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VfGH vom 10.12.2014, B144/2013

VfGH vom 10.12.2014, B144/2013

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch Bestätigung der erstinstanzlichen Zurückweisung des Antrags auf Ausstellung einer Karte für Geduldete

Spruch

I. Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs 1 Bundesverfassungsgesetz BGBl Nr 390/1973) verletzt worden.

Der Bescheid wird aufgehoben.

II. Der Bund (Bundesministerin für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.400,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe

I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren

1. Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger von Sierra Leone, beantragte am bei der Landespolizeidirektion Wien die Ausstellung einer Karte für Geduldete. Er gab an, dass er seit dem Jahr 2000 in Österreich lebe, sein Asylverfahren mit Bescheid des Bundesasylamtes vom negativ abgeschlossen und mit demselben Bescheid die Ausweisung des Beschwerdeführers verfügt worden sei. Der Beschwerdeführer brachte weiters vor, dass ein Heimreisezertifikat trotz seiner Mitwirkung von den Behörden Sierra Leones nicht ausgestellt worden sei. Seine Ausreise sei daher nicht möglich. Der Antrag wurde mit Bescheid vom mit der Begründung zurückgewiesen, dass das Asylverfahren des Beschwerdeführers sich wieder im Stand der Berufung befinde, weshalb die §§46 und 46a Bundesgesetz über die Ausübung der Fremdenpolizei, die Ausstellung von Dokumenten für Fremde und die Erteilung von Einreisetitel (Fremdenpolizeigesetz 2005FPG), BGBl I 100/2005 idF BGBl I 38/2011, keine Anwendung fänden.

2. Mit Berufungsbescheid vom bestätigte die Landespolizeidirektion Wien, Büro II. Instanz, den erstinstanzlichen Bescheid mit der Maßgabe, dass der Antrag gemäß § 46a Abs 1a FPG zurückgewiesen werde. Begründend führt die Landespolizeidirektion Wien aus, dass durch das Fremdenrechtsänderungsgesetz 2011, BGBl I 38/2011, die Antragsmöglichkeit in Bezug auf die Ausstellung der Karte für Geduldete beseitigt worden und der Antrag mangels Legitimation zurückzuweisen sei.

3. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, auf Art 144 B VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten sowie in Rechten wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides beantragt wird. Begründend führt der Beschwerdeführer u.a. aus, dass keine Bereitschaft der Heimatbehörden bestehe, ein Heimreisezertifikat auszustellen. Nach Ansicht des Beschwerdeführers decke § 46a FPG weiters auch Sachverhalte ab, in denen rechtliche Gründe, die gegen die Ausreise sprechen, wie etwa jene des Privat- und Familienlebens, erst nach rechtskräftiger Entscheidung über die Aufenthaltsbeendigung eingetreten seien. Die belangte Behörde habe es jedoch unterlassen, sich mit der familiären Situation des Beschwerdeführers, seinen Deutschkenntnissen oder sonstigen Integrationsmerkmalen auseinanderzusetzen. Die Karte für Geduldete führe zur Duldung des Betroffenen im Bundesgebiet und verbessere dessen rechtliche Situation, etwa in Bezug auf die Erteilung einer Beschäftigungsbewilligung oder eines Aufenthaltstitels. Demnach müsse aus rechtsstaatlichen Gründen ein Antragsrecht vorliegen.

4. Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und erstattete eine Gegenschrift, in der zusammengefasst ausgeführt wird, dass aus dem FPG kein Antragsrecht bezüglich der Ausstellung einer Duldungskarte abzuleiten sei. Die belangte Behörde habe daher kein Ermittlungsverfahren zu führen, sondern hätte die Sache durch eine Zurückweisung mangels Antragslegitimation erledigen müssen.

5. Mit Beschluss vom leitete der Verfassungsgerichtshof gemäß Art 140 Abs 1 Z 1 litb B VG von Amts wegen ein Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit des § 46a Abs 1a FPG ein.

6. Mit Erkenntnis vom , G160/2014, sprach der Verfassungsgerichtshof aus, dass § 46a Abs 1a FPG, BGBl I 100/2005 idF BGBl I 38/2011, nicht verfassungswidrig war.

II. Rechtslage

§46a FPG in der hier maßgeblichen Fassung des BGBl I 38/2011 lautete:

"Duldung

§46a. (1) Der Aufenthalt von Fremden im Bundesgebiet ist geduldet, solange deren Abschiebung gemäß

1. §§50 und 51 oder

2. §§8 Abs 3a und 9 Abs 2 AsylG 2005 unzulässig ist.

(1a) Darüber hinaus ist der Aufenthalt von Fremden im Bundesgebiet geduldet, wenn die Behörde von Amts wegen feststellt, dass die Abschiebung des Betroffenen aus tatsächlichen, vom Fremden nicht zu vertretenden Gründen nicht möglich ist, es sei denn, dass nach einer zurückweisenden Entscheidung gemäß § 5 AsylG 2005 eine Zuständigkeit des anderen Staates weiterhin besteht oder dieser die Zuständigkeit weiterhin oder neuerlich anerkennt. Diese Duldung kann von der Behörde mit Auflagen verbunden werden, sie endet jedenfalls mit Wegfall der Hinderungsgründe. Die festgesetzten Auflagen sind dem Fremden von der Behörde mit Verfahrensanordnung (§63 Abs 2 AVG) mitzuteilen. § 56 gilt sinngemäß.

