OGH vom 13.07.2000, 8ObS4/00x

OGH vom 13.07.2000, 8ObS4/00x

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Petrag als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Langer und Dr. Rohrer sowie durch die fachkundigen Laienrichter Dr. Christoph Kainz und Dr. Vera Moczarski als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Elfriede S*****, vertreten durch Dr. Peter Cardona, Rechtsanwalt in Salzburg, wider die beklagte Partei Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen S*****, vertreten durch die Finanzprokuratur in Wien, wegen S 383.332,44 netto s.A. Insolvenz-Ausfallgeld (Revisionsinteresse S 143.144 netto s.A.), infolge außerordentlicher Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 12 Rs 199/99t-15, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Salzburg als Arbeits- und Sozialgericht vom , GZ 19 Cgs 240/98d-9, teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird dahin abgeändert, dass das Ersturteil wiederhergestellt wird.

Die klagende Partei hat die Kosten des Rechtsmittelverfahrens selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin war vom bis mit einer Stammeinlage von S 375.000 und ab mit einer Stammeinlage von S 125.000 (25 %) an der späteren Gemeinschuldnerin, einer GmbH, beteiligt; der Geschäftsführer, der Sohn der Klägerin, hielt ab diesem Zeitpunkt 75 % der Geschäftsanteile. Sie war seit als - einzige Büroangestellte - bei der Gemeinschuldnerin, die sich mit Geschäfts- und Inneneinrichtungen für Privatkunden. befasste, beschäftigt und verrichtete Arbeiten wie das Abtippen von Angeboten und Rechnungen. Darüberhinaus war sie zum Teil mit dem Telefondienst betraut und bereitete die Buchhaltung für den Steuerberater vor.

In den Jahren 1994 und 1995 war die Auftragslage der GmbH gut, da eine Lebensmittelkette die spätere Gemeinschuldnerin mit der Einrichtung verschiedener Filialen bzw der Zentrale in Salzburg betraut hatte. Im Jahr 1996, nach Fertigstellung der Arbeiten in Salzburg, forcierte dieses Unternehmen die Standorte in den übrigen Bundesländern. Da sich die spätere Gemeinschuldnerein nahezu ausschließlich auf die Aufträge dieses Unternehmens konzentriert hatte, kam es in diesem Jahr zu massiven Auftragseinbrüchen.

Die laufenden Gehälter wurden der Klägerin ab September 1996 nicht mehr ausbezahlt. Sie erhielt ab diesem Zeitpunkt nur mehr Akontobeträge von ca S 3.000 monatlich, die auf bereits vor September 1996 entstandene Ansprüche angerechnet wurden. Über die schlechte finanzielle Lage des Unternehmens war die Klägerin voll informiert. Sie führte zwar Aufzeichnungen über ihre offenen Gehaltsforderungen, urgierte diese aber nicht.

Mit Beschluss vom wurde über das Vermögen der GmbH das Konkursverfahren eröffnet. Die Klägerin erklärte am gemäß § 25 KO ihren vorzeitigen Austritt aus dem Dienstverhältnis.

Am beantragte sie die Gewährung von Insolvenz-Ausfallgeld in der Gesamthöhe von S 424.882,50, und zwar laufendes Entgelt ab September 1996 bis samt aliquoten Sonderzahlungen, Kündigungsentschädigung für die Zeit vom bis , vier Monatsentgelte Abfertigung und Urlaubsentschädigung für 90 Werktage, die zur Gänze abgewiesen wurden, da das "Stehenlassen" von offenen Gehaltsansprüchen durch die Gesellschafterin der Gemeinschuldnerin als eigenkapitalersetzendes Gesellschafterdarlehen zu qualifizieren sei, das nach dem IESG nicht gesichert sei.

Mit der vorliegenden Klage begehrte die Klägerin Insolvenz-Ausfallgeld im genannten Umfang; nach Zahlung einer Konkursquote von ca 11 % schränkte sie ihr Klagebegehren auf S 383.332,44 netto s.A. ein.

