OGH vom 07.03.2006, 10ObS67/05h

OGH vom 07.03.2006, 10ObS67/05h

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Rekursgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schinko als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Fellinger und Dr. Hoch sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Friedrich Stefan und Dr. Peter Krüger (beide aus dem Kreis der Arbeitgeber) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Anton M*****, Pensionist,***** vertreten durch Dr. Kurt Lechner, Rechtsanwalt in Neunkirchen, gegen die beklagte Partei Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft, 1051 Wien, Wiedner Hauptstraße 84-86, vertreten durch Dr. Eva-Maria Bachmann und Dr. Christian Bachmann, Rechtsanwälte in Wien, wegen EUR 1.483,37 und Feststellung, infolge Rekurses der klagenden Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 9 Rs 174/04f-14, womit aus Anlass der Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Wiener Neustadt als Arbeits- und Sozialgericht vom , GZ 5 Cgs 61/03t-10, und das vorangegangene Verfahren als nichtig aufgehoben und die Klage zurückgewiesen wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

Beide Parteien haben die Kosten ihrer Rechtsmittelschriften selbst zu tragen.

Text

Begründung:

Mit Bescheid vom entschied die beklagte Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft auf Antrag des Klägers, dass dessen vorzeitige Alterspension bei langer Versicherungsdauer (§ 131 GSVG) vom bis mit monatlich EUR 920,88 und ab mit monatlich EUR 931,01 wieder auflebt. Der Bescheid war in Spruch, Begründung und Belehrung über das Klagsrecht gegliedert. Nach der Bezeichnung der beklagten Partei als bescheiderlassende Behörde, dem Namen des Genehmigenden und der entsprechenden Fertigung ist dem Bescheid auf dem zweiten Blatt eine mit „Übersicht" überschriebene Aufstellung angeschlossen, aus der sich nochmals die Höhe der dem Kläger ab und ab zustehenden Pension (Gesamtleistung) ergibt. Auf dem dritten und vierten Blatt findet sich eine mit „Abrechnung" überschriebene Berechnung, aus der sich ergibt, dass von der jeweils ausgewiesenen Bruttoleistung neben dem Krankenversicherungsbeitrag und der Lohnsteuer von der Beklagten auch ein Einbehalt für Beitragsrückstand bzw Kostenanteil sowie für die Aufrechnung eines weiteren Beitragsrückstandes des Klägers bei der Niederösterreichischen Gebietskrankenkasse in einer bestimmten betragsmäßig ausgewiesenen Höhe vorgenommen wird und der verbleibende Betrag an den Kläger zur Auszahlung gelangt. Dazu findet sich auch der Hinweis, dass Beitragsrückstände (Kostenanteile) hereingebracht werden, indem von den laufenden Bezügen ein Ratenabzug erfolge, wobei auch von Nachzahlungen ein Einbehalt bis zur Hälfte zulässig sei. Das fünfte und letzte Blatt des Schriftstückes enthält eine Meldebelehrung.

Die vom Kläger gegen diesen Bescheid erhobene Klage richtet sich ausschließlich gegen die als „integrierenden Bestandteil des Bescheides" bezeichnete „Abrechnung über die Zeiträume bis " sowie die „Feststellung der Höhe der monatlichen Pensionsanweisung ab 1. 5., 1. 7. und ". Der Kläger begehrt, die Beklagte schuldig zu erkennen, ihm für den Zeitraum vom bis aus dem Titel der vorzeitigen Alterspension zusätzlich EUR 1.483,37 zu zahlen, sowie festzustellen, dass „ein Einbehalt für Beitragsrückstände bzw Kostenanteile der Beklagten", aber auch „ein Einbehalt zur Aufrechnung des Beitragsrückstandes bei der Niederösterreichischen Gebietskrankenkasse hinsichtlich der mit Bescheid zuerkannten vorzeitigen Alterspension" unzulässig sei. Zur Begründung brachte er vor, dass über sein Vermögen am das Konkursverfahren eröffnet worden sei. Zu diesem Zeitpunkt seien sich die (aufgerechneten) Forderungen nicht aufrechenbar gegenüber gestanden, weil die von der Beklagten aufgerechnete Forderung erst mit Bescheiderlassung am , somit nach Konkurseröffnung, entstanden sei. Im Übrigen habe er mit seinen Gläubigern einen Ausgleich geschlossen, der zur Gänze erfüllt worden sei. Die Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens und wandte insbesondere ein, die bekämpfte „Abrechnung" stelle keinen integrierenden Bestandteil des Bescheides dar und könne daher nicht Gegenstand der Klage sein. Im Übrigen seien die gegen die Pension aufgerechneten Beitragsrückstände und Kostenanteile zum Zeitpunkt der Aufrechnung jedenfalls fällig gewesen. Die Aufrechnung sei daher zu Recht erfolgt.

