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OGH vom 03.05.2012, 10ObS67/12v

OGH vom 03.05.2012, 10ObS67/12v

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Dr. Hradil als Vorsitzenden, den Hofrat Dr. Fellinger und die Hofrätin Dr. Fichtenau als weitere Richter (Senat nach § 11a Abs 3 ASGG) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Mag. M*****, vertreten durch Mag. Gregor Kohlbacher, Rechtsanwalt in Graz, und des Nebenintervenienten auf Seiten der klagenden Partei Mag. H*****, vertreten durch Gheneff-Rami-Sommer Rechtsanwälte KG in Klagenfurt, wegen Rückforderung von Kinderbetreuungsgeld, gegen die beklagte Partei Steiermärkische Gebietskrankenkasse, 8011 Graz, Josef Pongratz Platz 1, über den Rekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 7 Rs 60/11i-13, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

1. Soweit sich der Rekurs gegen die Zurückweisung der Berufung richtet (Punkt 1 der angefochtenen Entscheidung) wird ihm keine Folge gegeben.

2. Im Übrigen, nämlich in Ansehung der Abweisung des Unterbrechungsantrags und der Zurückweisung des Eventualantrags auf Einleitung eines Gesetzesprüfungsverfahrens (Punkte 2 und 3 der angefochtenen Entscheidung), wird der Rekurs zurückgewiesen .

Die Klägerin hat die Kosten ihres erfolglosen Rechtsmittels selbst zu tragen.

Text

Begründung:

Mit Bescheid vom wurde die Zuerkennung des der Klägerin anlässlich der Geburt ihrer Tochter M***** vom bis gewährten Kinderbetreuungsgelds widerrufen und die Klägerin zum Ersatz der unberechtigt empfangenen 5.303,45 EUR binnen vier Wochen nach Zustellung des Bescheids verpflichtet.

Das Erstgericht wies mit Urteil vom die gegen diesen Bescheid gerichtete Klage ab. Im Hinblick auf die wirtschaftlichen Verhältnisse der Klägerin verpflichtete es diese, den Rückforderungsbetrag in 25 aufeinander folgenden monatlichen Teilbeträgen von je 200 EUR und den letzten Teilbetrag in Höhe von 303,45 EUR ab dem Eintritt der Rechtskraft folgenden Monatsersten zurückzuzahlen.

Gegen diese Entscheidung erhob die Klägerin am Berufung . Sie focht das Urteil in seinem gesamten Umfang aus dem Berufungsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung an und brachte vor, sie habe zum Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung erster Instanz lediglich Arbeitslosengeld bezogen. Derzeit verfüge sie über keinerlei Einkommen. Die Höhe der Raten wäre mit einem niedrigeren Betrag anzunehmen gewesen, da es der allgemeinen Lebenserfahrung entspreche, dass sie als Mutter dreier Kinder ohne nennenswertes Einkommen nicht imstande sei, monatliche Raten von 200 EUR bzw 303,56 EUR zu bezahlen. Ein sonstiges Vorbringen zur unrichtigen rechtlichen Beurteilung enthält die Berufung nicht. Es findet sich auch kein Vorbringen zu etwaigen Nichtigkeitsgründen. Dennoch lautet der Berufungsantrag dahin, der „Berufung wegen Nichtigkeit stattzugeben und das angefochtene Urteil als nichtig aufzuheben, in eventu die monatlichen Teilbeträge zur ratierlichen Rückführung ... mit 15 EUR festzusetzen“ und jedenfalls der beklagten Partei Kostenersatz aufzuerlegen. Am nach Vorlage des Akts an das Berufungsgericht brachte die Klägerin noch einen Unterbrechungsantrag und einen Eventualantrag auf Einleitung eines Gesetzesprüfungsverfahrens nach Art 89 B VG ein. Sie brachte vor, im Hinblick auf die Präjudizialität der zu lösenden Rechtsfrage beantrage sie „die Unterbrechung des Verfahrens bis zur rechtskräftigen Beendigung der von einer steirischen Familie sowie einer Ärztin, beide vertreten durch Rechtsanwalt Mag. Martin Maier anhängigen Verfahren“. Das Gesetzesprüfungsverfahren sei hinsichtlich der Verfassungskonformität des Verfahrens zur Anwendung des § 30 Abs 2 iVm § 31 Abs 2 KBGG einzuleiten, dies „insbesondere im Hinblick darauf, dass zunächst eine ministerielle Weisung die Anwendung ausgeschlossen habe und nunmehr nicht im Sinne der Gleichförmigkeit der Rechtsanwendung im Sinne des Vertrauensschutzes sowie im Sinne der Gleichheit vor dem Gesetz, sohin das Gesetz in Verletzung verfassungsrechtlich gewährleisteter Rechte angewandt werde“.

