VfGH vom 07.10.2010, B950/10 ua

VfGH vom 07.10.2010, B950/10 ua

19203

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens durch die Ausweisung einer gut integrierten fünfköpfigen türkischen Familie; verfassungswidrige Interessenabwägung; zu starke Bewertung des jahrelangen unsicheren Aufenthalts aufgrund langer Dauer der Asylverfahren

Spruch

Die Beschwerdeführer sind durch die angefochtenen Bescheide im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens gemäß Art 8 EMRK verletzt worden.

Die Bescheide werden aufgehoben.

Der Bund (Bundesministerin für Inneres) ist schuldig, den Beschwerdeführern zuhanden ihres Rechtsvertreters die mit € 4.100,-

bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu bezahlen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Bei den Beschwerdeführern handelt es sich um eine

fünfköpfige Familie türkischer Staatsangehörigkeit (Vater: geboren am , im Folgenden: Bf. 1; Mutter: geboren am , im Folgenden: Bf. 2; mj. Sohn: geboren am , im Folgenden: Bf. 3; mj. Tochter: geboren am , im Folgenden: Bf. 4; mj. Tochter: geboren am , im Folgenden: Bf. 5). Die Bf. 1, 2, 3 und 4 reisten am gemeinsam nach Österreich ein. Der Bf. 1 stellte am einen Asylantrag und die Bf. 2, 3 und 4 Asylerstreckungsanträge.

Mit Bescheid des Bundesasylamtes (im Folgenden: BAA) vom wurden die Anträge der Bf. 1, 2, 3 und 4 gemäß § 5 Abs 1 Asylgesetz 1997 (im Folgenden: AsylG 1997) als unzulässig zurückgewiesen und festgestellt, dass für die Prüfung der Anträge Italien zuständig sei. Weiters wurden die Bf. 1, 2, 3 und 4 nach Italien ausgewiesen. Den dagegen erhobenen Berufungen wurde vom Unabhängigen Bundesasylsenat (im Folgenden: UBAS) mit Bescheid vom gemäß § 32 Abs 2 AsylG 1997 stattgegeben, die bekämpften Bescheide behoben und die Angelegenheiten zur neuerlichen Durchführung der Verfahren und Erlassung von Bescheiden an das BAA zurückverwiesen. Mit Bescheid des BAA vom wurde der Asylantrag des Bf. 1 gemäß § 7 AsylG 1997 abgewiesen und festgestellt, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in die Türkei gemäß § 8 Abs 1 AsylG 1997 zulässig sei. Zudem wurde der Bf. 1 gemäß § 8 Abs 2 AsylG 1997 aus dem österreichischen Bundesgebiet ausgewiesen. Ebenfalls mit Bescheiden des BAA vom wurden die Asylerstreckungsanträge der Bf. 2, 3 und 4 gemäß § 10 iVm § 11 AsylG 1997 abgewiesen.

Die Bf. 5, die am in Linz geboren wurde, stellte am einen Antrag auf internationalen Schutz. Mit Bescheid des BAA vom wurde dieser gemäß § 3 Abs 1 Asylgesetz 2005 (im Folgenden: AsylG 2005) abgewiesen, der Bf. 5 gemäß § 8 Abs 1 Z 1 AsylG 2005 der Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Türkei nicht zuerkannt und die Bf. 5 gemäß § 10 Abs 1 Z 2 AsylG 2005 aus dem österreichischen Bundesgebiet in die Türkei ausgewiesen.

Mit Entscheidungen des Asylgerichtshofes - jeweils vom - wurden die Beschwerden der Beschwerdeführer gegen die Bescheide des BAA vom bzw. vom abgewiesen, wobei die Ausweisungen des Bf. 1 und der Bf. 5 ersatzlos behoben wurden.

2. Mit Bescheiden der Bundespolizeidirektion Linz vom wurden alle Beschwerdeführer gemäß § 53 Abs 1 Fremdenpolizeigesetz, BGBl. I 100/2005, (im Folgenden: FPG) aus dem Bundesgebiet ausgewiesen. Den dagegen erhobenen Berufungen wurde mit den nunmehr angefochtenen Bescheiden der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich - jeweils vom - keine Folge gegeben.

a) Dabei führte die belangte Behörde zum Bf. 1 - unter anderem - Folgendes aus (Hervorhebungen wie im Original):

"...

Sie halten sich seit insofern rechtswidrig im Bundesgebiet der Republik Österreich auf, als Ihnen seit diesem Zeitpunkt weder ein Einreisetitel nach dem FPG noch ein Aufenthaltstitel nach dem NAG erteilt wurde. Auch kommt Ihnen nach der Aktenlage kein Aufenthaltsrecht aufgrund einer anderen gesetzlichen Bestimmung zu bzw. wurde von Ihnen kein derartiges behauptet.

In Anbetracht Ihres, in Folge der am erfolgten illegalen Einreise in das Bundesgebiet der Republik Österreich, also ca. 8 Jahre und 3 Monate währenden Aufenthaltes im Bundesgebiet, sowie der Tatsache, dass Sie mit Ihrer Gattin und Ihren drei gemeinsamen Kindern in Österreich leben, drei Brüder von Ihnen in Österreich leben, wobei einer bereits die österreichische Staatsbürgerschaft besitzt und Sie zu diesen Verwandten regelmäßigen Kontakt pflegen (gegenseitige Besuche und gemeinsame Freizeitaktivitäten), Sie mehrere Deutschkurse absolviert haben (unter anderem Sprachzertifikat Nivea[u]stufe A2 des Europarates), Unterstützungsschreiben bzw. Unterschriftenlisten vorweisen konnten, ein ÖAMTC Fahrsicherheitstraining besucht haben und Sie einen aufschiebend bedingten Dienstvertrag vom zur Vorlage brachten bzw. einen Antrag auf Erteilung einer Beschäftigungsbewilligung beim AMS bereits eingereicht wurde, ist Ihnen eine diesen Umständen entsprechende Integration zuzugestehen und wird in erheblicher Weise in Ihr Privat- und Familienleben eingegriffen.