(1b) Vom Fremden zu vertretende Gründe liegen jedenfalls vor, wenn er

1. seine Identität verschleiert,

2. einen Ladungstermin zur Klärung seiner Identität oder zur Einholung eines Ersatzreisedokumentes nicht befolgt oder

3. an den zur Erlangung eines Ersatzreisedokumentes notwendigen Schritten nicht mitwirkt oder diese vereitelt.

(2) Die Behörde hat Fremden, deren Aufenthalt im Bundesgebiet geduldet ist, eine Karte für Geduldete auszustellen. Die Karte dient dem Nachweis der Identität des Fremden im Verfahren nach diesem Bundesgesetz oder nach Abschluss eines Verfahrens nach dem AsylG 2005 und hat insbesondere die Bezeichnungen 'Republik Österreich' und 'Karte für Geduldete', weiters Namen, Geschlecht, Geburtsdatum, Staatsangehörigkeit, Lichtbild und Unterschrift des Geduldeten sowie die Bezeichnung der Behörde, Datum der Ausstellung und Namen des Genehmigenden zu enthalten. Die nähere Gestaltung der Karte legt der Bundesminister für Inneres durch Verordnung fest.

(3) Die Karte für Geduldete gilt ein Jahr und wird im Falle des weiteren Vorliegens der Voraussetzungen nach Abs 1 über Antrag des Fremden für jeweils ein weiteres Jahr verlängert. Die Gültigkeit der Karte für Geduldete gemäß Abs 1a endet mit dem Ende der Duldung. Die Karte ist zu entziehen, wenn

1. deren Gültigkeitsdauer abgelaufen ist;

2. eine Duldung im Sinne des Abs 1 nicht oder nicht mehr vorliegt;

3. das Lichtbild auf der Karte den Inhaber nicht mehr zweifelsfrei erkennen lässt oder

4. andere amtliche Eintragungen auf der Karte unlesbar geworden sind.

Der Fremde hat die Karte unverzüglich der Behörde vorzulegen, wenn die Karte entzogen wurde oder Umstände vorliegen, die eine Entziehung rechtfertigen würden. Wurde die Karte entzogen oder ist diese vorzulegen, sind die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes und die Behörde ermächtigt, die Karte abzunehmen. Abgenommene Karten sind unverzüglich der Behörde vorzulegen, in deren örtlichen Wirkungsbereich das Organ eingeschritten ist. Diese hat die Karte an die zuständige Behörde weiterzuleiten."

III. Erwägungen

Die – zulässige – Beschwerde ist begründet.

1. Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s. etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs 1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.

Diesem einem Fremden durch ArtI Abs 1 leg.cit. gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl. zB VfSlg 16.214/2001), wenn das Verwaltungsgericht dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen verfassungswidrigen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s. etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).

2. Ein solcher Fehler ist der belangten Landespolizeidirektion Wien unterlaufen:

2.1. Wie der Verfassungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom , G160/2014, ausgesprochen hat, bestehen gegen § 46a Abs 1a FPG deswegen keine verfassungsrechtlichen Bedenken, weil § 46a FPG dahingehend auszulegen ist, dass einem Fremden ein Antragsrecht auf Ausstellung einer Karte für Geduldete iSv § 46a Abs 2 FPG zukommt. Wird ein solcher Antrag gestellt, hat die Behörde das Vorliegen der Duldung gemäß § 46a Abs 1a FPG zu prüfen, die ex lege eintritt, sobald die Voraussetzungen dafür vorliegen. Ist keine Duldung eingetreten, so hat die Behörde den Antrag auf Ausstellung der Karte mit Bescheid abzuweisen.

2.2. Im vorliegenden Fall ging die belangte Behörde hingegen davon aus, dass eine solche Antragsmöglichkeit gerade nicht bestehe. Indem sie mit dem angefochtenen Bescheid den erstinstanzlichen Bescheid dahingehend abänderte, dass der Antrag auf Ausstellung der Karte für Geduldete mangels Antragslegitimation zurückzuweisen sei, hat sie im Lichte des Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofes vom , G160/2014, § 46a FPG insofern einen verfassungswidrigen Inhalt unterstellt, als die Bestimmung, hätte sie diesen Inhalt, gegen das Rechtsstaatsprinzip und den Gleichheitsgrundsatz verstoßen würde.

IV. Ergebnis

1. Der Beschwerdeführer ist somit durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs 1 Bundesverfassungsgesetz BGBl 390/1973) verletzt worden.

2. Der angefochtene Bescheid ist daher aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.

3. Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in Höhe von € 400,– enthalten.

European Case Law Identifier

ECLI:AT:VFGH:2014:B144.2013