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VfGH vom 26.06.2002, B931/02

VfGH vom 26.06.2002, B931/02

Sammlungsnummer

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Leitsatz

Verletzung im Gleichheitsrecht durch die Aufforderung sich erkennungsdienstlich behandeln zu lassen infolge Fehlens einer nachvollziehbaren Begründung in einem entscheidungswesentlichen Punkt; keine Auseinandersetzung mit den im Sicherheitspolizeigesetz festgelegten Voraussetzungen

Spruch

Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt worden.

Der Bescheid wird aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2142,-- bestimmten Prozeßkosten binnen 14 Tagen bei Exekution zu bezahlen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Mit dem bekämpften Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Innsbruck vom wurde der Beschwerdeführer gemäß § 65 Abs 4 iVm.

§77 Abs 2 Sicherheitspolizeigesetz (SPG) verpflichtet, sich am Gendarmerieposten Kematen einer erkennungsdienstlichen Behandlung zu unterziehen. Der Beschwerdeführer sei wegen Verdachts der Hehlerei bei der zuständigen Staatsanwaltschaft angezeigt worden; einer mit Schreiben der Bezirkshauptmannschaft Innsbruck erfolgten Aufforderung gemäß § 77 Abs 1 SPG, sich einer erkennungsdienstlichen Behandlung zu unterziehen, habe er nicht Folge geleistet.

Zur Begründung ihres Bescheides führt die Behörde aus:

"Gemäß § 77 Abs 1 SPG 1991 hat die Sicherheitsbehörde einen Menschen, den sie einer erkennungsdienstlichen Behandlung zu unterziehen hat, unter Bekanntgabe des maßgeblichen Grundes formlos hiezu aufzufordern.

Kommt der Betroffene dieser Aufforderung nicht nach, so ist ihm die Verpflichtung gem. § 65 Abs 4 SPG 1991 bescheidmäßig aufzuerlegen.

Obwohl Herr ... [der Beschwerdeführer] von der Bezirkshauptmannschaft Innsbruck mit Schreiben vom ..., Zahl ..., zur erkennungsdienstlichen Behandlung aufgefordert worden ist, wurde diese bis zum heutigen Tage verweigert.

Es muss daher die Entscheidung auf § 65 Sicherheitspolizeigesetz 1991 gestützt werden."

2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die auf Art 144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechts auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des bekämpften Bescheides beantragt wird.

3. Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie dem Beschwerdevorbringen entgegentritt und die Abweisung der Beschwerde beantragt.

II. Die zur Beurteilung des vorliegenden Falles maßgebenden Rechtsvorschriften des Sicherheitspolizeigesetzes - SPG, BGBl. 566/1991 idF BGBl. I 85/2000, lauten:

"Erkennungsdienstliche Behandlung

§65. (1) Die Sicherheitsbehörden sind ermächtigt, einen Menschen, der in Verdacht steht, eine mit Strafe bedrohte Handlung begangen zu haben, erkennungsdienstlich zu behandeln, wenn der Betroffene im Rahmen krimineller Verbindungen tätig wurde oder dies sonst zur Vorbeugung gefährlicher Angriffe des Betroffenen erforderlich scheint.

(2) [...]

(4) Wer erkennungsdienstlich zu behandeln ist, hat an den dafür erforderlichen Handlungen mitzuwirken.

(5) [...]

Verfahren

§77. (1) Die Behörde hat einen Menschen, den sie einer erkennungsdienstlichen Behandlung zu unterziehen hat, unter Bekanntgabe des maßgeblichen Grundes formlos hiezu aufzufordern.

(2) Kommt der Betroffene der Aufforderung gemäß Abs 1 nicht nach, so ist ihm die Verpflichtung gemäß § 65 Abs 4 bescheidmäßig aufzuerlegen; dagegen ist eine Berufung nicht zulässig. Eines Bescheides bedarf es dann nicht, wenn der Betroffene auch aus dem für die erkennungsdienstliche Behandlung maßgeblichen Grunde angehalten wird.

(3) [...]"

III. Die - zulässige - Beschwerde ist im Ergebnis berechtigt:

1. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (zB VfSlg. 10.413/1985, 11.682/1988) kann eine Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechts auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz nur vorliegen, wenn der angefochtene Bescheid auf einer dem Gleichheitsgebot widersprechenden Rechtsgrundlage beruht, wenn die Behörde der angewendeten Rechtsvorschrift fälschlicherweise einen gleichheitswidrigen Inhalt unterstellt oder wenn sie bei Erlassung des Bescheides Willkür geübt hat.

Ein willkürliches Verhalten der Behörde, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt ua. in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg. 8808/1980 und die dort angeführte Rechtsprechung; VfSlg. 10.338/1985, 11.213/1987). Darüber hinaus begründet das Unterlassen jeglicher Begründung nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes Willkür (VfSlg. 12.477/1990, 15.409/1999, 15.696/1999).

2.1. Gemäß § 65 Abs 1 SPG ist die Zulässigkeit der erkennungsdienstlichen Behandlung eines Menschen an zwei Voraussetzungen geknüpft: Zum einen hat der Betroffene im Verdacht zu stehen, eine mit Strafe bedrohte Handlung begangen zu haben; zum anderen muß er entweder im Rahmen krimineller Verbindungen tätig geworden sein, oder die erkennungsdienstliche Behandlung muß sonst zur Vorbeugung gefährlicher Angriffe des Betroffenen erforderlich scheinen.

2.2. Im vorliegenden Fall hat die Behörde zwar in der Sachverhaltsdarstellung ihres Bescheides angeführt, daß der Beschwerdeführer im Verdacht stand, eine mit Strafe bedrohte Handlung begangen zu haben.

Sie hat es jedoch gänzlich unterlassen, sich sodann mit der weiteren Voraussetzung des § 65 Abs 1 SPG auseinanderzusetzen und zu begründen, weshalb sie eine erkennungsdienstliche Behandlung des Beschwerdeführers für erforderlich erachte. Die Behörde ist daher in einem entscheidungswesentlichen Punkt jede nachvollziehbare Begründung schuldig geblieben (vgl. auch ).

Der Beschwerdeführer wurde dadurch im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt.

Der angefochtene Bescheid war somit aufzuheben.

IV. 1. Die Kostenentscheidung stützt sich auf § 88 VfGG; in den zugesprochenen Kosten sind Umsatzsteuer in Höhe von € 327,-- sowie die gemäß § 17a VfGG entrichtete Eingabegebühr im Betrag von € 180,-- enthalten.

2. Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.