Dieser Integration sind jedoch folgende Überlegungen gegenüber zu stellen:

Das Gewicht der aus der Aufenthaltsdauer ableitbaren Integration wird jedoch angesichts der ständigen Judikatur des VwGH maßgebend dadurch gemindert, als Ihr Aufenthalt während des Asylverfahrens nur aufgrund eines Antrages, welcher sich letztendlich als unberechtigt erwiesen hat, temporär berechtigt war. Ihnen war bewusst, dass Sie ein Privat- und Familienleben während dieses Zeitraumes geschaffen haben, indem Sie einen 'unsicheren' Aufenthaltsstatus hatten (vgl. etwa Erkenntnis vom , Zahl 2006/18/0344 sowie Zahl 2006/18/0226 ua.). So durften Sie nicht von vornherein damit rechnen, nach einem allfälligen negativen Ausgang des Asylverfahrens weiterhin in Österreich bleiben zu dürfen.

Zu berücksichtigen war jedoch, dass Ihr Asylbegehren bereits erstinstanzlich am negativ entschieden wurde, dies folglich ein eindeutiges 'Indiz' darstellt, dass Ihr weiterer Aufenthalt in Österreich temporär begrenzt sein kann.

Überdies war aus der Aktenlage ersichtlich, dass Sie während Ihres bisherigen Aufenthaltes in Österreich noch keiner beruflichen Tätigkeit nachgegangen sind und Sie seit dem durchgehend durch die Grundversorgung des Landes Oberösterreich unterstützt werden (periodische Leistungen: Unterbringung, Verpflegung und Krankenversicherung).

Zudem erachtet der VwGH die Integration als stark gemindert, wenn Unterstützungszahlungen karitativer Einrichtungen den Unterhalt gewährleisten.

Auch wenn Sie einen am abgeschlossenen aufschiebend bedingten - mit Erteilung einer Aufenthalts- und Arbeitsberechtigung - Dienstvertrag (Firma K OEG, 4053 Haid, ... etabliert) zur Vorlage brachten, ist es eine unbestreitbare Tatsache, dass Sie bis dato noch keinerlei berufliche Integration vorweisen konnten.

Obwohl Ihr Bemühen um eine Beschäftigung durch angeführte Vorlage ersichtlich wird, sei jedoch zu entgegnen, dass daraus keine Rückschlüsse 'für eine eventuelle fixe Anstellung nach Abschluss des Probemonats' gezogen werden könnten.

Aus demselben Grund stellt auch Ihr Antrag auf Erteilung einer Beschäftigungsbewilligung ein zukünftiges und ungewisses Ereignis dar, welches mit geringe[m] Ausmaß[...] Berücksichtigung finden konnte.

Überdies war an Hand de[r] Akten ersichtlich, dass Sie, Ihre

Gattin und Ihr jüngstes Kind in 4120 Neufelden, ... (Gästehaus S -

organisiertes Wohnen) hauptwohnsitzlich gemeldet sind, Ihre beiden

älteren Kinder jedoch in 4040 Linz, ... . Diesbezüglich wurde an Hand

einer persönlichen Vorsprache ho. am bekannt gegeben, dass Ihr Quartier von der GVS Oberösterreich am von Linz nach Neufelden verlegt wurde, Ihre beiden älteren Kinder jedoch unter der Woche bei der Bekannten Fr. Dr. Z wohnen, um Ihnen einen langen Schulweg zu ersparen.

Im vorliegenden Fall wird durch die Ausweisung nicht in ein Familienleben eingegriffen, zumal hinsichtlich aller Familienangehörigen die Ausweisung verfügt wurde (E1/9468/2009, E1/9467/2009, 121/9470/2009, E1/9471/2009).

Zudem konnten Sie nicht mit Sicherheit darauf vertrauen, dauerhaft in Österreich Ihr Familienleben fortsetzen zu können.

Auch machten Sie geltend, dass folgende Brüder von Ihnen in Österreich leben:

* Ismail D (seit über 20 Jahren, welcher mittlerweile

die österreichische Staatsbürgerschaft besitzt, St. Pölten)

* Ilhan D (Student)

* Inan D (Asylwerber)

Das Vorhandensein zahlreicher Verwandter in Österreich, mit welchen Sie aber nicht in einem gemeinsamen Haushalt leben, ist nicht von den geschützten familiären Bindungen erfasst (vgl. ).

Ebenso entspricht es der ständigen Rechtssprechung des VwGH, dass das durch eine soziale Integration erworbene Interesse an einem Verbleib in Österreich in seinem Gewicht gemindert ist, wenn der Fremde keine genügende Veranlassung gehabt hatte, von einer Erlaubnis zu einem dauernden Aufenthalt auszugehen. Auch stellt der EGMR in seiner Judikatur darauf ab, ob das Familienleben zu einem Zeitpunkt entstanden ist, in dem sich die betroffenen Personen bewusst waren, der Aufenthaltsstatus eines Familienmitgliedes sei derart, dass der Fortbestand des Familienlebens im Gastland von vornherein unsicher ist. Sei das der Fall, bewirke eine Ausweisung des ausländischen Familienangehörigen nur unter ganz speziellen bzw. außergewöhnlichen Umständen ('in exceptional circumstances') eine Verletzung von Art 8

EMRK.

Im vorliegenden Fall wird durch die Ausweisung nicht in Ihr Familienleben, sondern nur in das Privatleben eingegriffen und es liegen insoweit trotz der schon sehr langen Aufenthaltsdauer und der mittlerweile erlangten Integration (noch) keine derart außergewöhnlichen Umstände vor, dass Ihnen ein direkt aus Art 8 EMRK ableitbares Aufenthaltsrecht zugestanden werden müsste.

An dieser Beurteilung kann auch die von Ihnen ins Treffen geführte Beziehung[...] zu Ihren Brüdern nichts ändern, weil einerseits kein gemeinsamer Haushalt zwischen den erwachsenen Verwandten besteht und andererseits die Bindungen während Ihres unsicheren Aufenthaltsstatus (wieder) aufgebaut wurden (vgl. Zahl 2009/21/0068).

Zudem bleibt es Ihnen unbenommen im Falle einer allfälligen Abschiebung den Kontakt mittels Telefon oder E-Mail aufrecht zu erhalten bzw. unter Einhaltung der gesetzlichen Bestimmungen einen aufenthaltsrechtlichen Titel für Österreich zu erwirken.

Auch der Umstand, dass ein weiterer Bruder bzw. eine Schwester von Ihnen in der Schweiz leben und die Schweizer Staatsbürgerschaft besitzen, vermag Ihre persönlichen Interessen an einem weiteren Verbleib in Österreich nicht zu verstärken.

Weitere berücksichtigungswürdige familiäre Beziehungen zur Republik Österreich wurden von Ihnen keine behauptet bzw. waren aus der Aktenlage auch nicht ersichtlich.