Das Erstgericht wies dieses eingeschränkte Klagebegehren zur Gänze ab, weil das Belassen offener Gehaltsansprüche im Gesellschaftsvermögen als eigenkapitalersetzende Finanzierungsentscheidung zu beurteilen sei. Die Klägerin sei trotz Nichtzahlung des Lohns in voller Kenntnis der prekären finanziellen Lage im gemeinschuldnerischen Unternehmen verblieben, weil sie sich dazu offenbar aus familiären Gründen veranlasst gesehen habe. Ihr stehe daher kein Anspruch auf Insolvenz-Ausfallgeld zu, selbst dann, wenn sie zum damaligen Zeitpunkt die eventuelle Inanspruchnahme des Fonds noch gar nicht ins Auge gefasst hätte und ihr daher auch kein bedingter Vorsatz vorgeworfen werden könnte.

Die Klägerin begehrte in ihrer Berufung die Abänderung des angefochtenen Ersturteils im klagsstattgebenden Sinn im Ausmaß von S 315.073,43; die Abweisung des Restbetrages ließ sie in Rechtskraft erwachsen.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin im Ausmaß von S 143.134 netto s.A. statt und wies das Mehrbegehren von S 240.198,44 s.A. ab. Die ordentliche Revision ließ es nicht zu, weil gesicherte Rechtsprechung zu den Kriterien, wann durch das Stehenlassen von Gehaltsforderungen über längere Zeit im Zusammenhang mit der Unterlassung des vorzeitigen Austrittes trotz Nichtzahlung des Lohnes ein (sittenwidriger) Rechtsmissbrauch zu Lasten des Insolvenz-Ausfallgeld-Fond anzunehmen sei, existiere, von der es nicht abgewichen sei. Es meinte in rechtlicher Hinsicht, die Berufungswerberin wende sich zu Recht gegen die undifferenzierte Ansicht des Erstgerichtes, welches die aus dem berechtigten vorzeitigen Austritt gemäß § 25 Abs 1 Z 2 KO idF IRÄG 1997, BGBl I 114/1997 abgeleiteten Beendigungsansprüche, die auch im Falle eines schon in angemessener Frist vor Konkurseröffnung erklärten vorzeitigen Austritts gemäß § 26 Z 2 AngG der Klägerin - zumindest teilweise - gebührt hätten, in gleicher Weise von der Besicherung durch das IESG ausnehme, wie jene Entgeltforderungen, die nach Kenntnis der prekären finanziellen Situation der Gemeinschuldnerin gerade durch das unangemessen lange Zuwarten mit dem Austritt entstanden seien. Es müsse zur Beurteilung, welche Ansprüche nach dem IESG gesichert seien, im Fremdvergleich geprüft werden, zu welchem objektiven Zeitpunkt ein unselbständig Beschäftigter an Stelle der klagenden Gesellschafterin den vorzeitigen Austritt erklären müsste, um nicht in sittenwidriger Weise den Fonds zu schmälern. Eine Überlegungsfrist von höchstens zwei Monaten erscheine dabei in Anlehnung an die Entscheidung SZ 70/247 angemessen. Aus der zwischenzeitig erfolgten zeitlichen Limitierung des Anspruches auf Insolvenz-Ausfallgeld für laufendes Entgelt für Zeiten vor der Konkurseröffnung sei nur zu schließen, dass nunmehr das Zuwarten mehr als sechs Monate keinesfalls zu tolerieren sei und ein längeres Zuwarten jedenfalls als missbräuchlich zu gelten habe, weshalb für einen darüberhinausgehenden Zeitraum kein Insolvenz-Ausfallgeld gebühre. Daraus folge aber nicht, dass das Geltendmachen von Insolvenz-Ausfallgeld für einen Lohnrückstand von sechs Monaten für die Zeit vor Konkurseröffnung nie sittenwidrig sein könne. Die Klägerin könne daher weder den für sechs Monate vor Konkurseröffnung rückständigen Lohn gegen den Fonds erfolgreich geltend machen, noch könne sie für sich in Anspruch nehmen, mit dem vorzeitigen Austritt jedenfalls sechs Monate ab Eintritt des Zahlungsverzuges zuwarten zu können. Die Gemeinschuldnerin sei ab im Verzug gewesen, sodass unter Berücksichtigung des oben erwähnten angemessenen Überlegungszeitraumes im Fremdverlgeich spätestens mit der Austritt aus dem Dienstverhältnis zu fingieren sei. Über diesen Zeitpunkt hinaus, indem ein "unbeteiligter" Arbeitnehmer nicht im Unternehmen verblieben wäre, sondern seinen vorzeitigen Austritt erklärt hätte, könnten im Fall der nachfolgenden Insolvenz des Unternehmens keine Ansprüche gegen den Fonds geltend machen. Der Klägerin gebühre daher an laufendem Entgelt nur ein Teilbetrag von S 48.274,50 netto. Über den hinaus habe die Klägerin dagegen für den gesamten Zeitraum bis zu ihrem am erklärten vorzeitigen Austritt keinen Anspruch auf Insolvenz-Ausfallgeld. Zu prüfen seien daher nur die Beendigungsansprüche der Klägerin (Abfertigung und Urlaubsentschädigung); auf die Kündigungsentschädigung für den Zeitraum vom bis sei nicht mehr einzugehen, weil dieser Teil des Anspruches bereits vom Erstgericht unbekämpft abgewiesen worden sei.