Das Berufungsgericht wies mit Beschluss vom die Berufung als unzulässig zurück (Punkt 1 des Spruchs); der Antrag auf Unterbrechung wurde abgewiesen (Punkt 2 des Spruchs) und der Eventualantrag auf Einleitung eines Gesetzesprüfungsverfahrens zurückgewiesen (Punkt 3 des Spruchs).

Rechtlich ging das Berufungsgericht davon aus, dass zu den Sozialrechtssachen unter anderem auch Rechtsstreitigkeiten über Ansprüche auf Kinderbetreuungsgeld und auf Zuschuss zum Kinderbetreuungsgeld nach dem KBGG zu zählen seien; ebenso Ansprüche auf Rückforderung von Kinderbetreuungsgeld. In Streitigkeiten über den Rückersatz von Kinderbetreuungsgeld habe das Gericht die Leistungsfrist unter Berücksichtigung der Familien-, Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Klägers nach Billigkeit zu bestimmen und auch die Zahlung in Raten anzuordnen. Das Vorliegen der Billigkeitsvoraussetzungen sei von Amts wegen zu prüfen. Eine gänzliche oder teilweise Nachsicht der Rückzahlungspflicht sei aber nicht vorgesehen. Die ausschließliche Anfechtung des Ausspruchs über die Leistungsfrist und die Ratenanordnung sei sowohl für den Versicherten als auch für den Versicherungsträger aus verfahrensökonomischen Erwägungen nicht zulässig (§ 90 Z 1 ASGG). Da die Klägerin in ihrem Rechtsmittel ausschließlich die Ratenanordnung bekämpft habe, sei die Berufung zurückzuweisen. Nicht nachvollziehbar sei, weshalb die Aufhebung der Entscheidung als nichtig begehrt werde, sei doch in der Berufung das Vorliegen von Nichtigkeitsgründen gar nicht geltend gemacht worden.

Der Unterbrechungsantrag sei abzuweisen, weil die Voraussetzungen des § 190 ZPO nicht vorlägen. Eine Unterbrechung sei dann zulässig, wenn die Frage des Bestehens eines Rechtsverhältnisses, die im Rechtsstreit als Vorfrage gelöst werden müsste, in einem anderen (bereits anhängigen) Verfahren als Hauptfrage beurteilt werden müsse und das Gericht an diese Lösung gebunden sei. Ein zwischen nicht näher bezeichneten Personen und der Beklagten allenfalls bereits anhängiges gleichartiges Verfahren könne in keinem Fall präjudiziell wirken.

Der Antrag auf Einleitung des Gesetzeprüfungsverfahrens sei zurückzuweisen, weil den Parteien eines Zivil- oder Strafverfahrens kein Antragsrecht darauf zukomme, dass der Oberste Gerichtshof an den Verfassungsgerichtshof einen Gesetzesprüfungsantrag nach Art 89 B VG stelle. Es bestehe lediglich das Recht, die Stellung eines Gesetzesprüfungsantrags anzuregen. Da das Berufungsgericht die verfassungsrechtlichen Bedenken des Berufungswerbers nicht teile, bestehe kein Grund für die Stellung eines derartigen Antrags an den Verfassungsgerichtshof.

Gegen diese Entscheidung in ihrem gesamten Umfang richtet sich der Rekurs der Klägerin mit dem Antrag, diese dahin abzuändern, dass sowohl der Berufung als auch dem Antrag auf Unterbrechung des gegenständlichen Verfahrens sowie dem Eventualantrag auf Einleitung eines Gesetzesprüfungsverfahrens stattgegeben werde; in eventu möge der angefochtene Beschluss aufgehoben und das Verfahren zur Ergänzung und neuerlichen Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen werden.

1. Zum Beschluss auf Zurückweisung der Berufung (Punkt 1 des Spruchs der angefochtenen Entscheidung):

Der dagegen von der Klägerin rechtzeitig erhobene Rekurs ist ohne Beschränkung auf die Geltendmachung einer erheblichen Rechtsfrage zulässig, weil eine Entscheidung des Berufungsgerichts nach § 519 Abs 1 Z 1 ZPO vorliegt und diese Bestimmung mangels abweichender Regelung auch im Verfahren in Arbeits- und Sozialrechtssachen anzuwenden ist (10 ObS 267/00p mwN; Neumayr in Zeller Kommentar 2 § 44 ASGG Rz 2).

