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VfGH vom 11.10.1986, B138/85

VfGH vom 11.10.1986, B138/85

Sammlungsnummer

11060

Leitsatz

EGVG 1950; zum Begriff "Angehörige des in Betracht kommenden Berufsstandes" in ArtII Abs 6 litc EGVG 1950; Ehrengericht und Beschwerdesenat der Jägerschaft sind Organe, die iS des ArtII Abs 6 litc EGVG 1950 die VerwaltungsverfahrensG nicht anzuwenden haben

Sbg. JagdG; zeitlicher Ausschluß aus der Sbg. Jägerschaft wegen Verletzung der Jägerehre gemäß § 97 Abs 2 lita; Zuständigkeit des Sbg. Landesgesetzgebers zur Erlassung der Bestimmungen des § 97 Abs 1 Sbg. JagdG, der eine von § 31 VStG 1950 abweichende Verjährungsregelung enthält - kein Eingriff in die dem Bundesgesetzgeber nach Art 11 Abs 2 B-VG zustehende Kompetenz zur Erlassung einheitlicher Verfahrensregelungen; angesichts der Besonderheiten in Jagdsachen Verjährungsfrist von 5 Jahren in § 97 Abs 1 Sbg. JagdG nicht unsachlich - kein Verstoß gegen das Gleichheitsgebot; nach dem Wortlaut des § 97 Abs 1 ist eine in der Verhängung einer Strafe nach § 97 Abs 3 gelegene Ahndung einer Verletzung der Jägerehre nach Ablauf von 5 Jahren gerechnet von dem Zeitpunkt, an dem das mißbilligte Verhalten aufgehört hat, nicht mehr zulässig; erstinstanzliches Erkenntnis nach Ablauf der 5-Jahres-Frist gefällt (verkündet) - Inanspruchnahme einer Zuständigkeit durch den Ehrensenat, die ihm nicht mehr zugekommen ist; keine Wahrnehmung dieses Mangels durch den Beschwerdesenat - Entzug des gesetzlichen Richters

Spruch

Die Bf. sind durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt worden.

Der Bescheid wird aufgehoben.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Mit dem Erk. des Ehrensenates der Sbg. Jägerschaft vom wurden J P und R K (die Bf.) für die Dauer von zwei Jahren aus der Sbg. Jägerschaft ausgeschlossen, weil sie zu einem nicht mehr genau feststellbaren Zeitpunkt zwischen dem 7. und dem in Muhr dadurch, daß sie im gemeinsamen Zusammenwirken dem K B und dem E B mit der tatsachenwidrigen Behauptung, es handle sich um eine Einkreuzung zwischen Steinbock und Alpenziege, den Abschuß zweier Hausziegenböcke um den Betrag von je 700 DM verkauft haben, die Jägerehre gemäß § 97 Abs 2 lita des Sbg. Jagdgesetzes, LGBl. 94/1977 (SJG), verletzt haben. Von anderen ihnen vorgeworfenen Verletzungen der Jägerehre wurden die Bf. freigesprochen.

Die von den Bf. gegen das Erkenntnis des Ehrensenates erhobene (Administrativ-)Beschwerde wurde mit dem Erk. des Beschwerdesenates des Ehrengerichtes der Sbg. Jägerschaft vom in der "Schuld- und Straffrage" als unbegründet abgewiesen.

Hinsichtlich der Kostentragung wurde ausgesprochen, daß die Bf. die halben Kosten des Verfahrens erster Instanz und die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen haben.

2. Gegen das Erk. des Beschwerdesenates vom richtet sich die unter Berufung auf Art 144 B-VG erhobene Beschwerde. In dieser wird die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides, für den Fall der Abweisung die Abtretung der Beschwerde an den VwGH beantragt.

II. Der VfGH hat über die Beschwerde erwogen:

1. Gegen die Entscheidung des Beschwerdesenates ist ein Rechtsmittel nicht zulässig (vgl. § 99 Abs 7 letzter Satz SJG).

Der Instanzenzug ist erschöpft. Da auch die übrigen Prozeßvoraussetzungen gegeben sind, ist die Beschwerde zulässig.

