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OGH vom 19.08.1998, 13Os48/98

OGH vom 19.08.1998, 13Os48/98

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Rouschal als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Markel, Dr. Ebner, Dr. Habl und Dr. Ratz als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Kofler als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Olga K***** wegen des Vergehens der Abgabenhinterziehung nach § 33 Abs 2 lit a FinStrG und einer anderen strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerde der Finanzstrafbehörde erster Instanz gegen das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck als Schöffengericht vom , GZ 28 Vr 1140/95-32, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr.Tiegs und des Dr.Werner Kraus für das Finanzamt Innsbruck als Finanzstrafbehörde erster Instanz, jedoch in Abwesenheit der Angeklagten und ihres Verteidigers zu Recht erkannt:

Spruch

Der Nichtigkeitsbeschwerde wird Folge gegeben, das angefochtene Urteil aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht Innsbruck zurückverwiesen.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Olga K***** von der gegen sie erhobenen Anklage wegen der Vergehen der Abgabenhinterziehung nach § 33 Abs 2 lit a (1.) und b (2.) FinStrG gemäß § 214 FinStrG freigesprochen.

Ihr war angelastet worden, vorsätzlich unter Verletzung der Verpflichtung zur Abgabe von dem § 21 des Umsatzsteuergesetzes 1972 entsprechenden Voranmeldungen als Einzelunternehmerin für die Jahre 1988 bis 1992, als Geschäftsführerin der Firma "A***** Reisen K***** GesmbH" für die Jahre 1989 bis 1991, als Verantwortliche der Firma "K*****" für die Jahre 1989 bis 1993 und als Verantwortliche der Firma "K***** KG Taxi-, Travel-Service" für Juli bis Dezember 1993 eine Verkürzung von Vorauszahlungen an Umsatzsteuer durch Nichtabgabe von Umsatzvoranmeldungen und Nichtabgabe von Umsatzsteuerjahreserklärungen (von insgesamt 3,086.413 S 1.) sowie als Geschäftsführerin der Firma "A***** Reisen K***** GesmbH" für die Jahre 1988 bis 1991 vorsätzlich unter Verletzung der Verpflichtung zur Führung von dem § 76 des Einkommensteuergesetzes 1972 (jetzt 1988) entsprechenden Lohnkonten eine Verkürzung von Lohnsteuer und Dienstgeberbeiträgen zum Ausgleichsfonds für Familienbeihilfen (von 882.054 S 2.) bewirkt und dies nicht nur für möglich sondern für gewiß gehalten zu haben.

Die dagegen von der Finanzstrafbehörde als Privatbeteiligte (gemäß § 200 Abs 2 lit a FinStrG) aus § 281 Abs 1 Z 4, 5 und 9 lit a StPO erhobene Nichtigkeitsbe- schwerde ist bereits mit der Verfahrens- und Mängelrüge im Recht.

Rechtliche Beurteilung

Das Schöffengericht stellte im wesentlichen fest, daß sich die Angeklagte bei sämtlichen unternehmerischen Tätigkeiten ihrer abgabenrechtlichen Offenlegungs- und Wahrheitspflicht bewußt gewesen ist. Sie sei auch ihrer Verpflichtung zur Führung von dem § 76 des Einkommen- steuergesetzes entsprechenden Lohnkonten nachgekommen.

Der Freispruch wegen Unzuständigkeit des Gerichts zur Ahndung des Finanzvergehens der Hinterziehung von Umsatzsteuer(Vorauszahlungen) wurde mit mangelnder Wissentlichkeit des Bewirkens der Abgabenverkürzung begründet, weil das Erstgericht die diesbezügliche Verant- wortung der Angeklagten, sie sei davon ausgegangen, infolge des Bestehens eines Steuerguthabens könne keine Steuerschuld entstehen, für nicht widerlegt erachtete. Es bezog sich dabei vor allem auf das Gutachten des bestellten Buchsachverständigen (ON 14; US 11).

Der Freispruch vom Vorwurf der Hinterziehung von Lohnsteuer und Dienstgeberbeiträgen zum Ausgleichs- fonds für Familienbeihilfen wiederum beruht darauf, daß die Tatrichter der Verantwortung der Angeklagten, wohl entsprechende Lohnkonten geführt zu haben, diese seien aber verlorengegangen, folgten, weil sie in der Lage gewesen sei, dem Sachverständigen Lohnkontenblätter für die Jahre 1988 und 1992 (Anhang I und II zum Gutachten ON 14) vorzulegen.

