OGH 28.06.2016, 10ObS63/16m
Entscheidungstext
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Dr. Fellinger als Vorsitzenden, die Hofräte Univ.-Prof. Dr. Neumayr und Dr. Schramm sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Johanna Biereder (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Susanne Jonak (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei D*****, vertreten durch Proksch & Fritzsche Frank Fletzberger Rechtsanwälte GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei Wiener Gebietskrankenkasse, Wienerbergstraße 15-19, 1100 Wien, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 9 Rs 12/16z-10, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichts Wien vom , GZ 8 Cgs 115/15g-6, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird Folge gegeben.
Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass sie insgesamt zu lauten haben:
„Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei für den Zeitraum von bis Wochengeld in Höhe von 92,30 EUR täglich binnen 14 Tagen zu zahlen.
Die beklagte Partei ist weiters schuldig, der klagenden Partei die mit 504,45 EUR (darin 83,41 EUR USt) bestimmten Kosten des Verfahrens erster Instanz sowie die mit 544,13 EUR (darin 90,69 EUR USt) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.“
Die beklagte Partei ist weiters schuldig, der klagenden Partei die mit 418,78 EUR (darin 69,80 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Die Klägerin bezog anlässlich der Geburt ihres ersten Kindes () von bis Wochengeld in Höhe von 77,78 EUR sowie von bis Kinderbetreuungsgeld als Ersatz des Erwerbseinkommens in Höhe von 63,38 EUR täglich. Von bis war die Klägerin bei ihrem bisherigen Arbeitgeber, mit dem sie eine Karenz nach dem MSchG für die Dauer von zwei Jahren vereinbart hatte, geringfügig beschäftigt. Die Klägerin wurde erneut schwanger. Als voraussichtlicher Geburtstermin wurde der errechnet. Die Geburt der Tochter erfolgte per Kaiserschnitt am . Die Klägerin befand sich von bis erneut in Mutterschutz.
Aus der geringfügigen Beschäftigung sind bei der Berechnung des Wochengeldes 13,07 EUR täglich zu berücksichtigen.
Mit Bescheid vom lehnte die beklagte Wiener Gebietskrankenkasse den Antrag der Klägerin auf Gewährung eines höheren Wochengeldes als 39,22 EUR täglich für die Zeit von bis anlässlich der Entbindung am ab.
Das Erstgericht wies die dagegen erhobene Klage ab. Da der Versicherungsfall hier zwar nach dem Ende der Pflichtversicherung eingetreten sei, aber der Beginn der 32. Woche vor dem Eintritt des Versicherungsfalls () in den Zeitraum des Bestands der beendeten Pflichtversicherung falle (§ 122 Abs 3 ASVG), habe die Klägerin dem Grunde nach jedenfalls einen Anspruch auf Wochengeld.
Aufgrund der eindeutigen und unmissverständlichen gesetzlichen Bestimmung in § 162 Abs 3 Satz 4 ASVG, die nur auf § 162 Abs 3a Z 2 ASVG verweise, stehe der Klägerin nach § 162 Abs 3a Z 2 ASVG lediglich ein pauschales Kinderbetreuungsgeld in Höhe von 14,53 EUR täglich zu, nicht jedoch das um 25 % erhöhte Kinderbetreuungsgeld, das nach § 162 Abs 3a Z 3 ASVG den Bezieherinnen von Kinderbetreuungsgeld als Ersatz des Erwerbseinkommens gebühre. Die Klägerin sei in den letzten drei Monaten vor Eintritt des Versicherungsfalls einer geringfügigen Beschäftigung nachgegangen; in diesen Zeitraum seien keine Zeiten des Bezugs des einkommensabhängigen Kinderbetreuungsgeldes gefallen.
Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin nicht Folge. Es bestätigte die Rechtsansicht des Erstgerichts, dass § 162 Abs 3 Satz 4 ASVG insbesondere für den vorliegenden Schutzfristfall nur auf das Wochengeld gemäß § 162 Abs 3a Z 2 ASVG, nicht jedoch auf jenes nach Z 3 verweise. Der Ansicht der Klägerin, aus den Materialien ergebe sich, dass es sich um ein bloßes Redaktionsversehen des Gesetzgebers handle, könne nicht gefolgt werden. Der Gesetzgeber habe im Zusammenhang mit dem Kinderbetreuungsgeld als Ersatz des Erwerbseinkommens nicht diejenigen Eltern im Auge gehabt, die nach dem ersten Lebensjahr und damit nach dem Ende des Bezugs von einkommensabhängigem Kinderbetreuungsgeld noch Karenz beanspruchen. Auch in der Lehre werde vertreten, dass im Hinblick auf den in § 162 Abs 3 Satz 4 ASVG enthaltenen Verweis nur auf Abs 3a Z 2 (nicht aber auf Z 3) auch für Bezieherinnen eines einkommensabhängigen Kinderbetreuungsgeldes als Berechnungsgrundlage nur das um 80 % erhöhte pauschale Kinderbetreuungsgeld bei der längsten Bezugsvariante – dh das mit der betraglich geringsten Höhe – heranzuziehen sei.
Die Revision sei im Hinblick auf das Fehlen höchstgerichtlicher Rechtsprechung zur Berechnung von Wochengeld im Falle des Eintritts des Versicherungsfalls der Mutterschaft nach dem Ende des Bezugs von einkommensabhängigen Kinderbetreuungsgeld zulässig.
Rechtliche Beurteilung
Die von der beklagten Partei nicht beantwortete Revision der Klägerin ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig; sie ist auch berechtigt, weil der Oberste Gerichtshof die Rechtsansicht des Berufungsgerichts zu 10 ObS 99/15d nicht geteilt hat.
In dieser Entscheidung vom ist der Oberste Gerichtshof nach ausführlicher Darstellung der Gesetzesentwicklung zur Auffassung gelangt, dass in der Regelung des § 162 Abs 3 Satz 4 ASVG eine planwidrige Gesetzeslücke vorliegt, die dadurch zu schließen ist, dass in § 162 Abs 3 Satz 4 ASVG auch ein Verweis auf den die Bezieherinnen von Kinderbetreuungsgeld als Ersatz des Erwerbseinkommens betreffenden § 162 Abs 3a Z 3 ASVG hineinzulesen ist (RIS-Justiz RS0130645).
Die Klägerin hat zu dem gemäß § 122 Abs 3 ASVG maßgeblichen Zeitpunkt () einkommensabhängiges Kinderbetreuungsgeld in Höhe von 63,38 EUR täglich bezogen. Mit der 25%igen Erhöhung gemäß § 162 Abs 3a Z 3 ASVG ergibt sich ein täglicher Wochengeldanspruch von 79,23 EUR, der zusammen mit dem Wochengeld aus der geringfügigen Beschäftigung (13,07 EUR täglich) zu einem Anspruch von 92,30 EUR täglich führt.
In diesem Sinn sind die Entscheidungen der Vorinstanzen betreffend den Anspruchszeitraum von bis abzuändern.
Die Kostenentscheidung ist eine Folge des Obsiegens der Klägerin und beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit a ASGG. Im Berufungsverfahren wurden keine Beweise aufgenommen, weshalb nur der dreifache Einheitssatz zuzusprechen war (§ 23 Abs 9 RATG).
Zusatzinformationen
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Rechtsgebiet | Zivilrecht |
Schlagworte | Sozialrecht |
ECLI | ECLI:AT:OGH0002:2016:010OBS00063.16M.0628.000 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
CAAAE-11087