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OGH vom 29.01.2019, 14Os72/18x

OGH vom 29.01.2019, 14Os72/18x

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Danek als Vorsitzenden, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger, die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer und Dr. Oshidari sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Mann in Gegenwart der Schriftführerin Pelikan in der Strafsache gegen Jose B***** und weitere Angeklagte wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 zweiter und dritter Fall, Abs 4 Z 1 und Z 3 SMG, § 15 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerden und die Berufungen der Angeklagten Jose B*****, Dileni A***** und Juan P***** sowie über die Berufungen des Angeklagten Sergio S***** und der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts Linz als Schöffengericht vom , GZ 20 Hv 48/15g-870, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerden werden zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufungen werden die Akten dem Oberlandesgericht Linz zugeleitet.

Den Angeklagten B*****, A***** und P***** fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurden – im zweiten Rechtsgang (zum ersten vgl 14 Os 78/16a) und soweit für das Verfahren über die Nichtigkeitsbeschwerden
relevant – Jose B***** der Verbrechen des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 zweiter und dritter Fall, Abs 4 Z 1 und Z 3 SMG, § 12 dritter Fall und § 15 StGB (A./), der Vorbereitung von Suchtgifthandel nach § 15 StGB, § 28 Abs 1 erster Fall, Abs 2 und Abs 3 SMG (B./), des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall, Abs 4 Z 1 SMG (D./), der Aussetzung nach § 82 Abs 1 StGB (E./) und der Freiheitsentziehung nach § 99 Abs 1 und Abs 2 StGB (F./); Sergio S***** der Verbrechen des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 zweiter und dritter Fall, Abs 2 Z 2, Abs 4 Z 3 SMG, § 12 dritter Fall und § 15 StGB (A./), der Vorbereitung von Suchtgifthandel nach § 15 StGB, § 28 Abs 1 erster Fall, Abs 2 und Abs 3 SMG (B./), des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall, Abs 2 Z 2 SMG (D./), der Aussetzung nach § 82 Abs 1 StGB (E./) und der Freiheitsentziehung nach § 99 Abs 1 und Abs 2 StGB (F./); Dileni A***** der Verbrechen des Suchtgifthandels nach § 12 dritter Fall StGB, § 28a Abs 1 fünfter Fall, Abs 4 Z 3 SMG, § 15 StGB (C./) und der Freiheitsentziehung nach § 99 Abs 1 und Abs 2 StGB (F./); sowie Juan P***** der Verbrechen des Suchtgifthandels nach § 12 zweiter Fall StGB, § 28a Abs 1 zweiter und dritter Fall, Abs 2 Z 2, Abs 4 Z 3 SMG, § 15 StGB (A./) und des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall, Abs 2 Z 2 SMG (D./) schuldig erkannt.

Danach haben in L***** und andernorts

A./ B***** und S***** teils als Beteiligte nach § 12 dritter Fall StGB [A./I./ und II./] und P***** als Beteiligter nach § 12 zweiter (richtig [RIS-Justiz RS0089665]: dritter) Fall StGB vorschriftswidrig Suchtgift in einer das 25-fache der Grenzmenge (§ 28b SMG) übersteigenden Menge als Mitglieder einer kriminellen Vereinigung aus- und eingeführt, wobei B***** schon einmal wegen einer Straftat nach § 28a Abs 1 SMG verurteilt wurde, indem

I./ B***** und S***** über Auftrag des P***** am Rafael R*****, der vorschriftswidrig 133 „Bodypacks“ Kokaingemisch (Gesamtgewicht 1.321,2 Gramm) mit einem Reinheitsgehalt von 51,8 %, sohin 684,38 Gramm reines Kokain in seinem Körper versteckt aus der Dominikanischen Republik aus- und nach Deutschland ein- sowie aus Deutschland aus- und nach Österreich eingeführt hat, mit dem Pkw des S***** in Wien abholten und zur Ausscheidung des Kokains nach L***** in die Wohnung der Griselda C***** brachten;