Was die übrigen Beendigungsansprüche der Klägerin betreffe, die durch den gemäß § 25 Abs 1 Z 2 KO berechtigt erklärten Austritt als Konkursforderung grundsätzlich zu Recht bestünden und auch gemäß § 1 Abs 2 IESG gesichert seien, müsse im Hinblick auf den im Fremdvergleich nicht rechtzeitig erfolgten Austritt geprüft werden, ob durch das unangemessene Zuwarten der Klägerin mit der Beendigungserklärung bis zur Betriebsschließung nach Konkurseröffnung eine Änderung der Anspruchshöhe eingetreten sei. Die Beendigungsansprüche könnten nämlich nur im Ausmaß, wie sie auch im Zeitpunkt des fingierten Austritts (am ) bestanden hätten, erfolgreich gegen den Fonds durchgesetzt werden. deshalb gebühre der Klägerin Insolvenz-Ausfallgeld nur für die gesetzliche Abfertigung im Ausmaß von drei Monatsentgelten in Höhe von S 66.063 und Urlaubsentschädigung lediglich für 60 Werktage in Höhe von S 41.920 netto.

Gegen den klagsstattgebenden Teil des Berufungsurteils erhob die beklagte Partei Revision wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung im Sinne einer gänzlichen Klageabweisung abzuändern.

Die klagende Partei beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig, weil zwar auch in Streitigkeiten über Insolvenz-Ausfallgeld die Revision nur unter den - hier mangels Entscheidungserheblichkeit der Frage der Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht gegebenen - Voraussetzungen des § 46 Abs 3 ASGG jedenfalls zulässig wäre (8 ObS 73/97m; 8 ObS 206/98x), jedoch - wie noch dargestellt werden wird - Rechtsfragen von der in § 46 Abs 1 ASGG beschriebenen Qualität zu lösen sind. Es kommt ihr auch Berechtigung zu.

Im Revisionsverfahren ist nicht mehr strittig, dass Ansprüche auf laufendes Entgelt dann nicht gesichert sind, wenn ein sogenannter "Fremdvergleich" zeigt, dass ein Arbeitnehmer, der nicht durch besonders gelagerte Interessen mit dem Unternehmen verbunden ist, das Fehlen jedweder Entgeltzahlung durch einen längeren Zeitraum nicht widerspruchslos hingenommen hätte. Vereinbarungen oder Verhaltensweisen, die auf eine Verlagerung des Finanzierungsrisikos des Arbeitgebers zu Lasten eines Dritten, nämlich des Insolvenz-Ausfallgeld-Fonds hinauslaufen, mit der Absicht, mit der Gegenleistung nicht den Arbeitgeber, sondern den Fonds zu belasten, führen zum Verlust der Sicherung (WBl 1995, 75; ZIK 1996, 172; WBl 1999, 174 mwH). Ebenso steht nicht mehr in Frage, dass das Unterlassen der Einforderung laufenden Entgelts durch einen Gesellschafter einem eigenkapitalersetzenden Darlehen gleichzuhalten ist, weil es nicht Zweck des IESG ist, den Gesellschafter einer GmbH das Finanzierungsrisiko abzunehmen und ihm zur Fortführung des Unternehmens aufgewendetes Eigenkapital im Falle der Insolvenz zu ersetzen (SZ 66/8; 69/208; 70/232 u.a.)

