OGH vom 11.04.1995, 10ObS66/95
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Rekursgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Kropfitsch als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag.Engelmaier und Dr.Bauer als weitere Richter und die fachkundigen Laienrichter aus dem Kreis der Arbeitgeber Dr.Franz Köck und Ernst Viehberger in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Hermine K*****, Pensionistin, ***** vertreten durch Dr.Peter S. Borowan und Dr.Erich Roppatsch, Rechtsanwälte in Spittal an der Drau, wider die beklagte Partei Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft, 1051 Wien, Wiedner Hauptstraße 84-86, vertreten durch Dr.Karl Leitner, Rechtsanwalt in Wien, wegen Ausgleichszulage infolge Rekurses der beklagten Partei gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 7 Rs 39/94-8, womit das Urteil des Landesgerichtes Klagenfurt als Arbeits- und Sozialgerichtes vom , GZ 35 Cgs 264/93i-4, aufgehoben wurde, beschlossen und zu Recht erkannt:
Spruch
Dem Rekurs wird Folge gegeben.
Der angefochtene Beschluß wird aufgehoben und in der Sache selbst erkannt, daß das Urteil des Gerichtes erster Instanz wiederhergestellt wird.
Die Klägerin hat die Kosten der Berufung und der Rekursbeantwortung selbst zu tragen.
Text
Entscheidungsgründe:
Mit Bescheid vom entschied die Beklagte, daß der Klägerin ab keine Ausgleichszulage (AZ) gebühre, weil ihr Gesamteinkommen den Richtsatz übersteige.
Die am geborene Klägerin bezieht von der Beklagten eine Witwenpension; deren Ausmaß betrug im Jahre 1993 2.492,30 S monatlich. Aus einem Kauf- und Leibrentenvertrag vom bezog die Klägerin von der V*****bank G***** eine monatliche Leibrente. Deren ursprünglicher Betrag von 2.000 S hatte sich im Mai 1993 auf Grund der vereinbarten Wertsicherung auf 6.702,38 S erhöht. Mit dieser Leibrente wurde ein etwa aus dem Jahr 1976 herrührender Kredit, den die Klägerin bei der genannten Bank aufgenommen hatte, zurückgezahlt. Zunächst war nämlich eine größere Reparatur ihres Wohnhauses erforderlich. Sie unterstützte jedoch auch ihre geschiedene Tochter finanziell und investierte in eine (bis 1992 vermietete) Werkstätte. Da die hohen Kreditzinsen nicht abgedeckt werden konnten, betrug die offene Forderung zuletzt mehr als 1,200.000 S. Diese Forderung war auf dem Wohnhaus der Klägerin nicht sichergestellt. Am vereinbarte die Klägerin mit ihrer Bank die Ablöse der Leibrente durch eine einmalige Zahlung von 1,051.040 S. Dieser Ablösebetrag wurde zur teilweisen Abdeckung der offenen Kreditverbindlichkeit verwendet. Die Restschuld wurde aus einem bei einem anderen Kreditinstitut aufgenommenen Kredit abgedeckt, der von der Tochter der Klägerin zurückgezahlt wird, die dafür die Werkstätte im Haus der Klägerin benützen darf. Die Ablöse der Leibrente war wirtschaftlich notwendig, weil sonst die Kreditverbindlichkeiten weiter angestiegen wären.
Das auf Leistung der AZ im gesetzlichen Ausmaß ab gerichtete Klagebegehren stützt sich im wesentlichen darauf, daß die laufenden Leibrentenzahlungen und die Ablösesumme keine Einkünfte iS des Ausgleichszulagenrechtes seien, weil sie der Klägerin nicht ausgezahlt worden, sondern von der Bank zur Abdeckung eines Kredites verrechnet worden seien.
Die Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens. Sie wendete ein, daß der Pension der Klägerin ungeachtet der Ablösevereinbarung weiterhin Einkünfte von 6.732,10 S monatlich (aufgewertete Leibrente) hinzuzurechnen seien. Daß die Klägerin die monatliche Leibrente und deren Ablösesumme zur Tilgung von Schulden verwendet habe, sei nicht zu berücksichtigen.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab.