II./ B***** und S***** über Auftrag des P***** am Miguel Pa*****, der vorschriftswidrig 87 „Bodypacks“ Kokain (Gesamtgewicht 791,7 Gramm) mit einem Reinheitsgehalt von 49,04 %, sohin 388,3 Gramm reines Kokain in seinem Körper versteckt aus der Dominikanischen Republik aus- und nach Deutschland eingeführt hat sowie aus Deutschland aus- und nach Österreich einzuführen versuchte, wobei er in München festgenommen wurde, mit dem Pkw des S***** in Wien abholen und zur Ausscheidung des Kokains nach L***** bringen wollten;

III./ B***** und S***** am R*****, der (noch) 121 „Bodypacks“ Kokaingemisch (Gesamtgewicht 1.201,2 Gramm) mit einem Reinheitsgehalt von 51,8 %, sohin 622,2 Gramm reines Kokain in seinem Körper versteckt hatte, mit dem Pkw des S***** von L***** über die Grenze nach V*****/Tschechien brachten;

B./B***** und S***** als Mitglieder einer kriminellen Vereinigung vorschriftswidrig Suchtgift in einer das 15-fache der Grenzmenge (§ 28b SMG) übersteigenden Menge mit dem Vorsatz, dass es in Verkehr gesetzt werde, zu erwerben versucht, indem sie vom 5. bis zum (US 18) in L***** im bewussten und gewollten Zusammenwirken mit C***** und A***** versuchten, die im Körper des R***** versteckten 133 „Bodypacks“ Kokaingemisch (Gesamtgewicht 1.321,2 Gramm) mit einem Reinheitsgehalt von 51,8 %, sohin 684,38 Gramm reines Kokain „abzüglich der von Rafael R***** ausgeschiedenen 12 ‘Bodypacks‘ mit 120 Gramm Kokaingemisch und einem Reinheitsgehalt von 51,8 % (62,16 Gramm reines Kokain)“ zwecks gewinnbringenden Verkaufs durch Verabreichung diverser Mittel und durch die zu F./ beschriebenen Handlungen aus dessen Körper zu bekommen;

C./ C***** und A***** als Beteiligte nach § 12 dritter Fall StGB, erstere darüber hinaus als Mitglied einer kriminellen Vereinigung, vorschriftswidrig Suchtgift in einer das 25-fache der Grenzmenge (§ 28b SMG) übersteigenden Menge anderen überlassen und zu überlassen versucht, indem sie vom 5. bis zum (US 18) in L***** gemeinsam mit B***** und S***** den R***** durch Verabreichung diverser Mittel und den zu F./ beschriebenen Handlungen, C***** auch durch Zurverfügungstellung ihrer Wohnung, bei der Ausscheidung des Kokains unterstützten, somit zur Überlassung von 133 „Bodypacks“ Kokaingemisch (Gesamtgewicht 1.321,2 Gramm) mit einem Reinheitsgehalt von 51,8 %, sohin 684,38 Gramm reines Kokain an B***** und S***** beitrugen, wobei die Tat zufolge Ausscheidung und Übergabe von lediglich 12 „Bodypacks“ mit 120 Gramm Kokaingemisch und einem Reinheitsgehalt von 51,8 % (62,16 Gramm reines Kokain) überwiegend beim Versuch blieb;

D./ B***** und S***** im bewussten und gewollten Zusammenwirken sowie P***** als Mitglieder einer kriminellen Vereinigung vorschriftswidrig Suchtgift in einer die Grenzmenge (§ 28b SMG) übersteigenden Menge anderen überlassen, wobei B***** schon einmal wegen einer Straftat nach § 28a Abs 1 SMG verurteilt wurde, und zwar

B***** und S*****

1./ im Dezember 2014 in G***** Pedro Ri***** fünf von R***** erbrochene „Bodypacks“ mit 50 Gramm Kokaingemisch und einem Reinheitsgehalt von 51,8 %, sohin 25,9 Gramm reines Kokain;

2./ im Dezember 2014 in L***** nicht näher bekannten Abnehmern sieben von R***** erbrochene „Bodypacks“ mit 70 Gramm Kokaingemisch und einem Reinheitsgehalt von 51,8 %, sohin 36,26 Gramm reines Kokain;