Das Erstgericht wies das Zahlungs- und Feststellungsbegehren des Klägers ab und erkannte ihn schuldig, die Aufrechnung im Sinne der dem Bescheid der Beklagten angeschlossenen Abrechnung zu dulden. In rechtlicher Hinsicht vertrat das Erstgericht im Wesentlichen die Auffassung, dass die dem Pensionsbescheid der Beklagten angeschlossene Abrechnung als Bescheid anzusehen sei. Ein Bescheid liege vor, wenn der zu beurteilende Akt von einer Behörde stamme, die Bescheide erlassen dürfe, und wenn sich aus dem Inhalt des Aktes der Wille der Behörde ergebe, eine Verwaltungsangelegenheit gegenüber einer bestimmten Person normativ zu regeln. Im Zweifel sei ein Bescheid anzunehmen, wenn die Mitteilung inhaltlich die Merkmale eines Bescheides habe und nach den bestehenden Vorschriften ein Bescheid zu erlassen sei. Im vorliegenden Fall sei erkennbar, dass die Beklagte eine Aufrechnung von eigenen Ansprüchen und Ansprüchen der Niederösterreichischen Gebietskrankenkasse auf die dem Kläger zustehende Pension vornehmen habe wollen. Die von der Beklagten vorgenommene Aufrechnung sei jedoch zu Recht erfolgt. Das Berufungsgericht hob aus Anlass der vom Kläger erhobenen Berufung das angefochtene Urteil und das diesem vorangegangene Verfahren als nichtig auf und wies die Klage zurück. Es verwies in seinen Ausführungen darauf, dass es sich bei der Aufrechnung auf die von den Versicherungsträgern zu erbringenden Geldleistungen aufgrund der hier anwendbaren Bestimmung des § 71 GSVG nach der Rechtsprechung um eine die Feststellung des Bestandes oder des Umfanges eines Anspruches auf eine Versicherungsleistung betreffende Angelegenheit und damit um eine Sozialrechtssache im Sinn des § 65 Abs 1 Z 1 ASGG handle. Nach dem Grundsatz der sukzessiven Kompetenz dürfe aber in einer solchen Leistungssache eine Klage nur erhoben werden, wenn der Versicherungsträger darüber bereits mit Bescheid entschieden habe (§ 67 Abs 1 Z 1 ASGG). Gemäß § 367 Abs 1 und 2 ASVG sei über eine Aufrechnung auf eine Geldleistung ein Bescheid zu erlassen. Nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes liege ein Bescheid vor, wenn der zu beurteilende Akt von einer Behörde stamme, die Bescheide erlassen dürfe, und wenn sich aus seinem Inhalt der Wille der Behörde ergebe, eine Verwaltungsangelegenheit gegenüber einer bestimmten Person normativ zu regeln, also bindend, mit einem der Rechtskraft zugänglichen Akt, Rechtsverhältnisse zu gestalten oder festzustellen (SZ 2002/11 ua; RIS-Justiz RS0085681). Der Bescheidwille (das „autoritative Wollen") bilde ein auch nach dem Schrifttum und nach der Rechtsprechung der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts wesentliches Bescheidmerkmal. Der Oberste Gerichtshof habe bereits wiederholt (SSV-NF 1/3 = ZAS 1988/26, 198 [Müller]; 10 ObS 87/99p = SSV-NF 13/52 mwN) ausgesprochen, dass die einem Bescheid über die Festsetzung der Geldleistung auf einem gesonderten Blatt angeschlossene Abrechnung über die angefallenen Beträge weder einen Teil dieses Bescheides noch einen gesonderten Bescheid darstelle. Einer solchen Abrechnung könne nämlich nicht entnommen werden, dass ein Rechtsverhältnis zum Kläger in bindender Weise festgestellt oder gestaltet werden solle; dies bilde aber ein wesentliches Merkmal des Bescheidbegriffes. Eine formlose Abrechnung sei also weder formell Teil des Bescheides, noch trage sie materiell etwas zur Stütze des Spruches bei. Sie gebe lediglich Auskunft darüber, was mit den anfallenden Beträgen (der zwischenzeitlich meist aufgelaufenen Nachzahlung) geschehen werde oder wie der Versicherungsträger rechnerisch zum ausgezahlten Betrag gelangt sei, ohne dass erkennbar sei, dass dabei in einer der Rechtskraft fähigen Weise über Rechte des Versicherten abgesprochen werden solle; nur in einem solchen Fall läge ein Bescheid vor. Diese Ansicht trage auch insoweit zur Rechtssicherheit bei, als der Versicherte nicht Gefahr laufe, dass durch irgendwelche Erläuterungen, Ankündigungen oder Bemerkungen in dem von Versicherungsträgern üblicherweise als Bescheid versendeten „Papierkonvolut" Rechte begründet oder aufgehoben werden, ohne dass ihm dies auch erkennbar wäre. Einer solchen Beilage zum Bescheid sei daher in der Regel kein eigenständiger Bescheidwille zu entnehmen. Im vorliegenden Fall fehle es der bekämpften „Abrechnung" am Bescheidcharakter, weil aus der dargelegten Gliederung des Schriftstückes zweifelsfrei hervorgehe, dass das bescheiderlassende Organ der Beklagten die „Abrechnung", gegen die sich die Klage richte, keiner bindenden Regelung im dargestellten Sinn unterziehen habe wollen. Die Beklagte habe spruchmäßig nur über das Wiederaufleben der Pensionsleistung des Klägers abgesprochen. Da also eine Entscheidung über die vom Kläger bekämpfte Aufrechnung von Beitragsrückständen gegen seine Pensionsleistung mit Bescheid nicht vorliege, fehle die Voraussetzung des § 67 Abs 1 Z 1 ASGG. Dagegen richtet sich der „Revisionsrekurs" (richtig: Rekurs) des Klägers wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung im Sinne einer Stattgebung des Klagebegehrens abzuändern.

