zeitpunkt der Erlassung des Strafbescheides geltenden Fassung, nämlich jener vor der VStG-Novelle 1987, BGBl. 516, sah für die Vollstreckungsverjährung eine Frist von drei Jahren vor; diese Frist war grundsätzlich von dem Zeitpunkt zu berechnen, an dem die strafbare Tätigkeit abgeschlossen worden war oder das strafbare Verhalten aufgehört hatte.
b) Mit der VStG-Nov. 1987 wurde § 31 Abs 3 dahingehend geändert, daß "eine Strafe nicht mehr vollstreckt werden darf, wenn seit ihrer rechtskräftigen Verhängung drei Jahre vergangen sind".
Dem ArtII Abs 1 der VStG-Nov. 1987 zufolge trat dieses Gesetz mit in Kraft. ArtII Abs 2 leg.cit. lautet:
"Im Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes anhängige Verfahren sind nach diesem Bundesgesetz weiterzuführen."
2.a) Die hier maßgebende Frage ist, ob Vollstreckungsverjährung eingetreten ist.
Sollte sie nach der Fassung des VStG vor der Nov. 1987 zu beurteilen sein, so hätte die Frist mit begonnen und mit geendet; es wäre diesfalls rechtswidrig gewesen, zu einem späteren Zeitpunkt (am ) mit Vollstreckung der Arreststrafe zu beginnen.
Sollte hingegen der Eintritt der Vollstreckungsverjährung nach § 31 Abs 3 VStG 1950 idF der Nov. 1987 zu beurteilen sein, so hätte die dreijährige Frist mit (Erwachsen des Strafbescheides in Rechtskraft) zu laufen begonnen und würde erst mit enden; der Vollzug der Arreststrafe hätte also am noch begonnen werden dürfen.
b) Dem ArtII Abs 2 der VStG-Novelle 1987 zufolge sind (nur) im Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes () anhängige Verfahren nach diesem Bundesgesetz weiterzuführen.
Zu klären ist also, was im gegebenen Zusammenhang unter einem "anhängigen Verfahren" zu verstehen ist. Wortlaut, Sinngehalt und Zusammenhalt mit anderen verfahrensrechtlichen Vorschriften (etwa mit der StPO) lassen erkennen, daß unter dieser Wendung lediglich das (eigentliche) Verwaltungsstrafverfahren (das zur Verhängung einer Strafe bzw. zur Einstellung des Verfahrens führende Verfahren) zu verstehen ist, nicht jedoch das daraufhin folgende - davon rechtlich abgehobene - der Vollstreckung der Strafe dienende behördliche Verfahren (vgl. dazu ).
c) Das bedeutet für den vorliegenden Fall, daß das gegen den Beschwerdeführer durchgeführte Verwaltungsstrafverfahren am (Inkrafttreten der VStG-Novelle 1987) nicht mehr anhängig war. Daher waren für das Vollstreckungsverfahren nach der bereits zitierten Judikatur des Verfassungsgerichtshofes (Erk. vom 2.10.1989 B720/89) die Bestimmungen vor dem Inkrafttreten der VStG-Novelle 1987 anzuwenden, nicht aber, wie die belangte Behörde meint, die neue Regelung des § 31 Abs 3 VStG 1950.
Das wieder bedeutet, daß am Vollstreckungsverjährung eingetreten war, da die dem Strafbescheid zugrundeliegenden Verwaltungsübertretungen bereits am begangen worden sind. Es widersprach mithin dem Gesetz, mit dem Vollzug der über den Beschwerdeführer verhängten Ersatzfreiheitsstrafe später (nämlich am ) zu beginnen.
Der Beschwerdeführer ist also durch die bekämpften Maßnahmen im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf persönliche Freiheit verletzt worden.
3. Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 88 VerfGG. In den (begehrten) zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von
S 2.500,-- enthalten.
4. Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 erster Satz VerfGG ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung getroffen werden.
Fundstelle(n):
BAAAE-11916