3./ im Sommer 2014 in L***** Jose Pay***** 208 Gramm Kokaingemisch mit einem Reinheitsgehalt von zumindest 30 %, sohin 62,4 Gramm reines Kokain;

4./ im Sommer 2014 in L***** Julio M***** rund 60 bis 80 Gramm Kokaingemisch mit einem Reinheitsgehalt von zumindest 30 %, sohin 18 bis 24 Gramm reines Kokain;

5./ im Herbst 2014 Gabriel Po***** in zwei Angriffen rund drei Gramm Kokaingemisch mit einem Reinheitsgehalt von zumindest 30 %, sohin 0,9 Gramm reines Kokain;

6./ im Juli 2014 unbekannten Abnehmern zehn „Kokain-Kugeln“ (insgesamt 80 Gramm Kokaingemisch) mit einem Reinheitsgehalt von zumindest 30 %, sohin 24 Gramm reines Kokain;

7./ im August 2014 in L***** einem unbekannten Abnehmer fünf „Kokain-Kugeln“ (insgesamt 40 Gramm Kokaingemisch) mit einem Reinheitsgehalt von zumindest 30 %, sohin 12 Gramm reines Kokain;

8./ P***** im Juli 2014 in L***** B***** zehn „Kokain-Kugeln“ (insgesamt 80 Gramm Kokaingemisch) mit einem Reinheitsgehalt von zumindest 30 %, sohin 24 Gramm reines Kokain, und 50 bis 100 Gramm Kokaingemisch mit einem Reinheitsgehalt von zumindest 30 %, sohin 15 bis 30 Gramm reines Kokain;

E./B***** und S***** am das Leben des R***** dadurch gefährdet, dass sie ihn in eine hilflose Lage brachten und in dieser Lage im Stich ließen, indem sie den bereits durch den Transport von 133 „Bodypacks“ Kokaingemisch (Gesamtgewicht 1.321,2 Gramm) und die zu F./ beschriebenen Versuche, das Suchtgift aus seinem Körper zu bekommen, äußerst geschwächten und hilflosen R***** mit dem Auto von L***** nach Tschechien brachten, ihn in V***** „aus dem Auto warfen“ und sich selbst überließen;

F./ B*****, S*****, C***** und A***** im bewussten und gewollten Zusammenwirken von 5. bis zum in L***** R***** widerrechtlich gefangen gehalten oder ihm auf eine andere Weise die persönliche Freiheit entzogen, indem sie ihn ständig bewachten und nicht aus der Wohnung der C***** ließen, er diese nur kurz unter Bewachung verlassen durfte, obwohl er „darum bettelte, in ein Krankenhaus zu dürfen“, und indem er sich in der Wohnung nicht frei bewegen durfte, wobei sie die Freiheitsentziehung auf solche Weise, dass sie dem Festgehaltenen besondere Qualen bereitete, und unter solchen Umständen begingen, dass sie für ihn mit besonders schweren Nachteilen verbunden war, indem sie

- R*****, der vom Schlucken der 133 „Bodypacks“ Kokaingemisch, der Anreise nach Österreich, und weil er keine Nahrung oder Flüssigkeit zu sich nehmen durfte, geschwächt war, an starken Bauchschmerzen litt, Probleme mit dem Gehen und Fieber hatte, sohin wegen einer Krankheit wehrlos war, massive körperliche und seelische Qualen zufügten;

- ihn mehr als zwei Tage „unter anderem durch Verabreichung von Medikamenten und Abführmittel malträtierten“, C***** seinen Magen fest drückte, ihre Finger in die „Öffnung seiner Bauchdecke“ steckte und nach den Kokaineiern tastete sowie seinen Magen massierte, was für diesen äußerst schmerzhaft war, sodass er das Bewusstsein verlor;

- C***** ihm eine Pinzette gab, damit er diese in den künstlichen Darmausgang einführen und versuchen konnte, die Kokaineier aus sich heraus zu bringen, wodurch R***** „fürchterliche“ Schmerzen erlitt und schrie, sie dennoch nicht von ihm abließ und ihren Finger in den künstlichen Darmausgang hineinsteckte;

