VfGH vom 26.09.1989, B159/86
Sammlungsnummer
12135
Leitsatz
Zulässigkeit der Beschwerde des Erstbeschwerdeführers gegen das Eindringen von Sicherheitswachebeamten in ein von ihm als Werkstätte für Kraftfahrzeuge verwendetes Gebäude und die durch Hilfeleistung der Feuerwehr entstandenen Sachbeschädigungen zwecks Identitätsfeststellung einer darin arbeitenden Person; keine Hausdurchsuchung; aber keine Rechtfertigung des Vorgehens durch ArtII § 4 Abs 2 ÜG 1929; Verletzung des Gleichheitsrechtes durch gesetzloses, willkürliches Einschreiten; Unzulässigkeit der Beschwerde des Zweitbeschwerdeführers gegen die von ihm angenommene Verhaftung und behauptete Mißhandlung; aufgrund der gegebenen Beweislage kein beschwerdefähiges Substrat
Spruch
Der Erstbeschwerdeführer ist dadurch, daß Sicherheitswachebeamte der Bundespolizeidirektion Schwechat am in Schwechat in seine Garage eindrangen und eine Fensterscheibe, zwei Tore sowie ein Vorhängeschloß beschädigten, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt worden.
Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Erstbeschwerdeführer zuhanden des Beschwerdevertreters die mit 6.600 S bestimmten Prozeßkosten binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.
Soweit die Beschwerde vom Zweitbeschwerdeführer erhoben wurde, wird sie zurückgewiesen.
Der Antrag auf Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof wird in diesem Umfang abgewiesen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1. Mit der auf Art 144 B-VG gestützten Beschwerde wenden sich beide Einschreiter gegen am vorgenommene Amtshandlungen von Sicherheitswachebeamten der Bundespolizeidirektion Schwechat, welche sie als Akte unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt werten. Sie stellen das Begehren, folgendes festzustellen:
"1. W O ist am in Schwechat dadurch, daß Organe der Sicherheitswache das verschlossene Gebäude in 2320 Schwechat, Pechhüttenstraße 10, durch Beschädigung von 2 Türen, Zerstörung eines Fensters und Entfernen eines Vorhängeschlosses, eingedrungen sind und eine Hausdurchsuchung durchgeführt haben, in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf Schutz des Hausrechtes und Unversehrtheit des Eigentums verletzt worden.
2. H W ist am in Schwechat dadurch, daß er von Organen der Sicherheitswache festgehalten wurde und unter Zwangsandrohung veranlaßt wurde, sich vom Gebäude 2320 Schwechat, Pechhüttenstraße 10, zum Sicherheitswachezimmer zu begeben und wiederholt mit der Faust auf den Kopf geschlagen wurde, in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf persönliche Freiheit und Unterlassung einer unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung verletzt worden."
2. Die Bundespolizeidirektion Schwechat legte die Verwaltungsakten vor und erstattete eine Gegenschrift, in welcher die Abweisung der Beschwerde beantragt wird.
II. Der Verfassungsgerichtshof hat erwogen:
1.a) Aufgrund des Parteienvorbringens, der vorgelegten Verwaltungsakten sowie des vom Verfassungsgerichtshof beigeschafften Aktes AZ 25a Vr 3647/86 des Landesgerichtes für Strafsachen Wien steht fest, daß der in Wien wohnhafte Erstbeschwerdeführer in Schwechat ein von ihm als Abstellplatz für gebrauchte Kraftfahrzeuge verwendetes eingezäuntes Grundstück sowie ein als Garage (und Werkstätte) verwendetes Gebäude gemietet hat. Als sich drei Sicherheitswachebeamte der Bundespolizeidirektion Schwechat (RevInsp. G, RevInsp. F und Insp. H) am gegen 17.00 Uhr wegen des Einziehens eines Kennzeichens zum Grundstück des Erstbeschwerdeführers begaben, nahmen sie wahr, daß in der verschlossenen Garage Licht brannte, und hörten Arbeitsgeräusche. Trotz mehrmaligen Klopfens und Rufens:
"Aufmachen! Polizei!" wurde ihnen nicht geöffnet; die Geräusche verstummten und es wurde das Licht abgedreht. RevInsp. G und RevInsp. F begaben sich darauf in das Wachzimmer zurück, wo RevInsp. G mit dem Erstbeschwerdeführer fernmündlich sprach. Im Ferngespräch verlangte der Polizeibeamte vom Erstbeschwerdeführer zunächst (neuerlich) die Herausgabe bestimmter Kennzeichentafeln und teilte ihm sodann die von den Sicherheitswachebeamten bei der Garage gemachten Beobachtungen mit. Nach Beendigung des Telefonates veranlaßten die Sicherheitswachebeamten die Intervention der Freiwilligen Feuerwehr Schwechat, um in das Gebäude zu gelangen. Bei deren Einschreiten wurden (um einsteigen zu können) eine Fensterscheibe zerschlagen sowie zwei Tore und ein Vorhängeschloß beschädigt. Die Polizeibeamten besichtigten die Garage und fanden darin den Zweitbeschwerdeführer, der sich in einer Duschkabine versteckt hatte.
