OGH vom 25.11.2015, 8ObS3/15x
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen durch den Vizepräsidenten Prof. Dr. Spenling als Vorsitzenden, die Hofrätin Dr. Tarmann Prentner und den Hofrat Mag. Ziegelbauer als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Johanna Biereder und Mag. Matthias Schachner in der Sozialrechtssache der klagenden Partei C***** W*****, vertreten durch Dr. Thomas Stampfer, Dr. Christoph Orgler, Rechtsanwälte in Graz, gegen die beklagte Partei IEF Service GmbH, Geschäftsstelle Graz, 8020 Graz, Europaplatz 12, vertreten durch die Finanzprokuratur, 1010 Wien, Singerstraße 17 19, wegen 314 EUR sA (Insolvenz Entgelt), über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen vom , GZ 6 Rs 6/15x 9, mit dem das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz als Arbeits- und Sozialgericht vom , GZ 28 Cgs 196/14d 5, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die klagende Partei hat ihre Kosten des Revisionsverfahrens selbst zu tragen.
Text
Entscheidungsgründe:
Die Klägerin war bei der späteren Schuldnerin vom bis als Arbeiterin beschäftigt. Das Beschäftigungsverhältnis unterlag dem Kollektivvertrag für das Hotel und Gastgewerbe.
Am erhob sie Klage gegen ihre Arbeitgeberin auf Zahlung von offenem Lohn, Entgeltfortzahlung und Jahresremuneration ab Beginn des Beschäftigungsverhältnisses; dieses Verfahren endete durch einen Ratenvergleich.
Am wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Arbeitgeberin eröffnet.
Die Beklagte sprach der Klägerin Insolvenz-Entgelt für die ab erworbenen Entgeltansprüche sowie für die gesamte Jahresremuneration zu. Den Anspruch auf Insolvenz-Entgelt für laufenden Lohn ab dem Beginn des Dienstverhältnisses bis lehnte die Beklagte mit dem angefochtenen Bescheid ab.
Gegenstand der Klage ist (nur mehr) die Forderung auf Insolvenz-Entgelt für den Zeitraum vom bis .
Die Beklagte wandte ein, die Klagsforderung beziehe sich auf laufendes Entgelt, das nach § 3a Abs 1 letzter Satz IESG mangels rechtzeitiger gerichtlicher Geltendmachung innerhalb von sechs Monaten nach Entstehung des Anspruchs nicht gesichert sei. Es komme dabei nicht auf die spätere Fälligkeit, sondern auf das täglich fortlaufende Entstehen des Anspruchs an.
Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Der anwendbare Kollektivvertrag für das Hotel- und Gastgewerbe normiere einen Lohnzahlungszeitraum, der am ersten Tag des Monats beginne und am letzten Tag des Monats ende. Erst mit Ablauf dieses Lohnzahlungszeitraums entstehe der Entgeltanspruch. Die Klägerin habe daher den gesamten Junilohn durch ihre Klage vom fristgerecht geltend gemacht.
Das Berufungsgericht änderte diese Entscheidung im klagsabweisenden Sinn ab.
Der Anspruch auf Entgelt für die laufende Arbeitsleistung entstehe dem Grunde nach mit jedem Tag; daran ändere sich auch nichts, wenn der anwendbare Kollektivvertrag wie im Anlassfall eine Abrechnung nach Kalendermonat normiere und der Lohn erst danach zur Zahlung fällig werde. Der klagsgegenständliche Anspruch sei daher nicht gesichert.
Das Berufungsgericht erklärte die ordentliche Revision für zulässig, weil die Frage, ob es bei laufenden Entgeltansprüchen und deren Sicherung nach § 3a Abs 1 zweiter Satz IESG auf den Zeitpunkt des Entstehens oder der Fälligkeit ankommt, in der höchstgerichtlichen Rechtsprechung noch nicht beantwortet sei.
Rechtliche Beurteilung
Die von der Beklagten beantwortete Revision der Klägerin ist zulässig, weil die Rechtslage offenbar zur Vermeidung von künftigen Missverständnissen einer Klarstellung bedarf. Die Revision ist aber nicht berechtigt.
Zunächst wird die vom Berufungsgericht als erheblich bezeichnete Rechtsfrage schon durch den klaren Gesetzeswortlaut beantwortet.