Des Weiteren scheint im Strafregister der Republik Österreich über Sie folgende Verurteilung auf:

BG Linz U71/2005l vom rk. § 223/2 StGB, Freiheitsstrafe 3 Wochen, bedingt, Probezeit 3 Jahre, Vollzugsdatum .

Zu BG Linz 17 U71/2005l rk. (Teil der) Freiheitsstrafe nachgesehen, endgültig, Vollzugsdatum BG Linz 17 U71/20[0]5l vom .

Unabhängig davon, dass es sich dabei - laut Ihren Angaben - um eine geringe Strafe handelt und eine bedingte Freiheitsstrafe von 3 Wochen nicht ins Gewicht fällt, wird Ihre oben dargelegte Integration in ihrer sozialen Komponente (wenn auch geringen Maßes) gemindert.

Auch wenn Sie mehrmals vehement betonen, dass Sie niemals gegen die öffentliche Ordnung verstoßen hätten, sei auf die Erkenntnisse des Zahl 2008/21/0307 bzw. vom , Zahl 2008/21/0276 (u.v.m.) verwiesen, worin klar zum Ausdruck kommt, dass die illegale Einreise des Fremden und der unrechtmäßige Verbleib in Österreich trotz negativen Abschlusses seines Asylverfahrens eine maßgebliche Beeinträchtigung des öffentlichen Interesses an einem geordneten Fremdenwesen darstellt bzw. die illegale Einreise des Fremden als relevanter Verstoß gegen das Einwanderungsrecht in die Interessensabwägung gem. § 66 Abs 2 FPG 2005 einzubeziehen ist (vgl. Zahl 2009/21/0165).

Einer Würdigung wurde zudem unterzogen, dass Sie in einem Alter von 30 Jahren in das Bundesgebiet der Republik Österreich eingereist sind, Sie somit den überwiegenden Teil Ihres bisherigen Lebens in Ihrem Heimatland verbracht hatten. An Hand der Aktenlage war weiters ersichtlich, dass sich in der Türkei nach wie vor Ihr Vater, zwei Schwestern, Ihre Schwiegereltern und drei Geschwister Ihrer Gattin befinden, Sie in Ihrem Heimatland von 1979 bis 1987 eine Schulausbildung genossen bzw. von 1988 bis Oktober 2001 als Hilfsarbeiter (Monteur) arbeiteten, folglich ein familiäres und soziales Netzwerk besteht und ausgeschlossen werden kann, dass Sie und Ihre Familie dort völlig isoliert leben müssten.

An Hand dieser Umstände kann Ihnen von Seiten der ho. Behörde die Bindung zu Ihrem Heimatland nicht abgesprochen werden bzw. erscheint eine Reintegration als zumutbar.

Zudem gewährleistet doch § 66 FPG die Führung eines Privat- und Familienlebens außerhalb Österreichs nicht und wird ferner mit der gegenständlichen Ausweisung nicht darüber abgesprochen, dass Sie in ein bestimmtes Land auszureisen haben oder dass Sie (allenfalls) abgeschoben werden (vgl. ständige Judikatur des VwGH, etwa Erkenntnis vom , Zahl 2006/18/0474 sowie vom , Zahl 2007/18/0066 und viele andere).

Auch die bei einem wirtschaftlichen Neubeginn in der Türkei zu besorgenden Schwierigkeiten sind im öffentlichen Interesse in Kauf zu nehmen (vgl. Zahl 2009/221/0187).

Im Übrigen ist nicht ersichtlich, aus welchen Gründen zwischenzeitig unterbrochene Kontakte zu den weiteren Verwandten im Heimatland nicht wiederhergestellt werden könnten (vgl. Zahl 2009/21/0070).

Ihre[...] beigebrachten Unterstützungs- und Empfehlungsschreiben diverser Privatpersonen zeugen im gewissen Maße von einer gelungenen sozialen Integration in Österreich, da sich in Ihrer nächsten Umgebung Menschen für Sie einsetzten. Dieser Umstand relativiert sich jedoch auch dahingehend, dass Sie diese Kontakte in einem Zeitraum geschaffen haben, in dem Ihr Aufenthalt in Österreich nur an das Abwarten der Entscheidungen über Ihre Asylanträge geknüpft war.

Zudem weist die Unterschriftenliste ca. 37 Nennungen auf, ohne je Person konkret das Verhältnis zum Beschwerdeführer darzulegen.

...

Sie halten sich seit dem , also seit ca. 1 Jahr und 4 Monate[n], illegal in Österreich auf. Bereits ein mehrmonatiger unrechtmäßiger Aufenthalt gefährdet die öffentliche Ordnung in hohem Maße, die Ausweisung ist demnach gemäß § 66 Abs 1 FPG zur Wahrung der öffentlichen Ordnung dringend geboten (vgl. Erkenntnis des Zl. 93/18/0419).

Laut ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes stellt die Übertretung fremdenpolizeilicher Vorschriften einen gravierenden Verstoß gegen die österreichische Rechtsordnung dar. Diesbezüglich hat der Verwaltungsgerichtshof auch in seinem Erkenntnis vom , Zl. 93/18/0584, ausgeführt, dass ein geordnetes Fremdenwesen für den österreichischen Staat von eminentem Interesse ist. Dies umso mehr in einer Zeit, in der, wie in jüngster Vergangenheit unübersehbar geworden, der Zuwanderungsdruck kontinuierlich zunimmt. Um den mit diesen Phänomenen verbundenen, zum Teil gänzlich neuen Problemstellungen in ausgewogener Weise Rechnung tragen zu können, gewinnen die für Fremde vorgesehenen Rechtsvorschriften zunehmend an Bedeutung. Den für die Einreise und den Aufenthalt von Fremden getroffenen Regelungen und deren Beachtung durch die Normadressaten kommt aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung (Art8 Abs 2 EMRK) ein sehr hoher Stellenwert zu.

