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VfGH vom 12.03.1988, B942/87

VfGH vom 12.03.1988, B942/87

Sammlungsnummer

11650

Leitsatz

Gesetz zum Schutze des Hausrechts; keine Durchsuchung bei fernmeldebehördlicher Nachschau-Geräte frei sichtbar im Raum aufgestellt; Zurückweisung der Beschwerde mangels anfechtbaren Beschwerdegegenstandes

Art5 StGG; § 39 Abs 1 und Abs 2 VStG; kein "unverzüglicher" bescheidmäßiger Abspruch über das Vorliegen der Voraussetzungen einer vorläufigen Beschlagnahme; keine Rückstellung der beschlagnahmten Gegenstände -; andauernder Eigentumseingriff - nicht als behördliche Untätigkeit (Säumnis) zu qualifizieren; Verletzung des Eigentumsrechtes durch Gesetzlosigkeit gleichkommenden Fehler

VfGG § 87 Abs 1; Aufhebung einer im Zeitpunkt der Entscheidung des VfGH fortdauernden Maßnahme verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt

Spruch

I. 1. Die Beschwerde wird, soweit sie sich gegen das Betreten und die angebliche Durchsuchung des Büros des Beschwerdeführers am in 5020 Salzburg, S.straße, wendet, zurückgewiesen.

2. Im gleichen Umfang wird der Antrag, die Beschwerde dem VwGH abzutreten, abgewiesen.

II. 1. Der Bf. wurde durch die nach dem fortdauernde vorläufige Beschlagnahme von Fernmeldegeräten in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Unversehrtheit des Eigentums verletzt. Die vorläufige Beschlagnahme wird aufgehoben.

2. Im übrigen ist der Bf. in keinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht verletzt worden. Die Beschwerde wird insoweit abgewiesen und dem VwGH zur Entscheidung darüber abgetreten, ob der Bf. durch den angefochtenen Bescheid in einem sonstigen Recht verletzt worden ist.

3. Die Ansprüche auf Kostenersatz werden gegeneinander aufgehoben.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. In seiner auf Art 144 B-VG gestützten Beschwerde erachtet sich der Bf. dadurch verletzt, daß in seiner Abwesenheit sowie ohne eine schriftliche Ermächtigung zur Vornahme einer Hausdurchsuchung sein Büro S.straße, 5020 Salzburg, am um 11 Uhr 45 ein Erhebungsorgan der Post- und Telegraphendirektion für Oberösterreich und Salzburg betreten habe. Er behauptet, in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Hausrecht gem. Art 9 StGG sowie durch die vorläufige Beschlagnahme zweier Fernmeldegeräte in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf das Verfahren vor dem gesetzlichen Richter gem. Art 83 Abs 2 B-VG verletzt zu sein. Die Verletzung des letztgenannten Rechtes wird vom Bf. damit begründet, daß ihm gegenüber bislang kein Bescheid der Fernmeldebehörde ergangen sei, mit welchem die Beschlagnahme der beiden Fernmeldegeräte bestätigt wurde und keine die vorläufige Beschlagnahme rechtfertigende Gefahr im Verzug gegeben gewesen sei.

