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VfGH vom 26.02.1990, B921/89

VfGH vom 26.02.1990, B921/89

Sammlungsnummer

12255

Leitsatz

Verletzung im Recht auf persönliche Freiheit durch Vollstreckung der Ersatzfreiheitsstrafe; ungerechtfertigte Annahme der Uneinbringlichkeit der Geldstrafe iSd § 54 VStG

Spruch

Der Beschwerdeführer C R ist dadurch, daß er am etwa eine Stunde lang in Wien von Organen der dortigen Bundespolizeidirektion zur Strafvollstreckung in Haft gehalten wurde, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf persönliche Freiheit verletzt worden.

Der Bund (Bundesminister für öffentliche Wirtschaft und Verkehr) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zu Handen seines Vertreters die mit 15.000 S bestimmten Kosten des Beschwerdeverfahrens binnen vierzehn Tagen bei sonstigem Zwang zu bezahlen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

1.1. C R begehrte in seiner auf Art 144 Abs 1 B-VG gegründeten Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof die kostenpflichtige Feststellung, er sei dadurch, daß ihn Organe der Bundespolizeidirektion Wien am in Wien zur Vollstreckung einer verwaltungsbehördlich verhängten Ersatzfreiheitsstrafe eine Stunde lang in Haft hielten, demnach durch einen Akt unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf persönliche Freiheit (Art8 StGG iVm Art 5 EMRK) verletzt worden.

1.2. Die - durch die Finanzprokuratur vertretene - Bundespolizeidirektion Wien als belangte Behörde legte die Administrativakten vor und erstattete eine Gegenschrift, worin sie für die Zurückweisung, hilfsweise für die Abweisung der Beschwerde eintrat.

2. Über die Beschwerde wurde erwogen:

2.1.1. Aus den Akten, insbesondere aus den vorgelegten Administrativakten, geht folgender Sachverhalt hervor:

Mit der - ersichtlich in Rechtskraft erwachsenen - Strafverfügung der Bundespolizeidirektion Wien - Bezirkspolizeikommissariat Meidling vom , Pst 6076/Ml/87/Za, wurde über C R wegen der Verwaltungsübertretung nach ArtIX Abs 1 Z 5 EGVG 1950 eine Geldstrafe von fünfhundert Schilling, im Fall der Uneinbringlichkeit eine Ersatzarreststrafe von dreißig Stunden verhängt. Trotz Zahlungsaufforderung unterblieb die Begleichung der Geldstrafe. Ein Sicherheitswachebeamter traf den Bestraften am an der im Akt angegebenen Wohnadresse nicht an; im entsprechenden Erhebungsbericht ist vermerkt, daß C R unter dieser Anschrift schon am amtlich abgemeldet worden sei. Eine Anfrage an das Zentralmeldeamt der Bundespolizeidirektion Wien ergab keine Neuanmeldung oder sonstige aufrechte Meldung (in Wien). Die Wiener Gebietskrankenkasse für Arbeiter und Angestellte teilte am auf Anfrage mit, daß R in den dortigen Unterlagen als Dienstnehmer derzeit nicht aufscheine. Schließlich gab das Zentralmeldeamt am bekannt, daß C R (zum Verfahren AZ 6 E Vr 5540/89 - Hv 3420/89 des Landesgerichtes für Strafsachen Wien) im landesgerichtlichen Gefangenenhaus I in Untersuchungshaft angehalten werde. Daraufhin ersuchte das Bezirkspolizeikommissariat Meidling mit Note vom das Polizeigefangenenhaus 1090 Wien um Vollzug der Ersatzfreiheitsstrafe. Im Hinblick auf dieses Ersuchen kam es im Anschluß an die Gerichtshaft, die am , 13 Uhr 20, endete, zur zwangsweisen Überstellung des Beschwerdeführers in das Polizeigefangenenhaus. Er erlegte dort einen Teil der Geldstrafe in bar (483 S) und wurde nach insgesamt einstündiger Verwaltungshaft (um 14 Uhr 20) entlassen.

2.1.2.1. Gemäß Art 144 Abs 1 Satz 2 B-VG idF der Novelle BGBl. 302/1975 erkennt der Verfassungsgerichtshof über Beschwerden gegen die Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt gegen eine bestimmte Person. Darunter fallen Verwaltungsakte, die bis zum Inkrafttreten der B-VG-Novelle 1975, BGBl. 302, nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes als sogenannte faktische Amtshandlungen (mit individuell-normativem Inhalt) bekämpfbar waren, wie dies für die Festnehmung und anschließende Verwahrung einer Person zutrifft (VfSlg. 7252/1974, 8145/1977, 8146/1977, 10.418/1985).

Dies gilt auch für die - eine "Verhaftung" iS des Gesetzes vom 27. Oktober 1862 zum Schutze der persönlichen Freiheit, RGBl. 87 (Art149 Abs 1 B-VG), bildende - zwangsweise Vorführung eines Bestraften zum Antritt und zum Vollzug einer (Ersatz-)Freiheitsstrafe (vgl. VfSlg. 9623/1983, 9837/1983, 10.418/1985).

2.1.2.2. Da hier ein administrativer Instanzenzug nicht in Betracht kommt und auch die übrigen Prozeßvoraussetzungen zutreffen, ist die Beschwerde - gegen die verwaltungsbehördliche Inhaftnahme und Haftanhaltung - zulässig.

