OGH vom 22.09.2016, 12Ns42/16x
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Schroll als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. T. Solé, Dr. Oshidari, Dr. Michel Kwapinski und Dr. Brenner in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Beran als Schriftführer in der Strafsache gegen Austerian S***** und einen anderen Angeklagten wegen des Verbrechens des gewerbsmäßigen Diebstahls nach §§ 127, 130 erster Fall StGB idF vor BGBl I 2015/112 über die in den Verfahren AZ 25 Hv 55/14x des Landesgerichts Linz und AZ 512 U 22/16y des Bezirksgerichts Amstetten bestehende Meinungsverschiedenheit über die Zuständigkeit nach Anhörung der Generalprokuratur den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Der Oberste Gerichtshof ist zur Regelung der rechtlichen Meinungsverschiedenheit zwischen dem Landesgericht Linz und dem Bezirksgericht Amstetten nicht zuständig.
Text
Gründe:
Aufgrund der am erfolgten Betretung unmittelbar nach der Tat in einem mit der Beute beladenen Fahrzeug nahm die Polizeiinspektion St. Valentin den am geborenen – und daher zum Tatzeitpunkt jugendlichen – Iacob S*****, dessen Vater Austerian S***** und dessen Onkel Emil L***** wegen des Verdachts des „gewerbsmäßigen Diebstahls und Diebstahls im Rahmen einer kriminellen Vereinigung“ von sich aus fest (ON 12 S 101, 105 und 109) und führte mit diesen noch am selben Tag formelle Beschuldigtenvernehmungen durch (ON 2 S 7 ff, 17 ff, 27 ff).
Am trat die Staatsanwaltschaft St. Pölten das Ermittlungsverfahren gegen die Genannten gemäß § 29 JGG an die Staatsanwaltschaft Linz ab, weil der Jugendliche Iacob S***** im Zeitpunkt der Einleitung des Ermittlungsverfahrens (§ 1 Abs 2 StPO) „bis dato in ***** wohnhaft und aufhältig war/ist“ (ON 1 S 1). Am erhob diese Strafantrag gegen Austerian S*****, Iacob S***** und Emil L***** je wegen §§ 127, 130 erster Fall StGB (ON 3) bei der für Jugendstrafsachen zuständigen Einzelrichterin des Landesgerichts Linz (ON 1 S 3). Danach wird den drei Angeklagten vorgeworfen, am in St. Valentin im bewussten und gewollten Zusammenwirken Verfügungsberechtigten der Ö***** AG gewerbsmäßig fremde bewegliche Sachen, nämlich 400 bis 500 kg Kupferkabel im Gesamtwert von 400 bis 500 Euro, mit dem Vorsatz weggenommen zu haben, sich durch deren Zueignung unrechtmäßig zu bereichern.
Zu der für anberaumten Hauptverhandlung erschienen Austerian und Iacob S***** nicht (ON 15). Das Verfahren gegen Emil L***** war bereits am ausgeschieden worden (ON 1 S 7). Die vom Gericht getroffenen Veranlassungen zur Ladung der Angeklagten zum nächsten Termin am blieben aufgrund deren unbekannten Aufenthalts erfolglos, sodass das Strafverfahren am gemäß § 197 Abs 1 StPO abgebrochen wurde (ON 1 S 11).
Nachdem Iacob S***** im Februar 2016 eine Zustelladresse in Deutschland bekannt gab (ON 37), konnte ihm die Ladung zur Hauptverhandlung für den zwar ordnungsgemäß zugestellt werden, er leistete dieser jedoch abermals nicht Folge. Die Einzelrichterin des Landesgerichts Linz fasste – nach erneuter Abbrechung – noch in der Verhandlung den Beschluss auf Abtretung „des Verfahrens“ an das Bezirksgericht Amstetten. Begründend führte sie aus, dass es aufgrund der neuen Rechtslage (§ 70 StGB) keine Anhaltspunkte für die Zuständigkeit des Gerichtshofs mehr gäbe und der zum Tatzeitpunkt jugendliche Iacob S***** mittlerweile über 18 Jahre alt sei, weshalb nun das Tatortgericht zuständig sei (ON 38 S 1 f). Ein gleichartiger Beschluss hinsichtlich „des Verfahrens auch gegen Austerian S*****“ erging am selben Tag (ON 1 S 16).
Das Bezirksgericht Amstetten, Nebenstelle Haag, legt die Akten nun direkt dem Obersten Gerichtshof „gemäß § 38 StPO“ zur Entscheidung vor.
