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VfGH vom 07.12.1984, B157/80

VfGH vom 07.12.1984, B157/80

Sammlungsnummer

10303

Leitsatz

B-VG Art 144 Abs 1; Erlaß des Bundesministers für Finanzen über die steuerliche Zurechnung von Verlusten bei Kommanditgesellschaften als gesetzwidrig aufgehoben; keine Prüfung der einfachgesetzlichen Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides auf dem Boden der neugeschaffenen Rechtslage durch den VfGH, wenn diese Frage in einem Verwaltungsverfahren gelöst werden kann

Spruch

Der Bescheid wird aufgehoben.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid wurde im Zuge der einheitlichen und gesonderten Feststellung der Einkünfte für die Jahre 1976 und 1977 der auf Kommanditisten entfallende, deren Einlage aber übersteigende Teil des Verlustes der bf. KG der Komplementärin - einer GesmbH - zugewiesen. Einem negativen Kapitalkonto könnten Verluste nicht zugerechnet werden.

In der gegen diesen Bescheid erhobenen Beschwerde wird die Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechts auf Gleichheit vor dem Gesetz gerügt. Die bel. Beh. lege zwar dar, daß die Verlustzurechnung an ein negatives Kapitalkonto bei keiner KG zulässig sei, doch würde diese Auffassung in der Praxis - einem Erlaß des Bundesministers für Finanzen folgend - nur angewendet, wenn eine GesmbH die voll haftende Gesellschafterin sei. Damit würden gleiche Sachverhalte ungleich behandelt.

Die bel. Beh. betont in ihrer Gegenschrift (neuerlich), daß nach ihrer Auffassung zwischen gewöhnlichen KG und GesmbH & Co KG kein Unterschied bestehe.

II. Aus Anlaß dieses Beschwerdefalles hat der VfGH die Gesetzmäßigkeit des Erlasses des Bundesministers für Finanzen vom , Z 061301/2-IV/6/77, über die steuerliche Zurechnung von Verlusten bei KG, AÖFV 158, von Amts wegen geprüft und mit Erk. VfSlg. 10170/1984, als gesetzwidrig aufgehoben, weil er eine V darstellte, die entgegen dem Gebot des § 2 Abs 1 litf des BG über das Bundesgesetzblatt, BGBl. 293/1972, nicht im BGBl. kundgemacht worden war.

Im Hinblick auf die Gesetzmäßigkeit des Inhaltes des Erlasses hat der Gerichtshof keine Bedenken geäußert.

III. Gleichwohl ist die Beschwerde im Ergebnis begründet.

Die bel. Beh. hat eine gesetzwidrige V angewendet. Es ist nach Lage des Falles nicht von vornherein ausgeschlossen, daß sich die Anwendung des Erlasses für die Rechtsstellung der bf. Gesellschaft als nachteilig erweist.

In seiner bisherigen Rechtsprechung hat der VfGH den angefochtenen Bescheid stets selbst an der bereinigten Rechtslage gemessen und den Sachverhalt damit erstmals der neuen Rechtslage unterstellt. Es kann indessen nicht Aufgabe des VfGH sein, die einfachgesetzliche Rechtmäßigkeit auf dem Boden der neu geschaffenen Rechtslage gleichsam als einzige Instanz zu prüfen, wenn diese Frage in einem Verwaltungsverfahren gelöst werden kann. Denn damit würde der Partei die Gelegenheit genommen, ihren Standpunkt in einem dazu bestimmten (und geeigneten) Verfahren - etwa auch mit neuen Tatsachenbehauptungen oder Beweisanträgen - vor dem Hintergrund der durch die Aufhebung geschaffenen neuen Rechtslage darzulegen. Es würde auch der Zielsetzung der B-VG-Nov. 1984 - den VfGH dadurch zu entlasten, daß er sich im Regelfall auf die Klärung verfassungsrechtlicher Fragen beschränken kann - widersprechen, wenn er nach Aufhebung einer generellen Norm unter allen Umständen (erstmals) einfach-gesetzliche Fragen zu lösen hätte. Die in § 19 Abs 4 Z 3 VerfGG idF BGBl. 297/1984 neu vorgesehene Möglichkeit, der Beschwerde nach Aufhebung einer generellen Norm ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung stattzugeben, legt iVm. der Äußerung des Abgeordneten Dr. Michael Graff in der 51. Sitzung des Nationalrates,

16. GP, vom (S. 4406 f.) die Annahme nahe, daß der VfGH es der Verwaltungsbehörde überlassen kann, die Auswirkungen der Aufhebung der Norm zu prüfen.

Es ist daher auszusprechen, daß die bf. Gesellschaft durch den angefochtenen Bescheid wegen Anwendung einer gesetzwidrigen V in ihren Rechten verletzt wurde.