b) Zu zwei Einzelheiten der eben getroffenen Sachverhaltsfeststellungen, denen das Parteienvorbringen und die schon erwähnten Beweismittel im wesentlichen vorbehaltlos zugrundegelegt werden konnten, ist folgendes anzumerken:
Bei den von den Polizeibeamten wahrgenommenen Geräuschen
handelte es sich nicht etwa um der Art nach nicht bestimmbaren Lärm
(- wie dies etwa aus der polizeilichen Anzeige geschlossen werden
könnte, in der lediglich von "Geräuschen" die Rede ist -), sondern
um typische Arbeitsgeräusche; dies gaben im gerichtlichen
Strafverfahren sowohl Insp. H ("... hörten auch nicht näher zu
definierende Arbeitsgeräusche") als auch RevInsp. G ("... als würde
irgendwer darin arbeiten") an.
Der genaue Inhalt des Ferngesprächs zwischen RevInsp. G und dem Erstbeschwerdeführer ist nicht feststellbar, zumal die Angaben der vernommenen Gesprächspartner erheblich voneinander abweichen und andere Beweise nicht zur Verfügung stehen. Während der Polizeibeamte angab, der Erstbeschwerdeführer habe erklärt, daß sich in der Garage keine Person befinden könne, und er den Erstbeschwerdeführer auf den in Aussicht genommenen Einsatz der Feuerwehr hingewiesen habe, deponierte der Erstbeschwerdeführer, er habe dem Polizeibeamten gesagt, daß sich in der Garage eine bei ihm beschäftigte Person befinde, die sich vermutlich nicht zu öffnen traue; die Absicht, unter Zuhilfenahme der Feuerwehr in die Garage einzudringen, sei ihm nicht mitgeteilt worden.
c) Soweit sich die Beschwerde gegen das - von ihr allerdings unzutreffend als Hausdurchsuchung gewertete - Eindringen der Sicherheitswachebeamten in das Gebäude und in diesem Zusammenhang durch die Hilfeleistung der Feuerwehr entstandenen Sachbeschädigungen richtet, ist sie zulässig und im Ergebnis gerechtfertigt.
Wie der Verfassungsgerichtshof im Hinblick auf die im § 1 des HausrechtsG, RGBl. 88/1862, gegebene Definition der Hausdurchsuchung schon mehrmals ausgesprochen hat (s. etwa mit Bezugnahme auf VfSlg. 10272/1984 oder VfSlg. 10547/1985 mit zahlreichen weiteren Judikaturhinweisen), ist es für das Wesen einer Hausdurchsuchung charakteristisch, daß nach Personen oder Sachen gesucht wird, von denen unbekannt ist, wo sie sich befinden; insbesondere ist das bloße Betreten einer Wohnung, etwa um zu sehen, von wem sie bewohnt wird, nicht als Hausdurchsuchung zu beurteilen. An diesen eben beschriebenen Voraussetzungen fehlt es im vorliegenden Fall, in welchem die Sicherheitswachebeamten ihr Einschreiten damit begründeten, daß der Verdacht eines Einbruchdiebstahls oder eines Unfalls bestanden habe. Die Polizeibeamten suchten nämlich keineswegs nach einer bestimmten Person, deren Aufenthalt ihnen nicht bekannt war, sondern sie drangen (geht man von dem von ihnen angegebenen Zweck ihres Einschreitens aus) deshalb in die Räumlichkeiten ein, weil sie die Identität einer ihnen unbekannten Person feststellen wollten, von deren Anwesenheit sie (infolge der vorher wahrgenommenen Arbeitsgeräusche und des sodann erfolgten Abdrehens des Lichtes in der Garage) wußten, sowie zur Feststellung, ob diese Person etwa einen Unfall erlitten habe. Ebensowenig wie ein Eingriff in das Hausrecht kommt aber auch ein solcher in das durch Art 8 MRK verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Achtung der Wohnung in Betracht, weil Betriebsräume nicht zur Wohnung im Sinne dieser Konventionsbestimmung zählen (s. Frowein/Peukert, EMRK-Kommentar, S. 207, Rz 27 zu Art 8).