Rechtliche Beurteilung
Ein vom Obersten Gerichtshof nach § 38 StPO zu entscheidender Zuständigkeitsstreit liegt jedoch nicht vor:
Während die sachliche Unzuständigkeit des Landesgerichts als Einzelrichter bei (a-limine-)Prüfung des Strafantrags vor Anordnung der Hauptverhandlung gemäß § 485 Abs 1 Z 1 StPO uneingeschränkt – somit auch in Betreff einer Zuständigkeit des Bezirksgerichts – wahrzunehmen ist, bestimmt § 488 Abs 3 StPO für die Hauptverhandlung, dass das Landesgericht als Einzelrichter seine Unzuständigkeit nur im Fall einer von ihm erachteten Zuständigkeit des Landesgerichts als Schöffen- oder Geschworenengericht – somit nicht auch des Bezirksgerichts – mit Urteil auszusprechen hat.
Nach dieser auf dem Grundsatz der Prozessökonomie beruhenden (auch in § 261 Abs 1 StPO zum Ausdruck gebrachten) Konzeption der Strafprozessordnung, derzufolge nach Eröffnung der Hauptverhandlung das mit der Sache bereits befasste Gericht – sofern nicht die Zuständigkeit eines Gerichts höherer Ordnung gegeben erscheint – das Urteil schöpft, schließt die Zuständigkeit des – erkennenden – Gerichts höherer Ordnung die niedrigere sachliche Gerichtskompetenz in sich, weil auch ein bezogen auf den Gegenstand der Anklage qualifizierter Spruchkörper mit Blick auf die Systematik der verfahrensrechtlichen Vorschriften und ungeachtet unterschiedlicher Anfechtungsmöglichkeiten stets auf dem Gesetz beruht. Erachtet daher der Einzelrichter des Landesgerichts in der Hauptverhandlung, dass die abzuurteilende Tat in die Zuständigkeit des Bezirksgerichts fällt, so bleibt es bei seiner Entscheidungskompetenz und er hat ein Sachurteil zu fällen, nicht aber seine sachliche Unzuständigkeit auszusprechen. Gleiches gilt im Übrigen für das Schöffen- und das Geschworenengericht.
Die Beschlüsse der Einzelrichterin des Landesgerichts Linz auf Abtretung des Verfahrens an ein Bezirksgericht sind ungeachtet der auch nach Anordnung der Hauptverhandlung (§ 485 Abs 1 Z 4 StPO) im Verfahren vor dem Einzelrichter bestehenden Möglichkeit, die örtliche Unzuständigkeit wahrzunehmen (vgl 13 Ns 44/09p; Oshidari , WK StPO § 38 Rz 2), als der Strafprozessordnung fremd und damit als wirkungslos anzusehen (vgl zum Ganzen 12 Os 123/13z mwN), sodass das Landesgericht Linz zur Führung des Hauptverfahrens nach wie vor berufen ist.
Im Übrigen erweisen sich auch die von der Einzelrichterin des Landesgerichts Linz angestellten Erwägungen zu ihrer örtlichen Unzuständigkeit als unzutreffend:
Nach § 29 JGG ist für die örtliche Zuständigkeit der gewöhnliche Aufenthalt des einer Jugendstraftat verdächtigen Beschuldigten zur Zeit des Beginns des Strafverfahrens (§ 1 Abs 2 StPO) – also bei Aufnahme der Ermittlungstätigkeit von Kriminalpolizei oder Staatsanwaltschaft oder im Zeitpunkt eines gegen ihn ausgeübten Zwangs – maßgeblich. Ändert sich der Aufenthaltsort nach Einleitung des Strafverfahrens, bleibt die einmal begründete Gerichtszuständigkeit bestehen (vgl Schroll in WK² JGG § 29 Rz 8 mwN).
Nach der Aktenlage hatte Iacob S***** bei seiner Festnahme „gemäß § 171 Abs 2 iVm § 170 Abs 1 Z 1“ StPO (ON 12 S 105) durch die Polizeiinspektion St. Valentin am seinen polizeilich gemeldeten Hauptwohnsitz und seine Wohnsitzadresse – gemeinsam mit seinem Vater Austerian S***** – in ***** (ON 12 S 1, ON 19 S 15), somit im Sprengel des Landesgerichts Linz.
Die Akten werden daher dem Landesgericht Linz zur weiteren Verfahrensführung zugeleitet.
European Case Law Identifier
ECLI:AT:OGH0002:2016:0120NS00042.16X.0922.000