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OGH vom 20.01.1999, 9ObA351/98b

OGH vom 20.01.1999, 9ObA351/98b

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Maier als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Steinbauer und Dr. Spenling sowie die fachkundigen Laienrichter Oskar Harter und Dr. Andre Alvarado-Dupuy als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Waltraud C*****, Arbeiterin, *****, vertreten durch Dr. Peter Cardona, Rechtsanwalt in Salzburg, wider die beklagte Partei Marie-Luise R*****, Gastwirtin, *****, vertreten durch Dr. Helmut Edenhauser, Rechtsanwalt in Salzburg, wegen Wiederaufnahme des Verfahrens 20 Cga 190/95h des Landesgerichtes Salzburg als Arbeits- und Sozialgericht (Streitwert S 92.149,99 brutto sA), infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 12 Ra 164/98v-18, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Salzburg als Arbeits- und Sozialgericht vom , GZ 20 Cga 187/97w-11, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Aus Anlaß der Revision werden die Urteile der Vorinstanzen und das ihnen vorangegangene Verfahren als nichtig aufgehoben und die Wiederaufnahmsklage zurückgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit S 8.528,94 (darin S 1.421,44 Umsatzsteuer) und S 8.873,76 (darin S 1.478,96 Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des aufgehobenen Verfahrens und die mit S 5070,72 (darin S 845,12 Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Verfahrens dritter Instanz zu ersetzen.

Text

Begründung:

Die Klägerin war bei der Beklagten als Kellnerin beschäftigt. Das Dienstverhältnis endete am durch Entlassung. An diesem Tag hatte ein von der Beklagten eingeschaltetes Detektivunternehmen einen Bericht vorgelegt, in dem Malversationen der Klägerin zu Lasten der Beklagten aufschienen.

Mit der Behauptung, die Entlassung sei ungerechtfertigt erfolgt, begehrte die Klägerin im Verfahren 20 Cga 190/95h des Erstgerichtes von der Beklagten Entgelt in der Höhe von S 129.862,13 brutto sA. Die Beklagte bestritt das Klagebegehren und machte geltend, daß die Entlassung berechtigt sei, weil die Klägerin im Dienst untreu gewesen sei. Der Klägerin wurden im genannten Verfahren - nachdem das Erstgericht der Klage gänzlich stattgegeben hatte - vom Berufungsgericht letztlich S 37.717,14 brutto sA (entlassungsunabhängige Ansprüche) zugesprochen; das darüber hinausgehende Mehrbegehren wurde mit der Begründung abgewiesen, daß die am Tage der Erstattung des Endberichtes der Detektive ausgesprochene Entlassung zu Recht erfolgt sei, weil die Beklagte jedenfalls am die Einnahmen aus dem Verkauf von 7 Portionen Kaffee veruntreut habe. Eine gegen das Berufungsurteil erhobene Revision blieb erfolglos.

Die Klägerin begehrt mit ihrer nunmehrigen Klage die Wiederaufnahme des Verfahrens 20 Cga 190/95h. Sie habe nach rechtskräftiger Erledigung des Vorprozesses aus der in einem weiteren Verfahren zwischen den Streitteilen abgelegten Parteiaussage ihrer Gegnerin erfahren, daß diese bereits geraume Zeit vor dem Ausspruch der Entlassung von den entlassungsrelevanten Vorfällen erfahren habe. So habe die Beklagte angegeben, von den Detektiven bis zwei Zwischenberichte erhalten zu haben, die sie in ihrer Annahme, die Klägerin arbeite nicht so ehrlich, bestärkt hätten. Schon beim ersten Zwischenbericht seien genügend Verdachtsgründe und genügend Beweise vorgelegen. Ihr sei aber mitgeteilt worden, daß der Detektiv zuerst feststellen solle, daß die Klägerin unehrlich arbeite; dann sollte die Beklagte ins Lokal kommen und die Entlassung aussprechen. Dies sei nach dem ersten Zwischenbericht noch nicht möglich gewesen, die Beklagte sei nicht erreichbar gewesen. In der Folge habe die Beklagte während der Überwachungszeit selbst das Dienstverhältnis aufgekündigt. Nach dem habe sich kein weiterer gravierender Vorfall ereignet; das Detektivbüro sei aber weiter mit der Überwachung beauftragt gewesen. Am , dem Tag vor Ablauf der Kündigungsfrist, habe sie (die Beklagte) aufgrund der bis vorliegenden Ergebnisse die Entlassung ausgesprochen. Aus diesen Angaben der Beklagten sei zu schließen, daß sie zumindest 14 Tage vor Ausspruch der Entlassung Kenntnis vom Entlassungsgrund gehabt habe. Hätte die Klägerin dies gewußt, hätte sie im Verfahren 20 Cga 190/95h die Verfristung des Entlassungsrechtes der Beklagten behauptet, was zur gänzlichen Stattgebung der Klage geführt hätte.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es traf detaillierte Feststellungen über Verlauf und Inhalt des Vorprozesses und zog daraus den Schluß, daß schon damals erkennbar gewesen sei, "daß der Beklagten Entlassungssachverhalte lange vor dem eigentlichen Entlassungstag bekannt" gewesen seien. Dem qualifizierten Vertreter der Klägerin wäre es daher schon im Vorprozeß möglich gewesen, die Verfristung des Entlassungsrechtes einzuwenden. Dem Vertreter im Vorprozeß bereits bekannte Tatsachen seien keine neuen Tatsachen iS des § 530 Abs 1 Z 7 ZPO. Das Wiederaufnahmeverfahren sei nicht geeignet, die offenkundig schuldhaft erfolgte Unterlassung einer prozessualen Einrede zu sanieren.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und billigte die Rechtsauffassung des Erstgerichtes.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der Klägerin wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, es im Sinne der Stattgebung des Klagebegehrens abzuändern.

