OGH vom 23.03.2020, 14Os7/20s
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Danek als Vorsitzenden, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Mann und Dr. Setz-Hummel in der Strafsache gegen D***** S***** wegen des Verbrechens des Mordes nach § 15, 75 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung der Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Geschworenengericht vom , GZ 602 Hv 6/19d-49, nach Anhörung der Generalprokuratur gemäß § 62 Abs 1 zweiter Satz OGH-Geo 2019 den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.
Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.
Der Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen, auf dem Wahrspruch der Geschworenen beruhenden Urteil wurde D***** S***** des Verbrechens des Mordes nach § 15, 75 StGB schuldig erkannt.
Danach hat sie am in W***** N***** L***** vorsätzlich zu töten versucht, indem sie mit einem Messer mit einer Klingenlänge von 14,5 cm und einem weiteren Messer mit einer 11 cm langen, geriffelten Doppelklinge insgesamt zehn Mal auf diese einstach, wodurch die Genannte mehrere Stich- und Schnittverletzungen, eine Eröffnung der Brusthöhle und eine Beschädigung der Unterlappen der linken Lunge, verbunden mit einer Einblutung in die Brusthöhle und einer Luftsichel in der linken Brusthöhle erlitt, wobei die Tatvollendung scheiterte, weil es dem Opfer gelang, in das Stiegenhaus zu flüchten und Nachbarn durch laute Hilfeschreie auf sich aufmerksam zu machen.
Die Geschworenen haben die anklagekonforme Hauptfrage nach dem Verbrechen des Mordes nach § 15, 75 StGB bejaht und die in Richtung des Verbrechens der absichtlichen schweren Körperverletzung nach § 87 Abs 1 StGB und jenes „der schweren Körperverletzung nach § 84 Abs 4, Abs 5 Z 1 StGB“ (siehe aber RIS-Justiz RS0132358 [insb T 1]) gestellten Eventualfragen unbeantwortet gelassen.
Rechtliche Beurteilung
Dagegen richtet sich die auf § 345 Abs 1 Z 6, 8 und 10a StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde der Angeklagten, der keine Berechtigung zukommt.
Die Fragenrüge (Z 6) reklamiert die Stellung einer Zusatzfrage nach strafbefreiendem Rücktritt vom Versuch (§ 16 Abs 1 StGB), weil „aus Sicht der Angeklagten noch weitere Handlungen möglich und erforderlich waren, um den Tod der Zeugin L***** herbeizuführen und sie freiwillig von diesen Handlungen Abstand genommen“ habe.
Die gesetzeskonforme Ausführung einer Fragenrüge verlangt die deutliche und bestimmte Bezeichnung der vermissten Fragen und jenes Sachverhalts, auf den die Rechtsbegriffe der § 312 ff StPO abstellen, somit fallbezogen eines die begehrte Zusatzfrage indizierenden Tatsachensubstrats (RIS-Justiz RS0119417; Ratz, WK-StPO § 345 Rz 23). Durch selektives Betonen einzelner Aussageteile unter Außerachtlassen der für die vermisste Fragestellung ins Treffen geführten Verfahrensergebnisse in ihrer Gesamtheit wird die Indizwirkung für eine angestrebte Zusatzfrage nicht dargetan (RIS-Justiz RS0120766).
An diesen Kriterien orientiert sich die Rüge nicht. Soweit sie bloß Teile der Verantwortung der Angeklagten hervorhebt, nach denen sie, nachdem das Opfer die Wohnung verlassen hatte, ins Wohnzimmer gegangen sei, das Messer fallen gelassen oder irgendwohin gelegt habe, es „im Schock“ nicht geschafft habe, die Rettung zu verständigen, Hilfeschreie des Opfers im Stiegenhaus gehört habe, jedoch nicht hinunter gegangen sei, weil sie auch Nachbarn und „irgendwas mit Rettung“ gehört habe, sie dann die Wohnung verlassen und sich der Polizei gestellt habe (ON 48 S 15 f), und weiters auf die Aussage der Zeugin L***** hinweist, wonach sie „auf allen Vieren“ aus der Wohnung gekrochen sei, laut „Hilfe, Hilfe, ich wurde attackiert, ich verblute!“ geschrien und sich die Stiegenhaustreppe hinunter gestürzt habe, um schneller von der Angeklagten wegzukommen, und ihr dann mehrere Nachbarn zu Hilfe gekommen seien (ON 48 S 31), vernachlässigt sie die weiteren Angaben der genannten Zeugin, wonach sie sich gewehrt und es schließlich geschafft habe, sich von der Angeklagten loszureißen, sie gespürt habe, dass die Angeklagte sie „ständig irgendwie sticht“ und es ihr schließlich gelungen sei, aus der Wohnung zu flüchten (ON 48 S 31, 35).