2.2.1. § 4 des Gesetzes vom 27. Oktober 1862 zum Schutze der persönlichen Freiheit, RGBl. 87, sieht in seinem ersten Absatz vor, daß die zur Anhaltung berechtigten Organe der öffentlichen Gewalt eine Person "in den vom Gesetze bestimmten Fällen" in Verwahrung nehmen dürfen. Hiezu zählt auch die - im konkreten Fall heranzuziehende - Bestimmung des § 54 b VStG 1950 (idF BGBl. 516/1987) über die Vollstreckung von Geldstrafen: Sie läßt die Vollziehung einer Ersatzfreiheitsstrafe nur zu, soweit die "Geldstrafe uneinbringlich ist oder dies mit Grund anzunehmen ist". Fände die bekämpfte Inhaftnahme und Anhaltung in dieser Gesetzesvorschrift keine Deckung, wäre der Beschwerdeführer im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf persönliche Freiheit (Art8 StGG iVm Art 5 EMRK) verletzt worden

(VfSlg. 8642/1979, 8770/1980, 10.418/1985).

2.2.2. Die Vollstreckung der Ersatzfreiheitsstrafe an Stelle der Geldstrafe liegt nun kraft § 54 b VStG 1950 keineswegs im Belieben der Vollstreckungsbehörde: Vielmehr hat diese Behörde, ehe sie die Ersatzfreiheitsstrafe in Vollzug setzt, entweder a) ein Vollstreckungsverfahren durchzuführen oder aber b) Erhebungen zu pflegen, deren Ergebnis die Annahme rechtfertigen muß, daß die verhängte Geldstrafe mit hoher Wahrscheinlichkeit uneinbringlich sei (vgl. dazu VfSlg. 8642/1979, 8679/1979, 9046/1981, 9837/1983, 10.418/1985). Dabei kommt es nicht auf die Zahlungsbereitschaft des Bestraften, sondern auf die tatsächliche Uneinbringlichkeit der Geldstrafe an (s. VfSlg. 8679/1979, 9837/1983, 10.418/1985).

2.3.1. Der Beschwerdeführer macht dazu geltend, daß von Uneinbringlichkeit der Geldstrafe nicht die Rede sein könne, weil sich damals - zur Zeit seiner Gerichtshaft - unter seinen Effekten ein Postsparbuch mit einem Einlagestand von etwa 13.000 S befunden habe.

2.3.2.1. Die belangte Behörde wendet zur Rechtfertigung ihrer gerügten Vorgangsweise der Sache nach ein, das Vorhandensein dieses Sparbuchs sei nicht erwiesen; überdies habe sie sich um die Ermittlung der Wohnanschrift und des Arbeitgebers des Verpflichteten, wenn auch erfolglos, bemüht.

2.3.2.2. Diese Einrede ist nicht zielführend: Der - hier maßgebende - Begriff der "Uneinbringlichkeit" im § 54 b Abs 2 VStG 1950 setzt zwingend voraus, daß der Bestrafte zur Leistung der Geldstrafe wirtschaftlich außerstande ist. Keinesfalls konnte von "Uneinbringlichkeit" iS der zitierten Gesetzesstelle nur deswegen gesprochen werden, weil sich der Bestrafte - wie hier - in Untersuchungshaft befand. Als die Behörde im Juni 1989 von dieser Anhaltung erfuhr, war ihr die wirtschaftliche Lage des Bestraften unbekannt. Sie wußte bloß, daß er im Juli 1988 in keinem bei der Wiener Gebietskrankenkasse für Arbeiter und Angestellte registrierten Arbeitsverhältnis stand und im Bundesland Wien auch nicht polizeilich gemeldet war. Unter diesen Umständen konnte die Behörde - die kein Vollstreckungsverfahren (iS des § 3 VVG 1950) führte - nicht mit gutem Grund zur Auffassung gelangen, daß die Geldstrafe mit hoher Wahrscheinlichkeit uneinbringlich sei (vgl. auch: VfSlg. 9837/1983). Die Anhaltung in Untersuchungshaft allein rechtfertigt eine solche Maßnahme keineswegs. (Der Einwand des Beschwerdeführers, damals über ein PSK-Sparbuch mit einem Guthaben von 13.000 S - genau 13.500 S - verfügt zu haben, stellte sich im übrigen als richtig heraus (vgl. die "Sachen-Wertmeldung" des landesgerichtlichen Gefangenenhauses Wien vom , Gef.Vorm.Nr. 1312/89)). Daß die Überstellung aus der Gerichtshaft zur sofortigen Einleitung der Vollziehung der Ersatzfreiheitsstrafe


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wie die belangte Behörde in ihrer Gegenschrift anzudeuten scheint
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unter den obwaltenden Umständen mühelos möglich war, hingegen der Vollstreckung der (Primär-)Geldstrafe - den Abschluß der Sache verzögernde - Schwierigkeiten faktischer Art entgegengestanden sein dürften (: Anfrage bei der Gefangenenhausleitung nach allfälligem Barbesitz oder Guthaben des Gefangenen), vermochte die fehlenden Voraussetzungen des § 54 b Abs 2 VStG 1950, wie sie zu Punkt

2.2.1. umschrieben wurden, nicht zu ersetzen.

2.3.3. Schon daraus folgt, daß die Festnahme- und Anhaltevoraussetzungen des § 54 b Abs 2 VStG 1950 nicht gegeben waren.

2.4. Zusammenfassend läßt sich feststellen, daß der Beschwerdeführer durch seine gesetzlich ungedeckte und daher verfassungswidrige Inhaftnahme und Anhaltung am im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf persönliche Freiheit verletzt wurde.

Es mußte somit spruchgemäß entschieden werden.

3.1. Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 88 VerfGG 1953. Im zuerkannten Kostenbetrag ist Umsatzsteuer in der Höhe von 2.500 S enthalten.

3.2. Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 erster Satz VerfGG 1953 ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung ergehen.