- sie ihn ins Bad brachten und B***** sowie S***** ihn auszogen, in die Badewanne legten und ihn anwiesen, er solle selbst mit dem kleinen Finger probieren, ob er Kokain herausbekomme, eine unbekannte Frau ihn „untersuchte“, er von S***** bewacht wurde und sich nicht frei bewegen durfte;

- er wiederholt diverse Mittel wie Medikamente, Sauermilch oder schwarzen Kaffee eingeflößt bekam und A***** ihn mit Nagellackentferner wieder „munter machte“, als er bewusstlos wurde;

- sie planten, die Drogen mit einer Sonde aus dem künstlichen Darmausgang zu bekommen und sie R***** um sein Einverständnis fragten, B*****ihm – als er wegzulaufen versuchte – die Geldbörse wegnahm und ihn zurückhielt, ihn A***** fragte, ob er wolle, dass S***** ihn töte, und indem sie ihn sodann unter Vorgabe, ihn in ein Krankenhaus zu bringen, nach Tschechien führten, wobei sie es während des gesamten Zeitraums unterließen, trotz des lebensbedrohlichen Zustands des R***** für adäquate ärztliche Hilfe zu sorgen und ihn in ein Krankenhaus zu bringen.

Dagegen richten sich die Nichtigkeitsbeschwerden der Angeklagten B***** (§ 281 Abs 1 Z 2, 4 und 9 lit a StPO), A***** (§ 281 Abs 1 Z 3, 4 und 5 StPO) sowie P***** (§ 281 Abs 1 Z 2, 3, 4, 5, 5a, 9 lit a und 11 StPO). Ihnen kommt keine Berechtigung zu.

Rechtliche Beurteilung

Mit der Argumentation, das Erstgericht habe die Verurteilung des Beschwerdeführers ausschließlich auf die belastenden Angaben R*****s gestützt, obwohl dieser bei seiner Vernehmung als Beschuldigter vor den tschechischen Behörden nicht zur Wahrheit verpflichtet gewesen sei und der Beschwerdeführer weder im Ermittlungs- noch im Hauptverfahren die Möglichkeit gehabt habe, Fragen an den Zeugen zu stellen, wird Nichtigkeit iSd Z 2 nicht angesprochen. Diese liegt nämlich nur bei einer in der Hauptverhandlung trotz Widerspruchs des Beschwerdeführers erfolgten Verlesung eines Protokolls oder eines anderen amtlichen Schriftstücks über einen nach dem Gesetz ausdrücklich als nichtig bezeichneten Akt des Ermittlungsverfahrens vor, worauf sich die Rüge gar nicht beruft (RIS-Justiz RS0099358).

Die mehrfach (und auch in diesem Zusammenhang) geäußerte Kritik, das Schöffengericht sei trotz Fehlens unmittelbarer Wahrnehmungen den Angaben des Zeugen R***** gefolgt, bekämpft in unzulässiger Form die tatrichterliche Beweiswürdigung (§ 258 Abs 2 StPO).

Bleibt mit Blick auf den in der Beschwerde angesprochenen Art 6 Abs 3 lit d MRK anzumerken, dass sich die Tatrichter in der Urteilsbegründung nicht nur auf die (wegen unbekannten Aufenthalts des Zeugen verlesenen) Angaben R*****s, sondern auch auf die Aussagen der Angeklagten im Ermittlungsverfahren gestützt und befunden haben, dass sich letztere zu einem erheblichen Teil mit den Angaben des Belastungszeugen decken (US 29 ff und 40 ff; vgl Grabenwarter/Pabel, EMRK6§ 24 Rz 131 ff; Kirchbacher, WK-StPO § 252 Rz 5 f).

Die Behauptung zu A./I./ und (gemeint:) A./III./, das Erstgericht habe die Feststellungen zu einer jeweils das Fünfundzwanzigfache der Grenzmenge übersteigenden Suchtgiftmenge auf „Daten und Angaben“ der tschechischen Behörden gestützt, obwohl das geschmuggelte Kokain „nicht nach den in Österreich geltenden Vorschriften analysiert“ worden sei, weshalb die Annahme eines Reinheitsgehalts von 51,8 % „aktenwidrig“ sei, zeigt weder Nichtigkeit aus Z 2 noch eine solche aus Z 5 fünfter Fall auf (RIS-Justiz RS0099431).