Die Beklagte beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist iS § 46 Abs 3 Z 1 ASGG zulässig, weil auch im Wiederaufnahmeverfahren der Umstand maßgeblich bleibt, daß über die Art der Beendigung des Arbeitsverhältnisses zu entscheiden ist.

Aus Anlaß der Revision ist aufzugreifen, daß in der Klage kein gesetzlicher Wiederaufnahmegrund geltend gemacht wird, weil der behauptete Sachverhalt nicht geeignet ist, eine für die Klägerin günstigere Entscheidung des Vorprozesses zu bewirken.

Richtig ist, daß das Entlassungsrecht im Fall seiner nicht rechtzeitigen Ausübung untergeht. Dem Arbeitgeber muß aber bei vorerst undurchsichtigem und zweifelhaftem Sachverhalt zugebilligt werden, sich vor dem Ausspruch der Entlassung Klarheit über deren Berechtigung zu verschaffen. Demgemäß ist in Lehre und Rechtsprechung anerkannt, daß der Arbeitgeber in solchen Fällen mit der Entlassung bis zur einwandfreien Klarstellung aller wesentlichen Umstände durch die zuständige Behörde zuwarten kann. Es bleibt allein ihm überlassen, ob und wann er aus dem Verlauf etwa einer Strafuntersuchung gegen seinen Arbeitnehmer auch schon vor deren Beendigung die Überzeugung gewinnt, daß bereits die bisherigen Verfahrensergebnisse eine Entlassung rechtfertigen (Arb 9606; 9 ObA 180/98f; Kuderna, Entlassungsrecht**2 15; Schwarz/Löschnigg6 595). Aber auch wenn der Arbeitgeber selbst Ermittlungen zur Klärung von Verdachtsmomenten führt, ist ihm ein Abwarten der Ergebnisse seiner Ermittlungen zuzubilligen (Kuderna, aaO, 15).

Im hier zu beurteilenden Fall ist entscheidend, daß die Beklagte - wie im Vorprozeß festgestellt und in der Wiederaufnahmsklage nicht in Frage gestellt - den Endbericht der von ihr eingeschalteten Detektive erst am erhielt, worauf sie sofort die Entlassung aussprach. Daß sie - wie nunmehr geltend gemacht wird - schon vorher aufgrund von Vorinformationen und einem Zwischenbericht Kenntnis über jene Umstände verfügte, die letztlich für die Entlassung ausschlaggebend waren, verpflichtete sie nicht, die Entlassung schon vor der Erstattung des Endberichtes auszusprechen, weil ihr im Sinne der oben dargestellten Rechtslage zugebilligt werden muß, die Beendigung der von ihr initiierten Ermittlungen abzuwarten. Dies muß umso mehr gelten, als - wie nicht nur dem im Akt erliegenden Zwischenbericht sondern auch der in der Wiederaufnahmeklage zitierten Aussage der Beklagten zu entnehmen ist - die ermittelnden Detektive weitere Beobachtungen zur Absicherung der Entlassung anrieten und weil - wie die unterschiedlichen Entscheidungen im schließlich durchgeführten Verfahren zeigen - Art und Zahl der bis dahin ermittelten Vorfälle eine solche Absicherung durch weitere Ermittlungen durchaus angezeigt erscheinen lassen mußte. Durch das Abwarten des Abschlusses der Ermittlungen bzw. des darüber erstellten Endberichtes hat die Beklagte daher - wenn damit auch keine weiteren Erkenntnisse verbunden waren - iS der dargestellten Rechtslage ihr Entlassungsrecht nicht verloren.