Neben dem Gutachten des Sachverständigen und der Verantwortung der Angeklagten beruft sich das ange- fochtene Urteil als Beweisquellen noch auf die Anzeige samt finanzbehördlichen Erhebungen, einem Schriftsatz des Privatbeteiligtenvertreters sowie den wesentlichen Inhalt der vorliegenden Finanzamtsakten. Mit Ausnahme der Erörterung des Gutachtens (Verweisung des Sachverständigen bei seiner Vernehmung in der Hauptverhandlung auf das schriftliche Gutachten S 261) und der Vernehmung der Angeklagten wurden diese Beweise in der Hauptverhandlung jedoch nicht durchgeführt (vgl Beschluß über einen Protokoll- berichtigungsantrag der Privatbeteiligten, ON 37).

Die Privatbeteiligte hat in der Hauptverhandlung nach einer in Form eines Ablehnungsantrages gegen den vom Gericht bestellten Sachverständigen gekleideten Bemängelung des Gutachtens (S 261) die Einholung eines "neuen Gutachtens durch Bestellung eines anderen Sachverstän- digen", sowie "die Bekanntgabe der Namen der Nachtfunker und der Funkbücher zum Beweis dafür, daß sie geführt worden sind und die Berechnung der Lohnsteuer exakt durchgeführt wurde" und die Ladung von drei Finanzbeamten zur Frage der Grundlagen der Lohnsteuerberechnung beantragt (S 265).

Diese Beweisanträge wurden gemäß § 238 Abs 1 StPO "wegen fehlender Legitimation zur Stellung von Beweisanträgen" abgewiesen (S 267). In der schriftlichen Urteilsausfertigung wurde dies mit dem Hinweis auf § 200 Abs 2 lit d FinStrG bekräftigt, wonach die Vertreter der Finanzstrafbehörden nur bei den Haftverhandlungen und bei den mündlichen Verhandlungen im Rechtsmittelverfahren das Wort ergreifen und Anträge stellen könnten. Auch der Wortlaut des § 200 Abs 1 FinStrG biete keinen Anhaltspunkt für einen bloß deklarativen Charakter der Aufzählung der der Privatbeteiligten zustehenden, weitergehenden Rechte (US 13).

Diese Ansicht ist, wie die Beschwerdeführerin (die sich auch gemäß § 281 Abs 3 zweiter Satz StPO die Nichtigkeitsbeschwerde vorbehielt) zu Recht releviert, verfehlt (Dorazil/Harbich FinStrG § 200 E 8 f). Die Tatrichter hätten sich somit inhaltlich mit den Beweisanträgen auseinandersetzen müssen.

Den Parteien steht kein förmliches Ableh- nungsrecht gegenüber Sachverständigen zu, sie können lediglich (erhebliche) Einwendungen geltend machen, sofern sie diese rechtzeitig vorbringen. Da auch der Antrag auf "Einholung eines neuen Gutachtens durch Bestellung eines anderen Sachverständigen" sowohl des Beweisthemas als auch einer Begründung ermangelt, liegt die in der Verfahrensrüge (Z 4) behauptete Nichtigkeit nicht vor.

Ebenso schlägt der Bezug auf die Abweisung des Antrages zur Bekanntgabe der Namen der Nachtfunker und der Funkbücher fehl. Angesichts des Umstandes, daß der Sachverständige vom Vorliegen der Funkbücher und deren ordentlicher Führung ausgegangen ist (S 151), hätte es einer besonderen Begründung dafür bedurft, weswegen im Lichte der sich bis dahin dem Gericht bietenden Beweislage von dieser Beweisführung der Nachweis eines von den Befunderhebungen des Sachverständigen abweichenden Sachverhaltes zu erwarten gewesen wäre (Mayerhofer StPO4 § 281 Z 4 E 19 ff). Darüber hinaus ist das weiters angeführte Beweisthema, ob die Berechnung der Lohnsteuer "exakt" duchgeführt wurde, nicht hinreichend substantiiert. Insoweit wurden somit Verfahrensrechte der Privatbeteiligten nicht verletzt.