Die öffentliche Ordnung wird schwerwiegend beeinträchtigt, wenn einwanderungswillige Fremde, ohne das betreffende Verfahren abzuwarten, sich unerlaubt nach Österreich begeben, um damit die österreichischen Behörden vor vollendete Tatsachen zu stellen. Ebenso, wenn Fremde nach Auslaufen einer Aufenthaltsberechtigung (Einreise- und/oder Aufenthaltstitel) bzw. nach Abschluss eines Asylverfahrens das Bundesgebiet nicht rechtzeitig verlassen. Die Ausweisung ist in solchen Fällen erforderlich, um jenen Zustand herzustellen, der bestünde, wenn sich der Fremde gesetzestreu verhalten hätte (vgl. Erkenntnis des Zl. 93/18/0310). Vor dem Hintergrund dieser Tatsache musste auch von der Ermessensbestimmung des § 53 Abs 1 FPG Gebrauch gemacht werden, insbesondere da das Ihnen vorwerfbare (Fehl )Verhalten (insbesondere Sie seit negativem Abschluss Ihres Asylverfahrens, also seit ca. 1 Jahr und 4 Monate[n], das Bundesgebiet der Republik Österreich nicht freiwillig verlassen) im Verhältnis zu der von Ihnen geltend gemachten Integration (wie bereits oben im erheblichen Ausmaß zu relativieren war) überwiegt und darüber hinaus weder aus der Akte noch aus Ihrer Berufungsschrift besondere Umstände ersehen werden können, die eine Ermessensübung zu Ihren Gunsten begründen würde[n].

...

Der Bescheid der Erstbehörde war demnach zu bestätigen."

b) Zusätzlich führte die belangte Behörde zur Bf. 2 - unter anderem - Folgendes aus:

"...

In Anbetracht Ihres, in Folge der am erfolgten illegalen Einreise in das Bundesgebiet der Republik Österreich, also ca. 8 Jahre und 3 Monate währenden Aufenthaltes im Bundesgebiet, sowie der Tatsache, dass Sie mit Ihrem Gatten und Ihren drei gemeinsamen Kindern in Österreich leben, drei Brüder Ihres Gatten in Österreich leben, wobei einer bereits die österreichische Staatsbürgerschaft besitzt und Sie zu diesen Verwandten regelmäßigen Kontakt pflegen (gegenseitige Besuche und gemeinsame Freizeitaktivitäten), Sie an mehreren Deutschkursen teilgenommen haben (auch für Fortgeschrittene) und Sie sich zu[r] ÖIF-Prüfung Niveau A2 angemeldet hätten, Unterstützungsschreiben bzw. Unterschriftenlisten vorweisen konnten und unbescholten sind, ist Ihnen eine diesen Umständen entsprechende Integration zuzugestehen und wird in erheblicher Weise in Ihr Privat- und Familienleben eingegriffen.

...

Obwohl Ihr Bemühen um eine Beschäftigung durch die Vorlage eines abgelehnten Bescheides zur Erlangung einer Beschäftigungsbewilligung des AMS Traun vom ersichtlich wird, ist es unbestreitbare[...] Tatsache, dass Sie bis dato noch keinerlei berufliche Integration vorweisen konnten.

..."

c) Zum Bf. 3 ergänzte die belangte Behörde die Begründung u. a. wie folgt:

"...

In Anbetracht Ihres, in Folge der am erfolgten illegalen Einreise in das Bundesgebiet der Republik Österreich, also ca. 8 Jahre und 3 Monate währenden Aufenthaltes im Bundesgebiet, sowie der Tatsache, dass Sie mit Ihren Eltern und Ihren beiden Geschwistern in Österreich leben, drei Onkeln väterlicherseits in Österreich leben, wobei einer bereits die österreichische Staatsbürgerschaft besitzt und Sie zu diesen Verwandten regelmäßigen Kontakt pflegen (gegenseitige Besuche und gemeinsame Freizeitaktivitäten), Sie die Volksschule bzw. 4 Jahre die Hauptschule 23 in Linz besuchten, wobei Sie laut Schreiben des Klassenvorstandes bzw. der Direktorin mehrere Jahre als Schulsprecher gewählt wurden, bestens integriert waren und Ihre schulischen Leistungen als hervorragend beschrieben wurden (Jahreszeugnisse immer mit 'ausgezeichnetem Erfolg'), Sie im Zuge eines Schulfestes angeführter Schule am bei einer Sportveranstaltung (Tischtennis) und an einem Volleyball Turnier (2. Platz) teilgenommen haben, Sie nunmehr die HTL Bau- und Design (1 CHBT Klasse) besuchen (Schulnote Deutsch: 4), sehr gut Deutsch sprechen, Unterstützungsschreiben bzw. Unterschriftenlisten vorweisen konnten und unbescholten sind, ist Ihnen eine diesen Umständen entsprechende Integration zuzugestehen und wird in erheblicher Weise in Ihr Privat- und Familienleben eingegriffen.

...

Weiters war aus den Akten bzw. an Hand einer persönlichen Vorsprache ho. ersichtlich, dass Sie in Österreich 4 Jahre eine Hauptschule absolviert haben und nunmehr die 1. Klasse der HTL Bau- und Design besuchen.

Diesbezüglich sei jedoch auf das Erkenntnis des Zahl 2006/21/0288 verwiesen, worin klar zum Ausdruck gebracht wurde, dass weder der Umstand, dass der Fremde in Österreich die Schule besucht, noch der Umstand, dass der Fremde gerichtlich unbescholten ist, sein Interesse an einem Verbleib in Österreich maßgeblich verstärken kann.

Im Übrigen wussten Sie bzw. Ihre Eltern bereits bei Beginn Ihrer Schulausbildung, dass Ihr Aufenthalt in Österreich nur an das Abwarten der Entscheidungen über Ihre Asylanträge geknüpft war.

...

Einer Würdigung wurde zudem unterzogen, dass Sie in einem Alter von 7 Jahren in das Bundesgebiet der Republik Österreich eingereist sind, Sie somit mehr als die Hälfte Ihres bisherigen Lebens in Österreich verbracht hatten.

Dennoch musste berücksichtigt werden, dass Sie 7 Jahre in Ihrem Heimatland verbracht hatten, in denen Sie sich im gewissen Maße mit den dort vorherrschenden Lebensumständen vertraut machen konnten.

An Hand der Aktenlage war weiters ersichtlich, dass sich in der Türkei nach wie vor Ihre Großeltern mütterlicherseits, Ihr Großvater väterlicherseits und zahlreiche Onkeln und Tanten befinden und Sie in Ihrem Heimatland von 2001 bis 2002 die Volksschule besuchten, folglich ein familiäres und soziales Netzwerk besteht und ausgeschlossen werden kann, dass Sie und ihre Familie dort völlig isoliert leben müssten.

Überdies war aus Ihrer Asylersteinvernahme ersichtlich, dass Sie der türkischen Sprache mächtig sind.

An Hand dieser Umstände kann Ihnen von Seiten der ho. Behörde die Bindung zu Ihrem Heimatland nicht abgesprochen werden bzw. erscheint eine Reintegration als zumutbar (wobei Ihnen die in Österreich erworbene Ausbildung hilfreich sein kann) - trotz Überwiegens der in Österreich verbrachten Zeit und vor allem vor dem Hintergrund, dass Ihr Familienverband aufrecht bleibt und Sie sich bereits mit den türkischen Schulsystem vertraut machen konnten.