2. Die bel. Beh. bestreitet die Vornahme einer

Hausdurchsuchung. Sie führt aus, daß vielmehr das Erhebungsorgan

der Fernmeldebehörde von der Sekretärin des abwesenden Bf. in

das Büro hereingebeten und ersucht worden sei, einen Moment

während eines von ihr geführten Telefongespräches zu warten. Ohne

jedwede systematische Besichtigung des Büroraumes, geschweige

denn dessen Durchsuchung, seien die beiden frei sichtbar

aufgestellten Fernmeldegeräte (HX 750 samt Netzgerät 840467 und

MR-1000 A) vom Erhebungsorgan wegen dringenden Verdachts auf

Verwaltungsübertretungen nach § 26 Abs 1 Z 1 und 2 des

Fernmeldegesetzes, BGBl. 170/1949, bei gegebener Gefahr im Verzug

(Gefahr der Fortsetzung der strafbaren Handlungen bzw. des

Verbringens der Funkanlagen) vorläufig beschlagnahmt worden. Im

anschließenden Verwaltungsstrafverfahren fanden am

(ohne den ordnungsgemäß geladenen beschuldigten Bf. bzw. seinen

Vertreter) sowie am (mit dem Vertreter des

beschuldigten Beschwerdeführers) mündliche Verhandlungen statt. Die

Fernmeldebehörde stellt in ihrer Gegenschrift in Aussicht, daß nach

Abschluß des Verwaltungsstrafverfahrens "im Straferkenntnis ... auch

über die Geräte abgesprochen werden (wird)".

II. Der VfGH geht davon aus, daß das Erhebungsorgan des

Aufsichts- und Ausforschungsdienstes der Post- und

Telegraphendirektion für Oberösterreich und Salzburg

(Funküberwachung Salzburg) am um 11 Uhr 45 die

Büroräume des Bf. in 5020 Salzburg, S.straße, nach deren Öffnung

durch die Sekretärin des abwesenden Bf. zwecks Durchführung einer

fernmeldebehördlichen Erhebung betrat. Die Aufforderung der

Sekretärin an das Erhebungsorgan, während eines von ihr geführten

Telefongespräches zu warten, ist für die rechtliche Bewertung des

Vorgangs unerheblich. Nach der übereinstimmenden Darstellung in der

Beschwerde, der Gegenschrift der bel. Beh. und den Verwaltungsakten,

in die der VfGH Einsicht nahm, übte das Erhebungsorgan der

Fernmeldebehörde eine fernmeldebehördliche Nachschau gemäß den §§4

Abs2 und 8 des Fernmeldegesetzes, BGBl. 170/1949, sowie gem. § 4 Abs 1

der gemäß BG BGBl. 267/1972, auf Gesetzesstufe stehenden

Privatfernmeldeanlagenverordnung, BGBl. 239/1961, aus, in deren

Gefolge es zwei Fernmeldegeräte des Bf. vorläufig in Beschlag nahm.

Nichts deutet darauf hin, daß das Erhebungsorgan nach einem Gegenstand, von dem es unbekannt ist, wo er sich befindet, gesucht hat. Die beiden, später beschlagnahmten Fernmeldegeräte waren vielmehr im Büroraum, den das Erhebungsorgan zwecks Nachschau betreten hatte, frei sichtbar aufgestellt. Nach der ständigen Rechtsprechung des VfGH liegt eine Hausdurchsuchung nur vor, wenn nach Personen oder Sachen, von denen unbekannt ist, wo sie sich befinden, gesucht wird (VfSlg. 5080/1965, 6528/1971, 9766/1983, 10547/1985).

Da im vorliegenden Fall keine Durchsuchung durch ein behördliches Organ stattfand, war die Beschwerde diesbezüglich mangels eines anfechtbaren Beschwerdegegenstandes zurückzuweisen (vgl. VfSlg. 8363/1978, ). Weil ferner der Ort der Amtshandlung ein Büro war, scheidet auch ein Eingriff in das Wohnungsrecht gem. Art 8 MRK von vornherein aus.

Der Antrag, die gegen die Durchsuchung des Büroraumes des Bf. gerichtete Beschwerde dem VwGH abzutreten, war abzuweisen, weil eine solche Abtretung nur im Fall der Ablehnung oder der - hier nicht gegebenen - abweisenden Sachentscheidung des VfGH in Betracht kommt (vgl. und vom , B55/81).

III. 1. Durch die Nichterlassung eines Bescheides über die Beschlagnahme der beiden Fernmeldegeräte wird entgegen der Meinung des Bf. das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter nicht berührt, geschweige denn verletzt. Wohl aber greift die vorläufige Beschlagnahme der beiden Fernmeldegeräte in das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht des Bf. auf Unversehrtheit seines Eigentums gem. Art 5 StGG ein. Sie bildet eine Maßnahme unmittelbarer behördlicher Befehls- und Zwangsgewalt, die gem. Art 144 Abs 1 B-VG vom Bf. beim VfGH angefochten werden kann (VfSlg. 8815/1980, 9403/1982). Die Beschwerde ist daher insoweit zulässig.