Der Verfassungsgerichtshof hat in seiner Judikatur zu vergleichbaren Fällen, in denen Sicherheitsorgane in einer nicht als Hausdurchsuchung zu wertenden Weise zum Schutz von Personen oder Sachen in nicht allgemein zugängliche Räumlichkeiten eindrangen, eine rechtliche Beurteilung anhand des ArtII § 4 Abs 2 des Übergangsgesetzes 1929 vorgenommen. Gemäß dieser Verfassungsvorschrift können die mit der Führung der allgemeinen Sicherheitspolizei betrauten Behörden zum Schutz der gefährdeten körperlichen Sicherheit von Menschen oder des Eigentums innerhalb ihres Wirkungsbereiches die zur Abwendung der Gefahr erforderlichen Anordnungen treffen, zu denen nach der Rechtsprechung auch individuelle Anordnungen zählen (zB VfSlg. 8928/1980). Diese Vorschrift kann das hier zu beurteilende Vorgehen der Sicherheitswachebeamten ebenfalls nicht rechtfertigen, und zwar auch dann nicht, wenn man die von RevInsp. G gegebene Darstellung vom Inhalt des Ferngesprächs mit dem Erstbeschwerdeführer zugrundegelegt. Selbst wenn nämlich der Erstbeschwerdeführer bestritten haben sollte, daß sich jemand in seiner Garage befindet, so war es nach der bestandenen Situation im Hinblick auf den Zweck des Kraftfahrzeugabstellplatzes und der Garage sowie auf die eigenen Wahrnehmungen der Polizeibeamten durchaus klar, daß in einer gewerberechtlich allenfalls bedenklichen Weise an gebrauchten Kraftfahrzeugen gearbeitet wurde. Im übrigen ergibt sich aus der später verfaßten Anzeige, daß gegen den Erstbeschwerdeführer bereits früher ein in diese Richtung gehender, zu einer Anzeigeerstattung führender Verdacht bestand, von dem zumindest der die Anzeige über den Vorfall vom abfassende RevInsp. G Kenntnis hatte.
Zusammenfassend ergibt sich, daß die Sicherheitswachebeamten bei ihrem Einschreiten schlechthin gesetzlos, also willkürlich vorgingen. Der Erstbeschwerdeführer wurde daher durch das Eindringen in die Garage und die zu diesem Zweck verursachten Sachbeschädigungen im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt, welches nach der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs willkürliches Handeln von Behörden verpönt (zB VfSlg. 10337/1985).
2. Soweit sich die Beschwerde gegen die von ihr angenommene Verhaftung des Zweitbeschwerdeführers und seine angebliche Mißhandlung richtet, erweist sie sich hingegen als unzulässig.
a) Der Zweitbeschwerdeführer, ein der deutschen Sprache nur sehr beschränkt mächtiger polnischer Staatsangehöriger, war beim Erstbeschwerdeführer in dessen Gastgewerbebetrieb als Tellerwäscher beschäftigt; er wurde von seinem Dienstgeber im Hinblick auf seine Berufskenntnisse als Kraftfahrzeugmechaniker auch für Arbeiten an Kraftfahrzeugen herangezogen. Mit derartigen Arbeiten war der Zweitbeschwerdeführer auch befaßt, als die Polizeibeamten zur Garage kamen und Einlaß begehrten.