2. § 97 SJG lautet:

"(1) Eine von einem Mitglied der Salzburger Jägerschaft begangene Verletzung der Jägerehre wird, sofern sie nicht länger als fünf Jahre von dem Zeitpunkt zurückliegt, an dem das mißbilligte Verhalten aufgehört hat und nicht mehr als zwei Jahre seit dem Erlöschen der Mitgliedschaft vergangen sind, unbeschadet einer allfälligen strafgerichtlichen oder verwaltungsstrafrechtlichen Verfolgung, durch das Ehrengericht der Salzburger Jägerschaft geahndet.

(2) Die Jägerehre wird verletzt:

a) durch einen groben Verstoß gegen die Waidgerechtigkeit, das ist insbesondere durch Übertretung der Vorschriften der §§52, 55 Abs 1, 57, 58, 60, 61, 62, 65, 67;

b) durch ein sonstiges Verhalten, auf Grund dessen sich das Mitglied als der Mitgliedschaft der Salzburger Jägerschaft unwürdig erweist.

(3) Die vom Ehrengericht zu verhängenden Strafen sind:

a) die Erteilung eines Verweises;

b) die Verhängung eines Bußgeldes bis zu 10.000 S zugunsten der Wohlfahrtseinrichtungen der Salzburger Jägerschaft;

c) der zeitliche Ausschluß aus der Salzburger Jägerschaft auf höchstens fünf Jahre;

d) der dauernde Ausschluß aus der Salzburger Jägerschaft.

(4) Bei der Bemessung der Strafe ist von der Schuld des Täters auszugehen und auf die Art und Schwere der Verletzung, auf die damit verbundene Gefährdung oder Schädigung jagdlicher Interessen und auf allgemeine Erschwerungs- und Mildungsgründe Bedacht zu nehmen."

Das Ehrengericht entscheidet in erster Instanz durch den Ehrensenat, in zweiter Instanz durch den Beschwerdesenat (§98 Abs 1 SJG). Für das Verfahren gelten - soweit im Gesetz nicht ausdrücklich anderes bestimmt ist - die Bestimmungen des Verwaltungsstrafgesetzes 1950 (§99 Abs 12 SJG).

3. Die Bf. behaupten, daß die Bestimmung des § 97 Abs 1 SJG - wonach die Verletzung der Jägerehre geahndet wird, "sofern sie nicht länger als fünf Jahre von dem Zeitpunkt zurückliegt, an dem das mißbilligte Verhalten aufgehört hat" - wegen eines Widerspruches zu Art 11 Abs 2 B-VG verfassungswidrig sei. Es handle sich um eine von § 31 VStG 1950 abweichende Regelung der Verjährung, zu deren Erlassung dem Landesgesetzgeber eine Zuständigkeit fehle.

Zu diesem Vorbringen ist zu bemerken, daß nach ArtII Abs 6 litc EGVG 1950 die Verwaltungsverfahrensgesetze bei der Verfolgung und Bestrafung der Verletzung von Standespflichten durch Organe, die ausschließlich oder doch zT aus Angehörigen des in Betracht kommenden Berufsstandes gebildet sind (Disziplinarverfahren), soweit nicht ausdrücklich etwas anderes bestimmt ist, keine Anwendung finden.

Nach der Zielrichtung dieser Bestimmung bezieht sich der Begriff "Angehörige des in Betracht kommenden Berufsstandes" nicht nur auf Angehörige gesetzlicher beruflicher Vertretungen, die im Gesetz jeweils ausdrücklich als solche angeführt sind (vgl. ArtII Abs 2 Z 27, ArtII Abs 6 litb). Er bezieht sich vielmehr nach Auffassung des VfGH auch auf Angehörige sonstiger Personenvereinigungen, die nach einem für die Ausübung einer bestimmten Tätigkeit maßgeblichen Charakteristikum - im gegebenen Fall nach der für die Ausübung der Jagd erforderlichen Ausstellung der Jahresjagdkarte (§88 Abs 1 SJG) - vom Gesetzgeber als Selbstverwaltungskörperschaften (vgl. zur Sbg. Jägerschaft als Selbstverwaltungskörperschaft, die keine gesetzliche berufliche Interessenvertretung ist, VfSlg. 6182/1970, 8215/1977) eingerichtet und mit Organen ausgestattet sind, die zur Verfolgung und Bestrafung der Verletzung von Pflichten (in einem Disziplinarverfahren), deren Erfüllung mit - durch die Eigenart der Ausübung der Tätigkeit - spezifizierten Besonderheiten (im gegebenen Fall der Wahrung der Jägerehre) verbunden ist, berufen und ausschließlich oder zT aus Angehörigen dieser Selbstverwaltungskörperschaft gebildet werden.