Der in der Wiederaufnahme vorgebrachte Sachverhalt ist daher von vornherein nicht geeignet, eine für die Klägerin günstigere Entscheidung des Vorprozesses zu bewirken. Damit wird aber in der Klage der angezogene Wiederaufnahmegrund des § 530 Abs 1 Z 7 ZPO nicht schlüssig geltend gemacht, sodaß über die Wiederaufnahmsklage mangels Vorliegens der hiefür erforderlichen Zulässigkeitsvoraussetzungen gar nicht zu verhandeln und urteilsmäßig zu entscheiden gewesen wäre. Vielmehr hätte die Klage gemäß § 538 Abs 1 ZPO sofort zurückgewiesen werden müssen (Fasching, Kommentar IV 541; RZ 1990/71).

So wie das Fehlen der Prozeßvoraussetzungen ist auch das Fehlen der Zulässigkeitsvoraussetzungen für die Wiederaufnahmsklage in jeder Lage des Verfahrens (nicht nur im Vorprüfungsverfahren gemäß § 538 ZPO) von Amts wegen wahrzunehmen. Die gesetzliche Grundlage hiefür schafft § 543 ZPO, wenngleich er seinem Wortlaut nach nur das Verfahren in erster Instanz im Auge hat. Er gilt entsprechend auch noch im Berufungs- und im Revisionsverfahren (Fasching, aaO, 558; JBl 1954, 98; vgl auch RIS-Justiz RS0044681). Daraus wurde in Lehre und Rechtsprechung abgeleitet, daß dann, wenn die Vorinstanzen - wie hier - eine Wiederaufnahmsklage trotz Fehlens eines gesetzlichen Wiederaufnahmetatbestandes zugelassen und mit Urteil entschieden haben, der Oberste Gerichtshof in Stattgebung des Rechtsmittels oder auch von Amts wegen die Urteile der Vorinstanzen aufzuheben und die Klage zurückzuweisen hat (Fasching, aaO, 558; JBl 1954, 98; vgl auch RIS-Justiz RS0044681).

Entgegen der (insofern allerdings nicht näher begründeten) Entscheidung JBl 1989, 186 ist der erkennende Senat, der sich diesen Ausführungen grundsätzlich anschließt, der Auffassung, daß es sich dabei um die Wahrnehmung der Nichtigkeit des ohne die erforderlichen Zulässigkeitsvoraussetzungen durchgeführten Verfahrens handelt, sodaß nicht nur die Urteile der Vorinstanzen sondern auch das ihnen vorangegangene Verfahren als nichtig aufzuheben sind. Dies ergibt sich schon daraus, daß das Gesetz das Fehlen jedenfalls der allgemeinen Prozeßvoraussetzungen als Nichtigkeitsgrund behandelt (Fasching, Zivilprozeßrecht**2 Rz 733; Fasching, Kommentar IV, 103). Die hiefür maßgebenden Wertungen treffen auch auf das Fehlen der hier zu beurteilenden besonderen Zulässigkeitsvoraussetzung für das Wiederaufnahmeverfahren zu. Ohne ihr Vorliegen kann kein wirksamer (Wiederaufnahme)Prozeß geführt werden; ihr Fehlen muß daher folgerichtig zur Nichtigkeit des Verfahrens und der Entscheidung führen (Fasching, Kommentar IV 103). Schließlich stellt die Zulässigkeit der Wiederaufnahmeklage (auch des Aufhebungsverfahrens) eine vom Gesetzgeber an eng umgrenzte Voraussetzungen geknüpfte Ausnahme von der aus der Rechtskraft der Vorentscheidung (im Falle der Wiederaufnahme vor Rechtskraft aus der Streitanhängigkeit des Vorprozesses) abgeleiteten Einmaligkeitswirkung dar. Liegen die hiefür erforderlichen Voraussetzungen nicht vor, ist ein dessenungeachtet durchgeführtes Verfahren (und zwar auch schon das Aufhebungsverfahren) wegen des darin liegenden Verstoßes gegen die Einmaligkeitswirkung des Vorprozesses nichtig. § 543 ZPO steht mit diesem Ergebnis im Einklang, zumal diese Bestimmung für den Fall, daß das Fehlen des gesetzlich zulässigen Wiederaufnahmsgrundes erst bei der mündlichen Verhandlung erkannt wird, die amtswegige Wahrnehmung dieses Umstandes anordnet und daran nicht die Abweisung, sondern die Zurückweisung der Klage knüpft.

Demgemäß waren aus Anlaß der Revision die Entscheidungen der Vorinstanzen und das ihnen vorangehende Verfahren als nichtig aufzuheben und die Wiederaufnahmsklage zurückzuweisen.

Die Entscheidung über die Verfahrenskosten aller Instanzen gründet sich auf § 51 Abs 1 ZPO. Die Einleitung und Fortsetzung des Verfahrens trotz des vorhandenen Nichtigkeitsgrundes ist von der Klägerin zu vertreten; die Beklagte hat schon in ihrem Schriftsatz vom erkennbar den Standpunkt vertreten, daß auch das Zutreffen der in der Klage vorgebrachten Tatsachenbehauptungen zu keiner anderen Entscheidung des Vorprozesses hätte führen können.