..."

d) Zusätzlich führte die belangte Behörde zur Bf. 4 - unter anderem - Folgendes aus:

"...

In Anbetracht Ihres, in Folge der am erfolgten illegalen Einreise in das Bundesgebiet der Republik Österreich, also ca. 8 Jahre und 3 Monate währenden Aufenthaltes im Bundesgebiet, sowie der Tatsache, dass Sie mit Ihren Eltern und Ihren beiden Geschwistern in Österreich leben, drei Onkeln väterlicherseits in Österreich leben, wobei einer bereits die österreichische Staatsbürgerschaft besitzt und Sie zu diesen Verwandten regelmäßigen Kontakt pflegen (gegenseitige Besuche und gemeinsame Freizeitaktivitäten), Sie in Österreich Ihre Schulausbildung genießen und derzeit die Klasse 2b des wirtschaftskundlichen Realgymnasium Körnerstraße absolvieren (Schulnachricht 2009/2010 Deutsch Note 2), Sie sich am Schulchor beteiligen und bei einer Spendenaktion für 'Haiti' teilgenommen hatten (Ausstrahlung im ORF 2 erfolgte), sehr gut Deutsch sprechen, Unterstützungsschreiben bzw. Unterschriftenlisten vorweisen konnten und unbescholten sind, ist Ihnen eine diesen Umständen entsprechende Integration zuzugestehen und wird in erheblicher Weise in Ihr Privat- und Familienleben eingegriffen.

...

Weiters war aus den Akten bzw. an Hand einer persönlichern Vorsprache ho. ersichtlich, dass Sie in Österreich Ihre Schulausbildung genießen und nunmehr die Klasse 2b des wirtschaftskundlichen Realgymnasiums Körnerstraße absolvieren.

Diesbezüglich sei jedoch auf das Erkenntnis des Zahl 2006/21/0288 verwiesen, worin klar zum Ausdruck gebracht wurde, dass weder der Umstand, dass der Fremde in Österreich die Schule besucht, noch der Umstand, dass der Fremde gerichtlich unbescholten ist, sein Interesse an einem Verbleib in Österreich maßgeblich verstärken kann.

Im Übrigen wussten Sie bzw. Ihre Eltern bereits bei Beginn Ihrer Schulausbildung, dass Ihr Aufenthalt in Österreich nur an das Abwarten der Entscheidungen über Ihre Asylanträge geknüpft war.

...

Einer Würdigung wurde zudem unterzogen, dass Sie in einem Alter von beinahe 5 Jahren in das Bundesgebiet der Republik Österreich eingereist sind, Sie somit mehr als die Hälfte Ihres bisherigen Lebens in Österreich verbracht hatten.

Dennoch musste berücksichtigt werden, dass Sie beinahe 5 Jahre in Ihrem Heimatland verbracht hatten, in denen Sie sich im gewissen Maße mit den dort vorherrschenden Lebensumständen vertraut machen konnten.

An Hand der Aktenlage war weiters ersichtlich, dass sich in der Türkei nach wie vor Ihre Großeltern mütterlicherseits, Ihr Großvater väterlicherseits und zahlreiche Onkeln und Tanten befinden, folglich ein familiäres und soziales Netzwerk besteht und ausgeschlossen werden kann, dass Sie und Ihre Familie dort völlig isoliert leben müssten.

Überdies war aus Ihrer Asylersteinvernahme ersichtlich, dass Sie der türkischen Sprache mächtig sind.

An Hand dieser Umstände kann Ihnen von Seiten der ho. Behörde die Bindung zu Ihrem Heimatland nicht abgesprochen werden bzw. erscheint eine Reintegration als zumutbar (wobei Ihnen die in Österreich erworbene Ausbildung hilfreich sein kann) trotz Überwiegens der in Österreich verbrachten Zeit und vor allem vor dem Hintergrund, dass Ihr Familienverband aufrecht bleibt.

..."

e) Zur Bf. 5 führte die belangte Behörde - unter anderem - noch Folgendes aus:

"...

In Anbetracht Ihrer Geburt in Österreich am , also mehr als 2 Jahre und 8 Monate währenden Aufenthaltes im Bundesgebiet, sowie der Tatsache, dass Sie mit Ihren Eltern und Ihren beiden Geschwistern in Österreich leben, drei Onkeln väterlicherseits in Österreich leben, wobei einer bereits die österreichische Staatsbürgerschaft besitzt und Sie zu diesen Verwandten regelmäßigen Kontakt pflegen (gegenseitige Besuche und gemeinsame Freizeitaktivitäten), Sie laut persönlicher Vorsprache ho. ab September 2010 einen Kindergarten besuchen wollen, laut eigenen Angaben sehr gut Deutsch sprechen und Unterstützungsschreiben bzw. Unterschriftenlisten vorweisen konnten, ist Ihnen eine diesen Umständen entsprechende Integration zuzugestehen und wird in erheblicher Weise in Ihr Privat- und Familienleben eingegriffen.

...

Zu berücksichtigen war jedoch, dass Ihr Asylbegehren bereits erstinstanzlich am negativ entschieden wurde, dies folglich ein eindeutiges 'Indiz' darstellt, dass Ihr weiterer Aufenthalt in Österreich temporär begrenzt sein kann.

Weiters wurde in Folge einer persönlichen Vorsprache ho. bekanntgegeben, dass Sie in Österreich ab September 2010 einen Kindergarten besuchen wollen. In Anbetracht der Tatsache, dass es sich dabei um ein zukünftiges Ereignis handelt, konnte dieser Aspekt bei der Wertung Ihrer persönlichen Interessen an einem weiteren Verbleib in Österreich nicht entscheidend ins Gewicht fallen.

Überdies war aus den Akten ersichtlich, dass Sie seit Ihrer Geburt durchgehend durch die Grundversorgung des Landes Oberösterreich unterstützt werden (periodische Leistungen: Unterbringung, Verpflegung und Krankenversicherung).

...

Auch wenn Sie, wie bereits angeführt, in Österreich geboren wurden, war aus der Aktenlage ersichtlich, dass Ihre Eltern den Großteil ihres Lebens in Ihrem Heimatland verbracht hatten und sich dort eine eigene Existenz aufbauen konnten. Zudem befinden sich laut Aktenlage sowohl Ihre Großeltern mütterlicherseits, Ihr Großvater väterlicherseits und zahlreiche Onkeln und Tanten in Ihrem Heimatland, weshalb ein familiäres und soziales Netzwerk besteht und ausgeschlossen werden kann, dass Sie und Ihre Familie dort völlig isoliert leben müssten.

