VfGH vom 09.06.2004, b161/04
Sammlungsnummer
******
Leitsatz
Verletzung im Recht auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung vor einem Tribunal durch Bescheiderlassung seitens des Unabhängigen Verwaltungssenates betreffend Inbetriebnahme eines Kraftfahrzeugs in alkoholisiertem Zustand wegen Unterlassung der Durchführung einer Berufungsverhandlung; keine Bedenken gegen die dem UVS einen Ermessensspielraum einräumende verwaltungsstrafrechtliche Bestimmung über das Absehen von einer Berufungsverhandlung
Spruch
Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung vor einem Tribunal (Art6 Abs 1 EMRK) verletzt worden.
Der Bescheid wird aufgehoben.
Der Bund (Bundesminister für Inneres) und das Land Tirol sind schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.340,-- bestimmten Verfahrenskosten je zur Hälfte binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu bezahlen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1. Mit Bescheid der Bundespolizeidirektion Innsbruck vom wurde dem Beschwerdeführer zur Last gelegt, dass er durch lautstarkes Schreien ungebührlicherweise störenden Lärm erregt habe und sich gegenüber Sicherheitswachebeamten trotz vorausgegangener Abmahnung aggressiv verhalten und dadurch eine Amtshandlung behindert habe. Wegen der Verwaltungsübertretungen gemäß § 4 Abs 1 iVm. § 1 Abs 1 Tiroler Landes-Polizeigesetz und gemäß § 82 Abs 1 Sicherheitspolizeigesetz wurden über ihn Geldstrafen in der Höhe von je € 100,-- bzw. Ersatzfreiheitsstrafen von jeweils zwei Tagen verhängt.
Gegen dieses Straferkenntnis erhob der Beschwerdeführer Berufung an den Unabhängigen Verwaltungssenat in Tirol (im Folgenden: UVS), in der er auch die Durchführung einer mündlichen Berufungsverhandlung beantragte.
Mit Bescheid vom gab der UVS dieser Berufung - ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung - im Schuldspruch keine Folge, reduzierte aber die gemäß § 82 Abs 1 Sicherheitspolizeigesetz verhängte Geldstrafe auf € 65,-- und die diesbezügliche Ersatzfreiheitsstrafe auf einen Tag.
2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die auf Art 144 B-VG gestützte Beschwerde, in der insbesondere die Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechts auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung vor einem Tribunal (Art6 EMRK) behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des Bescheides beantragt wird.
3. Der UVS hat die Verwaltungsakten vorgelegt und die Abweisung der Beschwerde beantragt, von der Erstattung einer Gegenschrift aber Abstand genommen.
II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:
1. Im Verwaltungsstrafverfahren findet eine Verletzung der durch Art 6 EMRK verfassungsgesetzlich gewährleisteten Verfahrensgarantie statt, wenn der UVS - der insofern als das zur Entscheidung über die strafrechtliche Anklage zuständige Tribunal entscheidet - einen Schuldspruch fällt, ohne zuvor die erforderliche mündliche Verhandlung durchgeführt zu haben, obwohl keine Gründe für ein Absehen von der mündlichen Verhandlung vorliegen (vgl. das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes VfSlg. 16.624/2002; weiters zB ; , B366/03).
2. In seinem Bescheid hat der UVS das Absehen von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung auf § 59e [gemeint wohl:
§51e] Abs 4 VStG gestützt. Diese Bestimmung könnte jedoch von vornherein nur im - hier nicht gegebenen - Fall der Erlassung eines verfahrensrechtlichen Bescheides zur Anwendung kommen.
Da der Beschwerdeführer in seiner Berufung die Durchführung einer mündlichen Berufungsverhandlung beantragt hat, kommt aber auch die Anwendung des § 51e Abs 3 VStG - der den UVS allenfalls ermächtigt hätte, von einer mündlichen Verhandlung abzusehen - von seinen Voraussetzungen her nicht mehr in Betracht. Daraus folgt, dass der UVS verpflichtet gewesen wäre, eine mündliche Verhandlung durchzuführen. Diese Unterlassung führt nicht nur zur Gesetzwidrigkeit des Bescheides, sondern hat auch die Verletzung des Art 6 Abs 1 EMRK zur Folge (VfSlg. 16.624/2002; vgl. auch ; , B1482/02).
3. Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid daher in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung vor einem Tribunal (Art6 Abs 1 EMRK) verletzt worden.
Der angefochtene Bescheid war schon aus diesem Grunde aufzuheben.
III. 1. Der Kostenzuspruch beruht auf § 88 VfGG. Im zugesprochenen Betrag sind Umsatzsteuer in Höhe von € 360,-- sowie der Ersatz der gemäß § 17a VfGG entrichteten Eingabengebühr in Höhe von € 180,-- enthalten.
2. Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.