Die Rekurswerberin nimmt den Standpunkt ein, sie habe die Berufung nicht ausschließlich gegen die vom Erstgericht getroffene Ratenanordnung erhoben, sondern auch den Berufungsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung geltend gemacht, sodass der Berufung jedenfalls stattzugeben gewesen wäre. Darüber hinaus habe sie die Aufhebung der Entscheidung als nichtig begehrt. Auch wenn sie Nichtigkeitsgründe nicht ausdrücklich geltend gemacht habe, hätte das Berufungsgericht solche von Amts wegen wahrzunehmen gehabt. Welche Nichtigkeitsgründe dies sein sollen, legt die Rekurswerberin nicht dar.

Rechtliche Beurteilung

Dazu ist auszuführen:

§ 90 Z 1 ASGG erklärt die ausschließliche Anfechtung des Ausspruchs über die Leistungsfrist sowie die Ratenanordnung (§ 89 Abs 3 und 4 ASGG) für unzulässig (10 ObS 267/00p, SSV-NF 14/142; RIS-Justiz RS0114691), wohl ist aber die Anfechtung gemeinsam mit dem Ausspruch über die Hauptsache zulässig ( Neumayr in Zeller Kommentar 2 § 90 ASGG Rz 2). Dem Standpunkt der Rekurswerberin, sie habe nicht nur die Ratenanordnung bekämpft, sondern auch den Ausspruch über die Hauptsache, indem sie in ihrer Berufung den Berufungsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung geltend gemacht habe, ist entgegenzuhalten, dass die gesetzmäßige Ausführung dieses Rechtsmittelgrundes die Darlegung erfordert, aus welchen Gründen die rechtliche Beurteilung der Sache unrichtig erscheint. Die bloße und nicht weiter ausgeführte (begründungslos) bleibende Behauptung, es sei eine unrichtige rechtliche Beurteilung vorgelegen, genügt nicht (RIS-Justiz RS0043605). In diesem Fall liegt in Wahrheit keine Rechtsrüge vor, sodass die rechtliche Beurteilung des Ersturteils nicht überprüft werden darf ( Kodek in Rechberger 3 , ZPO § 471 Rz 9).

Hat die Klägerin somit ausschließlich den Ausspruch über die Ratenanordnung angefochten, steht ihr dagegen im Hinblick auf den Rechtmittelausschluss des § 90 Z 1 ASGG kein Rechtsmittel offen. Auf die behauptete wenngleich nicht näher konkretisierte Nichtigkeit ist deshalb nicht einzugehen.

2. Zur Abweisung des Antrags auf Unterbrechung (Punkt 2 des Spruchs der angefochtenen Entscheidung):

Gemäß § 190 Abs 2 ZPO, der mangels Sonderregelung im ASGG (vgl §§ 39, 59 ASGG) auch im arbeits- und sozialgerichtlichen Verfahren anzuwenden ist (8 ObA 242/01y), können die nach den §§ 187 bis 191 ZPO erlassenen Anordnungen, soweit sie nicht eine Unterbrechung des Verfahrens verfügen, durch ein Rechtsmittel nicht angefochten werden. Gegen einen die Unterbrechung abändernden oder ablehnenden Beschluss findet somit kein weiterer Rechtszug statt, in welcher Form immer die Ablehnung ausgesprochen wurde (RIS-Justiz RS0037003; RS0037071). Diese Vorschrift ist nur dann unanwendbar, wenn das Gesetz eine Unterbrechung zwingend vorschreibt (RIS-Justiz RS0037034; RS0037066; RS0036983; RS0037058). Im sozialrechtlichen Leistungsstreitverfahren ist in den in nach § 74 Abs 1 erster Halbsatz ASGG genannten Fällen das Verfahren zwingend zu unterbrechen, ohne dass das Gericht eine dem § 190 ZPO vergleichbare Wahlmöglichkeit hätte (RIS-Justiz RS0037262). Nur dann, wenn eine der in § 74 Abs 1 erster Halbsatz ASGG aufgezählten Fragen (die Versicherungspflicht, die Versicherungsberechtigung, der Beginn oder das Ende der Versicherung, die maßgebende Beitragsgrundlage oder die Angehörigeneigenschaft) als Vorfrage strittig ist und die Entscheidung über die Klage von der Beurteilung einer solchen Vorfrage abhängt, muss das Verfahren unterbrochen werden (RIS-Justiz RS0036983). In anderen Fällen kommt lediglich die Unterbrechung aus Zweckmäßigkeitserwägungen nach § 190 ZPO in Betracht. Die Rekurswerberin macht aber gar nicht geltend, dass eine der im § 74 Abs 1 ASGG aufgezählten Fragen als Vorfrage strittig sei, sondern beruft sich darauf, dass das berechtigte Vertrauen auf die wie sie vorbringt im Jahr 2003 erteilte ministerielle Weisung im Sinne der Nichtüberprüfung der Einhaltung der Zuverdienstgrenze, Gegenstand von zwischen anderen Parteien anhängigen Parallelverfahren sei und somit eine Vorfrage darstelle, von deren Beurteilung die Entscheidung in der Hauptsache ganz oder teilweise abhänge. Hat das (Berufungs )Gericht dieses Vorbringen als nicht geeignet erachtet, um vom Vorliegen der Voraussetzungen für die Unterbrechung aus Zweckmäßigkeitserwägungen nach § 190 ZPO auszugehen und deshalb eine Unterbrechung abgelehnt, findet gegen diese Entscheidung gemäß § 192 Abs 2 ZPO kein weiterer Rechtszug statt. Der dennoch gegen Punkt 2 der Entscheidung des Berufungsgerichts erhobene Rekurs ist demnach als unzulässig zurückzuweisen.