Anders verhält es sich allerdings mit dem Antrag auf zeugenschaftliche Vernehmung von Vertretern des Finanzamtes, weil dieser nach Lage des Falles einer weitergehenden Begründung nicht bedurfte.

Das Tatgericht hat sich zur Fundierung seiner Auffassung, daß die Angeklagte die durch ihre finanz- rechtlichen Pflichtverletzungen bewirkte Abgabenverkürzung nicht für gewiß gehalten hat, auf deren Verantwortung berufen, die durch das eingeholte Sachverständigengutachten gestützt sei (US 11). Demgegenüber hat die Privatbeteiligte die zeugenschaftliche Vernehmung von Beamten der Finanzverwaltung beantragt, die im finanzbehördlichen Ver- fahren tätig waren und die sachverhaltsmäßigen Grundlagen für die rechtskräftigen Abgabenbescheide schufen (sowie die sich nach Ansicht der Finanzverwaltung daraus ergebenden rechtlichen Konsequenzen gezogen haben; siehe Veran- lagungsakten). Zwar sind die Gerichte im Finanzstraf- verfahren nicht an den Inhalt rechtskräftiger Abgabenbescheide gebunden. Solche Bescheide (und ihre Sachverhaltsfeststellungen zur objektiven Tatseite) stellen jedoch eine qualifizierte Vorprüfung der Verdachtslage in Ansehung der objektiven Tatseite des angeklagten Finanzvergehens dar.

Werden nach Aufdeckung einer Abgabenhinter- ziehung die vom Steuerpflichtigen geschuldeten Abgaben- beträge endgültig festgesetzt, so ergeben sich aus dem Abgabenbescheid (als dem Resultat der ihm zugrunde- liegenden Beweisaufnahme) nicht allein jene Sachver- haltsfeststellungen, in welchen sich die Verwirklichung des abgabenrechtlichen Tatbestandes als Grund der ziffernmäßig bestimmten Höhe der Abgabenschuld manifestiert, sondern zudem auch - und zwar meist sachverhalts- und beweismäßig untrennbar ineinander verwoben - jene tatsächlichen Annahmen der Abgabenbehörde, in welchen die die Abgabenverkürzung begleitenden abgabenrechtlichen Pflichtverletzungen als Tatbegehungsmittel zum Ausdruck kommen (14 Os 127/90 verst. Senat = JBl 1992,656).

Diskrepanzen zwischen dem zur Höhe einer Abgabenschuld eingeholten Sachverständigengutachten und rechtskräftigen Abgabenbescheiden können, soferne sie nicht durch nochmalige Vernehmung des Sachverständigen beseitigt werden (vgl §§ 125, 126 Abs 1 StPO) vom Gericht in erster Linie auf Grund der Akten der Finanzverwaltung, auf denen diese Bescheide basieren, oder aber durch andere Beweis- mittel wie etwa Zeugenaussagen von Finanzbeamten aufgeklärt werden. Mit dem Inhalt der Verwaltungsakten hat sich das Schöffengericht, trotz deren Anführung als Beweismittel in der schriftlichen Urteilsausfertigung (US 3) keineswegs ausreichend beschäftigt. Nach der sich im Zeitpunkt der Antragstellung dem Gericht bietenden Beweissituation lag klar auf der Hand, daß die Aussagen der als Zeugen beantragten Finanzbeamten, die den entscheidungsrelevanten Sachverhalt einer qualifizierten (nämlich rechtsförmigen) Vorprüfung unterzogen haben, der Aufklärung von Abweichungen des Gutachtens zu den Feststellungen der Abgabenbehörde, die der Sache nach im Ablehnungsvorbringen und dem Beweisantrag releviert wurden, dienen konnten. Die Ablehnung dieser Beweisanträge stellt somit eine Urteilsnichtigkeit bewirkende Verletzung von Verfahrensrechten der Privatbeteiligten dar.