Entgegen der vom Berufungsgericht vertretenen Ansicht haben diese Überlegungen auch für die weiters geltend gemachten beendigungsabhängigen Ansprüche zu gelten. Der erkennende Senat hat bereits in seiner Entscheidung 8 ObS 69/00f ausgesprochen, dass eine Trennung der Ansprüche der Kläger aus einem einheitlichen Beschäftigungsverhältnis in einen Anteil, in dem sie als Gesellschafter durch "Stehenlassen" ihrer Entgeltforderungen der insolventen Arbeitgeberin ein eigenkapitalersetzendes Gesellschafterdarlehen gewährten, und in einen Teil, hinsichtlich dessen sie mit einem "Fremdvergleich" standhaltendem Verhalten ihren fingierten Austritt erklärt hätten, nicht möglich sei. Die gesellschaftsrechtliche Betrachtungsweise wirke insoweit fort und verdränge arbeitsrechtliche Ansprüche. In der Entscheidung 8 ObS 153/00h wurde die unter anderem berreits in 8 ObS 56/00v dargelegte rechtliche Beurteilung, ein atypisches , nicht auf die Erzielung von Entgelt für die Bestreitung des Lebensunterhalts gerichtetes Arbeitsverhältnis, falle insgesamt - somit auch für die Zeit, in der ein "normaler" Arbeitnehmer möglicherweise noch im Betrieb verblieben wäre - nicht in den Schutzbereich des IESG , ausdrücklich aufrecht gehalten und darauf verwiesen, dass es mit dem Schutzzweck der Grundsicherung unvereinbar sei, längere Zeit nicht geltend gemachte Ansprüche, die mit der Sicherung des laufenden Lebensunterhalts in keinen Zusammenhang mehr gebracht werden könnten, als gesichert zu betrachten (auch ZIK 1999, 141). Die Klägerin hat in Wahrheit ihrer Arbeitgeberin nicht nur das laufende Entgelt, sondern auch die weiteren beendigungsabhängigen Ansprüche kreditiert. Wäre sie nämlich in angemessenem, bereits vom Berufungsgericht dargestellten Zeitraum, ausgetreten, hätte die GmbH auch diese Ansprüche befriedigen müssen. Das Argument, noch nicht fällige Entgeltforderungen könnten nicht "stehen gelassen" werden, schlägt daher nicht durch.

Die mit der IESG-Novelle 1997 eingeführte zeitliche Begrenzung des Anspruches auf Insolvenz-Ausfallgeld durch § 3a IESG ist auf den hier zu entscheidenden Fall noch nicht anzuwenden (§ 17 Abs 11 IESG). Der erkennende Senat hat diesbezüglich schon mehrfach klargestellt, dass der Umkehrschluss, ein Lohnrückstand von sechs Monaten für die Zeit vor den in § 3a Abs 1 IESG genannten Stichtagen sei jedenfalls gesichert, nicht zulässig sei. Vielmehr ist sowohl für die Zeit vor als auch für die Zeit nach der IESG-Novelle 1997 daran festzuhalten, dass bei Hinzutreten besonderer Umstände - zum Beispiel genaue Kenntnis der finanziellen Verhältnisse des Unternehmens, Nahebeziehung zum Unternehmen (hier Beteiligung an der GmbH), verbunden mit der Absicht, die Weiterführung des Unternehmens zu ermöglichen - das Zuwarten mit der Beendigung des Dienstverhältnisses als dem Zwecke des Gesetzes in seinem Kernbereich nicht entsprechend zum Verlust der Sicherung insgesamt führt, weil ein derart atypisches Arbeitsverhältnis insgesamt nicht in den Schutzbereich des IESG fällt (ZIK 1999, 141; 1999, 216; 8 ObS 48/99p; 8 ObS 56/00v; 8 ObS 153/00h).

In Stattgebung der Revision ist das Ersturteil wiederherzustellen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG. Ein Kostenersatz gebührt auch nicht aus Billigkeitserwägungen.