Es komme nur darauf an, ob die (abgelöste) Leibrente weiterhin zu berücksichtigen sei. Dies sei nach der herrschenden Rechtsprechung (SSV-NF 4/34 und 61) zu bejahen. Der letzte Leibrentenbetrag von rund 6.700 S finde in der Ablösesumme 156 mal Deckung und sei daher bei der Festsetzung der AZ 156 Monate zu berücksichtigen.
Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin Folge, hob das angefochtene Urteil auf und verwies die Rechtssache zur Fortsetzung der Verhandlung und neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurück; weiters erklärte es den Rekurs an den Obersten Gerichtshof für zulässig.
Das Gericht zweiter Instanz vertrat die Meinung, daß die vom Obersten Gerichtshof entwickelte Rechtsansicht zu den Auswirkungen eines Verzichtes auf Einkünfte auf den Anspruch auf AZ auch auf die hier vorliegende Leibrentenablöse anzuwenden sei. Ein solcher Verzicht sei nur dann unbeachtlich, wenn er offenbar den Zweck gehabt habe, den Träger der AZ rechtsmißbräuchlich zu schädigen. Die auf das Jahr 1976 zurückgehenden Kreditverbindlichkeiten der Klägerin sollten nach der Klagedarstellung dadurch entstanden sein, daß die Klägerin eine größere Reparatur an ihrem Haus hatte, ihre geschiedene Tochter finanziell unterstützte und in ihre Werkstätte investierte. Insbesondere zur Höhe der Reparatur- und Investitionskosten und der Zuwendungen an die Tochter fehlten Feststellungen. Auch die Verwendung und steuerliche Behandlung der Miet- und Pachteinnahmen und die Zumutbarkeit der Rückzahlungen der Geldzuwendungen durch die Tochter seien nicht geklärt. Die bisherigen Feststellungen ließen keine verläßliche Beurteilung zu, ob ein Rechtsmißbrauch vorliege.
In ihrem Rekurs macht die Beklagte unrichtige rechtliche Beurteilung geltend; sie beantragt, den angefochtenen Beschluß aufzuheben und in der Sache selbst das erstgerichtliche Urteil wiederherzustellen.
Die Klägerin erstattete eine Rekursbeantwortung; sie beantragt, dem Rekurs nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Der Rekurs ist zulässig und berechtigt.
Nettoeinkommen iS der Abs 1 und 2 ist nach Abs 3 des § 149 GSVG, soweit im folgenden nichts anderes bestimmt wird, die Summe sämtlicher Einkünfte in Geld oder Geldeswert nach Ausgleich mit Verlusten und vermindert um die gesetzlich geregelten Abzüge. Daß Leibrenten an sich Einkünfte sind, wurde von der Klägerin nicht in Zweifel gezogen. Sowohl die laufenden monatlichen Leibrenten als auch die Ablösesumme für den Leibrentenanspruch fallen nicht unter die Ausnahmebestimmung des Abs 4 leg cit; sie haben daher bei der Anwendung der Abs 1 bis 3 außer Betracht zu bleiben.
"Wird jemanden ... gegen eine für Geld geschätzte Sache auf die Lebensdauer einer gewissen Person eine bestimmte jährliche Entrichtung versprochen, so ist es ein Leibrentenvertrag" (§ 1284 ABGB). "Die Leibrente wird im Zweifel vierteljährig vorhinein entrichtet, und nimmt in allen Fällen mit dem Leben desjenigen, auf dessen Kopf sie beruht, ihr Ende" (§ 1285 leg cit). "Weder die Gläubiger, noch die Kinder .... sind berechtigt, den Vertrag umzustoßen. Doch steht den erstern frei, ihre Befriedigung aus den Leibrenten zu suchen ..." (§ 1286 leg cit).
Obwohl § 1284 die Leibrente eine "bestimmte jährliche Entrichtung" nennt, kommt es nicht auf die Jährlichkeit, sondern darauf an, daß die zugesagten Leistungen periodisch erbracht werden (Krejci in Rummel, ABGB2 II §§ 1284-1286 Rz 8). Demnach handelt es sich bei der nach der ursprünglichen Vereinbarung monatlich fälligen Geldzahlung an die Klägerin um eine Leibrente iS der zit Bestimmungen. Nach § 1286 ABGB sind zwar "die Gläubiger nicht berechtigt, den Vertrag umzustoßen". Einer nachträglichen einvernehmlichen Kapitalabfindung der Leibrente steht aber nichts im Wege.