Nach § 3a Abs 1 IESG besteht Anspruch auf Insolvenz-Entgelt für das dem Arbeitnehmer gebührende Entgelt einschließlich der gebührenden Sonderzahlungen, das in den letzten sechs Monaten vor dem Stichtag oder, wenn das Arbeitsverhältnis vorher geendet hat, in den letzten sechs Monaten vor dem arbeitsrechtlichen Ende fällig geworden ist. Diese Frist gilt nicht, soweit Ansprüche auf Entgelt binnen sechs Monaten nach ihrem Entstehen gerichtlich bzw im Schlichtungsverfahren oder vor der Gleichbehandlungskommission geltend gemacht wurden und dieses Verfahren gehörig fortgesetzt wurde.
Entgegen den Revisionsausführungen trifft es aber auch nicht zu, dass zur Berechnung der Frist des § 3a Abs 1 zweiter Satz IESG noch keine höchstgerichtliche Rechtsprechung vorliegt.
Der erkennende Senat hat mehrmals ausgesprochen, dass bei der Anwendung des § 3a Abs 1 erster und zweiter Satz IESG zwischen dem Entstehen eines Leistungsanspruchs und dessen Fälligkeit zu unterscheiden ist (8 ObS 206/02f; zuletzt 8 ObS 10/15a). Der Anspruch auf laufendes Entgelt entsteht mit der Leistungserbringung selbst. Der Arbeitnehmer kreditiert dem Arbeitgeber das laufende Entgelt bis zum jeweiligen Fälligkeitstermin ( Holzer/Reissner/Schwarz , Die Rechte des Arbeitnehmers bei Insolvenz 4 234 f).
Richtig ist, dass der erkennende Senat in seiner Entscheidung 8 ObS 9/12z zu dem Ergebnis gelangt ist, dass ein laufender Entgeltanspruch (kollektivvertragliche Sonderzahlung), der außerhalb der sechsmonatigen Frist erworben wurde, dann zur Gänze gesichert ist, wenn seine Geltendmachung innerhalb von 6 Monaten ab seinem Entstehen aus rechtlichen Gründen überhaupt nicht möglich gewesen wäre und nach Eintritt der Fälligkeit zeitgerecht Klage erhoben wurde. In diesem Fall werde der Regelungszweck des § 3a Abs 1 IESG, Ansprüche des Arbeitnehmers vor der Insolvenz zu begrenzen, wenn er keinerlei zeitgerechte Maßnahmen zu deren Rechtsdurchsetzung unternommen hat (8 ObS 7/10b), ausreichend durch die Geltendmachung bei der ersten für den Arbeitnehmer möglichen Gelegenheit gewahrt.
Diese Überlegungen treffen auf den vorliegenden Fall jedoch nicht zu. Es ist hier kein rechtliches oder tatsächliches Hindernis behauptet worden, das die Klägerin davon abgehalten hätte, ihren schon am zur Zahlung fälligen Junilohn bis spätestens gerichtlich geltend zu machen.
Es kommt hier auch keine gesetzlich angeordnete Fortlaufshemmung zum Tragen, deren Wirkung sich auf die Frist des § 3a Abs 1 zweiter Satz IESG erstrecken würde (8 ObS 7/10b [betreffend § 6 Abs 1 Z 1 APSG]).
Soweit die Revisionswerberin meint, die Rechtsansicht des Berufungsgerichts habe die geradezu unvertretbare Folge, dass die sechsmonatige Klagefrist nicht für alle laufenden Entgeltansprüche voll zur Verfügung stünde, ist ihr entgegenzuhalten, dass sich diese Konsequenz zwangsläufig aus den gesetzlichen Stichtagsvoraussetzungen ergibt und offenkundig dem Willen des Gesetzgebers entspricht, der sich andernfalls nicht innerhalb ein und desselben Absatzes des § 3a IESG für unterschiedliche fristauslösende Kriterien entschieden hätte.
Besondere Gründe für einen Kostenzuspruch nach Billigkeit gemäß § 77 Abs 1 Z 2 ASGG sind nicht ersichtlich. Weder waren besondere rechtliche Schwierigkeiten zu meistern, noch traf die Klägerin bei einem Streitwert von 324 EUR eine erhebliche Kostenbelastung.
European Case Law Identifier
ECLI:AT:OGH0002:2015:008OBS00003.15X.1125.000