VfGH vom 02.10.2013, B926/2012
Leitsatz
Aufhebung des angefochtenen Bescheides im Anlassfall
Spruch
I. Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in seinen Rechten verletzt worden. Der Bescheid wird aufgehoben.
II. Der Bund (Bundeskanzler) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.620, – bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exe kution zu ersetzen.
Begründung
Entscheidungsgründe
1.1. Der Beschwerdeführer, der sich seit im Ruhestand befindet, war in seiner Aktivzeit Polizeibeamter im Bereich des Landespolizeikommandos Wien.
1.2. Die Abteilung für Personal- und Stabsangelegenheiten des Landespolizeikommandos Wien erstattete gegen ihn am wegen des Verdachts der Nichteinhaltung der Plandienststunden, Nichtteilnahme an Planquadraten und nicht ordnungsgemäßer Führung eigener Dienstzeitaufzeichnungen Disziplinaranzeige. In diesem Zusammenhang wurde gegen den Beschwerdeführer zudem wegen Verdachts des Verbrechens des Missbrauchs der Amtsgewalt nach § 302 Strafgesetzbuch (StGB) und des gewerbsmäßigen Betruges nach §§146 ff. StGB ein kriminalpolizeiliches Ermittlungsverfahren geführt, in welchem seitens der Staatsanwaltschaft Korneuburg eine auf die Mobilfunknummer des Beschwerdeführers bezogene Rufdaten- und Standortdatenrückerfassung für den Zeitraum bis angeordnet wurde.
Der Abschlussbericht über das Ergebnis des Ermittlungsverfahrens wurde am vom damaligen Büro für interne Angelegenheiten (nunmehr: Bundesamt zur Korruptionsprävention und Korruptionsbekämpfung) gemäß § 100 Abs 2 Z 4 Strafprozessordnung 1975 (StPO) der Staatsanwaltschaft Korneuburg übermittelt. In diesem Bericht ist die Auflistung der Resultate der vorgenommenen "Auskunft über Daten einer Nachrichtenübermittlung" enthalten, aus der eine deutliche Abweichung zwischen den gemäß der Diensteinteilung bzw. der Verrechnung von Mehrdienstleistungen maßgeblichen Aufenthaltsorten des Beschwerdeführers einerseits und der auf Grund der Mobilfunkzelle erhobenen Aufenthaltsorte andererseits hervorgeht. Dieser Abschlussbericht wurde auch dem Landespolizeikommando Wien zur Kenntnis gebracht.
1.3. Am fasste die Disziplinarkommission beim Bundesministerium für Inneres im Bezug habenden Disziplinarverfahren einen Einleitungs- und Unterbrechungsbeschluss (bis zum Abschluss des Strafverfahrens), in dem auf die Ergebnisse der Rufdaten- und Standortdatenrückerfassung Bezug genommen wurde.
1.4. Die Staatsanwaltschaft Korneuburg stellte das in Rede stehende Strafverfahren am im Hinblick auf die Mehrzahl der Vorwürfe aus Beweisgründen ein; vom (einzigen) unter Anklage gestellten (mit der Standortdatenrückerfassung nicht in direktem Zusammenhang stehenden) Faktum wurde der Angeklagte am vom Landesgericht für Strafsachen Wien freigesprochen.
1.5. In der Folge erhob der Beschwerdeführer am wegen Verletzung im Recht auf Geheimhaltung durch Verwendung der in Rede stehenden Daten (aus einer "Auskunft über Daten einer Nachrichtenübermittlung" — Standortdatenrückerfassung) im Disziplinarverfahren Beschwerde an die Datenschutzkommission, die mit Bescheid vom abgewiesen wurde. In der dagegen gemäß Art 144 B-VG erhobenen Beschwerde wird die Verletzung in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf Datenschutz gemäß § 1 Abs 2 DSG 2000 und auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz gemäß Art 7 B-VG behauptet. Der Verfassungsgerichtshof hat auf Grund dieser Beschwerde (B1408/2011) mit Beschluss vom von Amts wegen ein Gesetzesprüfungsverfahren (G2/2013) zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit des § 140 Abs 3 der Strafprozessordnung 1975, BGBl 631 idF BGBl I 19/2004, eingeleitet.