3. Zur Zurückweisung des Eventualantrags auf Einleitung eines Gesetzesprüfungsverfahrens (Punkt 3 des Spruchs der angefochtenen Entscheidung):

Die Rekurswerberin bezweifelt die Verfassungskonformität des Verfahrens zur Anwendung des § 30 Abs 2 iVm § 31 Abs 2 KBGG und vertritt den Standpunkt, das Berufungsgericht hätte dem Antrag auf Einleitung eines Gesetzesprüfungsverfahrens stattgeben sollen. Es sei mit dem Gleichheitssatz unvereinbar, dass die Rückforderung nur bei zufällig im Rahmen von Stichproben ausgewählten Fällen erfolge. Zudem sei der verfassungsrechtliche Vertrauensschutz verletzt, weil wie sie vorbringt seitens der politisch Verantwortlichen lange Zeit kundgetan worden sei, dass es zu keinen Rückforderungen kommen werde.

Dazu ist auszuführen:

Nach ständiger Rechtsprechung ist eine Partei nicht befugt zu begehren, dass das Berufungsgericht (oder der Oberste Gerichtshof) beim Verfassungsgerichtshof den Antrag auf Aufhebung eines Gesetzes wegen Verfassungswidrigkeit stelle (RIS-Justiz RS0058452). Es kommt einer Partei kein subjektives Recht auf Stellung eines derartigen Antrags beim Verfassungsgerichtshof zu, sie kann die Stellung eines solchen nur anregen. Ob eine Anfechtung beim Verfassungsgerichtshof erfolgt, hat allein das Gericht von Amts wegen zu beurteilen (RIS-Justiz RS0058452 [T19]).

Ähnliches gilt für die Einleitung eines Vorabentscheidungsverfahrens: Jedes Gericht, so auch der Oberste Gerichtshof, hat selbstständig zu prüfen, ob ein Vorabentscheidungsverfahren einzuleiten ist oder nicht. Auch hier besteht deshalb kein subjektives Recht der Parteien, die Vorlage zu beantragen; sie können eine solche nur anregen, haben aber keinen Erledigungsanspruch. Aus diesem Grund wurde bereits ausgesprochen, dass den Parteien gegen die Nichtvorlage kein Rekursrecht zukommt. Ein dennoch erhobener Rekurs gegen die Zurückweisung eines Antrags auf Einholung einer Vorabentscheidung ist als unzulässig zurückzuweisen (RIS-Justiz RS0112220; RS0106043 [T1]; Zechner in Fasching/Konecny 2 § 519 Rz 10 und § 502 Rz 120). Als nicht zulässig erachtet wurde auch ein Rekurs gegen einen Beschluss eines nicht letztinstanzlichen Gerichts, mit dem dieses dem EuGH eine Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt hat (16 Ok 9/96, WBl 1997, 108).

Diese Erwägungen müssen in gleicher Weise für das gleichgelagerte Gesetzesprüfungsverfahren vor dem Verfassungsgerichtshof gelten. Der Rekurs gegen die vom Berufungsgericht ausgesprochene Zurückweisung des Eventualantrags auf Einleitung eines Gesetzesprüfungsverfahrens ist demnach zurückzuweisen.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Die Entscheidung war in einem Dreiersenat zu fällen (§ 11a Abs 3 Z 2 ASGG; Neumayr in Zeller Kommentar 2 , § 11a ASGG Rz 2, 3).