Ehrengericht und Beschwerdesenat sind Organe, die iS des ArtII Abs 6 litc EGVG 1950 die Verwaltungsverfahrensgesetze nicht anzuwenden haben; zur Regelung des von diesen Organen durchzuführenden Disziplinarverfahrens ist der Gesetzgeber zuständig, dem die Regelung der Angelegenheiten des Jagdwesens, zu denen die Einrichtung der Jägerschaft und die Regelung über Verletzungen der Jägerehre gehören, obliegt.

Im Sinne dieser Zuständigkeit hat der Landesgesetzgeber im § 99 Abs 12 SJG bestimmt, daß auf das Verfahren vor dem Ehrengericht die Bestimmungen des Verwaltungsstrafgesetzes 1950 sinngemäß Anwendung finden, soweit im SJG nichts anderes bestimmt ist. Er hat abweichend von der Regelung des § 31 Verwaltungsstrafgesetz 1950 im § 97 Abs 1 SJG angeordnet, daß Verletzungen der Jägerehre geahndet werden, sofern sie nicht länger als fünf Jahre von dem Zeitpunkt zurückliegen, an dem das mißbilligte Verhalten aufgehört hat.

Der Sbg. Landesgesetzgeber war zur Erlassung der angeführten Regelung zuständig. Der vom Bf. behauptete Eingriff in die dem Bundesgesetzgeber nach Art 11 Abs 2 B-VG zustehende Kompetenz zur Erlassung einheitlicher Verfahrensregelungen liegt nicht vor.

Der VfGH vertritt ferner die Auffassung, daß in dieser Regelung auch kein Verstoß gegen das Gleichheitsgebot erblickt werden kann. Es ist nach den Besonderheiten, die dazu führen daß eine Verletzung der Jägerehre verhältnismäßig lange Zeit nach der Begehung der mißbilligten Handlung in der Öffentlichkeit in Erscheinung treten kann, nicht unsachlich, für die Möglichkeit der Ahndung von Verletzungen der Jägerehre einen Zeitraum von fünf Jahren ab dem Zeitpunkt vorzusehen, an dem das mißbilligte Verhalten aufgehört hat.

4. Nach ArtII der Jagdgesetznov. 1970, LGBl. 42/1970 (Nov. zum Sbg. Jagdgesetz, LGBl. 20/1946, idF LGBl. 64/1950, 36/1954, 85/1957, 40/1966, 73/1966 sowie der Kundmachung LGBl. 52/1956) hatten bis zu einer landesgesetzlichen Neuregelung der Organisation, Aufgaben und Geschäftsführung der Sbg. Jägerschaft (§111 des Sbg. Jagdgesetzes) einschließlich der bei ihr eingerichteten Ehrengerichtsbarkeit die Satzungen der Sbg. Jägerschaft, LGBl. 89/1957 (idF der Kundmachungen LGBl. 63/1960, 98/1965, 126/1966, 141/1966, 47/1967, 89/1968), als landesgesetzliche Vorschriften mit der Maßgabe zu gelten, daß auf das Verfahren des Ehrengerichtes, soweit nicht besondere Verfahrensvorschriften bestehen, die Bestimmungen des AVG 1950 anzuwenden waren.

Im § 26 Abs 1 (Stammfassung) der Satzung der Sbg. Jägerschaft, LGBl. 89/1957, war bestimmt, daß Anzeigen wegen eines Verstoßes gegen die Jägerehre binnen sechs Monaten ab Bekanntwerden beim Vorstand schriftlich einzubringen waren. Der Vorstand hatte, wenn er die Voraussetzungen für ein Ehrengerichtsverfahren als gegeben erachtete, die Anzeige unter genauer Bekanntgabe des Sachverhaltes und etwaiger Beweismittel dem Ehrengericht "ungesäumt zu übermitteln".