1.6. Die Berufungskommission beim Bundeskanzleramt wies mit Bescheid vom (im zweiten Rechtsgang) die Berufung gegen den Verhandlungsbeschluss der Disziplinarkommission beim Bundesministerium für Inneres ab.
1.7. In der dagegen gemäß Art 144 B-VG erhobenen – hier relevanten – Beschwerde wird die Verletzung in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter, auf Datenschutz gemäß § 1 Abs 2 DSG 2000, auf Schutz der Privatsphäre gemäß Art 8 EMRK sowie auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz gemäß Art 7 B-VG behauptet.
1.8. Die Berufungskommission beim Bundeskanzleramt als die im verfassungsgerichtlichen Verfahren belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die Abweisung der Beschwerde beantragt.
2. Der Verfassungsgerichtshof hat über die – zulässige – Beschwerde erwogen:
2.1. Der Verfassungsgerichtshof hat – nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am – mit Erkenntnis vom , G2/2013, § 140 Abs 3 der Strafprozessordnung 1975, BGBl 631 idF BGBl I 19/2004, als verfassungswidrig aufgehoben.
2.2. Gemäß Art 140 Abs 7 B VG wirkt die Aufhebung eines Gesetzes auf den Anlassfall zurück. Es ist daher hinsichtlich des Anlassfalles so vorzugehen, als ob die als verfassungswidrig erkannte Norm bereits zum Zeitpunkt der Verwirklichung des dem Bescheid zugrunde liegenden Tatbestandes nicht mehr der Rechtsordnung angehört hätte.
Dem in Art 140 Abs 7 B VG genannten Anlassfall (im engeren Sinn), anlässlich dessen das Gesetzesprüfungsverfahren tatsächlich eingeleitet worden ist, sind jene Beschwerdefälle gleichzuhalten, die zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung im Gesetzesprüfungsverfahren beim Verfassungsgerichtshof bereits anhängig waren (vgl. VfSlg 10.616/1985, 10.736/1985, 10.954/1986). Im – hier allerdings nicht gegebenen – Fall einer Beschwerde gegen einen Bescheid, dem ein auf Antrag eingeleitetes Verwaltungsverfahren vorausgegangen ist, muss dieser verfahrenseinleitende Antrag überdies vor Bekanntmachung des dem unter Pkt. 2.1. genannten Erkenntnis zugrunde liegenden Prüfungsbeschlusses des Verfassungsgerichtshofes eingebracht worden sein (VfSlg 17.687/2005).
2.3. Die vorliegende Beschwerde ist beim Verfassungsgerichtshof am eingelangt, war also zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung im Gesetzesprüfungsverfahren schon anhängig; der ihr zugrunde liegende Fall ist somit einem Anlassfall gleichzuhalten.
Die belangte Behörde wendete bei Erlassung des angefochtenen Bescheides die als verfassungswidrig aufgehobene Gesetzesstelle an. Sie hat sich in der Begründung ihres Bescheides in einem wesentlichen Punkt auf § 140 Abs 3 StPO gestützt. Es ist nach Lage des Falles nicht ausgeschlossen, dass dadurch die Rechtssphäre des Beschwerdeführers nachteilig beeinflusst wurde. Der Beschwerdeführer wurde somit wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in seinen Rechten verletzt.
Der Bescheid ist daher aufzuheben.
3. Von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung wurde gemäß § 19 Abs 4 Z 3 VfGG abgesehen.
4. Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 400,– sowie eine Eingabengebühr gemäß § 17a VfGG in der Höhe von € 220,– enthalten.