Unabdingbare Voraussetzung einer erfolgversprechenden Rüge aus Z 4 sind ein in der Hauptverhandlung gestellter Antrag oder ein nach Art von Anträgen ebendort erfolgter substantiierter Widerspruch, ein dagegen gefasster Beschluss oder die Nichterledigung eines Antrags oder Widerspruchs, sowie bei (wie hier) umfangreichem Aktenmaterial die genaue Angabe der Fundstelle von Antrag oder Widerspruch (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 302; RIS-Justiz RS0124172). Indem der Beschwerdeführer das Fehlen der Möglichkeit, Fragen an den Belastungszeugen R***** zu stellen, mit dem bloßen Hinweis kritisiert, sein Verteidiger habe sich „den ordnungsgemäß gestellten Anträgen der Verteidiger“ angeschlossen und „auch selber ausdrücklich den Verlesungen der Schriftstücke widersprochen“, wird die Verfahrensrüge nicht prozessordnungskonform zur Darstellung gebracht (vgl auch RIS-Justiz RS0108863, RS0099112).

Der ersichtlich auf A./I./ und A./II./ bezogene Einwand der Rechtsrüge (Z 9 lit a), dem Angeklagten könne ein kausaler Beitrag zur Einfuhr von Suchtgift nicht unterstellt werden, geht nicht von den Urteilsfeststellungen aus (RIS-Justiz RS0099810). Denn diesen zufolge hat der Angeklagte die Abholung sowohl R*****s (A./I./) als auch B*****s (A./II./) bereits vor deren jeweiligem Abflug zugesagt, wobei die Zusagen den Mittätern in der Dominikanischen Republik jeweils vor dem Abflug der Bodypacker mitgeteilt wurden und diese noch in der Dominikanischen Republik die Telefonnummer des Angeklagten zur Kontaktaufnahme nach ihrer Ankunft in Österreich erhalten haben (US 16; vgl RIS-Justiz RS0132345).

Zur Nichtigkeitsbeschwerde der Angeklagten A*****:

Entgegen der Verfahrensrüge (Z 4) wurden durch die Abweisung (ON 861 S 11) des (auch) von der Angeklagten A***** gestellten Antrags (ON 811 S 5 ff und ON 840 S 3 ff) auf Vernehmung des Zeugen R***** (in eventu im Rechtshilfeweg per Videokonferenz) Verteidigungsrechte nicht geschmälert. Der Antrag ließ nämlich nicht erkennen, weshalb trotz unbekannten Aufenthalts des zur Aufenthaltsermittlung ausgeschriebenen Zeugen (ON 758, 760 und 766; siehe auch ON 1 S 259, 279, 289 und 293) dennoch in absehbarer Zeit dessen Ausforschung und Vernehmung erfolgen hätte können (RIS-Justiz RS0099399, RS0099502). Die in diesem Zusammenhang aufgestellte Behauptung, dem Erstgericht sei bekannt gewesen, dass sich der Zeuge in Puerto Rico aufhalte, geht nicht von der Verfahrenslage im Zeitpunkt der Antragstellung aus (RIS-Justiz RS0099618), wonach ein Aufenthalt des Zeugen in diesem Staat (an einer unbekannten Adresse) von Vertretern der österreichischen Polizeibehörden lediglich vermutet wurde (ON 1 S 259 iVm ON 749 S 13).