Aus all diesen Umständen kann Ihnen von Seiten der ho. Behörde, trotz Ihrer Geburt in Österreich, die Bindung zu Ihrem Heimatland nicht abgesprochen werden bzw. erscheint eine Reintegration als zumutbar.

Zudem befinden Sie sich in einem Lebensalter, in dem Ihnen eine Anpassung an neue Begebenheiten, vor allem vor dem Hintergrund, dass Ihr Familienverband mit Ihren Eltern bzw. Geschwistern aufrecht bleibt, zugemutet werden kann.

..."

3. In der auf Art 144 B-VG gestützten Beschwerde wird die Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf Achtung des Privat- und Familienlebens und auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung der angefochtenen Bescheide beantragt. Dabei wird insbesondere Folgendes vorgebracht:

"...

Wir sind in Österreich bestens integriert. Wir leben seit mehr als acht Jahren in Österreich und haben uns in Österreich sehr gut eingelebt. Wir sind verwaltungsstrafrechtlich und gerichtlich unbescholten. Wir haben uns über einen Zeitraum von mehr als sieben Jahren rechtmäßig in Österreich aufgehalten. Unser jüngstes Kind Beritan ist in Österreich geboren und hat sein gesamtes Leben in Österreich verbracht. Ein Bruder des Erstbeschwerdeführers Erkan D, Herr Ismail D lebt seit über zwanzig Jahren in St. Pölten. Er besitzt die österreichische Staatsbürgerschaft. Ein weiterer Bruder, Ergin D, und die Schwester Nefzad G leben in der Schweiz und besitzen die Schweizer Staatsbürgerschaft. Zwei weitere Brüder des Erstbeschwerdeführers, Ilhan und Inan D leben ebenfalls in Österreich. Ilhan ist Student und Inan ist Asylwerber. Zu den in Österreich lebenden Verwandten haben wir regelmäßigen Kontakt und führen ein Familienleben mit diesen Angehörigen mit wechselseitigen Besuchen und gemeinsamen Freizeitaktivitäten. Die Kinder Diyar und Berfin D besuchen die Schule. Diyar besucht die achte Schulstufe der HS 23 in Ebelsberg und weist sehr gute Schulnoten auf. Er wurde in den ersten Jahrgang der HTL Bau- und Design, höhere Abteilung Bautechnik aufgenommen. Er beteiligt sich an freiwilligen schulischen Veranstaltungen und wurde vor zwei Jahren zum Klassensprecher gewählt. Seine Jahreszeugnisse weisen immer einen ausgezeichneten Erfolg auf. Der Klassenvorstand und die Direktorin betonen in einem der Behörde vorgelegten Bestätigungsschreiben, dass sein Verhalten absolut tadellos ist. Die Tochter Berfin besucht die fünfte Schulstufe des wirtschaftskundlichen Bundesrealgymnasiums Körnerstraße in Linz. Sie ist eine sehr gute Schülerin. Die

Beschwerdeführer Erkan und Reyhan D... haben Deutschkurse besucht und

haben mittlerweile auch die A2-Deutschprüfung absolviert.

Reyhan D hat am um eine Beschäftigungsbewilligung für die berufliche Tätigkeit als Raumpflegerin angesucht. Dieser Antrag wurde -- der bestehenden Rechtslage entsprechend - abgelehnt. Die Firma K OEG ist bereit, den Erstbeschwerdeführer Erkan D für den Fall der Erteilung einer Niederlassungsbewilligung als Dienstnehmer aufzunehmen. Entsprechende Unterlagen wurden der Behörde vorgelegt.

Wir haben alles getan, um uns bestmöglich in Österreich zu integrieren und blicken auf eine gelungene Integration zurück. Wir haben keine Bindungen zu unserem Heimatland Türkei. Wir sind strafgerichtlich unbescholten, Verstöße gegen die öffentliche Ordnung liegen nicht vor. Lediglich ich, Erkan D, weise eine geringfügige strafgerichtliche Vormerkung wegen eines Urkundendelikts vor. Über mich wurde eine bedingte Freiheitsstrafe von drei Wochen wegen Vorlage eines gefälschten Führerscheines verhängt. Die Strafe ist geringfügig, die bedingte Strafnachsicht zeigt, dass das Strafgericht von einer positiven spezialpräventiven Prognose ausgegangen ist. Ich bin tatsächlich auch nicht mehr straffällig geworden.

Vor dem Hintergrund all dieser Integrationskriterien ist davon auszugehen, dass ein besonderer Integrationsgrad vorliegt. Wir haben auch Unterstützungs- und Empfehlungsschreiben diverser Privatpersonen vorgelegt, unter anderem eine Unterschriftenliste mit 37 Unterschriften. Eine unserer Unterstützerinnen war sogar bei einer persönlichen Vorsprache bei der Behörde persönlich anwesend, um sich für uns einzusetzen.

...

2. Die von der belangten Behörde durchgeführte Wertung der Integrationskriterien ist nicht korrekt erfolgt. Dies insbesondere aus folgenden Gründen:

a) Dem Kriterium des 'unsicheren' Aufenthaltsstatus wird seitens der belangten Behörde zu großes Gewicht beigemessen. Es trifft zwar zu, dass unser Aufenthaltsstatus während des Asylverfahrens nur ein 'vorläufiger' war. Wenn ein Asylverfahren aber - sowie in unserem Falle - mehr als sieben Jahre (!) dauert, die gesetzlichen Entscheidungsfristen nach § 73 AVG von beiden Verwaltungsinstanzen (Bundesasylamt und Unabhängiger Bundesasylsenat bzw. Asylgerichtshof) um ein [V]ielfaches überschritten werden konnten und durften wir uns berechtigte Hoffnungen auf einen positiven Ausgang unseres Asylverfahrens machen. Gerade aufgrund des Umstandes, dass unser Asylverfahren so lange dauerte, konnten wir uns berechtigte Hoffnungen auf einen positiven Ausgang des Verfahrens machen. Für uns war auch nicht vorhersehbar, dass die Spruchpraxis der Asylbehörde II. Instanz mit der Einrichtung des Asylgerichtshofes gerade türkisch[e]/kurdische Asylwerber betreffend strenger würde als dies noch zu Zeiten des Unabhängigen Bundesasylsenats der Fall war. Ein Zeitraum von mehr als sieben Jahren stellt für uns Beschwerdeführer einen relevanten Teil unseres gesamten Lebens dar. Dies umso mehr, als wesentliche Jahre unseres Lebenszyklus in diesen Zeitraum fallen. Vor diesem Hintergrund ist es legitim und berechtigt, Integrationsmaßnahmen zu setzen, die dann auch entsprechend zu würdigen und zu berücksichtigen sind. Dies verkennt die belangte Behörde.