Die Beklagte beantragte in ihrer Rekursbeantwortung, dem Rekurs keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs ist gemäß § 519 Abs 1 Z 1 ZPO jedenfalls zulässig, aber nicht berechtigt.

Da die Begründung des Berufungsgerichtes, die die zu vergleichbaren Sachverhalten bereits ergangenen Entscheidungen des Obersten Gerichtshofes (SSV-NF 1/3 = ZAS 1988/26, 198 [Müller] und SSV-NF 13/52) ausführlich wiedergegeben hat, zutreffend ist, genügt es, auf deren Richtigkeit hinzuweisen (§ 528a iVm § 510 Abs 3 ZPO). Die Rekursausführungen, die sich mit diesen Ausführungen des Berufungsgerichtes inhaltlich nicht auseinandersetzen, sondern sich auf die Behauptung beschränken, die dem Bescheid angeschlossene Abrechnung habe zum Ausdruck gebracht, dass der Kläger durch Aufrechnung beträchtlich weniger als seine Pension erhalten solle, weshalb der Bescheidwille und Bescheidcharakter klar erkennbar seien, lassen insbesondere unberücksichtigt, dass nach herrschender Auffassung einer Erledigung nur dann Bescheidcharakter zukommt, wenn daraus hervorgeht, dass damit gegenüber individuell bestimmten Personen eine normative (rechtsverbindliche) Anordnung getroffen werden soll. Für den Bescheidcharakter einer behördlichen Willenserklärung ist daher maßgebend, ob nach ihrem Inhalt ein autoritatives Wollen der Behörde anzunehmen ist, ob sie also einen die zur Entscheidung stehende Rechtssache bindend regelnden Spruch enthält, der in Rechtskraft erwachsen kann. Bloße, das heißt keinen solchen autoritativen Abspruch enthaltende Mitteilungen können nicht als Spruch im Sinn des § 58 Abs 1 AVG gewertet werden (Hengstschläger/Leeb, Kommentar zum AVG § 58 Rz 16 ff mwN). Die Abrechnung, die dem Bescheid über das vom Kläger mit seinem Schreiben vom (vgl OZ 83 und 85 im Pensionsakt) allein beantragte Wiederaufleben seines Pensionsanspruches angeschlossen war, ist nicht Teil dieses Bescheides und auch nicht als gesonderter Bescheid anzusehen. Sie gibt lediglich Auskunft darüber, auf welche Weise der Versicherungsträger von der festgestellten (Brutto-)Leistung zur tatsächlich ausgezahlten Leistung gelangt ist. Das Berufungsgericht ist daher zu Recht zu dem Ergebnis gelangt, dass der Sozialversicherungsträger durch die Mitteilung dieser Abrechnung nicht in einer der Rechtskraft fähigen Weise über Rechte des Klägers absprechen wollte.

Dem Rekurs war somit in Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung beruht hinsichtlich des Klägers auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG. Die Beklagte hat als Versicherungsträger im Sinn des § 77 Abs 1 Z 1 ASGG die Kosten ihrer Rekursbeantwortung ohne Rücksicht auf den Ausgang des Verfahrens selbst zu tragen.