Auch den (zugleich gestellten) Antrag, die Verlesung der Vernehmungsprotokolle des Zeugen R***** zu unterlassen (ON 811 S 5 ff und ON 840 S 3 ff), weil sich dieser in der Hauptverhandlung des ersten Rechtsgangs nach der Befragung durch das Gericht, die Staatsanwaltschaft und teilweise eines der Angeklagten geweigert hatte, (weitere) Fragen zu beantworten (ON 643 S 26), durfte das Schöffengericht ohne Verletzung von Verteidigungsrechten abweisen. Denn der Entfall der Möglichkeit des Angeklagten, Fragen an einen Belastungszeugen zu stellen, ist unter dem Blickwinkel des Art 6 MRK ausnahmsweise zulässig, wenn er (wie hier) aus sachlichen Gründen erfolgt. Dazu zählt auch der Fall, dass eine Zeugenbefragung aus faktischen Gründen, etwa (wie hier:) wegen unbekannten Aufenthalts des Zeugen trotz ausreichender Bemühungen des Gerichts zur Ausforschung desselben, nicht möglich ist. Im Übrigen wurden vorliegend die mangelnde Unmittelbarkeit des Zeugenbeweises – wie in der Beantwortung der Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten B***** dargelegt – ohnehin berücksichtigt und die Urteilsfeststellungen insbesondere auch auf die Aussagen der Angeklagten im Ermittlungsverfahren gestützt (US 29 ff und 40 ff; vgl neuerlich Grabenwarter/Pabel, EMRK6§ 24 Rz 131 ff; Kirchbacher, WK-StPO § 252 Rz 5 f).

Der ebenfalls in diesem Zusammenhang vorgebrachte Einwand (der Sache nach Z 2), dem genannten Zeugen wären bei seinen Vernehmungen entgegen § 164 Abs 4 StPO Versprechungen im Sinn einer in Aussicht gestellten Verurteilung nur zu einer geringen Freiheitsstrafe gemacht worden, geht zum Teil schon deshalb ins Leere, weil die im Zuge der Hauptverhandlung im ersten Rechtsgang am (ON 643) durchgeführte Vernehmung des Genannten nach dessen eigener Verurteilung (vgl US 41 unten) erfolgte. Soweit sich der Antrag und die Beschwerde bloß auf die Behauptungen des Zeugen bei seiner Vernehmung im ersten Rechtsgang stützen, ihm sei von den österreichischen und den tschechischen Polizisten versprochen worden, wenn er helfe, würde er eine Gefängnisstrafe „zwischen null und einem Jahr“ erhalten (ON 643 S 16), mangelt es – mit Blick auf das Fehlen einer Vernehmung durch österreichische Polizisten (US 42) – schon am erforderlichen Anschein eines ein Beweisverbot nach § 166 Abs 2 StPO bewirkenden Verstoßes nach § 166 Abs 1 Z 2 StPO (vgl Michel-Kwapinski, WK-StPO § 166 Rz 12).

Unter dem ebenfalls geltend gemachten Aspekt der Z 3 wiederum war die Verlesung angesichts des unbekannten Aufenthalts des genannten Zeugen trotz Ausschreibung zur Aufenthaltsermittlung seit (ON 766) und der bis Jänner 2018 erfolglosen Erhebungen zu seinem Aufenthaltsort (ON 1 S 259, 279, 289 und 293) gemäß § 252 Abs 1 Z 1 StPO zulässig (RIS-Justiz RS0098248, RS0108361).

Der Einwand, die Feststellungen eines auf eine das 25-fache der Grenzmenge übersteigende Suchtgiftmenge gerichteten Vorsatzes der Angeklagten (US 23) seien offenbar unzureichend begründet (Z 5 vierter Fall), weil die Entscheidungsgründe nicht erkennen ließen, weshalb ihr der konstatierte Reinheitsgehalt von 51,8 % und der Umstand „zweifellos klar“ gewesen sein sollten, dass ein Drogenkurier mit möglichst hochwertigen Drogen über den Atlantik geschickt wird (US 67), argumentiert nicht auf Basis der Gesamtheit der Entscheidungsgründe (RIS-Justiz RS0119370). In diesen wird nämlich ausdrücklich darauf eingegangen, warum auch bei der Beschwerdeführerin ein entsprechendes Detailwissen über die Drogengeschäfte des Angeklagten B***** vorauszusetzen war (US 66 f). Das weitere Vorbringen, die Angeklagte verfüge de facto über keine Erfahrungswerte zum internationalen Drogenhandel, weshalb sich ihr Vorsatz auch nicht auf das Überlassen von Suchtgift in einer das 25-fache der Grenzmenge übersteigenden Menge bezogen habe, reduziert sich damit auf den in dieser Form unzulässigen Versuch, die Beweiswürdigung der Tatrichter zu bekämpfen (RIS-Justiz RS0098471 [T1]).

