OGH vom 18.08.1994, 14Os69/94
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr.Ebner als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Massauer, Mag.Strieder, Dr.Rouschal und Dr.Adamovic als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag.Krumholz als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Joachim Karl H***** wegen des Verbrechens der Aussetzung nach § 82 Abs 2 und Abs 3 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichtes Linz als Schöffengericht vom , GZ 26 Vr 700/93-21, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Nichtigkeitsbeschwerde wird teilweise Folge gegeben und das angefochtene Urteil, das im übrigen unberührt bleibt, im Ausspruch, daß die Tat den Tod des Gefährdeten zur Folge hatte und demgemäß in der rechtlichen Beurteilung nach § 82 Abs 3 StGB sowie im Strafausspruch aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung im Umfang der Aufhebung an das Erstgericht zurückverwiesen.
Im übrigen wird die Nichtigkeitsbeschwerde zurückgewiesen.
Mit seiner Berufung wird der Angeklagte auf diese Entscheidung verwiesen.
Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
Rechtliche Beurteilung
Mit dem angefochtenen Urteil wurde der Angeklagte Joachim Karl H***** des Verbrechens der Aussetzung nach § 82 Abs 2 und Abs 3 StGB schuldig erkannt und zu einer - allerdings formell fehlerhaften (vgl EvBl 1991/41 und JBl 1992, 128) - kombinierten Geld- und Freiheitsstrafe verurteilt.
Nach dem Inhalt des Schuldspruchs hat er in der Zeit zwischen 17. Feber und 20.Feber 1993 in Traun "dadurch, daß er seinen Vater Manfred H*****, der (am 15.Feber 1993) in stark alkoholisiertem Zustand nach Hause kam, in der Garageneinfahrt des Nachbarhauses gestürzt und am Boden liegen blieb, zwar in dessen Wohnung brachte, sich in der Folge jedoch kaum um ihn kümmerte und ihn fünf Tage hindurch ohne jegliche Nahrungsaufnahme, ohne Verrichtung der Notdurft auf einer Toilettenanlage und mit deutlich erkennbarer Gesundheitsbeeinträchtigung im Bett liegen ließ, es unterlassen, für eine ärztliche Versorgung zu sorgen, wodurch es zu einer Thrombose in der rechten Beinvene kam, die zur Lungenembolie und zum Tod Manfred H***** führte, das Leben eines anderen, dem er beizustehen verpflichtet ist, dadurch gefährdet, daß er ihn in einer hilflosen Lage im Stich gelassen habe, wobei die Tat den Tod des Gefährdeten zur Folge hatte".
Den Tatzeitraum nahm das Erstgericht erst ab dem 17.Feber 1993 an, weil es zugunsten des Angeklagten davon ausging, daß er bis dahin damit rechnen konnte, sein Vater würde sich von seinem Rausch wieder erholen (US 9).
Diesen Schuldspruch bekämpft Joachim Karl H***** mit Nichtigkeitsbeschwerde aus dem Grunde des § 281 Abs 1 Z 5 (der Sache nach auch Z 10) StPO; den Strafausspruch ficht er mit Berufung an.
Die Nichtigkeitsbeschwerde ist teilweise begründet.
Mit Recht macht nämlich der Beschwerdeführer einen Feststellungsmangel (Z 10) zur Frage des Kausalzusammenhanges zwischen Tat und Todesfolge geltend. Die Erfolgsqualifikation des § 82 Abs 3 StGB kann dem Täter nicht schon auf Grund der Tatsache des Todeseintritts schlechthin, sondern erst dann angelastet werden, wenn der Tod eine (quasikausale) Folge des Imstichlassens ist. Das setzt die Feststellung voraus, daß die hinzugedachte Vornahme der gebotenen Hilfeleistung den Tod des Opfers mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit abgewendet hätte (zur Quasikausalität der Unterlassung im allgemeinen siehe Leukauf-Steininger Komm3 Vorbem § 1 RN 23; und im besonderen § 82 RN 20; ebenso Kienapfel BT I3 § 82 Rz 41 mwN).
Da das Erstgericht ein tatbestandsmäßiges Imstichlassen erst ab dem 17. Feber 1993 angenommen hat, wäre zur rechtsrichtigen Beurteilung der Tat nach § 82 Abs 3 StGB die Feststellung erforderlich gewesen, daß auch noch ab diesem Zeitpunkt das Leben des Manfred H***** mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu retten gewesen wäre.
Eine solche Feststellung fehlt.
Die Annahme, daß eine sofortige Behandlung im Krankenhaus, also kurz nach dem am 15.Feber 1993 erfolgten Sturz (US 10) die Überlebenschancen "wesentlich" oder "mit hoher Wahrscheinlichkeit" verbessert hätten (US 11), reicht dazu angesichts des erst mit 17. Feber 1993 festgestellten Einsetzens der Handlungspflicht weder in zeitlicher Hinsicht aus, noch genügt sie in Ansehung des Grades der Erfolgswahrscheinlichkeit hypothetischer Rettungsmaßnahmen. Aus dieser Konstatierung kann eben noch die für den Grundtatbestand nach § 82 Abs 2 StGB erforderliche Kausalverknüpfung zwischen dem Imstichlassen und der Lebensgefährdung, also die Annahme abgeleitet werden, daß die Vornahme der erst ab 17.Feber 1993 gebotenen, aber vom Angeklagten vorsätzlich unterlassenen Hilfe die konkrete Lebensgefährdung des Opfers mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zumindest verringert hätte (Burgstaller in WK Rz 27; Kienapfel BT I3 RN 25; Leukauf-Steininger Komm3 RN 16 je zu § 82).
Der festgestellte (US 10, 14) mittelbare Kausalzusammenhang zwischen Sturz und Todesfolge ist überhaupt unmaßgeblich, weil es beim Verbrechen der Aussetzung nach § 82 Abs 2 bzw Abs 3 StGB nur auf den Quasikausalzusammenhang zwischen Unterlassung (Imstichlassen) und konkreter Lebensgefährdung bzw Todeseintritt ankommt. Die Primärursachen der lebensbedrohenden Hilflosigkeit sind gleichgültig.
Wegen des aufgezeigten Feststellungsmangels war das angefochtene Urteil im Qualifikationsausspruch nach § 82 Abs 3 StGB und demgemäß auch im Strafausspruch schon bei einer nichtöffentlichen Beratung aufzuheben und insoweit ein zweiter Rechtsgang anzuordnen (§ 285 e StPO).
Im übrigen war die Nichtigkeitsbeschwerde jedoch als offenbar unbegründet zurückzuweisen (§ 285 d Abs 1 StPO), weil das Erstgericht den festgestellten Lebensgefährdungsvorsatz des Angeklagten (US 8) mit den außergewöhnlichen äußeren Umständen des Falles - der Beschwerde (Z 5) zuwider - zureichend begründet hat (US 11 ff, insb US 14). Dabei mußte es die Aussage des Zeugen Wilhelm H***** schon deshalb nicht besonders erörtern, weil diese der Annahme einer erkennbar lebensbedrohenden Hilfsbedürftigkeit des Tatopfers nicht nur nicht entgegensteht, diese vielmehr bestätigt (S 154/155).
Durch die Mitaufhebung des Strafausspruchs ist die Berufung des Angeklagten gegenstandslos.
Die Kostenentscheidung ist in § 390 a StPO begründet.