2. Der durch die vorläufige Beschlagnahme erfolgte Eingriff in das Eigentumsrecht des Bf. wäre nur dann verfassungswidrig, wenn die Beschlagnahme ohne jede Rechtsgrundlage ergangen wäre oder auf einer verfassungswidrigen Rechtsgrundlage beruhte, oder wenn die Behörde (das behördliche Hilfsorgan) das Gesetz in denkunmöglicher Weise angewendet hätte, ein Fall, der nur dann vorliegt, wenn die Behörde (das behördliche Hilfsorgan) einen so schweren Fehler begangen hätte, daß dieser mit Gesetzlosigkeit auf eine Stufe zu stellen wäre.

Die bel. Beh. rechtfertigt ihr Vorgehen damit, daß der Bf. unter dem dringenden Verdacht, Verwaltungsübertretungen nach § 26 Abs 1 Z 1 und 2 des Fernmeldegesetzes (unbefugter Betrieb und unbefugter Besitz von Funkanlagen) stünde, und dafür gem. § 28 Abs 2 Fernmeldegesetz auch der Verfall der "Gegenstände, mit denen die strafbare Handlung begangen wurde," vorgesehen sei. Wegen Gefahr im Verzuge (Gefahr der Fortsetzung der strafbaren Handlungen bzw. des Verbringens der Funkanlagen) seien die Fernmeldeanlagen gem. § 39 Abs 2 VStG vorläufig beschlagnahmt worden.

Wie bereits der Wortlaut des § 39 Abs 2 VStG zeigt, bildet die Beschlagnahme durch Organe der öffentlichen Aufsicht lediglich eine "vorläufige" Maßnahme. Da die Beschlagnahme selbst gem. § 39 Abs 1 VStG von der zuständigen Behörde durch Bescheid anzuordnen ist, hat die Behörde über die von ihrem Hilfsorgan "aus eigener Macht" (§39 Abs 2 VStG) vorläufig in Beschlag genommenen Gegenstände unverzüglich bescheidmäßig abzusprechen (Mannlicher, Das Verwaltungsverfahren, 1964, 422; Walter-Mayer, Grundriß des österreichischen Verwaltungsverfahrensrechts, 1987,

307) oder die beschlagnahmten Gegenstände zurückzustellen. Solange die Behörde die Beschlagnahme weder durch Bescheid bestätigt noch die beschlagnahmten Gegenstände tatsächlich zurückgegeben hat, liegt eine die gesamte Dauer der Beschlagnahme umfassende Ausübung unmittelbarer behördlicher Befehls- und Zwangsgewalt vor, die als solche vom VfGH darauf zu untersuchen ist, ob sie mangels einer gesetzlichen Grundlage oder wegen einer der Gesetzlosigkeit gleichzuhaltenden Denkunmöglichkeit der Gesetzesanwendung in das Eigentumsrecht eingreift (vgl. auch VfSlg. 9099/1981; und vom , B906/84).

Die bel. Beh. hat nach ihrer eigenen Darstellung in der Gegenschrift weder über die Beschlagnahme durch Bescheid abgesprochen, noch hat sie die beschlagnahmten Geräte tatsächlich zurückgegeben. Der Bf. hat allerdings bis zur mündlichen Verhandlung am die Behörde auch nicht zur Rückgabe der beiden Geräte aufgefordert. Spätestens nach der am durchgeführten mündlichen Verhandlung, bei der auch ein Vertreter des Bf. anwesend war, wäre die bel. Beh. in der Lage und daher auch verpflichtet gewesen, über den fortdauernden Grundrechtseingriff der Beschlagnahme durch Bescheid abzusprechen. Denn zu diesem Zeitpunkt mußte ihr ein Urteil darüber möglich sein, ob die Voraussetzungen für eine Beschlagnahme gem. § 39 Abs 1 VStG vorlagen. Durch ihr Verhalten hat die bel. Beh. einen Fehler begangen, welcher der Gesetzlosigkeit gleichzusetzen ist. Die andauernde behördliche Beschlagnahme der beiden Fernmeldegeräte verletzt daher nach dem das verfassungsgesetzlich geschützte Recht des Bf. auf sein Eigentum.

