VfGH vom 27.09.1988, B159/88
Sammlungsnummer
11820
Leitsatz
Art144 Abs 1 zweiter Satz B-VG; VStG § 39 Abs 1 und Abs 2; vorläufige Beschlagnahme pyrotechnischer Artikel in denkmöglicher Anwendung des § 39 Abs 2 VStG iVm. § 369 Abs 1 GewO; Verletzung im Eigentumsrecht durch die - bis zum Zeitpunkt der Erlassung eines Beschlagnahmebescheides - gesetzlose Fortdauer der Beschlagnahme
Spruch
1. Der Bf. ist durch die nach dem bis zum fortdauernde vorläufige Beschlagnahme von pyrotechnischen Artikeln im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Unversehrtheit des Eigentums verletzt worden.
2. Im übrigen ist der Bf. weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt worden. Die Beschwerde wird insoweit abgewiesen und dem VwGH zur Entscheidung darüber abgetreten, ob der Bf. durch die am durchgeführte vorläufige Beschlagnahme und ihre Fortdauer bis in einem sonstigen Recht verletzt worden ist.
3. Die Kosten werden gegeneinander aufgehoben.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1. Organe des Magistrates der Stadt Wien (Magistratsabteilung 59-Marktamt) beschlagnahmten am im Betrieb des Bf. in Wien 22., B-Gasse - unter Berufung auf § 39 Abs 2 VStG 1950 - wegen Verdachtes des unbefugten Handels mit pyrotechnischen Artikeln der Klasse II iS des Pyrotechnikgesetzes 1974, BGBl. 282, mehrere derartige Gegenstände. Diese wurden in amtliche Verwahrung genommen und dem Bf. nicht zurückgestellt.
Am wurde die Beschlagnahme dem Magistratischen Bezirksamt für den 22. Bezirk schriftlich angezeigt.
Erst nachdem gegen die vorläufige Beschlagnahme Verfassungsgerichtshofbeschwerde (s.u. I.2.) erhoben worden war, erließ der Magistrat Wien (MBA 22) am einen (am zugestellten) Bescheid, mit dem gemäß § 39 Abs 1 VStG zur Sicherung des Verfalls aufgrund des Verdachtes der unbefugten Ausübung des Handels mit pyrotechnischen Artikeln durch den Bf. die Beschlagnahme der erwähnten Gegenstände angeordnet wurde.
2. Die vorliegende, auf Art 144 (Abs1 zweiter Satz) B-VG gestützte Beschwerde wendet sich gegen die (als Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt gewertete) am durchgeführte vorläufige Beschlagnahme und auch gegen deren Fortdauer.
Der Bf. erachtet sich im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Unversehrtheit des Eigentums verletzt und beantragt, diese Rechtsverletzung kostenpflichtig festzustellen und die Beschlagnahme vom aufzuheben.
3. Der Magistrat der Stadt Wien als bel. Beh. erstattete eine Gegenschrift, in der er begehrt, die Beschwerde abzuweisen.
II. Der VfGH hat erwogen:
1. Die bekämpfte vorläufige (auf § 39 Abs 2 VStG gegründete) Beschlagnahme erfolgte ohne vorangegangenes Verwaltungsverfahren. Sie ist als Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt zu qualifizieren, die nach Art 144 Abs 1 zweiter Satz B-VG beim VfGH bekämpfbar ist (vgl. zB ).
Die Beschwerde ist zulässig.
Die Prozeßvoraussetzungen fielen auch nach Beschwerdeerhebung nicht etwa dadurch weg, daß die Behörde in der Folge (mit Datum vom ) einen auf § 39 Abs 1 VStG gestützten Beschlagnahmebescheid erließ. Dieser deckt wohl ab seiner Zustellung an den Bf. die Beschlagnahme (s.u. II.2.), spricht jedoch nicht über die Rechtmäßigkeit der bis zu seiner Erlassung erfolgten faktischen Maßnahmen ab.