b) Dass wir keiner beruflichen Tätigkeit in Österreich nachgehen konnten, kann uns nicht zum Vorwurf gemacht werden. Das System des österreichischen Ausländerbeschäftigungsrechtes verwehrt Asylwerbern eine realistische Chance auf Erlangung einer Beschäftigungsbewilligung. Wir waren daher gezwungen, Grundversorgungsleistungen in Anspruch zu nehmen, dies kann uns nicht als 'mangelnde Integration' zum Vorwurf gemacht werden. Ich, Erkan D..., habe eine fixe Arbeitsplatzzusage. Ich werde sofort zu arbeiten beginnen, sobald ich über eine Niederlassungsbewilligung verfüge.

c) Nicht nachvollziehbar ist für uns die Argumentation, dass die Ausweisung in unser Familienleben nicht eingreifen würde, da die Ausweisung sämtliche Familienangehörige trifft. Unser Familienleben spielt sich seit vielen Jahren ausschließlich in Österreich ab. Eines unserer Kinder ist in Österreich geboren, die anderen Kinder haben hier viele Schuljahre absolviert und sind ausgezeichnete Schüler. Wir haben nahe Familienangehörige in Österreich, zu denen regelmäßiger familiärer Kontakt besteht. Zweifellos würde eine Ausweisung uns aus unserem sozialen Umfeld völlig herausreißen und unmittelbar in unser Recht auf Familienleben eingreifen. Die gegenteilige Argumentation der belangten Behörde ist unrichtig und nicht nachvollziehbar.

d) Wir haben im Rahmen unserer Möglichkeiten alles getan, uns bestmöglich zu integrieren. Bei richtiger Würdigung der Integrationskriterien hätte die belangte Behörde dies auch berücksichtigen müssen. Wir verweisen auf die abgelegten Deutschprüfungen, die Unterstützungserklärungen österreichischer Staatsbürger, die guten Schulnoten unserer Kinder und die weiteren zahlreichen im Verfahren geltend gemachten Integrationspunkte.

Was die Verurteilung des Erstbeschwerdeführers durch das BG Linz betrifft, liegt diese mehr als fünf Jahre zurück, es wurde lediglich eine minimale Freiheitsstrafe von drei Wochen verhängt und diese Strafe gem. § 43 Abs 1 StGB bedingt nachgesehen. Diese Verurteilung ist daher keinesfalls geeignet, die vorliegenden gravierenden Integrationskriterien außer Kraft zu setzen. Aus den dargelegten Gründen sind wir durch die Bescheide der belangten Behörde in unserem Menschenrecht auf Achtung des Privat- und Familienlebens nach Art 8 Abs 1 EMRK verletzt.

e) Im gegenständlichen Fall liegt ein klassischer Fall gelungener Integration vor. Gerade für Fälle wie unseren hat der Gesetzgeber durch die Fremdenrechtsnovelle 2009 einen Mechanismus geschaffen, der einen humanitären Aufenthalt bei gelungener Integration ermöglicht. Die derzeitige Spruchpraxis der Fremdenbehörden Österreichs negiert die Absicht des Gesetzgebers, bei gelungener Integration einen humanitären Aufenthalt zu ermöglichen, in dem sie - alleine mit dem Argument des unsicheren Aufenthaltes während laufenden Asylverfahrens - Ausweisungen ausspricht und vorliegende Integrationskriterien nicht angemessen berücksichtigt werden. Dennoch kommt es immer wieder in vergleichbaren Fällen vereinzelt doch zu positiven Entscheidungen, bei denen Ausweisungen dauerhaft für unzulässig erklärt werden, wobei in keiner Weise nachvollziehbar ist, weshalb in derartigen Fällen positiv entschieden wird, während in Fällen wie dem unseren die Ausweisung ausgesprochen und bestätigt wird. Es werden hier offenkundig gleiche Sachverhalte ungleich behandelt und liegt eine Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes vor. Wir sind daher auch in unserem Verfassungsrecht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander gem. Art 1 ff B-VG über die Durchführung des internationalen Übereinkommens zur Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung verletzt."

4. Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor, sah jedoch von der Erstattung einer Gegenschrift ab.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

1. Ein Eingriff in das durch Art 8 EMRK verfassungsgesetzlich garantierte - unter Gesetzesvorbehalt stehende - Recht wäre dann verfassungswidrig, wenn der ihn verfügende Bescheid ohne jede Rechtsgrundlage ergangen wäre, auf einer dem Art 8 EMRK widersprechenden Rechtsvorschrift beruhte oder wenn die Behörde bei Erlassung des Bescheides eine verfassungsrechtlich unbedenkliche Rechtsgrundlage in denkunmöglicher Weise angewendet hätte; ein solcher Fall läge nur vor, wenn die Behörde einen so schweren Fehler begangen hätte, dass dieser mit Gesetzlosigkeit auf eine Stufe zu stellen wäre, oder wenn sie der angewendeten Rechtsvorschrift fälschlicherweise einen verfassungswidrigen, insbesondere einen dem Art 8 Abs 1 EMRK widersprechenden und durch Art 8 Abs 2 EMRK nicht gedeckten Inhalt unterstellt hätte (vgl. VfSlg. 11.638/1988, 15.051/1997, 15.400/1999, 16.657/2002).

2. Ein derartiger in die Verfassungssphäre reichender Fehler ist der belangten Behörde unterlaufen:

2.1. Wie der Verfassungsgerichtshof bereits in VfSlg. 18.223/2007 dargelegt hat, ist die zuständige Fremdenpolizeibehörde stets dazu verpflichtet, das öffentliche Interesse an der Aufenthaltsbeendigung gegen die persönlichen Interessen des Fremden an einem weiteren Verbleib in Österreich am Maßstab des Art 8 EMRK abzuwägen, wenn sie eine Ausweisung verfügt. In der zitierten Entscheidung wurden vom Verfassungsgerichtshof auch unterschiedliche - in der Judikatur des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte entwickelte - Kriterien aufgezeigt, die bei Vornahme einer solchen Interessenabwägung zu beachten sind und als Ergebnis einer Gesamtbetrachtung dazu führen können, dass Art 8 EMRK einer Ausweisung entgegensteht.