Nach der eine Neuregelung der Ehrengerichtsbarkeit darstellenden Bestimmung des § 97 Abs 1 SJG wird eine von einem Mitglied der Sbg. Jägerschaft begangene Verletzung der Jägerehre - unbeschadet einer allfälligen strafgerichtlichen oder verwaltungsstrafrechtlichen Verfolgung - durch das Ehrengericht der Sbg. Jägerschaft geahndet, soferne sie nicht länger als fünf Jahre von dem Zeitpunkt zurückliegt, an dem das mißbilligte Verhalten aufgehört hat und nicht mehr als zwei Jahre seit dem Erlöschen der Mitgliedschaft vergangen sind.

Der VfGH ist der Auffassung, daß nach dem Wortlaut dieser Bestimmung eine in der Verhängung einer Strafe nach § 97 Abs 3 SJG gelegene Ahndung einer Verletzung der Jägerehre nach dem Ablauf von fünf Jahren, gerechnet von dem Zeitpunkt, an dem das mißbilligte Verhalten aufgehört hat, nicht mehr (weder durch ein Erkenntnis des erstinstanzlichen Ehrengerichtes noch durch ein Erkenntnis des zweitinstanzlichen Beschwerdesenates) zulässig ist. Weder den Gesetzesmaterialien noch den Beratungsprotokollen über das Zustandekommen des Gesetzes kann ein Anhaltspunkt für eine Auslegung entnommen werden, daß ein Erkenntnis zur Ahndung der Verletzung der Jägerehre nach dem Ablauf der angeführten fünfjährigen Frist, insbesondere etwa dann noch gefällt werden dürfte, wenn innerhalb dieser Frist das Ehrengerichtsverfahren gegen den Beschuldigten eingeleitet wurde. Aus dem von der bel. Beh. vorgebrachten Hinweis auf Regelungen in anderen Bundesländern kann ein gegenteiliger Standpunkt nicht abgeleitet werden. So ist in § 90 des Ktn. Jagdgesetzes 1978, LGBl. 76/1978, ausdrücklich bestimmt, daß Vergehen der Mitglieder der Ktn. Jägerschaft gegen Standespflichten, die "nicht länger als fünf Jahre vom Zeitpunkt der ersten Verfolgungshandlung (Ladung, Vernehmung, Ersuchen um Vernehmung) zurückliegen", von einem Disziplinarrat der Ktn. Jägerschaft durch Disziplinarstrafen geahndet werden. Nach der von der bel. Beh. angeführten Verordnung der Burgenländischen Landesregierung vom , mit der eine Ehrenratsordnung für den Burgenländischen Landesjagdverband erlassen wurde, LGBl. 43/1971 idF LGBl. 25/1972, beträgt die Verjährungsfrist für die Ahndung der Verletzung der Jägerehre drei Jahre; der Lauf der Verjährungsfrist beginnt mit dem Zeitpunkt der Beendigung des pflichtwidrigen Verhaltens oder, wenn dieses bereits Gegenstand eines Verfahrens vor dem Ehrensenat gewesen ist, mit dessen rechtskräftiger Erledigung.

Gerade ein Vergleich mit den angeführten Regelungen läßt beim Wortlaut des § 97 Abs 1 SJG eine Schlußfolgerung, daß die Verhängung einer Strafe gemäß § 97 Abs 3 SJG auch noch nach Ablauf der im § 97 Abs 1 angeführten Fünfjahresfrist zulässig sei, nicht zu.

Nun steht unbestritten fest, daß das mißbilligte Verhalten der Bf. spätestens am aufgehört hat. Das erstinstanzliche Erk. ist am , somit nach Ablauf der Fünfjahresfrist gefällt (verkündet) worden. Zu diesem Zeitpunkt war die Fällung des Erkenntnisses wegen Ablaufes der fünfjährigen Frist nach § 97 Abs 1 SJG ausgeschlossen. Demnach hat der erstinstanzliche Ehrensenat bei der Verhängung der Strafe des zeitlichen Ausschlusses von der Sbg. Jägerschaft über die Bf. eine Zuständigkeit in Anspruch genommen, die ihm nicht mehr zugekommen wäre.

Der belangte Beschwerdesenat hat die gesetzwidrige Inanspruchnahme der Zuständigkeit durch den Ehrensenat nicht wahrgenommen.

Dadurch sind die Bf. iS der ständigen Rechtsprechung des VfGH im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt worden.

Der angefochtene Bescheid war daher aufzuheben.