Die Verfahrensrüge (Z 2) richtet sich gegen die (entgegen dem Widerspruch des Beschwerdeführers erfolgte) Verlesung mehrerer Protokolle über die Vernehmung des Zeugen R***** und weitere dessen Angaben enthaltende Aktenstücke. Indem sie kritisiert, der Beschwerdeführer habe in der Hauptverhandlung nicht die Möglichkeit gehabt, Fragen an diesen Belastungszeugen zu stellen und dessen Glaubwürdigkeit zu hinterfragen, zeigt sie – wie bereits zum Angeklagten B***** aufgezeigt – keine durch Gesetz ausdrücklich als nichtig bezeichnete Erkundigung oder Beweisaufnahme im Ermittlungsverfahren auf (RIS-Justiz RS0099358; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 173 f).

Zu behaupteten Nichtigkeiten infolge von Verstößen gegen § 166 Abs 1 Z 2 iVm Abs 2 StPO (der Sache nach Z 2) und „gegen § 252 Abs 1 StPO“ (Z 3) wird auf die Beantwortung der Verfahrensrügen der Angeklagten A***** verwiesen.

Durch die Abweisung (ON 861 S 12) des in der Hauptverhandlung am gestellten Antrags auf Vernehmung des Rodolfo G***** als Zeugen zum Beweis für eine Äußerung des Angeklagten B***** in einer Verhandlungspause am , wonach dessen Verantwortung bei Vorlage des (in der Hauptverhandlung am vorgelegten) Urteils des Tribunal Colegiado de La Vega in Bezug auf den am ermordeten Christian E***** (alias E*****) widerlegt wäre (ON 861 S 2), wurden – der Verfahrensrüge (Z 4) zuwider – keine Verteidigungsrechte verletzt. Denn die Beschwerde räumt selbst ein, dass der Angeklagte B***** gar nicht behauptet hat, beim Angeklagten P***** handle es sich um Christian E*****, weshalb das Beweisthema keine erhebliche Tatsache betraf.

Entgegen der Mängelrüge (Z 5 erster Fall) ist bei Gesamtbetrachtung der Entscheidungsgründe, insbesondere mit Blick auf die Feststellung, wonach B***** den Auftrag zur Abholung von Suchtgift am 5. und jeweils von P***** erhielt (US 16 letzter Absatz), unzweifelhaft erkennbar, dass die Wendung, der Angeklagte B***** habe wenige Tage nach dem von P***** alias Christian E***** „den weiteren Auftrag“ zur Abholung eines Bodypackers erhalten (US 15), auf den auch schon davor erteilten Auftrag Bezug nimmt (RIS-Justiz RS0089983).

Mit dem weiteren in diesem Zusammenhang erstatteten Vorbringen, nach dem Beweisverfahren könne nicht von einer Auftragsvergabe durch den Angeklagten P***** und einer Übereinstimmung von diesem mit Christian E***** ausgegangen werden, übt die Rüge in unzulässiger Form Beweiswürdigungskritik.

Die von der Beschwerde vermisste Begründung der Feststellungen zum Vorsatz des Angeklagten P*****, die Aufträge als Mitglied einer kriminellen Vereinigung begangen zu haben (Z 5 vierter Fall), befindet sich auf US 59.

Aktenwidrigkeit (Z 5 fünfter Fall) liegt nur bei erheblich unrichtiger Wiedergabe des Inhalts einer Aussage oder eines anderen Beweismittels in den Entscheidungsgründen vor (RIS-Justiz RS0099547, RS0099431), nicht aber bei einem (hier: zum Schuldspruchfaktum D./8./ erfolgten [US 78]) irrigen Verweis auf die Angaben des S***** auf „AS 427 in ON 156“ anstelle von ON 156 AS 425. Im Hinblick auf den inhaltlich zutreffenden Verweis auf die Angaben dieses Angeklagten geht auch der Vorwurf einer offenbar unzureichenden Begründung (Z 5 vierter Fall) ins Leere.