Die Vorinstanzen haben zutreffend erkannt, daß es sich im vorliegenden Fall um die Ersetzung der nach dem Leibrentenvertrag ursprünglich gebührenden laufenden (monatlichen) Leibrentenleistungen durch eine ihrem (restlichen) Wert entsprechende einmalige Kapitalleistung handelt.
Der erkennende Senat hat schon in den E SSV-NF 4/34 und 61 ausgeführt, daß der Empfänger einer mit einem Kapitalbetrag abgefundenen Rente sofort über die kapitalisierte Rente verfügen kann, diese also für die gesamte Zeit des Rentenverlaufes vorausgezahlt erhält. Dies gilt auch für die zwischen der Klägerin als Leibrentenberechtigter und der Bank als Leibrentenschuldnerin vereinbarten Kapitalablöse der restlichen monatliche Leibrente. Deshalb ist bei der Feststellung des Anspruches auf AZ die erforderliche zeitliche Übereinstimmung zwischen Pension und übrigen Einkünften nicht etwa nur im Monat der Auszahlung der Kapitalablöse gegeben. Sie erstreckt sich vielmehr jedenfalls auf die gesamte Zeit, für die die Rente kapitalisiert wurde. Während dieses Zeitraumes ist davon auszugehen, daß die Klägerin im Zusammenhang mit der abgelösten Leibrente monatlich einen Betrag bezieht, der sich bei Teilung des Ablösebetrages durch die bei seiner Ermittlung berücksichtigten Rentenmonate ergibt. Dadurch wird eine nicht zu rechtfertigende ausgleichszulagenrechtliche Besserstellung eines Pensionisten mit abgefundenem Rentenanspruch gegenüber Pensionisten mit gleichwertigen laufenden Rentenansprüchen vermieden. Während diese Einkünfte bei der Feststellung des Anspruches auf AZ voll zu berücksichtigen wären, bliebe die Ablösesumme dabei außer Betracht. Das würde dem Zweck der AZ wiedersprechen, bei der es sich um keine Versicherungsleistung im engeren Sinn, sondern um eine Leistung mit Fürsorge(Sozialhilfe)Charakter handelt, die das Existenzminimum des Pensionisten sichern soll.
Die Klägerin hat im Ablösevertrag nicht auf ihren Leibrentenanspruch verzichtet. Dieser wurde nur für die restliche Laufzeit dadurch modifiziert, daß die Partner des Leibrentenvertrages für die restliche Laufzeit der Leibrente (bis zum Tod der Rentenberechtigten) statt der monatlichen Rentenzahlungen eine (nach rentenmathematischer Berechnung) gleichwertige Abfindung in Kapital vereinbarten. Mangels eines Verzichtes der Klägerin ist die neuere Rsp des erkennenden Senates zur Frage, unter welchen Umständen ein Verzicht des Pensionisten auf Ansprüche mit Einkommenscharakter bei der Feststellung der AZ beachtlich ist (SSV-NF 7/19) - entgegen der Rechtsansicht des Berufungsgerichtes - hier nicht anzuwenden.
Daß sowohl die monatlichen Leibrentenzahlungen als auch die Ablösesumme für die restlichen Leibrentenzahlungen zur Tilgung einer Kreditschuld der Klägerin verwendet wurden, ändert nichts daran, daß es sich dabei um Einkünfte in Geld und damit um Nettoeinkommen iS des § 149 Abs 1 und 3 GSVG handelt. Wie der Pensionist seine Einkünfte verwendet, ist ausgleichszulagenrechtlich nicht von Bedeutung. Eine Behauptung, daß die Einkünfte der Klägerin seit 1993 (vgl SSV-NF 1/66) mit Verlusten auszugleichen wären, wurde in erster Instanz nicht aufgestellt.
Die Streitsache ist daher ohne die vom Berufungsgericht gewünschten ergänzenden Feststellungen zur Entscheidung reif. Deshalb kann der Oberste Gerichtshof nach § 519 Abs 2 ZPO über den Rekurs in der Sache selbst durch Wiederherstellung des das Klagebegehren abweisenden Urteils des Erstgerichts erkennen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG.