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VfGH vom 28.02.2000, B923/98

VfGH vom 28.02.2000, B923/98

Sammlungsnummer

15713

Leitsatz

Verletzung im Recht auf ein Verfahren vor einem unabhängigen und unparteiischen Tribunal durch eine Entscheidung des Wr Vergabekontrollsenates (VKS) angesichts der organisatorischen Stellung des VKS

Spruch

Die beschwerdeführende Gesellschaft ist durch den angefochtenen Teil des Bescheides (Spruchpunkt 2) in ihrem durch Art 6 EMRK verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor einem unabhängigen und unparteiischen Tribunal verletzt worden.

Der Bescheid wird insoweit aufgehoben.

Das Land Wien ist verpflichtet, der beschwerdeführenden Gesellschaft zu Handen ihres Rechtsvertreters die mit S 29.500,-- bestimmten Prozeßkosten binnen vierzehn Tagen bei sonstiger Exekution zu bezahlen.

Der beteiligten Partei werden Kosten nicht zugesprochen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Auf Grund einer im offenen Verfahren durchgeführten Ausschreibung von Reinigungsarbeiten erteilten die Wiener Stadtwerke, Wienstrom einem Bieter den Zuschlag. Das Anbot der beschwerdeführenden Gesellschaft wurde ausgeschieden.

Der so übergangene Bieter beantragte daraufhin mit Schriftsatz vom beim Vergabekontrollsenat beim Amt der Wiener Landesregierung die Durchführung eines Nachprüfungsverfahrens und die Feststellung, daß der Zuschlag nicht dem Bestbieter erteilt wurde.

Mit Bescheid vom wies der Vergabekontrollsenat den Antrag auf Einleitung eines Nachprüfungsverfahrens - mit Spruchpunkt 1 - zurück, da der Nachprüfungsantrag erst nach Zuschlagserteilung gestellt worden sei und - mit Spruchpunkt 2 - den "Antrag der Antragstellerin vom festzustellen, daß wegen eines Verstoßes gegen die Bestimmungen der § 47,§ 48 Abs 2 WLVergG der Zuschlag nicht der Antragstellerin als Bestbieterin erteilt worden ist," ab.

2. Gegen diesen Teil des Bescheides richtet sich die auf Art 144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte geltend gemacht und die kostenpflichtige Aufhebung des Bescheides beantragt wird.

Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie den Beschwerdebehauptungen entgegentritt und die Abweisung der Beschwerde begehrt.

Die beteiligten Wiener Stadtwerke erstatteten ebenfalls eine Äußerung, in der sie für die Abweisung der Beschwerde eintreten und Kostenersatz begehren.

II. Der Verfassungsgerichshof hat über die zulässige Beschwerde erwogen:

1. Art 6 EMRK verlangt, daß in Angelegenheiten, die als "civil rights" zu qualifizieren sind, ein unabhängiges und unparteiisches Tribunal tätig wird. Der Verfassungsgerichtshof hat dazu in Kongruenz mit der Judikatur des EGMR mehrfach ausgesprochen, daß ein Tribunal derart zusammengesetzt sein muß, daß keine berechtigten Zweifel an der Unabhängigkeit seiner Mitglieder entstehen; bei dieser Beurteilung ist auch der äußere Anschein von Bedeutung (vgl. etwa , und , beide mwH).

In seiner Entscheidung vom , B1809-1811/97, hat der Verfassungsgerichtshof näher dargelegt, daß und warum der Vergabekontrollsenat zum Zeitpunkt der Erlassung der im damaligen verfassungsgerichtlichen Verfahren zu beurteilenden Bescheide diesen Anforderungen nicht genügt hat. Dafür waren insbesondere die organisatorische Stellung des Vergabekontrollsenates, seine Zuordnung zur Stadtbaudirektion und die gemeinsame Führung der Geschäftsstelle des Vergabekontrollsenats mit der Führung des Auftragnehmerkatasters der Stadt Wien maßgebend.

Der Verfassungsgerichtshof sieht sich nicht veranlaßt, von seiner in der genannten Entscheidung zum Ausdruck kommenden Auffassung abzugehen und ist der Ansicht, daß diesen Bedenken Berechtigung auch im vorliegenden Fall zukommt. Auch zum Zeitpunkt der Erlassung des in diesem Verfahren bekämpften Bescheides war die in der zitierten Entscheidung beanstandete organisatorische Zuordnung des Vergabekontrollsenates gegeben und war die Geschäftsstelle des Vergabekontrollsenates mit der Führung des Auftragnehmerkatasters vereint. So wurde - nach der insoweit nicht bestrittenen Behauptung in der Beschwerde - der beschwerdeführenden Gesellschaft noch während des anhängigen Vergabeverfahrens mit Schreiben der "Magistratsdirektion Wien, Stadtbaudirektion, Geschäftsstelle des Vergabekontrollsenates, Auftragnehmerkataster der Stadt Wien" mitgeteilt, daß ihr eine wesentliche Verletzung des Ausländerbeschäftigungsgesetzes zuzurechnen sei und daß dieser Umstand im Auftragnehmerkataster der Stadt Wien eingetragen worden sei und daher Vergaben an die Beschwerdeführerin derzeit nicht möglich seien.

Daß es den Anforderungen des Art 6 EMRK, wie sie oben dargelegt wurden, nicht genügt, daß eine Beschwerde gegen die Maßnahme des Ausscheidens aus dem Grund der mangelnden Zuverlässigkeit wegen einer wesentlichen Verletzung des Ausländerbeschäftigungsgesetzes bei eben jener Stelle einzureichen und von dieser zu bearbeiten ist, die im Vergabeverfahren in der beschriebenen Weise tätig geworden ist, liegt auf der Hand. Angesichts dieser Umstände konnten vom äußeren Anschein her Zweifel an der Unabhängigkeit und Unparteilichkeit des Kontrollorgans entstehen. Da die Fragen, über die der Vergabekontrollsenat im vorliegenden Fall entschieden hat, "civil rights" jener Bieter betreffen, die am Vergabeverfahren teilgenommen, aber nicht den Zuschlag erhalten haben, ist dieser Mangel verfassungsrechtlich relevant. Dieser Verfassungsverstoß ist nicht dem Gesetz zur Last zu legen, da die gesetzlichen Bestimmungen die Verquickung der Führung der Agenden des Vergabekontrollsenates mit Agenden der Vergabe von Aufträgen durch die Stadt keineswegs verlangt, ja nicht einmal nahelegt. Der festgestellte Verfassungsverstoß ist daher der Vollzugssphäre anzulasten (vgl. auch dazu ).

Die beschwerdeführende Gesellschaft wurde daher durch den angefochtenen Bescheid in ihrem aus Art 6 EMRK abzuleitenden Recht auf ein Verfahren vor einem unabhängigen und unparteiischen Tribunal verletzt; der Bescheid war, soweit er angefochten wurde, aufzuheben.

2. Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 88 VerfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von S 4.500,-- sowie eine Eingabegebühr gemäß § 17a VerfGG in der Höhe von S 2.500,-- enthalten.

Dem von der beteiligten Partei gestellten Begehren auf Kostenersatz war nicht rechtzugeben, da ein Kostenersatz nur im Falle des Obsiegens in Betracht kommt, was auch für Verfahrensbeteiligte gilt.

3. Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 Z 2 VerfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.