Aufgrund der übereinstimmenden Angaben steht fest, daß der Zweitbeschwerdeführer, nachdem die Sicherheitswachebeamten in die Garage eingedrungen waren und ihn entdeckt hatten, sich auswies und seine Tätigkeit für den Erstbeschwerdeführer darlegte. Die Polizeibeamten gaben bei ihrer Vernehmung im Verfahren AZ 25a Vr 3647/86 des Landesgerichtes für Strafsachen Wien übereinstimmend an, daß der Beschwerdeführer freiwillig mit dem Dienstfahrzeug in das Wachzimmer mitgefahren sei (Insp. H: "... Wir stellten ihm anheim, mit auf das Wachzimmer zu kommen, wo er mit O telefonieren könne"; RevInsp. F: "W fragte uns dann, ob er, um die Angelegenheit aufzuklären, mit uns auf das Wachzimmer zum Zwecke des Telefonierens mit O mitfahren könne, da wir ihn auch vernehmen wollten, stimmten wir zu."; RevInsp. G: "W bat uns dann, ob er mit uns auf das Wachzimmer kommen könnte um die Angelegenheit aufzuklären".). Der Zweitbeschwerdeführer hingegen deponierte bei seiner Vernehmung im selben Verfahren, es sei nicht richtig, daß er selbst darum gebeten habe, im Wachzimmer die Angelegenheit aufzuklären, er habe lediglich ersucht, man möge seinen Chef telefonisch verständigen. Es sei ihm bedeutet worden, in das Auto einzusteigen, formelle Festnahme sei keine ausgesprochen worden. Auf die bei einer späteren Vernehmung gestellte Frage, weshalb er habe angeben können, es sei keine formelle Festnahme ausgesprochen worden, obgleich er die deutsche Sprache nicht beherrsche, erwiderte der Zweitbeschwerdeführer, er verstehe das überhaupt nicht mehr. Bei dieser späteren Vernehmung verweigerte der Zweitbeschwerdeführer auch die Unterfertigung des Protokolls und lehnte es ab, daß ihm das Protokoll übersetzt werde; dies begründete er damit "daß ohnehin alles falsch ist, was in allen Protokollen geschrieben wurde".
Bei dieser Beweissituation ist der Verfassungsgerichtshof nicht in der Lage, mit der erforderlichen Gewißheit anzunehmen, daß der Zweitbeschwerdeführer gegen seinen Willen verhalten wurde, mit den Sicherheitswachebeamten zum Wachzimmer mitzufahren. Es ist insbesondere unter Bedachtnahme auf die mangelhafte Kenntnis der deutschen Sprache durch den Zweitbeschwerdeführer nicht auszuschließen, daß die Sicherheitswachebeamten den von ihm geäußerten Wunsch, es möge der Erstbeschwerdeführer telefonisch vom Vorfall verständigt werden, im Sinne eines Angebotes mißverstanden, zwecks einer solchen fernmündlichen Verständigung freiwillig zum Wachzimmer mitzukommen.
b) In grundsätzlich gleicher Weise ist die Beweislage bezüglich der vom Zweitbeschwerdeführer behaupteten Mißhandlung zu beurteilen. Während er angab, er sei bereits in der Garage glaublich von RevInsp. G geschlagen worden, bestritten alle drei vernommenen Sicherheitswachebeamten entschieden, daß eine Mißhandlung des Zweitbeschwerdeführers stattgefunden habe. Übereinstimmend bekundeten aber auch alle vier im erwähnten Verfahren vor dem Landesgericht für Strafsachen Wien vernommenen Feuerwehrmänner (W D, M S, W H und M L), welche (wie aus der Aussage des Zeugen H hervorgeht) bis zum Wegfahren des Polizeifahrzeugs anwesend waren, keine Mißhandlung des Zweitbeschwerdeführers wahrgenommen zu haben. Demgemäß erscheint aber auch die weitere Angabe des Zweitbeschwerdeführers nicht als verlässlich, er sei auch im Wachzimmer geschlagen worden.
Im gegebenen Zusammenhang ist noch anzumerken, daß die Staatsanwaltschaft Wien in dem gegen die genannten Sicherheitswachebeamten wegen des Vergehens der Körperverletzung beim Landesgericht für Strafsachen Wien eingeleiteten Strafverfahren nach Durchführung der Vorerhebungen die Erklärung abgab, zu einer weiteren Verfolgung werde kein Grund gefunden.
c) Soweit die Beschwerde vom Zweitbeschwerdeführer erhoben wurde, war sie, weil ihr kein beschwerdefähiges Substrat zugrundeliegt, zurückzuweisen. Demgemäß war der hilfsweise gestellte Antrag auf Beschwerdeabtretung an den Verwaltungsgerichtshof in diesem Umfang abzuweisen, zumal die Voraussetzungen des Art 144 Abs 3 B-VG nicht vorliegen.
3. Die Kostenentscheidung stützt sich auf § 88 VerfGG; vom zugesprochenen Kostenbetrag entfallen 600 S auf die Umsatzsteuer.
III. Diese Entscheidung wurde gemäß § 19 Abs 4 erster Satz VerfGG ohne vorangegangene mündliche Verhandlung getroffen.