Der vorliegende Fall unterscheidet sich damit deutlich von der vom VfGH als unzulässig qualifizierten Anfechtung behördlicher Untätigkeit:

In VfSlg. 9503/1982, wo die Einbehaltung eines abgenommenen Führerscheines angegriffen wurde und in VfSlg. 9348/1982, wo die Einbehaltung von Unterlagen aufgrund einer Beschlagnahmeanordnung - also eines Bescheides - gerügt wurde, mußte der VfGH die Beschwerden, die lediglich auf die rechtswidrige Säumnis der Behörde abstellten, mangels eines anfechtbaren Beschwerdegegenstandes zurückweisen. Anders als in diesen Fällen dauert bei einer vorläufigen Beschlagnahme der von der Behörde zwangsweise und unmittelbar verfügte Eigentumseingriff bis zum Erlaß eines Bescheides darüber oder bis zur Rückstellung der beschlagnahmten Gegenstände an. Der durch die vorläufige Beschlagnahme bewirkte unmittelbare behördliche Zugriff wird rechtswidrig und verletzt das Eigentumsrecht, wenn nicht unverzüglich, das heißt so rasch wie möglich, von der zuständigen Behörde ein Bescheid gem. § 39 Abs 1 VStG erlassen oder der beschlagnahmte Gegenstand zurückgestellt wird.

Antragsgemäß war nicht nur die Verletzung eines verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes des Bf. festzustellen, sondern auch die fortdauernde Maßnahme aufzuheben.

§87 Abs 1 VerfGG sieht nämlich vor, daß "gegebenenfalls" der angefochtene Verwaltungsakt aufzuheben ist. Eine derartige Aufhebung kommt nach Meinung des VfGH nicht nur bei Bescheiden, sondern auch bei Maßnahmen unmittelbarer behördlicher Befehlsund Zwangsgewalt in Betracht (vgl. in diesem Sinne auch § 42 Abs 4 VwGG sowie schon VfSlg. 5635/1967), wenn die Maßnahme zum Zeitpunkt der Entscheidung des VfGH noch andauert.

IV. Daß das Erhebungsorgan der bel. Beh. bei seinem Vorgehen am vom Verdacht einer Verwaltungsübertretung nach § 26 Abs 1 Fernmeldegesetz ausgegangen ist und wegen Gefahr im Verzug im Sinne des § 39 Abs 2 VStG die beiden Funkgeräte vorläufig in Beschlag nahm, erscheint dem VfGH aufgrund des vorliegenden Sachverhaltes eine durchaus denkmögliche Anwendung des Gesetzes. Durch die vorläufige Beschlagnahme zwischen 5. August und wurde daher das verfassungsgesetzliche Eigentumsrecht nicht verletzt. Die Beschwerde ist insoweit, da auch sonstige verfassungsgesetzlich gewährleistete Rechte nicht verletzt wurden, abzuweisen und antragsgemäß dem VwGH zur Entscheidung darüber abzutreten, ob der Bf. durch die Beschlagnahme der genannten Gegenstände zwischen 5. August und in einem sonstigen Recht verletzt wurde.

V. Da jede der beiden Parteien teils obsiegt, teils

unterliegt, waren deren Kosten gem. § 88 VerfGG in Verbindung mit § 43 ZPO gegeneinander aufzuheben.

VI. Gem. § 19 Abs 4 erster Satz VerfGG konnte der VfGH

von einer mündlichen Verhandlung absehen und in nichtöffentlicher Sitzung entscheiden.