OGH vom 13.07.2021, 13Os52/21b (13Os64/21t)
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Lässig als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner-Foregger und Mag. Michel, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl und die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Brenner in der Strafsache gegen Maria S***** wegen des Verbrechens des Mordes nach § 15, 75 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung der Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts Klagenfurt als Geschworenengericht vom , GZ 80 Hv 143/20y-97, sowie über den Antrag der Angeklagten auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand „zur Ausführung des Nichtigkeitsgrundes des § 345 Abs. 1 Z 8 StPO“ nach Anhörung der Generalprokuratur nichtöffentlich (§ 62 Abs 1 zweiter Satz OGH-Geo 2019) den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.
Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Graz zugeleitet.
Der Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
[1] Mit dem angefochtenen Urteil wurde Maria S***** aufgrund des Wahrspruchs der Geschworenen des Verbrechens des Mordes nach § 15, 75 StGB schuldig erkannt.
[2] Danach hat sie am in A***** Nikolaj G***** dadurch vorsätzlich zu töten versucht, dass sie ihn in einem durch Fenster und Türen geschlossenen und abgedichteten kleinen Zimmer dem toxischen Gas Kohlenmonoxid aussetzte.
Rechtliche Beurteilung
[3] Dagegen richtet sich die auf § 345 Abs 1 Z 4, 6, 8 und 10a StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde der Angeklagten.
[4] Die Verfahrensrüge (Z 4) räumt ein, dass Protokolle über die Aussagen der Zeuginnen Darinka und Elisabeth S*****, welche in der Hauptverhandlung von ihrem Recht auf Aussagebefreiung nach § 156 Abs 1 Z 1 StPO Gebrauch gemacht haben, nicht verlesen wurden. Eine „Umgehung des Zeugenentschlagungsrechtes“ erblickt die Rüge aber darin, dass der Sachverständige Univ.Doz. Dr. H***** sein schriftliches Gutachten, in das Aussagen dieser Zeuginnen Eingang gefunden haben, in der Hauptverhandlung aufrecht hielt. Die Kritik geht schon deswegen ins Leere, weil sich die Verhaltensanordnung des § 252 StPO nicht an Sachverständige, sondern an das Gericht richtet (RIS-Justiz RS0133378; Ratz, WKStPO § 252 Rz 229 und 359). Im Übrigen hat der Sachverständige das schriftliche Gutachten (ON 67) ausdrücklich ohne Bezugnahme auf die Aussagen der genannten Zeuginnen vorgetragen (ON 96 S 61).
[5] Nach dem Gutachten des Sachverständigen Univ.Doz. Dr. H***** war die Angeklagte auch unter Berücksichtigung einer allfälligen Herabsetzung ihrer Dispositions- und Diskretionsfähigkeit infolge einer depressiven Verstimmung zum Tatzeitpunkt in der Lage, das Unrecht ihrer Tat einzusehen und nach dieser Einsicht zu handeln (ON 96 S 61).
[6] Weshalb gerade dieses Gutachten eine Zusatzfrage nach dem Schuldausschließungsgrund der Zurechnungsunfähigkeit (§ 11 StGB) indiziert haben sollte, macht die Fragenrüge (Z 6) mit dem Hinweis auf gutachterliche Ausführungen, wonach die Angeklagte an einer „Bipolar-II-Störung“ gelitten und keine Behandlungseinsicht gezeigt habe (dazu ON 96 S 67), nicht klar. Vielmehr übergeht sie insoweit die Klarstellung des Experten, nach der es sich bei der angeführten Störung gerade nicht um eine schwere Gemütserkrankung handelt (ON 96 S 35), und lässt solcherart die gebotene Ausrichtung am Verfahrensrecht vermissen (RISJustiz RS0120766; Lässig, WKStPO § 313 Rz 8).
[7] Der Vorwurf der Instruktionsrüge (Z 8), den Geschworenen sei hinsichtlich der konkret vorgeworfenen Tatbestände keine Rechtsbelehrung erteilt worden, stellte sich nach der vom Obersten Gerichtshof eingeholten Auskunft der Vorsitzenden als unrichtig heraus. Dem Verteidiger wurde zur Erstattung eines allfälligen ergänzenden Vorbringens aus Z 8 des § 345 Abs 1 StPO eine Gleichschrift dieser Auskunft und der tatsächlich erteilten Rechtsbelehrung übermittelt.
[8] Die insoweit ergänzend vorgebrachte Kritik am Unterbleiben einer Rechtsbelehrung „hinsichtlich des Tatbestands der fahrlässigen Tötung“ geht daran vorbei, dass den Geschworenen Rechtsbelehrung nur zu gestellten Fragen zu erteilen ist (RIS-Justiz RS0117449, RS0100804 [T3] und RS0101085 [T1]). Fallbezogen haben aber die Geschworenen die anklagekonform gestellte Hauptfrage nach dem Verbrechen des Mordes nach § 15, 75 StGB mehrheitlich bejaht und demgemäß die Eventualfrage nach dem Vergehen der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 Abs 3 und 4 zweiter Satz erster Fall StGB unbeantwortet gelassen (ON 96 S 94).
[9] Ein Eingehen auf den – bloß eventualiter gestellten – Antrag der Angeklagten auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand „zur Ausführung des Nichtigkeitsgrundes des § 345 Abs. 1 Ziffer 8 StPO“ erübrigt sich daher.
[10] Der Nichtigkeitsgrund des § 345 Abs 1 Z 10a StPO zielt – soweit hier von Bedeutung (Fehler in der Sachverhaltsaufklärung werden insoweit nicht behauptet) – darauf, in der Hauptverhandlung vorgekommene Verfahrensergebnisse (§ 258 Abs 1 StPO iVm § 302 Abs 1 StPO) aufzuzeigen, die nahelegen, dass die Geschworenen das ihnen nach § 258 Abs 2 zweiter Satz StPO iVm § 302 Abs 1 StPO gesetzlich zustehende Beweiswürdigungsermessen in geradezu unerträglicher Weise gebraucht haben (RIS-Justiz RS0118780 [T13, T 16, T 17]).
[11] Diesen Anfechtungsrahmen verlässt die Tatsachenrüge (Z 10a), indem sie ihre Einwände aus der Niederschrift der Geschworenen entwickelt (vgl dazu RISJustiz RS0115549 und RS0100809; Ratz, WK-StPO § 345 Rz 16) und vorbringt, zur in der Hauptfrage „suggerierte[n]“ „gesonderte[n]“ Abdichtung des kleinen Zimmers gäbe es „keinerlei Beweisergebnisse“.
[12] Die Kritik am Unterbleiben weiterer Beweisaufnahmen (der Sache nach Z 10a) unterlässt die gebotene Darlegung, wodurch die Angeklagte an einer darauf abzielenden Antragstellung in der Hauptverhandlung gehindert gewesen sei (RIS-Justiz RS0115823).
[13] Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – bereits bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§§ 344, 285d Abs 1 StPO).
[14] Über die Berufung hat das Oberlandesgericht zu entscheiden (§§ 344, 285i StPO).
[15] Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.
Zusatzinformationen
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ECLI: | ECLI:AT:OGH0002:2021:0130OS00052.21B.0713.000 |
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