2.2. Im Lichte dieser Kriterien erweist sich aber die von der Behörde vorgenommene Abwägung iSd Art 8 EMRK als fehlerhaft.

Wie die belangte Behörde zunächst zutreffend festgestellt hat, halten sich die Beschwerdeführer rechtswidrig im Bundesgebiet auf, weshalb die Ausweisungen - unter Beachtung des § 66 Abs 1 FPG - auf § 53 Abs 1 FPG gestützt wurden.

Im Ergebnis ist die belangte Behörde zur Auffassung gelangt, dass nach Abwägung aller betroffenen Interessen die Erlassung der Ausweisungen dringend geboten und daher zulässig sei. Sie wies ausdrücklich darauf hin, dass "weder aus der Akte noch aus Ihrer [gemeint sind die Beschwerdeführer] Berufungsschrift besondere Umstände ersehen werden können, die eine Ermessensübung zu Ihren Gunsten begründen würde[n]".

2.3. Die belangte Behörde hat - unter Zugrundelegung einer Gesamtbetrachtung und der Lage des Falles - zwar dem öffentlichen Interesse an der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung auf dem Gebiet des Fremdenwesens die persönlichen Interessen der Beschwerdeführer gegenübergestellt, die Interessen jedoch im Ergebnis in verfassungswidriger Weise abgewogen.

2.4. Obwohl die belangte Behörde nämlich zutreffend von einer im hohen Maße stattgefundenen Integration der Familie ausgeht (u.a. auf Grund der langen Aufenthaltsdauer der Familie in Österreich, des mehrjährigen Schulbesuchs der minderjährigen Kinder, der guten Deutschkenntnisse der gesamten Familie), weshalb durch die Ausweisungen auch "in erheblicher Weise" in das Privat- und Familienleben der Beschwerdeführer eingegriffen werde, sieht sie den Effekt der Integration jedoch weitgehend dadurch gemindert, als der Aufenthalt der Beschwerdeführer "während des Asylverfahrens nur aufgrund eines Antrages, welcher sich letztlich als unberechtigt erwiesen hat, temporär berechtigt war". Die belangte Behörde berücksichtigt nicht, dass - anders als in Fällen, in denen die Integration auf einem nur durch Folgeanträge begründeten unsicheren Aufenthaltsstatus basierte (vgl. zB ) - im gegenständlichen Fall die Integration der Beschwerdeführer während ihrer einzigen Asylverfahren, welche für die Bf. 1, 2, 3 und 4 sieben Jahre (in denen keine einzige rechtskräftige Entscheidung ergangen ist) dauerten, erfolgte. Dass dies auf eine schuldhafte Verzögerung durch die Beschwerdeführer zurückzuführen wäre, wurde von der belangten Behörde weder dargestellt, noch ist es aus den dem Verfassungsgerichtshof vorliegenden Akten ersichtlich.

Wenn nun die belangte Behörde das Gewicht der Integration auf Grund des festgestellten stetigen unsicheren Aufenthaltes der Beschwerdeführer während der Dauer ihrer Asylverfahren derart gemindert erachtet, dass sie eine Verletzung des Art 8 EMRK durch die Ausweisungen ausschließt, übersieht sie, dass es die Verantwortung des Staates ist, die Voraussetzung zu schaffen, um Verfahren so effizient führen zu können, dass nicht bis zur ersten rechtskräftigen Entscheidung - ohne Vorliegen außergewöhnlich komplexer Rechtsfragen und ohne, dass den nunmehrigen Beschwerdeführern die lange Dauer des Asylverfahrens anzulasten wäre - sieben Jahre verstreichen.

2.5. Wie die belangte Behörde zudem im angefochtenen Bescheid selbst feststellt, ist das Asylbegehren der Bf. 1, 2, 3 und 4 erstinstanzlich am - also erst drei Jahre und drei Monate nach Asylantragstellung - negativ entschieden worden. Diese Verfahrensdauer lässt sich zwar erklären (die erstinstanzlichen Entscheidungen des BAA wurden behoben und die Angelegenheiten zur neuerlichen Durchführung der Verfahren und Erlassung von Bescheiden durch den UBAS an das BAA zurückverwiesen), ist aber weder der Sphäre der Beschwerdeführer zurechenbar noch ihnen anzulasten. Der Umstand, dass die ersten negativen Entscheidungen behoben wurden, musste für die Beschwerdeführer - entgegen der Ansicht der belangten Behörde - vielmehr die Erwartung wecken, dass nicht zwangsläufig mit einer negativen Entscheidung des Asylverfahrens zu rechnen ist.

2.6. Zudem hätte die belangte Behörde bei ihrer Interessenabwägung zusätzlich stärker gewichten müssen, dass die minderjährigen Beschwerdeführer den Großteil ihres Lebens ins Österreich verbracht haben, sich mitten in ihrer Schulausbildung befinden und sich hier sowohl schulisch als auch gesellschaftlich sehr gut integriert haben.

2.7. Hinzuweisen ist auch darauf, dass die belangte Behörde auf die strafgerichtliche Verurteilung des Bf. 1 Bezug nimmt, obwohl nach den dem Verfassungsgerichtshof vorliegenden Akten deren Tilgung mit erfolgt sein müsste, wodurch der Bf. 1 strafrechtlich unbescholten wäre.

3. Die belangte Behörde kommt daher in ihrer Entscheidung zum verfassungsrechtlich nicht vertretbaren Schluss, dass bei Abwägung der öffentlichen Interessen gegenüber den privaten Interessen der Beschwerdeführer, das öffentliche Interesse an der Einhaltung der fremdenpolizeilichen Vorschriften gegenüber den persönlichen Interessen der Beschwerdeführer überwiegt.

Die belangte Behörde hat daher die Interessen der Beschwerdeführer am Verbleib im Bundesgebiet nicht hinreichend berücksichtigt, wodurch diese in ihrem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens gemäß Art 8 EMRK verletzt wurden.

Die Bescheide waren daher aufzuheben.

III. 1. Die Kostenentscheidung stützt sich auf § 88 VfGG; im zugesprochenen Betrag sind Umsatzsteuer in Höhe von € 500,- sowie der Ersatz der gemäß § 17a VfGG entrichteten Eingabengebühr in Höhe von € 1.100,- enthalten.

2. Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.