2.a) Der durch die vorläufige Beschlagnahme erfolgte Eingriff in das Eigentumsrecht des Bf. wäre nur dann verfassungswidrig, wenn die Beschlagnahme ohne jede Rechtsgrundlage ergangen wäre oder auf einer verfassungswidrigen Rechtsgrundlage beruhte, oder wenn die Behörde (das behördliche Hilfsorgan) das Gesetz in denkunmöglicher Weise angewendet hätte, ein Fall, der nur dann vorliegt, wenn die Behörde (das behördliche Hilfsorgan) einen so schweren Fehler begangen hätte, daß dieser mit Gesetzlosigkeit auf eine Stufe zu stellen wäre.
b) Die bel. Beh. rechtfertigt in der Gegenschrift die vorläufige Beschlagnahme wie folgt:
"Gemäß § 146 Abs 1 Zif. 2 GewO unterliegt der Handel mit pyrotechnischen Artikeln der Konzessionspflicht. Von der Konzessionspflicht sind gemäß § 146 Abs 2 GewO lediglich pyrotechnische Scherzartikel ausgenommen. § 2 des Pyrotechnikgesetzes teilt die pyrotechnischen Gegenstände in 4 Klassen ein, wobei Feuerwerksscherzartikel und Feuerwerksspielwaren der Klasse I zugeordnet sind. Der Handel mit pyrotechnischen Artikeln der Klasse II unterliegt daher der Konzessionspflicht. Die Ausübung eines konzessionierten Gewerbes ohne die erforderliche Konzession ist gemäß § 366 Abs 1 Zif. 2 GewO strafbar. § 369 Abs 1 GewO sieht unter anderem die Strafe des Verfalles von Waren vor, wenn diese mit einer Verwaltungsübertretung nach § 366 in Zusammenhang stehen. Der in der Sachverhaltsdarstellung geschilderte Sachverhalt ließ somit den Schluß zu, daß die Voraussetzungen des § 39 Abs 1 VStG vorlagen. Die Voraussetzungen des § 39 Abs 2 VStG waren nach Ansicht der Magistratsabteilung 59 dadurch erfüllt, daß pyrotechnische Artikel zum weitaus überwiegenden Teil in der Zeit unmittelbar vor dem Neuen Jahr und in der Neujahrsnacht verwendet und daher naturgemäß in diesem Zeitraum verkauft werden. Bis zur Zustellung eines Beschlagnahmebescheides nach § 39 Abs 1 VStG war vorauszusehen, daß in der Zwischenzeit zumindest ein Teil der pyrotechnischen Artikel verkauft und somit der Beschlagnahme entzogen worden wäre. Durch den zwischenzeitigen Verkauf wäre aber der Zweck der Beschlagnahme, nämlich die Sicherung der von der Verfallsstrafe bedrohten Gegenstände, vereitelt worden. Es lag daher Gefahr in Verzug gemäß § 39 Abs 2 VStG vor.
Dem Bf. wurde eine Bescheinigung nach § 39 Abs 2 VStG ausgehändigt und der zuständigen Behörde die Anzeige erstattet. Damit sind die sonstigen Bedingungen des § 39 Abs 2 VStG erfüllt."
c) aa) Daß die Organe der bel. Beh. bei ihrem Vorgehen am vom Verdacht einer Verwaltungsübertretung nach § 366 Abs 1 Z 2 iVm § 146 GewO ausgegangen sind und wegen Gefahr im Verzug im Sinne des § 39 Abs 2 VStG iVm § 369 Abs 1 GewO die pyrotechnischen Artikel vorläufig in Beschlag nahmen, ist aufgrund des vorliegenden Sachverhaltes eine durchaus denkmögliche Anwendung des Gesetzes.
bb) Der Bf. bringt Bedenken ob der Verfassungsmäßigkeit des PyrotechnikG vor; die dort getroffene Klasseneinteilung sei sachlich nicht gerechtfertigt.
Die Bestimmungen des PyrotechnikG, soweit sie die pyrotechnischen Artikel in solche einteilen, mit denen ohne gewerberechtliche Konzession gehandelt werden darf (Klasse I) und in andere, für die eine solche Konzession erforderlich ist, sind hier zwar präjudiziell. Der VfGH teilt aber die - wenig substantiierten - Bedenken des Bf. nicht. Es ist nämlich geradezu selbstverständlich, für gefährlichere Gegenstände strengere Vorschriften zu statuieren und (bei einer - zulässigen - Durchschnittsbetrachtung) die Gefährlichkeit vom Gewicht der Feuerwerkskörpers abzuleiten.
cc) Der Bf. wurde also durch die am vorgenommene vorläufige Beschlagnahme nicht im Eigentumsrecht verletzt.