Das Tatgericht hat - wie oben bereits dargestellt - wegen der Annahme eines bestehenden Guthabens durch die Angeklagte auf mangelnde Wissentlichkeit zur Bewirkung der Abgabenverkürzung geschlossen. Die Mängelrüge (Z 5, sachlich teils in der Ausführung der Rechtsrüge Z 9 lit a enthalten) moniert berechtigterweise, daß diese Feststellung einer tragfähigen Begründung entbehrt; und zwar nicht nur, weil zunächst die Abweichungen des Gutachtens vom Inhalt der Bescheide der Finanzverwaltung durch Vernehmung der beantragten Zeugen zu überprüfen sind, sondern auch, weil sich aus den (in der Hauptverhandlung nicht verlesenen) Strafakten der Finanzverwaltung und darin enthaltenen eigenen Aussagen der (im Jahre 1942 geborenen) Angeklagten ergibt, daß sie vom Beruf Buchhalterin ist und als solche auch bis 1976 bei verschiedenen Unternehmen, darunter auch bei einem Steuerberater, tätig gewesen war (Niederschrift des Finanzamtes Innsbruck vom zur Straf- listen-Nr. 200/80). Es war ihr auch aus wiederholt gegen sie geführten Verfahren wegen Finanzvergehen bekannt, daß selbst für den Fall des Bestehens steuerlicher Guthaben Umsatzsteuervoranmeldungen abzugeben waren (Niederschrift vom zur Straflisten-Nr. 85/83 vor derselben Behörde).

Angesichts des Umstandes, daß die Unterlassung von Umsatzsteuervorauszahlungen sowie entsprechender Voranmeldungen jedenfalls ein Indiz dafür darstellt, der die finanzrechtliche Pflicht Verletzende halte die Bewirkung der Abgabenverkürzung durch diese Unterlassung für gewiß (vgl R.Leitner, Grundzüge des österreichischen Finanzstrafrechtes S 173 f und die dort zitierte Judikatur des VwGH), und die Finanzstrafakten dringend nahelegen, daß die Angeklagte über ein besonderes berufliches Wissen gerade auf diesem Gebiet verfügt, vermögen die vom Schöffengericht zur Begründung mangelnder Wisssentlichkeit herangezogenen Umstände den gefällten Freispruch nicht zu tragen.

Eben solches gilt für die erstrichterliche Annahme, die Angeklagte habe in den Jahren 1988 bis 1991 tatsächlich Lohnkonten geführt, weil sie dem Sachver- ständigen (über dessen ständiges Betreiben erst, und zwar frühestens, sh S 141) am Lohnkontenblätter, in denen die Jahreszahl 1988 und 1992 eingetragen waren (Anhang I und II zum Gutachten ON 14) übergeben hat. Schon rein logisch könnten diese Blätter allenfalls lediglich nachweisen, daß sie in den Jahren 1988 und 1992 (welches Jahr von der Anklage nicht umfaßt ist) geführt worden sind. Auch im Hinblick auf den Inhalt der meisten dieser Kontoblätter, die im § 76 Einkommensteuergesetz taxativ aufgezählte Angaben enthalten müssen (Leitner aaO S 178) und der dem äußeren Bild nach (mangelnde Erfassung von Sonderzahlungen, überwiegend fehlender Kontenabschluß) auf deren schematische Anfertigung in einem Zuge hindeutet, ist der vom Erstgericht allein aus der Übergabe solcher Kontoblätter lange nach Verfahrenseinleitung gezogene Schluß, die Angeklagte sei in den Jahren 1988 bis 1991 ihrer Pflicht, dem § 76 Einkommensteuergesetz 1972 (jetzt 1988) entsprechende Lohnkonten zu führen, nachgekommen, obwohl finanzbehördliche Erhebungen das Gegenteil ergeben haben, so weit hergeholt, daß ein logischer Zusammenhang nicht mehr herstellbar ist. Diesbezüglich ist das angefochtene Urteil mit einem Nichtigkeit bewirkenden Begründungsmangel behaftet (EvBl 1972/17).

Da allein schon aus den angeführten Überlegungen mit Urteilskassierung vorzugehen war, erübrigt es sich, auf das weitere Rechtsmittelvorbringen einzugehen.

Im neu durchzuführenden Verfahren werden daher die Aussagen der beantragten Zeugen und der Inhalt der Akten der Finanzverwaltung mit den Ergebnissen des eingeholten Gutachtens in Beziehung zu setzen und es wird auf dieser Grundlage eine neue Entscheidung zu fällen sein. Somit zeigt sich, daß die Anordnung einer neuen Hauptver- handlung nicht zu vermeiden ist und eine Entscheidung des Obersten Gerichtshofes in der Sache selbst jedoch noch nicht einzutreten hat, weshalb wie im Spruch zu erkennen war.