Insgesamt zeigt die Beschwerde damit keine nach gesicherter allgemeiner Lebenserfahrung ernsthaften Indizien dafür auf, dass die Angeklagte beim Entschluss, dem verletzt aus der Wohnung in das Stiegenhaus flüchtenden und um Hilfe schreienden Opfer nicht zu folgen, von der Annahme geleitet war, dass die Realisierung des ursprünglichen – von der Angeklagten im Übrigen geleugneten (ON 48 S 4, 14 f, 23 f, 26) – Tötungsvorhabens trotz der wiederholten, mit einer lebensgefährlichen Verletzung verbundenen, kräftigen und mehrfachen Stichführung mit zwei Messern gegen den Rumpf des Opfers (vgl US 5 f iVm ON 28 S 9, ON 48 S 39) noch weiterer Aggressionsakte bedurft hätte, der Versuch sohin noch nicht beendet gewesen wäre (15 Os 44/18m, 15 Os 39/17z; zum fehlgeschlagenen oder misslungenen Versuch vgl Hager/Massauer in WK2 StGB § 15, 16 Rz 157 ff).
Ist aber der Versuch beendet, so ist Rücktritt nur durch freiwillige Erfolgsabwendung möglich. Um in einem solchen Fall straflos zu werden, muss der Täter die Deliktsvollendung, für die er nach seiner Vorstellung schon alles unternommen hat, durch eine gezielte Gegenaktion (contrarius actus) abwenden, wobei ihm dies auch tatsächlich gelingen muss (Hager/Massauer in WK2 StGB § 15, 16 Rz 168; RISJustiz RS0090256). Das Vorliegen von Indizien für eine gelungene freiwillige Erfolgsabwendung wird jedoch nicht behauptet.
Die von der Beschwerdeführerin zur Fundierung ihrer Ausführungen zitierte Entscheidung 14 Os 48/99, in der der Täter von einem bewusstlosen Opfer abließ, ist mit dem vorliegenden Sachverhalt (Flucht eines durch Messerstiche lebensgefährlich verletzten Opfers) nicht vergleichbar.
Die Instruktionsrüge (Z 8) kritisiert die Rechtsbelehrung als „irreführend unvollständig“, weil aufgrund der Bejahung der Hauptfrage „nicht davon ausgegangen werden“ könne, dass sich die Geschworenen auch mit der Rechtsbelehrung zur – im Ergebnis nicht gestellten (vgl § 317 Abs 3 StPO) – Eventualfrage in Richtung des Verbrechens der absichtlichen schweren Körperverletzung nach § 87 Abs 1 StGB befasst haben, obwohl die Begriffe der „Absichtlichkeit“ und der „schweren Körperverletzung“ auch „maßgeblich“ für die Beantwortung der Hauptfrage gewesen wären.
Gegenstand der Instruktionsrüge ist der auf die Darlegung der gesetzlichen Merkmale der strafbaren Handlungen, auf welche die Fragen der Geschworenen gerichtet sind, die Auslegung der in diesen vorkommenden Ausdrücke des Gesetzes, das Verhältnis der Fragen zueinander und die Folgen der Bejahung oder Verneinung jeder Frage bezogene Inhalt der von § 321, 323 Abs 1 und § 327 Abs 1 StPO genannten Belehrungen. Dabei ist zu beachten, dass sämtliche nach diesen Gesetzesstellen erteilten Rechtsbelehrungen eine Einheit bilden, die nur als Ganzes betrachtet richtig oder unrichtig sein kann (RIS-Justiz RS0125434, RS0100695; Ratz, WK-StPO § 345 Rz 56, 58).
Die Geschworenen haben bei der Prüfung der ihnen vor Eingehen in die Beratung und Abstimmung insgesamt vorliegenden Fragen die gemäß § 321 StPO dazu erteilte Belehrung als Einheit und nicht nach Teilstücken (etwa nur zu einzelnen Fragen) zu beurteilen. Somit ist die Rechtsbelehrung stets nach ihrem gesamten Inhalt zu prüfen (Philipp, WK-StPO § 321 Rz 18).
Die Instruktionsrüge, die demgegenüber eine irreführende Unvollständigkeit aus einer (bloß spekulativ) behaupteten selektiven Beurteilung der Rechtsbelehrung durch die Geschworenen ableitet, gelangt solcherart nicht prozessförmig zur Darstellung (RIS-Justiz RS0119071; Ratz, WK-StPO § 345 Rz 65).
Mit dem Hinweis auf einzelne Passagen der Aussage der Zeugin L***** zu ihrer Flucht aus der Wohnung, mit einer eigenständigen Bewertung des Umstands, dass „bei zehn Stichen lediglich ein Stich geeignet war, Lebensgefahr nach sich zu ziehen“, mit der Bezugnahme auf das Sachverständigengutachten, demzufolge sich das Opfer nur zwei Wochen im Krankenstand befunden und weder eine mehr als 24 Tage dauernde Gesundheitsschädigung oder Berufsunfähigkeit noch schwere Dauerfolgen oder eine auffallende Verunstaltung erlitten habe, sowie mit der Behauptung, die Schilderungen des Opfers seien unglaubwürdig, weckt die Tatsachenrüge (Z 10a) keine erheblichen Bedenken des Obersten Gerichtshofs gegen die Richtigkeit der im Wahrspruch der Geschworenen konstatierten entscheidenden Tatsachen (vgl RIS-Justiz RS0119583, RS0118780).
Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – bereits bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1, § 344 StPO). Daraus folgt die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufung (§§ 285i, 344 StPO).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.
Zusatzinformationen
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ECLI: | ECLI:AT:OGH0002:2020:0140OS00007.20S.0323.000 |
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