3. Der Bf. bekämpft auch die Fortdauer der Beschlagnahme.
Wie bereits der Wortlaut des § 39 Abs 2 VStG zeigt, bildet die Beschlagnahme durch Organe der öffentlichen Aufsicht lediglich eine "vorläufige" Maßnahme. Da die Beschlagnahme selbst gemäß § 39 Abs 1 VStG von der zuständigen Behörde durch Bescheid anzuordnen ist, hat die Behörde über die von ihrem Hilfsorgan "aus eigener Macht" (§39 Abs 2 VStG) vorläufig in Beschlag genommenen Gegenstände unverzüglich bescheidmäßig abzusprechen (Mannlicher, Das Verwaltungsverfahren, 1964, 422; Walter-Mayer, Grundriß des österreichischen Verwaltungsverfahrensrechts, 1987,
307) oder die beschlagnahmten Gegenstände zurückzustellen. Solange die Behörde die Beschlagnahme weder durch Bescheid bestätigt noch die beschlagnahmten Gegenstände tatsächlich zurückgegeben hat, liegt eine die gesamte Dauer der Beschlagnahme umfassende Ausübung unmittelbarer behördlicher Befehls- und Zwangsgewalt vor, die als solche vom VfGH darauf zu untersuchen ist, ob sie mangels einer gesetzlichen Grundlage oder wegen einer der Gesetzlosigkeit gleichzuhaltenden Denkunmöglichkeit der Gesetzesanwendung in das Eigentumsrecht eingreift (vgl. ).
Die bel. Beh. hat die beschlagnahmten Gegenstände nicht zurückgegeben; sie hat über die Beschlagnahme erst mit dem auf § 39 Abs 1 VStG gestützten Bescheid vom (zugestellt am ) abgesprochen. Die vorläufige Beschlagnahme erfolgte am ; am wurde der Behörde von ihren Hilfsorganen über diese aus eigener Macht durchgeführten Maßnahme Meldung erstattet. Auch unter Berücksichtigung der Feiertage wäre die bel. Beh. spätestens am in der Lage und daher auch verpflichtet gewesen, über den fortdauernden Grundrechtseingriff der Beschlagnahme durch Bescheid abzusprechen. Denn zu diesem Zeitpunkt mußte ihr ein Urteil darüber möglich sein, ob die Voraussetzungen für eine Beschlagnahme gemäß § 39 Abs 1 VStG vorlagen. Die Behörde hat dadurch, daß sie die Beschlagnahme über den Zeitpunkt hinaus aufrecht erhielt, zu dem sie einen Beschlagnahmebescheid hätte erlassen müssen, einen Fehler begangen, welcher der Gesetzlosigkeit gleichzusetzen ist (vgl. ) und den Bf. im verfassungsgesetzlich geschützten Recht auf sein Eigentum verletzt.
Diese Verletzung endete mit der am erfolgten Zustellung des Beschlagnahmebescheides vom . Ab diesem Zeitpunkt deckt der Bescheid die Beschlagnahme; wäre sie rechtswidrig, fiele das diesem Bescheid zur Last.
Aus diesem Grund kann hier - anders als im Fall, der mit dem wiederholt zitierten hg. Erkenntnis B942/87 abgeschlossen wurde - die (allein angefochtene) vorläufige Beschlagnahme vom VfGH nicht aufgehoben werden.
4. Zusammenfassend ergibt sich,
a) daß der Bf. durch die Fortdauer der Beschlagnahme vom 7. Jänner bis zum im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Eigentumsrecht verletzt wurde und
b) daß er durch die am erfolgte vorläufige Beschlagnahme und deren Fortdauer bis zum im Eigentumsrecht nicht verletzt wurde und daß - da auch sonstige verfassungsgesetzlich gewährleistete Rechte oder Rechte wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm nicht verletzt wurden (s.o. II.2.c.bb) - die Beschwerde insoweit abzuweisen und antragsgemäß dem VwGH gemäß Art 144 Abs 3 B-VG abzutreten war.
5. Da jede der beiden Parteien teils obsiegt, teils unterliegt, waren deren Kosten gemäß § 35 VerfGG in Verbindung mit § 43 ZPO gegeneinander aufzuheben.
6. Gemäß § 19 Abs 4 erster Satz VerfGG konnte der VfGH von einer mündlichen Verhandlung absehen und in nichtöffentlicher Sitzung entscheiden.