Indem die Tatsachenrüge (Z 5a) die Schlussfolgerungen des Schöffengerichts zur Frage der Übereinstimmung des Beschwerdeführers mit dem als Christian E***** beschriebenen Auftraggeber und seiner Rolle (US 49 ff) als „Zusammenschau von Spekulationen, die nicht einmal einen Wert als Indizien für sich in Anspruch nehmen können“, Scheinbegründungen und nicht nachvollziehbare Schlüsse bezeichnet, diesen (ohne direkten Bezug zu aktenkundigem Beweismaterial) eigene Erwägungen entgegensetzt und zum Schluss kommt, dass ohne die „offensichtlich unrichtige“ Aussage des Zeugen R***** die „übrigen Indizien und Vermutungen“ für eine Verurteilung nicht ausreichen würden, übt sie lediglich unzulässige Beweiskritik (RIS-Justiz RS0117961).

Weshalb die rechtliche Annahme einer Bestimmung durch den Beschwerdeführer mangels Feststellungen, „auf welche Weise dieser Auftrag tatsächlich konkret erteilt worden wäre (wann, wie, wo, persönlich, telefonisch, schriftlich)“, rechtlich verfehlt sein sollte, leitet die Rechtsrüge (Z 9 lit a) zu A./I./ und II./ nicht aus dem Gesetz ab (RIS-Justiz RS0116565).

Gleiches gilt für den gegen die Annahme der Qualifikation nach § 28a Abs 2 Z 2 SMG gerichteten Vorwurf (der Sache nach Z 10), die Feststellungen zur kriminellen Vereinigung seien nicht konkret genug (vgl dazu aber US 17).

Die Sanktionsrüge (Z 11) kritisiert das Unterbleiben einer Beschlussfassung nach § 265 Abs 1 StPO, bringt damit aber keinen Nichtigkeitsgrund zur Darstellung (siehe § 494a Abs 4 letzter Satz StPO;Lewisch, WK-StPO § 265 Rz 4; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 729; RIS-Justiz RS0098577).

Die Nichtigkeitsbeschwerden waren daher bereits bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO), woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufungen folgt (§ 285i StPO).

Mit Blick auf § 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO wird angemerkt, dass § 28a Abs 4 Z 3 SMG eine besondere Art von Zusammenrechnungsgrundsatz (vgl § 29 StGB) normiert und gleichartige Verbrechen (also jeweils dieselben Tatbilder nach § 28a Abs 1 SMG wie vorliegend Aus- und Einfuhr) zu einer Subsumtionseinheit zusammengefasst werden (RIS-Justiz RS0117464). Dem widersprechend hat das Schöffengericht zu A./ bei B***** mehrere Verbrechen des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 zweiter und dritter Fall, Abs 4 Z 1 und Z 3 SMG (§ 12 dritter Fall und § 15 StGB) und bei S***** mehrere Verbrechen des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 zweiter und dritter Fall, Abs 2 Z 2, Abs 4 Z 3 SMG (§ 12 dritter Fall und § 15 StGB) angenommen. Da diese jeweils irrig erfolgte und ungerügt gebliebene Subsumtion (§ 281 Abs 1 Z 10 StPO) per se keinen Nachteil für die Angeklagten darstellt und der besondere Erschwerungsgrund des Zusammentreffens mehrerer Verbrechen (US 84) jeweils zu Recht herangezogen wurde, sah sich der Oberste Gerichtshof mangels Nachteils iSd § 290 Abs 1 zweiter Satz StPO nicht zu amtswegigem Vorgehen veranlasst. Bei der Entscheidung über die von beiden Angeklagten (und der Staatsanwaltschaft) ergriffenen Berufungen besteht insoweit keine Bindung gemäß § 295 Abs 1 erster Satz StPO an den Ausspruch des Erstgerichts (RIS-Justiz RS0118870).

Die Kostenersatzpflicht beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

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ECLI:
ECLI:AT:OGH0002:2019:0140OS00072.18X.0129.000

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